Beate Raudies: Kulturelle Bildung muss vielfältig und nachhaltig sein
Es gilt das gesprochene Wort! Kiel, 23. Januar 2014TOP 44: Bericht zur Situation kulturelle Bildung (18/1384)Beate Raudies:Kulturelle Bildung muss vielfältig und nachhaltig seinZunächst möchte ich mich bei Frau Ministerin Spoorendonk und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für den Bericht bedanken. Mein Dank schließt ausdrücklich die Bildungs- und die Sozialministerin ein, denn das Zusammenwirken der drei Ministerien ist schon etwas Besonderes und macht den hohen Stellenwert deutlich, den diese Landesregierung der kulturellen Bildung zubilligt.Aber was ist denn nun kulturelle Bildung? Ich möchte mit einem Zitat antworten: „Das ist ein weites Feld.“ (Fontane, Effi Briest). Kulturelle Bildung hat so viele Facetten, dass es mir trotz 10 Minuten Redezeit nicht möglich sein wird, alle Aspekte zu beleuchten; also werde ich mich auf einzelne Gesichtspunkte beschränken.Der damalige Bundespräsident Johannes Rau hat auf dem Kongress des Forums Bildung im Juli 2000 gesagt: „Zum Wissen und zum Können für morgen gehören auch die Inhalte jener Fächer, die an den Rand zu geraten drohen, wenn wir nur noch nach Nützlichkeit und Verwertbarkeit gehen: Musik, Kunst und Sport. Die Begegnung mit den Künsten kann verhindern, dass aus Bildung ein trostloses ‚Fitmachen für …‘ wird. Erst das ‚Wohlgefallen ohne alles Interesse‘, wie Kant es nennt, das jenseits von Funktionalität und Brauchbarkeit steht, macht den Menschen zum Menschen. Eine Schule ohne musische Bildung wäre nicht der Menschen gemäße Lebensraum, den ich mir wünsche.“ich möchte sogar noch weiter gehen und sage: Kulturelle Bildung vermittelt wichtige Kompetenzen, verbessert Bildungschancen, hilft bei der Integration Benachteiligter und fördert das Selbstbewusstsein 2und die Identität aller Menschen.Die UNESCO hat 2006 und 2010 zwei weltweite Konferenzen zur kulturellen Bildung durchgeführt. In einer 2006 verabschiedeten Road Map wurde hervorgehoben, dass kulturelle – und musische – Bildung kein Luxusgut ist, sondern aus dem als Menschenrecht geltenden Anspruch jedes Kindes und jedes Jugendlichen auf Bildung und Erziehung abgeleitet werden kann.2010 ergab eine Abfrage bei den Mitgliedsstaaten, dass sich nicht nur die wohlhabenden Staaten der OECD bemühen, diesen Anspruch umzusetzen. Auch Länder, in denen das Einkommen der Bevölkerung im weltweiten mittlerem Durchschnitt liegt, und die weniger entwickelten Länder versuchen, Kultur nicht als Luxusgut zu verstehen, sondern als elementaren Bestandteil von Bildungsgerechtigkeit.Die Kultusministerkonferenz hat 2007 einen Grundsatzbeschluss gefasst, der 2013 aktualisiert wurde. Sie spricht sich darin für eine Intensivierung der kulturellen Bildung aus und definiert diese als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die KMK geht damit deutlich über die UNESCO hinaus. Ein weiteres Augenmerk legt die KMK auf die Ausbildung der Fachkräfte, also auch der Lehrer – ein Handlungsfeld, das auch uns in diesem Jahr noch besonders beschäftigen wird. Und natürlich sind vor allem die Schulen aufgerufen, mit außerschulischen Ein-richtungen, Institutionen, Verbänden und den Familien zusammenzuarbeiten. Kulturelle Bildung muss die Achse für das lebenslange Lernen sein, das heute die unerlässliche Voraussetzung für die Persönlichkeitsbildung und für den beruflichen Erfolg ist.Gerade deshalb ist aus unserer Sicht, die unter anderem von der Bundesvereinigung kulturelle Jugendbildung geteilt wird, ein wesentlicher Aspekt, dass es keine sozialen Barrieren beim Zugang zu kulturellen Bildungsangeboten geben darf. Hier hat es berechtigte Kritik am so genannten „Bildungs- und Teilhabepaket“ gegeben, das für diesen Bereich nur sehr geringe Zuschüsse vorsieht und diese zugleich auf das vollendete achtzehnte Lebensjahr beschränkt.Auch das neue Bundesprogramm „Kultur macht stark“ ermöglicht nicht alle Angebote, denn das Antragsverfahren ist sehr umständlich, viele gute Ideen bleiben darum im Anfangsstadium stecken. Es wäre schön, sehr geehrte Frau Ministerin Spoorendonk, wenn Sie sich auf Bundesebene für Vereinfachungen im Antragsverfahren stark machen würden!Viele deutsche Kommunen und Regionen haben Netzwerke der kulturellen Bildung aufgebaut, die über die künstlerischen und musischen Fächer an den Schulen hinausgehen. Die bisher vorhandenen 3Angebote sind allerdings nicht allzu pluralistisch. Wir haben ein hervorragendes Netz an anerkannten Musikschulen, aber Musik ist nun nicht die einzige kulturelle Ausdrucksform. Vergleichbare Einrichtungen für die bildenden Künste, Theater, Tanz und Literatur sind selten. Häufig ist es dem Engagement kulturell interessierter Einzelpersonen oder Gruppen zu verdanken, dass Malschulen, Bildhauerworkshops oder Schreibwerkstätten existieren. Aber auch Bibliotheken und Volkshochschulen haben einen großen Anteil an der außerschulischen kulturellen Bildung.Nicht zuletzt leistet die Möglichkeit, ein freiwilliges soziales Jahr nicht nur im sozialen, sondern auch im kulturellen Bereich abzuleisten, einen wichtigen Beitrag zur lebenslangen Verstetigung der kulturellen Bildung.Das Jahr der kulturellen Bildung 2014 soll einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, diese Lerninhalte ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Denn so wichtig die Debatte um die PISA-Tests war und ist, die die Initialzündung zur Überwindung alter Zöpfe im deutschen Schul-system waren: Die Fixierung auf die kognitiven Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler birgt das Risiko, dass andere Fähigkeiten vernachlässigt werden.Frau Ministerin Spoorendonk hat in ihrem Bericht den Fahrplan für dieses Jahr vorgestellt. Jetzt muss es aber auch darum gehen, über das Jahr 2014 hinaus zu denken. Wir haben es allzu oft erlebt, dass im „Jahr des …“ ein Pflichtprogramm zu dem jeweiligen Thema abgespult wurde und die Beteiligten die Tage gezählt haben, bis dieses Jahr nun endlich vorbei war und sich andere an anderen Schwerpunkten abarbeiten konnten.Ich bin jedoch zuversichtlich, dass die Ergebnisse des laufenden Kulturdialogs, aber auch die Erfahrungen aus den geplanten Regionalkonferenzen, hier zahlreiche Ideen liefern werden. Bei der kulturellen Bildung darf es keine Begrenzungen nach Kalendertagen geben. Und sie darf auch nicht als Pflichtprogramm für unter Achtzehnjährige missverstanden werden, sondern als lebenslanges Angebot, das man nicht ablehnen kann, wie der italo-amerikanische Kulturpolitiker Don Vito Corleone vielleicht sagen würde.Motivation ist der Schlüssel. Die musischen Fächer müssen heraus aus der Ecke der Wahlfächer, in denen man billig Punkte ergattern kann, und ihre Inhalte müssen in den freiwilligen Angeboten der Ganztagsschule neben dem Sport mindestens gleichrangig vertreten sein. Das wird ein Kraftakt, der auch das gesellschaftliche Umfeld der Schulen fordern wird. Das ist nicht einfach, weil natürlich viele 4Menschen, die etwa in den Vereinen aktiv sind, nachmittags berufstätig sind und für die Unterstützung der Ganztagsschulen nicht zur Verfügung stehen.Hier müssen Wege gefunden werden, die den Lebensbedingungen der Schüler, der Lehrer, der Eltern und der Ehrenamtler gerecht werden. Das kann nicht zentral vorgegeben werden. Hier müssen, um den chinesischen Staatsmann Mao Zedong zu zitieren, „hundert Blumen blühen, hundert Schulen miteinander wetteifern“ – in Schleswig-Holstein sogar mehr als hundert.Ein einzelner Aspekt ist mir noch besonders wichtig: Kulturelle Bildung darf sich nicht darin erschöpfen, den Kanon der eigenen Nation abzuspulen. Im Einwanderungsland Deutschland leistet sie einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis der Kulturen der Menschen mit Migrationshintergrund und damit zum Gelingen der inklusiven Gesellschaft. Kulturelle Bildung ist Voraussetzung für interkulturelle Kompetenz. Als interkulturelle Kompetenz bezeichnet man die Fähigkeit, mit Individuen und Gruppen anderer Kulturen erfolgreich und angemessen zu interagieren, im engeren Sinne die Fähigkeit zum beidseitig zu-friedenstellenden Umgang mit Menschen unterschiedlicher kultureller Orientierung. Doch auch das ist ein weites Feld.Ich freue mich auf ein spannendes Jahr 2014 mit vielen Aktionen: Musikprojekten, Improvisationstheater, Leseevents – vieles ist möglich. Und das Ziel ist klar: Die Freude an der kulturellen, kreativen Betätigung sowohl als Handelnder als auch als Publikum sollten möglichst viele Kinder und Jugendliche erleben!