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14.10.15
10:35 Uhr
SSW

Lars Harms: In Punkto Wahlbeteiligung haben wir kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Handlungsdefizit

Presseinformation Kiel, den 14. Oktober 2015

Es gilt das gesprochene Wort



Lars Harms TOP 18+32 Enquete Kommission „Aktive Bürgerbeteiligung“ und Antrag zur Wahlbeteiligung Drs. 18/3407, 18/3423
„In Punkto Wahlbeteiligung haben wir kein Erkenntnisdefizit, sondern ein
Handlungsdefizit.“


Heute legen die Koalitionsfraktionen und die CDU gemeinsam einen Antrag vor, der für
verbesserte Möglichkeiten bei der Wahlbeteiligung der Bürgerinnen und Bürger sorgen soll.
Dabei kann ich aus Sicht des SSW sagen, dass wir nicht die Erwartung haben, dass die
Wahlbeteiligung durch die Umsetzung der Maßnahmen markant steigen wird. Es geht uns
vielmehr darum, dass die Maßnahmen dazu beitragen sollen, die Schwelle zur Wahl zu gehen
gesenkt wird. Das ist sicherlich oftmals ein und dasselbe. Aber es ist für uns vor allem eine
demokratietheoretische Frage. 2
Die Fragen, die sich uns gestellt haben, waren nämlich, ob bestimmte Gruppen stärker
ausgeschlossen waren als andere und ob es zu beseitigende Hemmnisse gab, die den
Informationsfluss im Vorwege der Wahl beeinflusst haben. Denn es geht hier nicht nur um die
reine Wahlteilnahme, sondern auch um eine gute Informationsmöglichkeit vor der
Wahlentscheidung.


Die Vorschläge zur Wahlwerbung sollen etwa auch die Information der Bürgerinnen und
Bürger verbessern helfen. Der Wunsch nach Begleitung durch die Institutionen, die sich der
politischen Bildung verschrieben haben, dient vornehmlich dem gleichen Ziel. Es ist also
mitnichten so, dass die rein zahlenmäßige Wahlbeteiligung das alles entscheidende Kriterium
ist – es geht vor allem um die Qualität. Und es geht um die Menschen, die bisher noch nicht
den richtigen Zugang zu den Wahlen hatten. Hier geht es somit um die Stärkung der
Demokratie an sich. Deshalb sollen ausländische Mitbürger Hilfestellungen in ihren eigenen
Sprachen erhalten können. Und deshalb sollen Menschen mit Handicaps Unterlagen in leichter
Sprache erhalten. Solche Maßnahmen sind alles Maßnahmen von denen man auch sagen
könnte, dass sie doch eine Selbstverständlichkeit sein sollten. Sind sie aber nicht und deshalb
öffnet unser gemeinsamer Antrag auch eine Tür für alle diejenigen, die sich an einer Wahl
beteiligen möchten. Durch die Tür müssen diese Menschen aber immer noch selber gehen.


Wir haben ja neben den konkreten Umsetzungsvorschlägen der Koalition und der CDU auch
noch den Antrag der Piraten zur Einrichtung einer Enquete-Kommission. Ich bezweifle, dass ein
so aufwendiges Instrument etwas an der vorgeblichen Wahlmüdigkeit ändern wird. Auch die
von den Piraten vorgegebenen Untersuchungsgegenstände, die natürlich nur politische
Vorstellungen der Piraten untersuchen sollen, führen hier nicht weiter. Was Wahlbeteiligung
angeht, haben wir kein Erkenntnisdefizit. Wir haben ein Handlungsdefizit, das wir mit unseren
Vorschlägen auch konkret angehen. Wenn man Untersuchungen zur Wahlbeteiligung ansieht,
dann stellt man erst einmal fest, dass das Wegbleiben von der Wahl nicht zwangsweise etwas
Negatives als Ausgangspunkt haben muss. 3
Es kann zum Beispiel eine sehr bewusste Entscheidung des Einzelnen sein, nicht zur Wahl zu
gehen, weil einem ganz einfach das Angebot nicht behagt. Die Nichtteilnahme an einer Wahl,
kann aber auch ein Ausdruck der Zufriedenheit sein. Es läuft alles; es geht einem gut. Warum
sollte man dann etwas verändern?


Das Wesen unserer Demokratie ist ja glücklicherweise, dass wir immer eine Auswahl zur
Verfügung haben. Sowohl was Kandidaten und Parteien angeht, als auch was die Teilnahme an
der Wahl an sich angeht. Hätten wir dies nicht, dann wäre gewiss die Demokratie in Gefahr
und dann könnte man sich schon Sorgen machen. Allerdings in einem Bereich, sehen wir
demokratische Prinzipien schon auch bei uns in Gefahr. Bei der letzten Kommunalwahl 2013
gab es in den rund 1.100 Kommunen in Schleswig-Holstein 327 Kommunen, wo sich nur eine
einzige kommunale Wählerliste aufstellen ließ. Das heißt, hier wurde auf einer Versammlung
vor der Wahl eine Liste zusammengestellt, die dann am Wahltag in ihrer Gesamtheit zur Wahl
stand. Alternativen gab es nicht. Und ob man zur Wahl ging oder nicht, änderte nichts an der
Zusammensetzung des Gemeinderates. Unter demokratietheoretischen Gründen ist das eine
Katastrophe. Auch deshalb müssen wir dringend über größere Gemeinden nachdenken.


Im Antrag der Piraten ist auch viel von direkter Bürgerbeteiligung die Rede. Das ist an sich gut
und erstrebenswert und wir haben ja in dieser Wahlperiode ja auch schon viel in diesem
Bereich erreicht. Aber wenn man sich Bürgerbeteiligung unter dem Aspekt der
Wahlbeteiligung betrachtet, dann wird es schwierig. Untersuchungen sagen uns, dass
insbesondere sozial schlechter gestellte Gruppen von Wahlen fernbleiben. Gleichzeitig sagen
diese Untersuchungen, dass die eher besser gestellten Bevölkerungsgruppen sich auch bei
Volksabstimmungen oder bei Bürgerbegehren beteiligen. Spinnt man diesen Gedanken weiter,
dann führen bessere Beteiligungsmöglichkeiten nicht zu mehr Wahlbeteiligung, sondern zu
noch höheren Einflüssen der besser gestellten. Unter der Maßgabe, die Wahlbeteiligung zu
erhöhen, wirken verbesserte Beteiligungsmöglichkeiten in diesem Bereich also nicht. 4
Wenn ich die Wahlbeteiligung mit Sicherheit erhöhen will, muss ich eine Wahlpflicht
einführen oder gegebenenfalls monetäre Anreize setzen. Dies haben wir bisher verworfen, weil
dies der freien Entscheidung zur Wahl zu gehen oder auch nicht entgegenstehen würde.
Solange wir eine solche freie Entscheidung haben wollen, müssen wir diese auch akzeptieren
und vielleicht auch davon abgehen, zu meinen, dass nur eine extern hohe Wahlbeteiligung
eine demokratische Legitimation beinhaltet.


Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden:
://www.landtag.ltsh.de/aktuell/mediathek/index.html