Lars Harms: In Punkto Wahlbeteiligung haben wir kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Handlungsdefizit
Presseinformation Kiel, den 14. Oktober 2015 Es gilt das gesprochene WortLars Harms TOP 18+32 Enquete Kommission „Aktive Bürgerbeteiligung“ und Antrag zur Wahlbeteiligung Drs. 18/3407, 18/3423 „In Punkto Wahlbeteiligung haben wir kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Handlungsdefizit.“ Heute legen die Koalitionsfraktionen und die CDU gemeinsam einen Antrag vor, der für verbesserte Möglichkeiten bei der Wahlbeteiligung der Bürgerinnen und Bürger sorgen soll. Dabei kann ich aus Sicht des SSW sagen, dass wir nicht die Erwartung haben, dass die Wahlbeteiligung durch die Umsetzung der Maßnahmen markant steigen wird. Es geht uns vielmehr darum, dass die Maßnahmen dazu beitragen sollen, die Schwelle zur Wahl zu gehen gesenkt wird. Das ist sicherlich oftmals ein und dasselbe. Aber es ist für uns vor allem eine demokratietheoretische Frage. 2Die Fragen, die sich uns gestellt haben, waren nämlich, ob bestimmte Gruppen stärkerausgeschlossen waren als andere und ob es zu beseitigende Hemmnisse gab, die denInformationsfluss im Vorwege der Wahl beeinflusst haben. Denn es geht hier nicht nur um diereine Wahlteilnahme, sondern auch um eine gute Informationsmöglichkeit vor derWahlentscheidung.Die Vorschläge zur Wahlwerbung sollen etwa auch die Information der Bürgerinnen undBürger verbessern helfen. Der Wunsch nach Begleitung durch die Institutionen, die sich derpolitischen Bildung verschrieben haben, dient vornehmlich dem gleichen Ziel. Es ist alsomitnichten so, dass die rein zahlenmäßige Wahlbeteiligung das alles entscheidende Kriteriumist – es geht vor allem um die Qualität. Und es geht um die Menschen, die bisher noch nichtden richtigen Zugang zu den Wahlen hatten. Hier geht es somit um die Stärkung derDemokratie an sich. Deshalb sollen ausländische Mitbürger Hilfestellungen in ihren eigenenSprachen erhalten können. Und deshalb sollen Menschen mit Handicaps Unterlagen in leichterSprache erhalten. Solche Maßnahmen sind alles Maßnahmen von denen man auch sagenkönnte, dass sie doch eine Selbstverständlichkeit sein sollten. Sind sie aber nicht und deshalböffnet unser gemeinsamer Antrag auch eine Tür für alle diejenigen, die sich an einer Wahlbeteiligen möchten. Durch die Tür müssen diese Menschen aber immer noch selber gehen.Wir haben ja neben den konkreten Umsetzungsvorschlägen der Koalition und der CDU auchnoch den Antrag der Piraten zur Einrichtung einer Enquete-Kommission. Ich bezweifle, dass einso aufwendiges Instrument etwas an der vorgeblichen Wahlmüdigkeit ändern wird. Auch dievon den Piraten vorgegebenen Untersuchungsgegenstände, die natürlich nur politischeVorstellungen der Piraten untersuchen sollen, führen hier nicht weiter. Was Wahlbeteiligungangeht, haben wir kein Erkenntnisdefizit. Wir haben ein Handlungsdefizit, das wir mit unserenVorschlägen auch konkret angehen. Wenn man Untersuchungen zur Wahlbeteiligung ansieht,dann stellt man erst einmal fest, dass das Wegbleiben von der Wahl nicht zwangsweise etwasNegatives als Ausgangspunkt haben muss. 3Es kann zum Beispiel eine sehr bewusste Entscheidung des Einzelnen sein, nicht zur Wahl zugehen, weil einem ganz einfach das Angebot nicht behagt. Die Nichtteilnahme an einer Wahl,kann aber auch ein Ausdruck der Zufriedenheit sein. Es läuft alles; es geht einem gut. Warumsollte man dann etwas verändern?Das Wesen unserer Demokratie ist ja glücklicherweise, dass wir immer eine Auswahl zurVerfügung haben. Sowohl was Kandidaten und Parteien angeht, als auch was die Teilnahme ander Wahl an sich angeht. Hätten wir dies nicht, dann wäre gewiss die Demokratie in Gefahrund dann könnte man sich schon Sorgen machen. Allerdings in einem Bereich, sehen wirdemokratische Prinzipien schon auch bei uns in Gefahr. Bei der letzten Kommunalwahl 2013gab es in den rund 1.100 Kommunen in Schleswig-Holstein 327 Kommunen, wo sich nur eineeinzige kommunale Wählerliste aufstellen ließ. Das heißt, hier wurde auf einer Versammlungvor der Wahl eine Liste zusammengestellt, die dann am Wahltag in ihrer Gesamtheit zur Wahlstand. Alternativen gab es nicht. Und ob man zur Wahl ging oder nicht, änderte nichts an derZusammensetzung des Gemeinderates. Unter demokratietheoretischen Gründen ist das eineKatastrophe. Auch deshalb müssen wir dringend über größere Gemeinden nachdenken.Im Antrag der Piraten ist auch viel von direkter Bürgerbeteiligung die Rede. Das ist an sich gutund erstrebenswert und wir haben ja in dieser Wahlperiode ja auch schon viel in diesemBereich erreicht. Aber wenn man sich Bürgerbeteiligung unter dem Aspekt derWahlbeteiligung betrachtet, dann wird es schwierig. Untersuchungen sagen uns, dassinsbesondere sozial schlechter gestellte Gruppen von Wahlen fernbleiben. Gleichzeitig sagendiese Untersuchungen, dass die eher besser gestellten Bevölkerungsgruppen sich auch beiVolksabstimmungen oder bei Bürgerbegehren beteiligen. Spinnt man diesen Gedanken weiter,dann führen bessere Beteiligungsmöglichkeiten nicht zu mehr Wahlbeteiligung, sondern zunoch höheren Einflüssen der besser gestellten. Unter der Maßgabe, die Wahlbeteiligung zuerhöhen, wirken verbesserte Beteiligungsmöglichkeiten in diesem Bereich also nicht. 4Wenn ich die Wahlbeteiligung mit Sicherheit erhöhen will, muss ich eine Wahlpflichteinführen oder gegebenenfalls monetäre Anreize setzen. Dies haben wir bisher verworfen, weildies der freien Entscheidung zur Wahl zu gehen oder auch nicht entgegenstehen würde.Solange wir eine solche freie Entscheidung haben wollen, müssen wir diese auch akzeptierenund vielleicht auch davon abgehen, zu meinen, dass nur eine extern hohe Wahlbeteiligungeine demokratische Legitimation beinhaltet.Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden:://www.landtag.ltsh.de/aktuell/mediathek/index.html