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16.07.15
11:32 Uhr
SSW

Lars Harms: Kinder und Jugendliche in den Einrichtungen unterstützen und positive Lebensbedingungen schaffen

Presseinformation Kiel, den 16. Juli 2015

Es gilt das gesprochene Wort



Lars Harms
TOP 28 Kindeswohl sicherstellen Drs. 18/3185
„Die Gesellschaft hat es zugelassen, dass Kinder und Jugendliche behandelt
wurden wie Giftmüll, der in abgelegenen Gegenden verklappt wird.“



Der dänische Kinderpsychologe Jesper Juul wird nicht müde, Eltern zu ermutigen, ihren Kindern
ein angemessenes Feedback zu geben. Das heißt: Fehler ansprechen und Leistungen loben,
ohne dass viel Zeit vergeht. Genau dieser Grundsatz wird allerdings in der stationären
Jugendhilfe Tag für Tag verletzt. Feedback ist nur schwer möglich, wenn wir es mit uns
anvertrauten Kindern und Jugendlichen aus anderen Bundesländern zu tun haben. In
Einzelfällen, das hat die Diskussion schnell gezeigt, sind die so genannten abgebenden
Jugendämter hunderte Kilometer entfernt von dem Jugendlichen, für dessen Wohl sie
verantwortlich sind. Dieses strukturelle Problem ist aus absolut unverständlichen, finanziell
motivierten Argumenten heraus entstanden. Die Jugendämter geben die Kinder und
Jugendlichen in die Verantwortung eines anderen Jugendamtes ab, ohne dieses mit allen 2
nötigen Kompetenzen auszustatten. Das ist in der Konsequenz eine Zumutung für die
Betroffenen und deren Familien; eine Zumutung, die allerdings schon lange bekannt ist. Doch
zu einer Zusammenlegung von Finanzierungsverantwortung und inhaltlicher Kontrolle, die
eigentlich zum Einmaleins einer funktionierenden Verwaltung gehört, konnte sich bislang
niemand durchringen. Bislang ist auch noch nicht geklärt, ob und in welcher Reichweite die
Finanzierungsstrukturen geändert werden müssen. In der zuständigen Fachministerkonferenz
ist man über eine Arbeitsgruppe noch nicht hinausgekommen. Aber immerhin ist das Problem
erkannt, dass die Kooperation zwischen örtlichem und entsendenden Jugendamt sowie dem
Landesjugendamt umgehend verbessert werden muss.
So hat denn die Schließung der Friesenhof-Heime doch noch etwas Gutes: dass nämlich endlich
dieses Strukturdefizit offen angesprochen, in den Medien diskutiert und in absehbarer Zeit
einer Lösung zugeführt wird. Man kann Kindern und Jugendlichen nicht aus der Ferne ein
klares Feedback geben. Andersherum können die Kinder und Jugendlichen ihre Sorgen und
Beschwerden nicht loswerden. Ein niedrigschwelliges Beschwerdemanagement basiert auf
einer großen Kontaktdichte und kann nicht per Aktenlage entschieden werden. Kinder und
Jugendliche haben ein Recht darauf, dass man sie ernst nimmt, indem man direkt mit ihnen
spricht. Soweit es um Schutz vor Gewalt geht, zum Beispiel um Schutz vor Übergriffen
Gleichaltriger oder des Personals, muss den jungen Menschen die Möglichkeit eines
niedrigschwelligen Zugangs zu einer Vertrauensperson eröffnet werden. Die vertrauliche und
vorrangig dem Schutz der Betroffenen verpflichtete fachgerechte Bearbeitung der
Beschwerden kostet Zeit – ist aber alternativlos. Genau darum ist die personelle Verstärkung
des Landesjugendamtes Teil des vorlegten Maßnahmepakets, dass Frau Ministerin Alheit
schnell auf den Weg gebracht hat. Ebenso wie die Einrichtung einer Ombudsstelle, die auch die
Angehörigen mit einbindet.
Die vorgestellten Maßnahmen gehören zu einem Konzept, dem die grundlegende Prüfung der
rechtlichen Grundlagen vorausgeht; also eine vollständige und gründliche Analyse der
Situation, die in unbürokratische Lösungen mündet. Schöne Positionspapiere helfen den
Kindern und Jugendlichen überhaupt nicht – übrigens auch nicht die Skandalisierung. Ziel 3
muss es bleiben, Kinder und Jugendliche in den stationären Einrichtungen der Kinder- und
Jugendhilfe zu unterstützen und dort positive Lebensbedingungen zu schaffen.
Das trägerfreundliche Bundeskinderschutzgesetz schützt die Betreiber von Heimen unter dem
Deckmantel des Gewerbeschutzes. Das im Grundgesetz verankerte Recht der freien
Berufsausübung musste dafür herhalten, dass fachliche Belange in den Hintergrund traten.
Seit Inkrafttreten des Gesetzes vor drei Jahren haben Fachleute kritisiert, dass sich Kommunen
und Verbände durchgesetzt hätten; einzig und allein, um Kosten zu sparen. Das Vorgehen
kennen und fürchten wir aus den stationären Pflegeeinrichtungen, die so genannte Satt-und-
Sauber-Pflege durchführen und damit bereits den gesetzlichen Standards genügen. Kinder und
Jugendliche sind aber keine Ware, die man mit einem Etikett versehen, von A nach B versenden
kann. Genau das ist aber passiert. Die Entsendepraxis der Jugendhilfe hat zumindest in
Dithmarschen zum Geschäftsmodell „Kinderheime im ländlichen Raum“ geführt. Es kann in
Einzelfällen sinnvoll sein, mit dem Herkunftsmilieu der Jugendlichen gänzlich zu brechen, um
ihnen einen Neuanfang zu ermöglichen. Doch die Konzentration der Einrichtungen in
Dithmarschen hat mit der Abgabe von Verantwortung zu tun, mit der man wohl gut Geld
verdienen kann. Die Gesellschaft hat es zugelassen, dass Kinder und Jugendliche behandelt
wurden wie Giftmüll, der in abgelegenen Gegenden verklappt wird. Jetzt haben wir einen
konkreten Fall in der Hand, der die Mängel verdeutlicht.
Gerade darum bemühen wir uns um die gesetzliche Verankerung effektiver Kontrollstrukturen.
Hier kommt die Heimaufsicht ins Spiel. Es wurde höchste Zeit, dass wir die Heimaufsicht
gestärkt haben, indem wir das Landesjugendamt personell verstärkt haben. Auch hier hat im
Übrigen Ministerin Alheit schnell gehandelt. Schriftliche Dokumentationen in der Akte spiegeln
nicht zwangsläufig die tatsächlichen Zustände wider. Darum ist das direkte Gespräch enorm
wichtig. Die Vor-Ort-Besichtigung, angemeldet oder nicht, ist also von wesentlicher
Bedeutung. Kinder- und Jugendhilfe ist mit Papierkram verbunden, darf sich aber nicht darin
erschöpfen. Pädagogik ist eine zutiefst zwischenmenschliche Angelegenheit, die sich nicht am
Schreibtisch allein umsetzen lassen kann. Verwaltungsvorschriften, langwierige Verfahren und
Abrechnungen binden die Arbeitszeit. Wenn das so ist, müssen wir Sorge dafür tragen, dass es 4
genügend Fachleute gibt, die in direkte Interaktion gehen können. Das Jugendamt hat sich
einen unmittelbaren Eindruck vom Kind und dessen Umgebung zu verschaffen. Erst die
persönliche Inaugenscheinnahme ermöglicht überhaupt die Einschätzung des
Entwicklungsstands des Jugendlichen.
Wir wollen, dass die Jugendlichen das Gefühl bekommen, dass sie ernst genommen werden.
Dazu müssen wir erstens die gesetzlichen Strukturen ändern, so dass die Kompetenzen klarer
werden, und zweitens müssen wir die Jugendhilfe finanziell besser stellen. Eine fachliche
Vertiefung der Jugendhilfe gibt es nicht zum Nulltarif. Wir werden die landesrechtlichen
Regelungen zur angemessenen Personalausstattung in den Einrichtungen überarbeiten.
Um auf Jesper Juul zurückzukommen: Er mahnt an, dass zwischen Erwachsenen und Kindern
Authentizität und persönliche Verantwortung zum Tragen kommen. Der Leitsatz für ein
selbstverantwortliches Leben lautet seiner Meinung nach: Ich bin für mein Handeln
verantwortlich.
Und genau das ist die Landesregierung zu tun gewillt.