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14.11.14
11:53 Uhr
B 90/Grüne

Eka von Kalben zur 25 Jahre friedliche Revolution

Presseinformation

Es gilt das gesprochene Wort! Landtagsfraktion Schleswig-Holstein TOP 31 – 25 Jahre friedliche Revolution Pressesprecherin Claudia Jacob Dazu sagt die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Eka von Kalben: Telefon: 0431 / 988 - 1503 Fax: 0431 / 988 - 1501 Mobil: 0172 / 541 83 53
presse@gruene.ltsh.de www.sh.gruene-fraktion.de
Nr. 448.14 / 14.11.2014


Die Menschen haben der Politik einen Sinn gegeben: Die Freiheit
„Der Sinn von Politik ist Freiheit.“, so sagt es die große Philosophin Hannah Arendt. Und auch wenn ich ihre These nicht zu 100 Prozent teile, für mich gehören Gleichheit und Brüderlichkeit immer noch dazu. Klar ist auf jeden Fall: Voraussetzung für Politik ist Freiheit! So ist uns die Bedeutung der Freiheit gerade am 9.11. deutlich vor Augen ge- halten worden.
Frei ist, wer anderen auf Augenhöhe, mit gleichen Rechten begegnet. Frei ist, wer sagen und schreiben kann, was er will! Frei ist, wer demonstrieren kann, wann und wo er will.
Diese Freiheit haben sich die BürgerInnen der ehemaligen DDR genommen: Erst im Kleinen, dann im ganz Großen, bis zur Revolution. Bis zum Mauerfall.
Der Kampf um Freiheit kostet Mut und Kraft. Er braucht Menschen, die trotz aller Wid- rigkeiten für ihre Überzeugungen einstehen. Manchmal auch ohne Rücksicht auf das eigene Hab und Wohl!
Die Befreiung war bitter nötig. Die DDR war eine Diktatur, die das Leben von unschul- digen BürgerInnen zerstört hat. Ja, das Regime hat Unrecht begangen, die DDR war ein Unrechtsstaat. Aber es war ein Staat, der überwunden wurde.
Der Fall der Mauer steht auch für das Ende des Schießbefehls, für die Einleitung der Wiedervereinigung. Er steht auch für das Ende der Diktatur und er steht vor allem für das Ende der Unfreiheit. Seite 1 von 3 Meine Damen und Herren,
mit unserem Antrag wollen wir dem Engagement, dem Einsatz der Menschen in Leipzig, Berlin und überall in der DDR danken. Dem friedlichen Widerstand. Ohne ihn wäre die Diktatur nicht zu Ende gegangen. Die Menschen haben die Macht neu verteilt.
Und so möchte ich auch einen zweiten Gedanken von Hannah Arendt aufgreifen: Ein Einzelner kann keine Macht innehaben. Macht – und damit politische Handlungsfähig- keit – sie entsteht zwischen den Menschen. Sie wird verliehen, durch Einigkeit. Dann nur auf Zeit.
Und als die Menschen in der DDR mit großem Mut und in noch größerer Einigkeit ent- schieden haben, die Macht neu zu verteilen. Da ist ein morsches System zu Staub zer- fallen. Eine Revolution entstanden aus dem Zusammenhalt der Menschen.
Und da gab es durchaus sehr unterschiedliche Interessen. Durchaus nicht alle kämpf- ten gleich für die Wiedervereinigung. Als ich am 10.11. in Berlin war, wehten auf der Mauer nur Deutschlandflaggen bei einigen Burschenschaftlern. Die meisten Menschen trafen sich als befreundete Nachbarn.
Der Mauerfall ist einer der prägendsten Momente der deutschen Nachkriegszeit. In Deutschland und auch: Weltweit. Er beendete den Systemkonflikt zwischen Ost und West. Die nachwachsenden Generationen können sich kaum noch vorstellen, dass un- ser Land einmal geteilt war. Das ist erfreulich.
Aber laut einer Studie aus dem Jahre 2012 glaubt jeder dritte Jugendliche, die Regie- rung der DDR sei auf demokratische Weise legitimiert gewesen. Viele ordnen die DDR nicht als Diktatur ein.
Das zeigt: Historische und politische Bildung ist zwingend nötig. Denn nur Wissen be- wahrt davor, Fehler zu wiederholen. Und da müssen wir vermeiden, dass diese Ge- schichte nur aus der überheblichen Westbrille erzählt wird.
Gut aber ist: Die Jugendlichen können die Motivation dieser Teilung nicht mehr nach- vollziehen. Die ideologischen Verhärtungen. Das Blockdenken. Es ist ihnen fremd.
Meine Damen und Herren,
der neunte November: Er ist ein Tag der Freude. Ganz sicher. Aber er ist auch ein Schicksalstag. Er verbindet das vielleicht Beste, was dieses Land je hervorgebracht hat, mit dem Tiefpunkt unserer Geschichte: Die friedliche Revolution, sie fällt auf den Tag der Reichspogromnacht. Und im Übrigen auch auf den Tag der Novemberrevoluti- on. Als Feiertag ist der Tag sperrig, wenn auch aus meiner Sicht wünschenswerter als der 3.10.
Der Freudentaumel wird getrübt, wenn man bei den Kerzen, die als Symbol für eine friedliche Revolution, auch der Fackelzüge in der Reichspogromnacht gedenkt. Und weil der 9. November die Höhen und Tiefen unser Geschichte verknüpft, auch ein Wort zu den gesellschaftlichen Herausforderungen.
Der Rechtsradikalismus, er eskalierte in den 90er Jahren. Im Osten und im Westen – das wissen wir hier, in Schleswig-Holstein nur zu gut. Aber heute wissen wir alle, ent-
2 setzt: Das rechte Milieu, das in den 90er Jahren in Thüringen entstanden ist, hat eine unvergleichliche Mordserie hinter sich hergezogen. Es gab unsägliche Versäumnisse. Der NSU ist auch Ausdruck mangelnder bundesrepublikanischer Sensibilität am rech- ten Rand. Die Entwicklung nach dem Mauerfall wurde unterschätzt, ausgeblendet, kleingeredet. Die Aufarbeitung der Versäumnisse ist noch lange nicht abgeschlossen. Sie wird uns alle weiter begleiten. Die Erzählung des wiedervereinigten Deutschlands: Sie ist facettenreich. Sie kennt Höhen und Tiefen. Verzweiflung und Hoffnung. Gewin- ner und Verlierer.
Nach den Festtagen, dem 9. November 1989 und dem 3. Oktober 1990 kehrte auch Ernüchterung ein. Der Westen der Republik ging recht bald wieder zur Tagesordnung über. Eine Tagesordnung, die es im Osten nicht mehr gab. Die Leistung der Revolutio- närInnen, sie verschwand schnell aus den Schlagzeilen, bald auch aus vielen Köpfen. Der Traum einiger einen sogenannten dritten Weg zu finden, ging im Taumel der Wie- dervereinigung unter.
Die Löhne: Sie blieben ungleich. Die sozialen Chancen: Sie waren schlicht ungleich und ungerecht verteilt, zwischen Ost und West. Die Begeisterung für die Bundesrepub- lik ebbte ab, bei einigen verwandelte sie sich ins Gegenteil. Zahllose gebrochene Be- rufsbiographien von Frauen und Männern, die heute aufs Rentenalter zugehen, zeugen von harten Wegen und schwierigen Umstellungen. 25 Jahre Mauerfall, das ist auch ein Tag, der uns anspornen muss, gebliebene Ungerechtigkeiten zu überwinden.
Wir haben in dieser Landtagsdebatte viel über Flüchtlinge gesprochen. Der 9. Novem- ber, der Tag des Mauerfalls, muss uns auch dazu anhalten, selber keine neuen Mauern zu errichten. Nicht in Europa, zwischen Österreich und Bayern oder gar nach Däne- mark. Nicht – und darauf kommt es mir besonders an – an den Grenzen von Europa. Mauern sperren Menschen ein, aber auch aus. Auch hieran will ich erinnern.
Es gab wahrlich nicht viele erfolgreiche Revolutionen in Deutschland. Die deutschen stehen der revolutionären Änderung meist skeptisch gegenüber. Befürchtungen über- wiegen häufig die Aufbruchswünsche. Macht wird nur sehr zögerlich verliehen und auch nur zögerlich entrissen. Das macht den 9. November so bedeutend. Frieden und Einig- keit: Eine Machtdemonstration des Volkes. Die Menschen haben der Politik einen Sinn gegeben: Die Freiheit. ***



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