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16.09.15
17:35 Uhr
SSW

Lars Harms: Der Staat hat sich aus den Redaktionen herauszuhalten

Presseinformation Kiel, den 16. September 2015

Es gilt das gesprochene Wort



Lars Harms
TOP 4 Stärkung der inneren Pressefreiheit Drs. 18/3162
„Der Staat hat sich aus den Redaktionen herauszuhalten!“


Der Satz: „Journalisten arbeiten frei von Zwängen“ gilt genauso wie der Satz „Die Erde ist eine
Scheibe“. Jeder Journalist und jede Journalistin bringt eigene Meinungen, persönliche
Lebenserfahrung und Voreingenommenheit mit. Presseleute sind keine Maschinen. Schon vor
zwanzig Jahren hat der Journalist Hans-Joachim Friedrich seine Kollegen gewarnt, sich nicht
gemein zu machen mit einer Sache, „auch nicht mit einer guten.“
Das Ringen um professionelle Distanz kostet allerdings Zeit und Geld und droht daher im
Wettbewerb um Quoten und Klicks unterzugehen. Billige Leserreporter mit dem allseits
schussbereiten Handy sind inzwischen in vielen Redaktionen zum Standard geworden. Schnelle
Meinungen herauszuschießen, hat aber überhaupt nichts mit professionellem Journalismus zu
tun.
Probleme der inneren Pressefreiheit, die sogenannte Schere im Kopf, werden schon seit
Jahrzehnten beklagt. Korrumpierter oder schlichtweg unfähiger Journalismus gibt es schon 2
immer; allerdings spielte das in einer bunten, abwechslungsreichen Presselandschaft keine so
große Rolle. Es gab genug Gegengewichte. Trotz des aktuellen Titelbooms an Kiosken und im
Internet verfällt die veröffentlichte Meinung zunehmend und verliert an Farbe: immer die
gleichen Treffen werden zwar von mehr Kamerateams abgelichtet, aber der Zuwachs an
Informationen ist dabei gleich Null. Viel hilft also nicht viel.
In Brandenburg ist es bereits gesetzlich geregelt, dass kein Redakteur gegen seine eigene
Meinung publizieren muss. Das wurde vor mehr als zwanzig Jahren nach heftigen
Auseinandersetzungen mit den Verlegern verabschiedet. Dort war im Zuge der Privatisierung
durch die Treuhand ein Medien-Oligopol weniger Großverleger entstanden. Man geht
inzwischen davon aus, dass in über 70% der Landkreise in Ostdeutschland nur eine einzige
Lokalzeitung erscheint. In Schleswig-Holstein haben wir es im lokalen Bereich ebenfalls mit
Konzentrationsprozessen zu tun. Ob diese allerdings mit dem vorliegenden Entwurf
beizukommen ist, wage ich zu bezweifeln; schließlich funktioniert in den meisten
Zeitungsverlagen die innere Pressefreiheit bereits jetzt. Der Verleger legt die grundsätzliche
Haltung der Zeitung fest, die die Redaktion eigenverantwortlich ausformt.
In der Begründung stellen die Piraten fest, dass durch die geplante Gesetzesänderung die
Vielfalt an veröffentlichten Meinungen innerhalb ein und derselben Redaktion gewährleistet
werden soll, solange die Konkurrenz fehle. Wie habe ich mir das vorzustellen? Werden
politische Ereignisse zukünftig in zwei oder mehreren Artikeln in derselben Zeitung dargestellt
werden? Oder werden immer mehrere Kollegen einer Zeitung an einer Sache dran sein? Ich
glaube nicht, dass so eine Art interne Meinungsvielfalt auch nur ansatzweise in der Praxis
funktionieren kann. Oder soll solange diskutiert werden bis so eine Art amtlicher
Verlautbarung mit einer nichtssagenden Faktenauswahl dabei herauskommt?
Sogar in den Reihen der antragstellenden Piratenfraktion gibt es Zweifel, ob das Gesetz zur
Stärkung der inneren Pressefreiheit in der Realität überhaupt umsetzbar sei; also einen
messbaren Niederschlag erwirken kann. Nachzulesen sind die Zweifel des Presssprechers der
Piraten im Fraktionsprotokoll vom 30. Juni. Kann der Gesetzgeber überhaupt in die
Redaktionen hineinregieren? Was er kann, ist Rahmenbedingungen schaffen. Letztlich weiß 3
doch jeder Journalist, der beispielsweise bei der „Welt“ oder der „taz“ anheuert, auf was er
bzw. sie sich da einlässt.
Der Gesetzentwurf möchte etwas ausgleichen, was nach meinem Dafürhalten gar nicht
gesetzlich geregelt werden kann. Darüber hinaus bin ich der festen Überzeugung, dass er das
auch nicht regeln sollte. Die Landesregierung kann keine Pressevielfalt schaffen. Wenn die
Leserzahlen sinken, kann eine Zeitung eben nicht mehr erscheinen. Da kann auch die
Landesregierung nicht eingreifen. Die Landesregierung kann via Medienrat Privatsender bei der
Lizenzvergabe zu regionalen Berichterstattung verpflichten, aber natürlich nicht die inhaltliche
Ausrichtung kontrollieren. Der Staat hat sich aus den Redaktionen herauszuhalten. Und das ist
auch gut so. Natürlich rege auch ich mich auf, wenn ein Journalist bereits beim Pressegespräch
seine Voreingenommenheit erkennen lässt oder wenn Berichte tendenziell sind. Aber das kann
ich nicht per Gesetz verhindern.
Allerdings ist zu überlegen, ob wir das Problem nicht woanders zu suchen haben. Der DJV-
Schleswig-Holstein weist darauf hin, wo es bei den Strukturen in den Redaktionen tatsächlich
hapert. Innere Pressefreiheit könne nämlich nur gelebt werden, wenn es in den Redaktionen
genug Personal gibt. Und, das möchte ich ergänzen, wenn das Personal, das es denn gibt,
vernünftig bezahlt wird. Tatsächlich haben wir es mit immer mehr freien Mitarbeitern und so
genannten Praktikanten zu tun, die aufgrund geringer Zeilengelder prinzipiell korrumpierbar
sind. Teilweise werden die Honorare für Freie sogar gekürzt, was die Situation weiter anspannt.
Die Verleger haben allerdings schon in Sachen Mindestlohn gezeigt, dass sie gewillt sind, ihre
ganze publizistische Macht einzusetzen. Sie werden ihre Honorarstruktur sicherlich ebenso
vehement verteidigen. Aber ich denke, dass sich diese Auseinandersetzung lohnt.
Es ist richtig, dass wir uns mit dem Prinzip der inneren Pressefreiheit auseinandersetzen. Wir
tun das viel zu selten. Darum schlägt ver.di vor, dass sich der Landtag regelmäßig über die
Medienlandschaft berichten lassen sollte. Mecklenburg-Vorpommern habe damit gute
Erfahrungen gemacht.
Zunächst allerdings sollten wir den vorliegenden Entwurf im Ausschuss diskutieren.