Lars Harms: Qualifikationen vieler Flüchtlinge sind Ressourcen-Schätze, die es zu bergen gilt
Presseinformation Kiel, den 21. Januar 2015 Es gilt das gesprochene WortLars Harms TOP 34A Bundesratsinitiative zur Schaffung eines modernen Einwanderungsrechts Drs. 18/2693 „Wir leisten uns den Luxus, gut ausgebildete und hoch motivierte Menschen im Land zu haben; diese aber zur Untätigkeit zu verpflichten.“ Deutschland ist ein Einwanderungsland. Es wurde zwar lange Jahre nicht so genannt. Aber faktisch haben wir seit den 1950er Jahren, also seit sechs Jahrzehnten eine Einwanderungswelle nach der anderen erlebt. Es musste allerdings mehr als eine Generation vergehen, bis diese Tatsache Eingang in die politischen Diskussionen fand. Deutschland tat sich schwer damit, sich dauerhaft zu öffnen. Immer, wenn Not am Mann war, kamen ausländische Arbeitskräfte gerade recht: Portugiesen, Spanier, Italiener oder Türken. Aber deren Anerkennung ging nur schleppend voran. Die Neu-Deutschen sollten gerne bitteschön super- deutsch sein und beispielsweise auch in den eigenen vier Wänden deutsch reden. Bereicherung und Vielfalt zu entdecken und zu nutzen, war zunächst nur eine Randerscheinung. Inzwischen 2hat sich in dieser Richtung Einiges getan: so gehört die Pizza zu den Lieblingsgerichten inDeutschland.Integration bedeutet eben nicht, dass sich die Dazukommenden widerspruchslos anpassen,sondern dass man sich gegenseitig annähert. Deutschland hat sich verändert, was nicht zuletztdurch das große Engagement vieler Ehrenamtlicher in der Flüchtlingskrise belegt wird.International wird Deutschland als Einwanderungsland mit großzügigenEinwanderungsregelungen geachtet. Deutschland bleibt aber auch ein Auswandererland.Deutsche Staatsbürger stellen - global gesehen - eine nicht unerhebliche Gruppe dar. 2015wanderten fast 150.000 deutsche Bürger aus, weil sie in Deutschland nicht die gleichenChancen erwarteten wie im Ausland. Deutschland ist längst nicht so attraktiv, wie wir uns daseinreden: Niedriglohn und Karriereprobleme bewerten viele Menschen, auch aus Schleswig-Holstein, als push-Faktoren und als Gründe, Deutschland zu verlassen. Sie suchen mit ihrenFamilien ihr Heil wo anders. Damit wird der Brain-Drain verschärft und der demografischbedingte Fachkräftemangel weiter verstärkt. Hier muss dringend Abhilfe geschafft werden.Das haben wir im Ausschuss vertieft beraten; auch und gerade vor dem Hintergrund derderzeitigen Flüchtlingskrise. Wir leisten uns den Luxus, gut ausgebildete und hoch motivierteMenschen im Land zu haben; diese aber zur Untätigkeit zu verpflichten. Die Asylverfahrenerweisen sich als Hemmschuh. Dabei wissen wir genau, dass Integration durch Arbeit derKönigsweg ist. Tatsächlich betreiben wir eine Ausgrenzung, die langfristig enorme Kostenerwarten lässt. Das ist zum Großteil der schieren Masse der Flüchtlinge geschuldet, aber ebenauch den sehr komplizierten Antragsverfahren.Einheitliche Verfahren und Bestimmungen werden nicht vom Himmel fallen. Gut, dass wiranlässlich des Antrages der FDP-Fraktion über ein modernes Einwanderungsrecht diskutieren.Wir holen damit etwas nach, was schon im letzten Jahrhundert in Deutschland hättestattfinden müssen. 3Bei den meisten Punkten besteht durchaus Einigkeit, vor allem, was klare Zuständigkeiten undtransparente Verfahren aus einer Hand angeht. Ich fürchte allerdings, dass es noch langedauern wird, bis die Verfahren vereinfacht sind. Darüber hinaus ist vom volkswirtschaftlichenStandpunkt aus das Beschäftigungsverbot von Asylbewerbern die pure Vergeudung vonRessourcen. Die zweifellos vorhandenen Qualifikationen vieler Flüchtlinge sind dochRessourcen-Schätze, die es zu bergen gilt. Viele Flüchtlinge bringen sich bereits alsDolmetscher ein oder vermitteln zwischen Behörden und ihren Mitbewohnern. Doch derdeutsche Arbeitsmarkt steht ihnen nicht offen. Deutschkurse werden zwar inzwischenflächendeckend angeboten; aber darüber hinaus benötigen wir berufsspezifische Sprachkurse,die spezielle Fachvokabeln vermitteln. Besondere Nachqualifizierungsprogramme, dievorhandene Qualifikationen an den deutschen Arbeitsmarkt anpassen, sind überhaupt nochnicht in Sicht. Darüber hinaus ist die Anerkennung vieler ausländischer Berufsqualifikationennach wie vor für den Großteil der Berufe ein Hürdenlauf mit langen und kompliziertenVerfahren. Dazu kommen komplizierte Rechtsfragen; zum Beispiel für die Arbeitgeber. Diefragen sich: Darf ich überhaupt einen Flüchtling einstellen? Welche rechtlichenRahmenbedingungen müssen berücksichtigt werden? Wer kann mir dabei helfen?In den letzten Jahren wurde in dieser Richtung vieles versäumt. Die Beratung aus einer Hand,die als Beratung daher kommt und nicht als Sanktion, ist gerade erst auf kommunaler Ebeneangekommen. So richtet die Stadt Flensburg analog zum Kreis Nordfriesland einWillkommenszentrum ein, das das bisherige Ausländeramt ablösen wird.Letztendlich wird es darauf ankommen, dass die EU insgesamt ein modernesEinwanderungsrecht erlässt. Der Großteil der Einwanderer in den deutschen Arbeitsmarktkommt ja aus der EU. Vielleicht liegt darin der Grund, warum es mit der Einwanderung ausNicht-EU-Ländern hapert. Europa darf sich aber nicht abschließen, sondern muss sichdementsprechend weiterentwickeln. Grundsätzlich muss die Arbeitsmarktintegration von 4Menschen mit Fluchtgeschichte als Prozess verstanden werden, der uns noch langebeschäftigen wird. Dabei geht es vor allem darum, denjenigen die zu uns kommenPerspektiven aufzuzeigen und Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Und natürlich ist es legitim füreinen Staat, den Einwanderungsprozess steuern zu wollen. Bei Flüchtlingen und EU-Bürgern istdies nur bedingt möglich, bei den weiteren Zuwanderern, die bei uns arbeiten und eineZukunft aufbauen wollen, hat der Staat aber durchaus das Recht, hier auch deutlich zumachen, wer hier eine Zukunft hat und wer nicht. Und um das alles vernünftig undnachvollziehbar und dann auch noch möglichst unbürokratisch zu regeln, ist es nötig, dieEinwanderungsbestimmungen in einem einheitlichen Gesetz zusammenzufassen.Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden:http://www.landtag.ltsh.de/aktuell/mediathek/index.html