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20.01.16
13:37 Uhr
B 90/Grüne

Rede Eka von Kalben zur aktuellen Flüchtlingspolitik

Presseinformation

Landtagsfraktion Schleswig-Holstein Es gilt das gesprochene Wort! Pressesprecherin TOP 9+17+20 Bericht zu aktuellen Fragen in der Asyl- und Claudia Jacob Ausländerpolitik Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 Dazu sagt die Vorsitzende 24105 Kiel der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Zentrale: 0431 / 988 – 1500 Durchwahl: 0431 / 988 - 1503 Eka von Kalben: Mobil: 0172 / 541 83 53
presse@gruene.ltsh.de www.sh.gruene-fraktion.de
Nr. 018.16 / 20.01.2016 Wir müssen uns entscheiden: Abschreckungspolitik oder Integrationspolitik.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, der Weltlage am Fernsehbildschirm folgen - das war so schön bequem. Tagesschau: 15 Minuten schreckliche Nachrichten und dann Tatort gucken und nicht weiter drüber nach- denken.

Das geht heute nicht mehr, die Welt ist zu uns gekommen.
Die Geflüchteten aus aller Welt sind zu uns gekommen, haben Gräben, Mauern und Zäune überwunden. Mit Ihnen kam Mut zur Nächstenliebe und Unterstützung.

Aber auch Angst vor Überforderung und - bei manchen - vor Überfremdung, wie man es nicht für möglich gehalten hätte.

Der erste Reflex ist nur naheliegend: Zurück zum Status quo ante. Türen zu, Grenzen dicht.

Sollen doch alle in die Nachbarländer gehen, der Krieg ist bestimmt bald vorbei, uns wird es langsam alles zu viel. Es gibt wahrscheinlich mittlerweile niemanden mehr in Deutsch- land, der nicht schon einmal darüber nachgedacht hat, ob und wie sich die Sache mit Seite 1 von 6 den Flüchtlingen wohl begrenzen ließe.

Die CSU reagiert reflexartig.

Sie ist sich nicht zu schade, ohne lang zu fackeln, geschweige denn nachzudenken, die Obergrenzen zu fordern. Jetzt droht sie der eigenen Bundesregierung sogar mit einer Klage vor dem Verfassungsgericht, wenn nicht endlich die Grenzen wieder unter Kontrol- le gebracht werden.
Aber Obergrenzen oder geschlossene Grenzen zu fordern, heißt auch nur die halbe Wahrheit auszusprechen. Wer Obergrenzen fordert, muss nämlich dazusagen, wie diese durchgesetzt werden sollen. Anhänger dieser Theorie müssen auch so ehrlich sein, zu sagen: Soll doch die Türkei oder Griechenland oder Österreich die Suppe auslöffeln. Bei uns immer nur schön gesittet und einzeln der Reihe nach.

Wir verschließen die Augen vor der Realität nicht. Natürlich sehen wir, dass Menschen Angst haben. Wer straffällig wird, muss bestraft werden. Punktum. Kriminalität bekämpfen mit den Mitteln unseres Rechtsstaats. Ich halte unsere Maßnahmen für den richtigen Ansatz: Aufstockung der Stellen bei der Polizei. Konzentration der Arbeit der Polizei auf ihre Schwerpunktbereiche. Und wir set- zen auf Präventionskonzepte
Und ja: Herkunft oder Nationalität der Täterinnen und Täter können relevant sein für, die Prävention und die Strafverfolgung. Aber ich bin überzeugt, meine Damen und Herren: Genauso arbeitet die Schleswig- Holsteinische Landespolizei bereits.

Was folgt aus dieser Erkenntnis allerdings für die Asylpolitik?
Auch hier nehmen wir die Realität zur Kenntnis. Ja, es gibt kriminelle Geflüchtete, es gibt auch Menschen, die das Asylverfahren ausnutzen und es gibt Probleme bei der Integra- tion, die nicht leicht zu lösen sind und auch uns schlaflose Nächte bereiten. Die Präventionsarbeit und die Strafverfolgung ist auf die jeweiligen Täterinnen und Täter zuzuschneiden - mit allen relevanten Faktoren. Die Justiz hingegen, hat unabhängig von Herkunft zu urteilen.

2 Wer verurteilt ist, wandert in den Knast. Das gilt für alle hier aufhältigen Menschen. Wenn wir das konsequent anwenden, wirkt es auch abschreckend. Wir müssen aufpassen, dass das Ausweisungsrecht nun nicht zur zweiten Bestrafung verkommt.
Es sollen doch die Menschen ausgewiesen werden, die eine Gefahr für die Sicherheit in Deutschland darstellen. Nun frage ich Sie, wenn die Justiz zu dem Schluss kommt, dass jemand nicht weggesperrt werden muss, sondern auf Bewährung frei gelassen wird, wie passt das zusammen?
Wenn jemand eine Gefahr für Deutschland ist, muss er doch ins Gefängnis und kann dann schon jetzt ausgewiesen werden. Schärfere Ausweisungstatbestände ermöglichen nicht mehr Abschiebung - diese Gleichung geht nicht auf. Viele Abschiebungen - so ehr- lich muss man schon sein – werden sich so oder so nicht realisieren lassen.
Zügige Strafverfolgung und -Verurteilung sind weitaus wirksamer. Am 1.1.2016 wurden die Gesetze zur Ausweisung gerade verschärft. Mein Staatsverständnis ist es nicht, Ge- setze zu ändern, bevor wir die letzte Änderung überhaupt bemerken konnten.

Wir setzen uns für schnellere Asylverfahren ein. Und zwar für alle. Gründlich, aber zügig. Wer keinen Aufenthaltsstatus bekommt, muss gehen. Das ist wirksamer, als die Gesetze zur Ausweisung zu verschärfen.

Integrationspolitik ist aber davon unabhängig zu bewerten. Momentan nimmt die Debatte eine merkwürdige Entwicklung: Integrationspolitik nur für die Guten. Die, die bleiben. Die, die was können. Aber es ist ein Irrglaube, dass sich das Aschenputtelprinzip „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“ so einfach auf die Flüchtlingspolitik um- münzen lässt.

Wir müssen uns schon entscheiden: Abschreckungspolitik oder Integrationspolitik.

Wir Grüne haben uns entschieden und wir bleiben dabei: Wir setzen nicht auf Abschreckung, markige Worte und die schnelle Lösung. Asylpolitik ist keine Tütensuppe. Einmal aufreißen, umrühren und fertig. Wir wollen eine echte Integrationspolitik für alle, die bei uns sind. Wir glauben, dass dies das beste Si- cherheitskonzept ist.

3 Wir lehnen die Vorschläge ab, die einer neuen Empörungspolitik geschuldet, gar nicht schnell genug ins Orbit gelangen konnten. Wir lehnen es ab, die Ausweisung schon vor der Verurteilung durchzusetzen.

Mit diesem völlig abseitigen Vorschlag verkauft die CSU den Rechtsstaat, nur um den starken Mann zu markieren.
Und der Vorschlag markiert nur die Spitze der untauglichen Vorschläge. -Nur noch eingeschränkter Familiennachzug. -Verpflichtung zur Wohnsitznahme. -Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten. -Verpflichtende Integrationsverträge oder -gelöbnisse.

Die Vorschläge sind sicherlich alle unterschiedlich zu bewerten und aus meiner Sicht un- terschiedlich schlecht. Aber sie haben eins gemeinsam: Ansätze für mehr Miteinander und eine gelebte Integration von beiden Seiten sind sie nicht.

Davon, ein Stück Papier zu unterschreiben, ist wirklich noch niemand integriert worden. Ich glaube auch nicht, dass Integrationskurse den entscheidenden Beitrag dazu leisten, gelebte Gleichberechtigung zu verinnerlichen. Verstehen Sie mich nicht falsch, Integrationskurse sind wichtig und richtig. Dort werden die Basics erklärt, wie das Zusammenleben in Deutschland funktioniert. Aber wichtiger ist die echte Teilhabe. Insbesondere durch schnelle Integration in den Arbeitsmarkt.
Freundinnen und Freunde der einfachen Lösung suggerieren, dass sich alle nach dem Besuch eines Integrationskurses an die Regeln halten werden. Oder soll das unter- schriebene Gelöbnis in anderer Weise justiziabel sein? Das ist doch Unfug.

Gleichzeitig verschweigen Sie – Herr Günther, dass sich Ihre Partei bislang erfolgreich weigert, genügend Plätze in den Integrationskursen zur Verfügung zu stellen.
Im Gegenteil: Sie wollen den Zugang noch beschränken und eine Bezahlsperre errich- ten. Die fehlende Perspektive - nicht nur in Bezug auf den Aufenthaltsstatus - schafft doch erst die Probleme.


4 Wir brauchen Sprachkurse, Bildung, Qualifizierungsmaßnahmen für eine Integration in den Arbeitsmarkt, in soziale Strukturen und in Nachbarschaften. Wir brauchen Bildung für alle, damit alle sich aufeinander zubewegen und gemeinsam die Zukunft gestalten.

Dabei hilft auch keine Wohnsitzverpflichtung. Da müsste man schon auf Stadtteile zu- weisen können, wenn man Ghettobildung ernsthaft vermeiden möchte. Das Problem ist doch viel eher, dass es schon jetzt Stadtteile gibt, in denen Flüchtlinge nicht leben können oder sollen. Wir haben viel zu lange den sozialen Wohnungsbau ver- nachlässigt. Hier effizient nachzusteuern, ist keine Maßnahme, die es als Titelmeldung in die Tagesschau schafft. Sie braucht ihre Zeit - Häuser bauen sich nicht über Nacht. Trotzdem ist das die richtige Antwort. Auch, weil sie unterm Strich allen in unserer Gesellschaft nützt. Weil sie unsere Gesellschaft gerechter macht.

Was hat die GroKo noch zu bieten? Den Familiennachzug einschränken. Es ist noch nicht lange her, dass wirklich alle bestürzt auf das Foto eines kleinen toten Jungen an einem griechischen Strand geschaut haben und ebenfalls ein Aufschrei der Empörung durch die Welt ging, dass das nie wieder geschehen dürfe.

Wer das damals ernst gemeint hat, darf der Einschränkung des Familiennachzugs nicht zustimmen. Familien müssen die Chance haben, Europa sicher zu erreichen um den Tod von Frauen und Kindern zu verhindern.
Integration verhindert man so ebenfalls. Kein Familienvater kann in Ruhe die Deutsche Sprache lernen, keine Mutter ihr eigenes Geld verdienen, solange die Familie in Istanbul unter erbärmlichen Umständen oder in Syrien im Kriegsgebiet lebt.

Ich kann es nur wiederholen: Wir Grüne lehnen eine Einschränkung des Familiennach- zugs ab.

Man muss sich entscheiden zwischen Abschreckungs- und Integrationspolitik. Wir wollen einen gut organisierten Staat. Natürlich können wir noch dazulernen. Aber ich weise dieses Gerede vom versagenden Staat zurück. Wir sind hier nicht im Südsudan, Somalia oder Kongo. Unser Staat funktioniert, auch wenn er nicht jeden Zustand stante pede beliebig beenden kann.

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