Lars Harms: Kinder und Jugendliche in den Einrichtungen unterstützen und positive Lebensbedingungen schaffen
Presseinformation Kiel, den 16. Juli 2015Es gilt das gesprochene WortLars HarmsTOP 28 Kindeswohl sicherstellen Drs. 18/3185 „Die Gesellschaft hat es zugelassen, dass Kinder und Jugendliche behandelt wurden wie Giftmüll, der in abgelegenen Gegenden verklappt wird.“Der dänische Kinderpsychologe Jesper Juul wird nicht müde, Eltern zu ermutigen, ihren Kindernein angemessenes Feedback zu geben. Das heißt: Fehler ansprechen und Leistungen loben,ohne dass viel Zeit vergeht. Genau dieser Grundsatz wird allerdings in der stationärenJugendhilfe Tag für Tag verletzt. Feedback ist nur schwer möglich, wenn wir es mit unsanvertrauten Kindern und Jugendlichen aus anderen Bundesländern zu tun haben. InEinzelfällen, das hat die Diskussion schnell gezeigt, sind die so genannten abgebendenJugendämter hunderte Kilometer entfernt von dem Jugendlichen, für dessen Wohl sieverantwortlich sind. Dieses strukturelle Problem ist aus absolut unverständlichen, finanziellmotivierten Argumenten heraus entstanden. Die Jugendämter geben die Kinder undJugendlichen in die Verantwortung eines anderen Jugendamtes ab, ohne dieses mit allen 2nötigen Kompetenzen auszustatten. Das ist in der Konsequenz eine Zumutung für dieBetroffenen und deren Familien; eine Zumutung, die allerdings schon lange bekannt ist. Dochzu einer Zusammenlegung von Finanzierungsverantwortung und inhaltlicher Kontrolle, dieeigentlich zum Einmaleins einer funktionierenden Verwaltung gehört, konnte sich bislangniemand durchringen. Bislang ist auch noch nicht geklärt, ob und in welcher Reichweite dieFinanzierungsstrukturen geändert werden müssen. In der zuständigen Fachministerkonferenzist man über eine Arbeitsgruppe noch nicht hinausgekommen. Aber immerhin ist das Problemerkannt, dass die Kooperation zwischen örtlichem und entsendenden Jugendamt sowie demLandesjugendamt umgehend verbessert werden muss.So hat denn die Schließung der Friesenhof-Heime doch noch etwas Gutes: dass nämlich endlichdieses Strukturdefizit offen angesprochen, in den Medien diskutiert und in absehbarer Zeiteiner Lösung zugeführt wird. Man kann Kindern und Jugendlichen nicht aus der Ferne einklares Feedback geben. Andersherum können die Kinder und Jugendlichen ihre Sorgen undBeschwerden nicht loswerden. Ein niedrigschwelliges Beschwerdemanagement basiert aufeiner großen Kontaktdichte und kann nicht per Aktenlage entschieden werden. Kinder undJugendliche haben ein Recht darauf, dass man sie ernst nimmt, indem man direkt mit ihnenspricht. Soweit es um Schutz vor Gewalt geht, zum Beispiel um Schutz vor ÜbergriffenGleichaltriger oder des Personals, muss den jungen Menschen die Möglichkeit einesniedrigschwelligen Zugangs zu einer Vertrauensperson eröffnet werden. Die vertrauliche undvorrangig dem Schutz der Betroffenen verpflichtete fachgerechte Bearbeitung derBeschwerden kostet Zeit – ist aber alternativlos. Genau darum ist die personelle Verstärkungdes Landesjugendamtes Teil des vorlegten Maßnahmepakets, dass Frau Ministerin Alheitschnell auf den Weg gebracht hat. Ebenso wie die Einrichtung einer Ombudsstelle, die auch dieAngehörigen mit einbindet.Die vorgestellten Maßnahmen gehören zu einem Konzept, dem die grundlegende Prüfung derrechtlichen Grundlagen vorausgeht; also eine vollständige und gründliche Analyse derSituation, die in unbürokratische Lösungen mündet. Schöne Positionspapiere helfen denKindern und Jugendlichen überhaupt nicht – übrigens auch nicht die Skandalisierung. Ziel 3muss es bleiben, Kinder und Jugendliche in den stationären Einrichtungen der Kinder- undJugendhilfe zu unterstützen und dort positive Lebensbedingungen zu schaffen.Das trägerfreundliche Bundeskinderschutzgesetz schützt die Betreiber von Heimen unter demDeckmantel des Gewerbeschutzes. Das im Grundgesetz verankerte Recht der freienBerufsausübung musste dafür herhalten, dass fachliche Belange in den Hintergrund traten.Seit Inkrafttreten des Gesetzes vor drei Jahren haben Fachleute kritisiert, dass sich Kommunenund Verbände durchgesetzt hätten; einzig und allein, um Kosten zu sparen. Das Vorgehenkennen und fürchten wir aus den stationären Pflegeeinrichtungen, die so genannte Satt-und-Sauber-Pflege durchführen und damit bereits den gesetzlichen Standards genügen. Kinder undJugendliche sind aber keine Ware, die man mit einem Etikett versehen, von A nach B versendenkann. Genau das ist aber passiert. Die Entsendepraxis der Jugendhilfe hat zumindest inDithmarschen zum Geschäftsmodell „Kinderheime im ländlichen Raum“ geführt. Es kann inEinzelfällen sinnvoll sein, mit dem Herkunftsmilieu der Jugendlichen gänzlich zu brechen, umihnen einen Neuanfang zu ermöglichen. Doch die Konzentration der Einrichtungen inDithmarschen hat mit der Abgabe von Verantwortung zu tun, mit der man wohl gut Geldverdienen kann. Die Gesellschaft hat es zugelassen, dass Kinder und Jugendliche behandeltwurden wie Giftmüll, der in abgelegenen Gegenden verklappt wird. Jetzt haben wir einenkonkreten Fall in der Hand, der die Mängel verdeutlicht.Gerade darum bemühen wir uns um die gesetzliche Verankerung effektiver Kontrollstrukturen.Hier kommt die Heimaufsicht ins Spiel. Es wurde höchste Zeit, dass wir die Heimaufsichtgestärkt haben, indem wir das Landesjugendamt personell verstärkt haben. Auch hier hat imÜbrigen Ministerin Alheit schnell gehandelt. Schriftliche Dokumentationen in der Akte spiegelnnicht zwangsläufig die tatsächlichen Zustände wider. Darum ist das direkte Gespräch enormwichtig. Die Vor-Ort-Besichtigung, angemeldet oder nicht, ist also von wesentlicherBedeutung. Kinder- und Jugendhilfe ist mit Papierkram verbunden, darf sich aber nicht darinerschöpfen. Pädagogik ist eine zutiefst zwischenmenschliche Angelegenheit, die sich nicht amSchreibtisch allein umsetzen lassen kann. Verwaltungsvorschriften, langwierige Verfahren undAbrechnungen binden die Arbeitszeit. Wenn das so ist, müssen wir Sorge dafür tragen, dass es 4genügend Fachleute gibt, die in direkte Interaktion gehen können. Das Jugendamt hat sicheinen unmittelbaren Eindruck vom Kind und dessen Umgebung zu verschaffen. Erst diepersönliche Inaugenscheinnahme ermöglicht überhaupt die Einschätzung desEntwicklungsstands des Jugendlichen.Wir wollen, dass die Jugendlichen das Gefühl bekommen, dass sie ernst genommen werden.Dazu müssen wir erstens die gesetzlichen Strukturen ändern, so dass die Kompetenzen klarerwerden, und zweitens müssen wir die Jugendhilfe finanziell besser stellen. Eine fachlicheVertiefung der Jugendhilfe gibt es nicht zum Nulltarif. Wir werden die landesrechtlichenRegelungen zur angemessenen Personalausstattung in den Einrichtungen überarbeiten.Um auf Jesper Juul zurückzukommen: Er mahnt an, dass zwischen Erwachsenen und KindernAuthentizität und persönliche Verantwortung zum Tragen kommen. Der Leitsatz für einselbstverantwortliches Leben lautet seiner Meinung nach: Ich bin für mein Handelnverantwortlich.Und genau das ist die Landesregierung zu tun gewillt.