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15.10.15
12:59 Uhr
SSW

Lars Harms: Kein Mensch braucht Transitzonen und Sonderlager! Dies wäre unmenschlich!

Presseinformation Kiel, den 15. Oktober 2015

Es gilt das gesprochene Wort



Lars Harms TOP 14 Anträge und Berichte zur Flüchtlingspolitik Drs. 18/3396, 18/3404, 18/3424 u.a.
„Kein Mensch braucht Transitzonen und Sonderlager! Dies wäre
unmenschlich!“


Seit Beginn des Jahres verzeichnen wir hier in Schleswig-Holstein anhaltend hohe
Flüchtlingszahlen. Auch wenn der Sommer nun definitiv vorbei ist, kommen weiterhin viele
Menschen zu uns. Der Strom reißt nicht ab und er wird es in naher Zukunft auch nicht tun. Die
jetzigen Krisenherde liegen in Syrien, Afghanistan und dem Irak. Wo die zukünftigen
Krisenregionen liegen werden, ist ungewiss. Gewiss ist jedoch, dass weiterhin Menschen ihre
Heimat verlassen werden, um Schutz und Frieden zu suchen. Die Weltpolitik findet nun ganz
deutlich vor unserer eigenen Haustür statt. Was vorher nur über TV-Bildschirme zu sehen war,
begegnet uns nun im Alltag. Umschalten oder wegzappen ausgeschlossen. Nun gilt es diesen
Menschen die Hand zu reichen. Natürlich läuft nicht immer alles reibungslos, wie wir uns das
alle anfangs noch vorgestellt haben. Die Ereignisse überschlagen sich und einige Vorstellungen
von gestern sind morgen schon überholt. Dabei ist es mir wichtig zu betonen, dass die Ideen
und Annahmen von dazumal eben nicht falsch sind, sondern sie beruhen schlichtweg auf 2
anderen Tatsachen und Annahmen. Die Menschen, die zu uns kommen, sind schlichtweg nicht
zählbar. Dessen muss man sich immer wieder bewusst sein. Was wir jetzt erleben ist, dass
Erstaufnahmeeinrichtungen, die gerade erst eröffnet wurden, immer weiter um zusätzliche
Plätze erweitert werden müssen. Unterstützung bleibt weiterhin nötig, gerade von Seiten der
helfenden Hände vor Ort. Egal ob Landesregierung, Polizei, Rotes Kreuz, Stadtvertretung oder
Dolmetscher; wir sind alle aufeinander angewiesen. Auch wenn es in den kommenden
Wochen nicht unbedingt einfacher werden wird, sind nach meiner Erfahrung wirklich alle
Beteiligten sehr bemüht, den humanitären Anspruch Tag für Tag gerecht zu werden.
Die Tage sind lang und sie werden immer länger. Flüchtlingshilfe ist kein nine-to-five Job. Da
werden die Fragen nach den Grenzen der Machbarkeit natürlich lauter. Ob wir schon an dieser
Grenze sind, lässt sich schwer feststellen. Zudem lässt sich auch schwer feststellen oder gar
beziffern, ob eine solche Grenze denn auch tatsächlich etwas nützt. Es hilft jedenfalls nicht, die
Menschen zu verunsichern. Klar ist, eine solche Debatte schafft Verunsicherung und lässt von
einem Zustand träumen, von dem niemand sagen kann, ob er denn auch die gewünschte
Entlastung bringen kann. Ich bezweifle stark, dass dieser Wunsch auch nur annähernd wahr
werden kann. Für mich gleicht dies einer Utopie.


An dieser Stelle möchte ich einmal den Bundesfinanzminister zitieren, der in diesem
Zusammenhang klar formuliert hat: „Wir lösen die Aufgabe. Und wir müssen das mit aller
Entschiedenheit tun. Wir brauchen übrigens auch nicht gleich vor der Aufgabe verzweifeln.“
Was wir jetzt zur Lösung beitragen können und müssen, ist die derzeitigen Möglichkeiten
bestmöglich zu nutzen. Was in der jetzigen Zeit nicht nur eine Möglichkeit sein sollte, sondern
schlichtweg eine umzusetzende Maßnahme sein soll, ist die des Europäischen-Quoten-
Systems. Bislang hat Deutschland den Mammutanteil der Solidarität in der Flüchtlingsfrage
getragen. Dabei wird die Partizipation der Mehrheit der EU-Mitglieder bisweilen schmerzlich
vermisst. Wir als Land sind in dieser Situation maßgeblich von der Bundesregierung abhängig.
Aus Sicht des SSW muss diese den Druck auf die EU-Ebene erhöhen, damit sich in dieser Frage
etwas tut. Mit Sicherheit eine schwierige Diskussion, vor der sich die Bundesregierung jedoch 3
nicht verstecken sollte. Was Deutschland braucht, ist ein Mehr an Bündnispartnern und eine
klare Sprache. Wir können uns nicht länger nur mit uns selbst beschäftigen, sondern müssen
auf andere Mitgliedsstaaten zugehen. Konflikte sind dabei gewissermaßen vorhersehbar.
Jedoch ist die Ausgangslage zu ernst, als das sich die Frage nach der Wiederaufnahme der
Gespräche um ein solches Quotensystem nicht stellt. Darüber hinaus muss die EU endlich eine
vernünftige Kooperation mit der Türkei auf die Beine stellen.
Fakt ist, solange es keine europäische Handhabung in Bezug auf die Aufnahme gibt, so lange
werden wir hier in Deutschland und auch bei uns im Land weiterhin hohe Zahlen von zu uns
kommenden Menschen verzeichnen.


Was jetzt zudem gebraucht wird, sind schnellere Verfahren von Seiten der Behörden. Und dazu
ist vor allem eins nötig: Mehr Personal. Und auch da spielt der Bund eine entscheidende Rolle.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist das nationale Drehkreuz, wenn es um
Verfahrensfragen geht. Der Bedarf nach mehr Personal ist in Berlin wird in eine Aufstockung
der Belegschaft des BAMF münden. So sollen bis Ende nächsten Monats 1.000 neue
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Nürnberg eingestellt werden. Eine richtige Entscheidung,
die nun auf anderen behördlichen Ebenen fortgesetzt werden muss. Schnellere Verfahren
bedeuten für uns als SSW keineswegs eine Aushöhlung des Asylrechts, das möchte ich hier
auch noch einmal in aller Deutlichkeit betonen. Schnelligkeit hat nichts mit dem Reduzieren
von rechtlichen Verfahren und Anrechten zu tun. Sondern hier geht es lediglich um Manpower.
Die Landesregierung hat die kürzlich getroffenen Entscheidungen auf Bundesebene im Blick
und hat bereits vor geraumer Zeit im Bereich der Gerichte und Schulen mehr Mitarbeiter
eingestellt. Hier möchte ich besonders hervorheben, dass Justizministerin Spoorendonk dafür
Sorge getragen hat, dass eine weitere Kammer zur Abarbeitung der Asylanträge an unseren
Gerichten geschaffen wird. Damit wird auch bei uns ein Engpass gelöst. Ob wir dann im neuen
Jahr noch mehr Richterstellen brauche, müssen wir dann noch prüfen. Dies hängt auch von den
Verfahren des BAMF ab. An welchen Stellen möglicherweise also noch ein zusätzlicher Bedarf
wachsen sollte, müsste von Seiten der Landesregierung noch geprüft werden. Leider muss man 4
aber auch hier so ehrlich sein und davon Abstand nehmen, dass mit einer Neueinstellung von
Mitarbeitern die Entlastung nicht per Fingerschnipp kommen kann. Denn Fakt ist, dass
sämtliche öffentlichen Einrichtungen von Flüchtlingen und Asylbewerbern berührt sind. Und
hier kann es immer Engpässe geben.


Was langfristig aus Sicht des SSW mitgedacht gehört, ist die Bekämpfung der Fluchtursachen.
Wir müssen einen ehrlichen Beitrag dazu leisten, den Menschen in ihren Heimatländern eine
Lebensperspektive bieten zu können. Ein ehrenwertes Ziel, das in Anbetracht der Krisenherde
der Welt, zuweilen unerreichbar scheint. Doch anstatt uns mit Blick auf die Ausgangslage zu
verlieren, sollten wir Kräfte bündeln. Dazu gehört es, Bündnispartner an seine Seite zu holen
und gegebenenfalls dort einen drauf legen, wo bisherige Maßnahmen schon gefruchtet haben.
Als nördlichstes Bundesland in der Republik sind wir auf dem Balkan vergleichsweise gut
aufgestellt. Dank Schüler Helfen Leben, der FUEV und dem ECMI werden Beispiele aufgezeigt,
wie ein wenig mehr Licht in den Alltag der Menschen auf dem Westbalkan gebraucht werden
kann. Manchmal ist es banal und man kann mit einer gesicherten Fahrt mit dem Bus zur Schule
oder mit etwas Nachhilfeunterricht viel ausrichten. Manchmal ist es komplizierter, das ist klar.
Doch wir brauchen auch nicht gleich verzweifeln. Denn klar ist auch, allgemeine Verzweiflung
wird auch nicht die Lösung bringen. Im Gegenteil. Projekte, die jetzt schon auf dem Balkan
zugunsten der Roma-Minderheiten laufen, sind ermutigend und deshalb war es wichtig, dass
sich unsere rot-grün-blaue Regierung auf Bundesebene genau für die Finanzierung solcher
Roma-Projekte eingesetzt hat.


Als Verzweiflungsruf kommt für uns als SSW auch die Debatte um die Transitzonen daher.
Transitzonen ähnlich wie die an den Flughäfen, würden keine Entlastung bringen. Klar, sie
sammeln erst einmal die Flüchtlinge und Asylbewerber und konzentrieren diese an einem
bestimmten Ort, um den dann auch noch ein riesen Zaun gebaut werden muss. Mit
Stacheldraht und Wachposten. Mindestens fünf Monate lang müssten die Menschen dort
verbringen, wahrscheinlich auf engstem Raum und das auch noch mit einem extrem 5
beschränkten Bewegungsradius. Ich bezweifele stark, dass die Transitzonen eine zielführende
Lösung erwirken können. Rein faktisch ist es doch so, dass die Menschen über alle möglichen
Wege zu uns kommen und nicht per se über einen bestimmten Abschnitt an der Bundesgrenze.
Schnellere Verfahren kann es nur mit mehr Personal geben, da werden auch die Transitzonen
meiner Meinung nach wenig bewirken können. Denn das Asylrecht selbst ändert sich nicht,
egal ob der Betroffene nun in einer Erstaufnahmeeinrichtung lebt oder sich in einer so-
genannten Transitzone befindet. Außerdem hat die EU-Kommission gerade darauf
hingewiesen, dass dies ohnehin nur als eine zeitlich befristete Maßnahme gehandhabt werden
könnte. Wieder ein Einfall, der mit großer Wahrscheinlichkeit leider keine Entlastung mit sich
führen wird. Deswegen braucht kein Mensch Transitzonen und Sonderlager. Dies wäre
unmenschlich!


Was nach unserer Auffassung auch nichts bringen wird, ist die Reduzierung von so-genannten
Einreisereizen. Falls es so etwas überhaupt gibt. Sachleistungen sind absurd. Sie blähen die
Verwaltungsorgane unnötig auf und würden dazu beitragen, die Handlungsschritte zu
verlangsamen. Neben Essensversorgung und das Aufstellen von Betten, sollen nun also auch
noch das Verteilen von Zahnbürsten und Nagelscheren verwaltet und dokumentiert werden?
Das ist einfach nur lebensfremd. Ich erinnere an dieser Stelle gerne an die Debatte in den
1990er Jahren und bis Anfang der 2000er. Dabei haben sich einige Landräte bequem hinter
diesen Sachleistungen versteckt. So weit wollen wir es in Schleswig-Holstein nicht wieder
kommen lassen. So ist es den Ländern selbst überlassen, ob sie tatsächlich Sach- oder
Geldleistungen an die Flüchtlinge und Asylbewerber aushändigen wollen. Wir in Schleswig-
Holstein sollten uns nicht in der Verwaltung von Hygieneartikeln und Kaugummi verlieren und
anstelle dessen die Ressourcen besser zielgerecht einsetzen. Deshalb dürfen die Kommunen
nicht mit zusätzlichen Verwaltungsaufgaben belegt werden.
Bürokratieabbau und nicht -aufbau ist auch in der Flüchtlingsfrage die Lösung. Deshalb
Geldleistungen statt Sachleistungen! 6
Die Ressourcen zielgerecht einzusetzen heißt auch, die dafür benötigten Mittel systematisch
zu verteilen. Das Land steht, wie in der Vergangenheit auch, zu seiner 70-30 Finanzierung. Und
hier gilt der Leitsatz, das Geld folgt den Aufgaben. Die Versorgung von Flüchtlingen in den Ki-
Tas, Schulen und in den Unterbringungseinrichtungen gehört zweifelsfrei dazu. In den
vergangenen vielen Monaten ist das Land in Vorleistung gegangen. Und auch in Zukunft muss
das Land weiterhin viele Aufgaben in Punkto Flüchtlingshilfe übernehmen und ausführen. Von
daher ist die bisherige und künftige finanzielle Regelung absolut sinnvoll. Den
Solidaritätszuschlag nach dessen Auslaufen in einen Flüchtlingszuschlag umzumünzen, lehnen
wir als SSW klar ab. Wir sehen den guten Willen, der hinter dieser Idee steckt. Jedoch würde
dies eine ganz bestimmte Gruppe nur zusätzlich stigmatisieren. Und ein solches Szenario
wollen wir vermeiden. Zudem ist die grundsätzliche Behandlung der Flüchtlingsfrage eine
nationale Aufgabe und gehört primär aus dem Bundeshaushalt finanziert. So wie ich die
Bundeskanzlerin in ihren letzten Äußerungen verstanden habe, ist dieser auch in der Lage diese
Aufgaben zu tragen.


Eine Aufgabe, die uns noch in den nächsten Jahren begleiten wird. Humanität ist harte Arbeit.
Doch es ist ein Ziel, für das es sich einzusetzen lohnt. Daran sollten wir nicht nur heute,
sondern auch in Zukunft festhalten. Deshalb gilt für uns auch, dass das Recht auf Asyl
unantastbar ist! Wir wollen nicht, dass das Asylrecht systematisch ausgehöhlt wird. Natürlich
müssen abgelehnte Asylbewerber, die auch im Widerspruchverfahren abgelehnt worden sind
zurückgeführt werden. Das ist ja bei uns eine Aufgabe der Kreise und diese können
eigenständig entscheiden wie sie das tun. Nach unserer Auffassung darf dies aber nur in
Sicherheit und Würde geschehen! Hauptpunkt ist aber, dass wir uns um die Menschen
kümmern, die bleiben. Hier geht es um die Schulbildung, Kindergartenbetreuung,
Deutschkurse, Arbeitsplätze und vieles mehr. Hier haben wir als Koalition schon viel getan und
werden weiteres tun. Integration wird eine dauerhafte Aufgabe bleiben. Für uns ist die
Flüchtlingsfrage zuallererst eine Frage der Humanität. Und Humanität kennt keine Grenzen,
genauso wenig wie das Recht auf Asyl! 7



Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden:
://www.landtag.ltsh.de/aktuell/mediathek/index.html