Ralf Stegner: Wir brauchen keine Nachhilfestunde der Union
Kiel, 8. Oktober 2015 Nr. 258 /2015Ralf Stegner:Wir brauchen keine Nachhilfestunde der Union Zur Reaktion des CDU-Fraktionsvorsitzenden auf Aussagen des SPD-Fraktionsvorsitzenden zur Flüchtlingsproblematik erklärt Ralf Stegner:Schön, dass Herr Günther mich lobt! Aber er greift aus meinen Aussagen nur wieder das heraus, was in seine populistische Linie passt. Wir freuen uns jedenfalls, dass die Bundeskanzlerin in der Flüchtlingsfrage weitgehend das vertritt, was auch die SPD für richtig hält, aber was ist mit ihrer Partei? In der Union streiten sie sich wie die Kesselflicker: Frau Merkel sagt das eine, ihre Wahlkämpfer in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sagen etwas ganz anderes und die CSU ist völlig von der Rolle. Wenn Herr Günther nun für Schleswig-Holstein fordert, es müssten „Maßnahmen“ folgen, kann ich nur sagen: Erstmal müssen die Asyl-Verfahren beschleunigt werden! Hier hat das Bundesinnenministerium versagt, deshalb hat die Kanzlerin die Zuständigkeit zur Chefsache gemacht. Herr Günther sollte nicht immer nur mit dem Finger auf die SPD zeigen, sondern mit dafür sorgen, dass jeder seine Pflicht tut, wie die Koalition das hier in Schleswig-Holstein bereits tut. Denn für uns gilt: Jeder tut sein möglichstes, das gilt für alle haupt- und ehrenamtlichen Helfer, und das gilt auch für die Landesregierung. Da brauchen wir keine Nachhilfestunde von der CDU. Die sollte Herr Günther seinen eigenen Leuten geben.Der dpa-Bericht mit den Aussagen Stegners im Wortlaut: SPD-Vize Stegner: Deutschland braucht in Flüchtlingsfrage Europa Kiel (dpa/lno) - Deutschland kann aus Sicht von SPD-Bundesvize Ralf Stegner über mehrere Jahre sehr hohe Flüchtlingszahlen verkraften. «Das geht aber nicht ganz ohne Atempause und nicht ausschließlich nur in Deutschland, Österreich und Schweden», sagte der Kieler 2Fraktionschef der Deutschen Presse-Agentur. «Wir allein können das nicht leisten; wir brauchen die Hilfe unserer europäischen Nachbarn. »Benötigt werde ein europäisches Verteilsystem mit Mindeststandards. «Wir müssen eine gemeinsame Lösung erreichen - und die heißt nicht Stacheldrahtzäune und Einsatz von Schlagstöcken oder Tränengas gegen Familien mit Kindern.» Trotz des großen Einsatzes von Helfern, Kommunen, Polizei oder Bundeswehr werde es an der einen oder anderen Stelle eng mit den Kräften, sagte Stegner. «Das können wir aber schaffen, wenn Europa hilft und wir uns nicht in Scheindebatten oder Stammtischgeschwätz verzetteln.» Da halte er es mit der Kanzlerin: «Das packen wir.» Für Schleswig-Holstein kündigte Stegner einen Stellen-Nachschlag bei Lehrern und Polizei an. «Es ist nicht die Zeit für Stellenabbaupläne und Stabilitätsratsorthodoxie», sagte er. «Wir brauchen zusätzliche Stellen und mehr Wohnraum, um die Menschen zu integrieren.» Niemand müsse befürchten, dass die Mittel, die der Bund endlich zahle, nicht bei den Kommunen ankommen. «Wer eine Aufgabe macht, bekommt auch das Geld.» Die größte Gefahr in Deutschland sieht Stegner in Versuchen, nach dem Motto «Ihr tut alles Mögliche für Flüchtlinge, aber nicht für uns» Verteilungskämpfe loszutreten. «Das ist brandgefährlich und wirkt als Brandbeschleuniger für Rechtspopulisten und Rechtsextremisten», sagte er. «Deshalb muss klar sein: Wenn wir bezahlbaren Wohnraum schaffen, meinen wir alle und nicht nur Flüchtlinge.» Keinesfalls dürfe der Eindruck entstehen, wegen der vielen Flüchtlinge werde Menschen etwas weggenommen, die selbst Hilfe brauchen. «Da ist für mich der Haushalt zweitrangig, aber wir bekommen das hin - darüber herrscht komplette Einigkeit in unserer Koalition mit Grünen und SSW (Südschleswigscher Wählerverband).» Was nötig sei, müsse gemacht werden. Das Wort Belastungsgrenze treffe für ihn zuallererst auf jene zu, die aus Angst um ihr Leben vor Mörderbanden ihre Heimat verlassen müssen, sagte Stegner. Europa müsse mehr gegen die Fluchtursachen tun. «Das heißt Realpolitik mit Russland, der Türkei und anderen.» Politisch Verfolgte und Bürgerkriegsflüchtlinge ohnehin hätten Anspruch auf Asyl, sagte Stegner. «Jene, auf die das nicht zutrifft, werden nicht bleiben können.» An den Grundrechten werde aber nicht herumgedoktert. Das Kernproblem in Deutschland sei weiter die zu lange Dauer der Verfahren. «Damit sind noch viele in Erstaufnahmen, die da nicht mehr sein müssten», sagte Stegner. Besonnenheit, Tatkraft, praktische Lösungen und Hilfe für Ehrenamtler seien derzeit besonders wichtig. «Kanzlerin- und Präsidentenreden allein lösen die Probleme nicht», sagte Stegner. Es müsse auch nicht alles perfekt sein. «Wir werden Wohnraum unter Verzicht auf Ausschreibungs- und 3Energiestandards schaffen müssen», sagte Stegner. «Nicht unter Verzicht auf Hygiene- und Brandschutzstandards, denn es geht um Menschen.» Die eigentliche Herausforderung liege in der Integration, in Sprache, in Arbeit. Stegner unterstützte die Idee, in Ländern wie Griechenland und Italien, später vielleicht auch in Ungarn oder Nordafrika, sogenannte Hot Spots einzurichten, in denen über die Verteilung von Flüchtlingen befunden wird. «Die erste Voraussetzung dafür ist, europäische Mindeststandards zu haben und die zweite, dass Familiennachzug möglich bleibt», sagte der SPD-Vize. «Wenn das funktioniert, kann man auch Arbeitsmarktzugang und Sozialtransfers auf das Land beschränken, dem der jeweilige Flüchtling in Europa zugewiesen wird.»