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18.09.15
11:56 Uhr
B 90/Grüne

Eka von Kalben zur Flüchtlingspolitik

Presseinformation

Landtagsfraktion Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Landeshaus Es gilt das gesprochene Wort! Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel TOP 1A/20/21/26/30/49 – Regierungserklärung Zentrale: 0431 / 988 – 1500 „Flüchtlinge in Schleswig-Holstein – zusammenstehen, Durchwahl: 0431 / 988 - 1503 helfen, gemeinsam Heimat schaffen“ Mobil: 0172 / 541 83 53
presse@gruene.ltsh.de Dazu sagt die Fraktionsvorsitzende www.sh.gruene-fraktion.de der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Nr. 386.15 / 18.09.2015 Eka von Kalben:
Im Zeitgeist des Anpackens
Herr Präsident, meine Damen und Herren,
Fernsehbilder machen zur Zeit Politik.
Das Bild des kleinen Aylan. Ein dreijähriges syrisches Flüchtlingskind, dessen Eltern kei- nen anderen Ausweg sahen, als über das Mittelmeer zu fliehen. Ein Bild, das einen briti- schen Premierminister zum Kurswechsel bewog. Die Bilder am Budapester Hauptbahn- hof, die eine Kanzlerin mit sonst kühlem Kopf zu einer weitreichenden Entscheidung ver- anlasste. Die Bilder von jubelnden Deutschen in München und von hasserfüllten Deut- schen in Heidenau.
Ich bin sicher, diese Bilder bewegen auch die Herzen der vielen Freiwilligen, die Deutschland und die Flüchtlingshilfe gerade revolutionieren. Gleichzeitig stehen wir vor der schwierigen Herausforderung trotz der emotionalen Bilder eine Flüchtlingspolitik mit Herz und Verstand zu machen.
Unser Verstand kann die Zahlen der Flüchtlinge, die bei uns Schutz suchen und werden, kaum messen. Wir zweifeln, wie lange können die Helfenden durchhalten, ohne die ak- tuell nichts laufen würde? Wie können wir ausreichend Bildungs- und Qualifizierungsan- gebote schaffen, als Grundlage für Studium und Arbeit? Wie schaffen wir Wohnraum? Wie bringen wir unterschiedliche Kulturen zusammen?
Wie kann diese gewaltige Aufgabe gut gehen? Unser Herz muss die Richtung vorgeben, unser Verstand die Lösungen schaffen. Deshalb war die Entscheidung von Angela Mer- kel, ihrem Land ein freundliches Gesicht zu geben, so richtig.


Seite 1 von 5 Deswegen ist der Vorwurf, die Deutschen wären zu einem Hippie-Staat mutiert, der frei und naiv nur seinem Herzen folgt und die Türen öffnet, total daneben. Viele der nun an- stehenden Entscheidungen müssen auf europäischer Ebene getroffen werden:
Dublin!
Lieber Herr Günther, sie sagen in der KN von letzter Woche, dass Asylsuchende in Eu- ropa kein Wahlrecht haben, wo sie leben wollen. Das stimmt.
Aber wir sehen mit eigenen Augen in diesen Tagen: Die Ehefrau und die kleine Tochter, deren Mann in Schweden wohnt, lassen sich von unserem Regelwerk nicht so recht auf- halten. Die Flüchtlinge stimmen zuhauf mit den Füßen ab. Sie warten nicht darauf, dass erst ordnungsgemäß die Verfahren im Rahmen des Dublin-Abkommens abgeschlossen werden und dann eine Familienzusammenführung erfolgt.
Wenn Sie, Herr Günter, monieren, es gäbe kein Recht für Flüchtlinge, das Zielland frei zu wählen, dann klingt das nach Urlaubskatalog und „WünschDirWas“. Darum geht es aber gar nicht.
Dass das Dublin-Verfahren gescheitert ist, kann jeder sehen, der sich eine Stunde an den Bahnhof Flensburg, Hamburg oder Kiel stellt. Obwohl schon die Tagesschau der vergangenen Monate mit Bildern aus Griechenland, Italien, Ungarn und jetzt Kroatien ausreichen dürfte.
Wir müssen Dublin durch ein gerechtes System der Solidarität und gemeinsamen Ver- antwortung ersetzen. Ausgangspunkt muss eine quotierte Verteilung sein. Und wo es möglich ist, müssen die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen bei der Wahl eines Ziellandes Berücksichtigung finden.
Davon kann man überzeugt sein, weil es einem das Herz einflüstert. Davon kann man aber auch überzeugt sein, weil die Integrationschancen dadurch gesteigert werden. Es erhöht die Chance, die Sprache zu lernen. Es erhöht die Vernetzung in bestehende Strukturen. Angehörige können bei der Vermittlung zu Ämtern, Jobs und gesellschaftli- chen Kontakten helfen.
Meine Damen und Herren,
Die Herausforderung der Flüchtlingspolitik ist die nationale Aufgabe in diesem Jahrzehnt und wir werden daran gemessen werden, mit wie viel Mut und Herz wir ihr begegnet sind.
Das gilt nicht nur für den Staat, das gilt auch für die Bevölkerung. Eine echte Graswur- zelbewegung zeigt in diesen Tagen, was Deutschland drauf hat. Organisieren, Fürsorge, Gesicht zeigen. Den zahllosen Ehrenamtlichen, die sich an den Bahnhöfen, in den Erst- aufnahmeeinrichtungen, in Kommunen und Kirchen engagieren, gilt mein ausdrücklicher Dank. Und auf der Tribüne sitzen gerade einige derer, die zum Beispiel in Flensburg Tag und Nacht Großartiges geleistet haben.
Ihre Tatkraft ist unser Ansporn. Trotzdem verstehen wir: Wir können diese Last nicht dauerhaft auf den Schultern der Ehrenamtlichen ruhen las- sen. Wir müssen nachlegen: - Bei der medizinischen Versorgung - In Kindergärten
2 - In Schulen - Sprachkursen - Bei Arbeitsplätzen und Ausbildung Auch in der Verwaltung in Land und Kommune leisten Hauptamtliche in diesen Tagen unbezahlte und unbezahlbare Arbeit. Das Problem ist, dass momentan fast die gesamte Man- und Womanpower in der Ver- waltung nur dafür draufgeht, Betten, ein Dach über dem Kopf und eine Erstversorgung zu schaffen. Das System Erstaufnahme ist auf Kante genäht und wir können nur alle - Flüchtlinge, Ehrenamtliche, bezahlte Kräfte und nicht zuletzt uns selbst - um Ruhe und Geduld bitten, in dieser schwierigen Phase zusammenzuhalten.
Wir werden sehen, inwieweit die geplanten Verteilzentren bzw. Erstaufnahmeeinrichtun- gen des Bundes eine Entlastung bringen. Aber meine Damen und Herren: Diese werden sich ja nicht auf dem Mond befinden. Sie werden genauso in Brandenburg oder Nieder- sachsen stehen wie die Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder und die Unterkünfte der Kommunen. Und die selben EhrenamtlerInnen, die jetzt bereits Klamotten, Essen und Ansprache organisieren, werden wieder gefragt sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Die richtige Herausforderung stellt sich für die Dörfer und Städte. Die Kommunen brau- chen Entlastung, das ist glasklar. Und es ist gut, dass der Ministerpräsident hier ein Lan- desgesetz angekündigt hat. Und es ist gut, dass der Bund mit Ländern und Kommunalen Spitzenverbänden über den Abbau von Bürokratie redet. Über schnelleres Bauen, bes- sere Arbeitsintegration und ja auch über Änderungen im Asylverfahren.
Leider sind viele der Vorschläge, die jetzt auf dem Tisch liegen, immer noch vergiftet von dem Ziel der Abschottungspolitik und der Ressentiments. Ja, es wird Probleme geben und es wird nicht leicht werden. Aber wir können resignieren und Angst schüren oder wir können es anpacken und handeln. Ohne schnellere Bearbeitung der Asylanträge wird es nicht gehen. Und da mag es Gemeinsamkeiten geben, liebe CDU. Auf das vergiftete An- gebot von Herrn Liebing können wir aber gerne verzichten. Die Hand ausstrecken und in der Hosentasche die Linke zur Faust ballen. Das ist doch sehr durchsichtig.
Es liegt doch wohl auf der Hand, dass die Einführung von Sachleistungen oder die Auf- nahme von Menschen separiert nach Ethnien von uns nicht unterstützt wird. Unsere An- sichten zur Flüchtlingspolitik sind immer noch meilenweit auseinander. Und wir sprechen auch nicht dieselbe Sprache.
Eine echte Verfahrenserleichterung würde die pauschale Anerkennung von Menschen aus Syrien, Afghanistan, Irak und Eritrea mit sich bringen. Stattdessen wird medienwirk- sam und stammtischgerecht zum 100. Mal die Mär der sicheren Herkunftsstaaten durch das Dorf gejagt. Die Wirksamkeit dieses Mechanismus‘ ist hoch fragwürdig, eine erwiesene Erleichterung bringt er nicht. Die Zahlen sind nach dem Beschluss im letzten Herbst gar nicht zurück- gegangen, sondern sanken erst über ein halbes Jahr später. Wir führen in diesem Punkt eine Scheindebatte und verlieren den Blick für wirklich wirksame Lösungen.
Zum Beispiel wird nach drei Jahren jeder Asylantrag überprüft, ob er nicht widerrufen werden kann. Die Streichung dieser sinnlosen Aufgabe würde eine Menge Kapazitäten im Bundesamt für Migration freischaufeln. Leider findet dieser Vorschlag bislang keine ausreichende Würdigung.
3 Genauso bedauerlich ist es, dass der europäische Gipfel auch bei Dublin keinen Schritt weiter gegangen ist. Dabei bindet auch dieser elende Verschiebebahnhof bürokratische Ressourcen.
Stattdessen wurde auf europäischer Ebene der Beschluss zu den sicheren Herkunfts- staaten dingfest gemacht. Es wird schwer werden, diese Entscheidung aufzuhalten. Als Grüne begeben wir uns damit auf sehr dünnes Eis. Für uns wird das Gesamtpaket entscheidend sein. Dazu gehören legale Einwanderungswege, sichere Fluchtmöglichkei- ten, die Abschaffung der Vorrangprüfung, die Möglichkeit mit abgesichertem Aufenthalt Praktikum und Ausbildung in Deutschland zu absolvieren. Aber den kompletten Rollback in der Flüchtlingspolitik, der gerade auf Bundesebene im Schweinsgalopp vorbereitet wird, werden wir im Gegenzug nicht mitmachen. Wir Grüne werden sehr genau prüfen, welches Gesamtpaket in den Verhandlungen vorgelegt wer- den wird.
Wir sehen und verstehen die Not der Bürgermeisterinnen, der Ehrenamtlichen, der Poli- zei, der Lehrer, der Kindergärtner, vieler Bürger. Ich verstehe die Sorge, dass es zu viel werden könnte. Aber wir werden dafür nicht beliebig die Rechte von AsylbewerberInnen zur Disposition stellen. Wir stellen uns der Herausforderung auch Kompromisse einzu- gehen, die nicht die reine Grüne Lehre sind. Aber das, was das Bundesinnenministerium erarbeitet hat, wäre kein Asylkompromiss. Das wäre eine Asylkatastrophe.
Zu Ihrem Vorschlag, Frau Beer. Statt der sicheren Herkunftsstaaten eine Liste unsicherer Herkunftsstaaten einzuführen, das hört sich erst einmal plausibel an. Auf den zweiten Blick entpuppt er sich als ein na- hezu gefährlicher Vorschlag. Wir sollten uns hüten in einem KlippKlapp von Länderlisten zu enden. Ist dann jedes Land, das nicht auf der Liste unsicherer Herkunftsstaaten steht, ein sicheres Land?
Ich stimme Ihnen in Ihrem Ziel völlig zu. Wir brauchen erleichterte Verfahren für diejeni- gen Länder, deren Anerkennungsquoten überragend hoch sind. Denn auch Menschen aus diesen Ländern warten fast ein ganzes Jahr auf ihre Anerkennung. Auch Resettlement und Aufnahme ganzer Kontingente außerhalb des Asylverfahrens schaffen sinnvolle Erleichterungen für die Menschen im BAMF.
Wir brauchen noch viel mehr. Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz, das den legalen Zugang in den Arbeitsmarkt flexibel und großzügig ermöglicht. Wir brauchen legale Fluchtwege, damit die Menschen sich nicht in Boote zwängen oder unter LKWs hängen müssen, um vor Bomben, Verfolgung und Diskriminierung zu fliehen. Und wir müssen uns über Friedenspolitik und Entwicklungspolitik und unseren Beitrag dazu unterhalten. All das sind Dinge, die wir jetzt angehen müssen, die aber denjenigen, die jetzt auf dem Weg sind, nicht helfen.
Deshalb noch auf ein Wort zu den Erstaufnahmeeinrichtungen. Mittlerweile schießen die Unterkünfte aus dem Boden wie Pilze und das ist vor dem anstehenden Herbst und Win- ter auch dringend notwendig. Ich danke allen denjenigen Kommunen, die so tatkräftig und pragmatisch an unserer Seite stehen und das vor Ort Menschenmögliche leisten, damit Erstaufnahmeeinrichtungen über Nacht oder vor der Planung eröffnet oder erwei- tert werden können - das auch entgegen aller Zusagen. Und ganz besonders möchte ich dabei den Bürgermeistern vor Ort danken, die derzeit eine Verantwortung für ihr Ge- meinwesen tragen, die Sie sich bei Antritt des Jobs sicher nicht vorgestellt haben.


4 Angesichts der Zahlen können wir nur hinterherlaufen und uns im Hier und Jetzt auf das Notwendige des Unmittelbaren beschränken.
Sehr geehrte Damen und Herren von der FDP,
Ihr Antrag, werte FDP, scheint mir noch nicht ganz in der Realität angekommen zu sein. Sie wollen nachvollziehbare Kriterien und ein geordnetes Verfahren? Schön wär’s. Das Konzept kann ich Ihnen hier in 3 Sätzen aufschreiben: 1. Wir brauchen egal welchen Standort. 2. Wir brauchen so viele Betten wie möglich. 3. Und wir brauchen die Betten so schnell wie möglich. Das muss Ihnen die Landesregierung doch nicht extra aufschreiben. Jetzt ist nicht die Zeit für schöne Pläne und Konzepte. Jetzt ist die Zeit zu Handeln. Und diese Landesre- gierung tut genau das: Sie handelt. Ihr Berichtsantrag im Übrigen ist gut und schön und wir stimmen ihm natürlich gerne zu, aber der Sinn und Zweck wird sich angesichts der Geschwindigkeit in der sich die Zustände ändern in Grenzen halten. Genauso zweckfrei wären Berichte über den Wasserstand bei einem Elbhochwasser. Wenn uns der Bericht vorliegt und die Zahlen weiter gestiegen sind, wird der Bericht nicht das Papier wert sein, auf dem er geschrieben ist.
Meine Damen und Herren, Ich komme noch einmal zurück auf die Macht der Bilder. Die Bilder können unser Han- deln beeinflussen. Sie können uns Angst machen vor dem Erstarken des Fremdenhass und uns dazu bringen, Symbolpolitik zu betreiben, die den rechten Rand beruhigt. Sie können uns aber auch Mut machen. Wenn wir sehen, dass die Gesellschaft schon drei Schritte weiter ist als die Politik und den Zuzug als Chance für unser Land sieht.
Lassen Sie uns in unseren Worten und Taten die richtige Balance finden: Einerseits, die Probleme ansprechen und nicht verniedlichen, wo Sie vorliegen und andererseits aufzei- gen, dass wir alles tun werden, um Lösungen zu finden. Ich glaube, es liegt sehr viel an uns, unseren Entscheidungen aber auch unseren Worten, ob das Land die Flüchtlinge als eine Bedrohung oder als eine Chance wahrnimmt. Und von dieser Stimmung wird dann am Ende auch abhängen, ob die Flüchtlingskrise ein Einwanderungserfolg wird oder nicht.
Wir haben es in der Hand, ob die Skepsis der Bürokratie oder der Zeitgeist des Anpa- ckens siegt.



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