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20.11.13
15:25 Uhr
FDP

Dr. Ekkehard Klug zu TOP 18 (Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung): Studie über Kontinuitäten zwischen NS-Regime und Nachkriegszeit in Schleswig-Holstein ist ein Beitrag zur historisch-politischen Bildung

FDP-Landtagsfraktion Schleswig-Holstein 1



Presseinformation Es gilt das gesprochene Wort!
Sperrfrist Redebeginn Wolfgang Kubicki, MdL Nr. 500 / 2013 Vorsitzender Christopher Vogt, MdL Stellvertretender Vorsitzender Kiel, Mittwoch, 20. November 2013 Dr. Heiner Garg, MdL Parlamentarischer Geschäftsführer

Landtag / Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung



www.fdp-fraktion-sh.de Dr. Ekkehard Klug: Studie über Kontinuitäten zwischen NS-Regime und Nachkriegszeit in Schleswig-Holstein ist ein Beitrag zur historisch- politischen Bildung In seiner Rede zu TOP 18 (Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität nach 1945) erklärt der Abgeordne- te der FDP-Landtagsfraktion, Dr. Ekkehard Klug:
„Generell ist bereits Vieles über die NS-Vergangenheit schleswig- holsteinischer Regierungsmitglieder und Parlamentarier der Nach- kriegszeit bekannt. Die Begründung des interfraktionellen Antrags weist zum Beispiel darauf hin, dass dem Kabinett Bartram (1950/51) nur ein einziges Kabinettsmitglied angehörte, das nicht in dieser Weise ‚vorbelastet‘ war – der Innenminister Paul Pagel.
Eine systematische wissenschaftliche Aufarbeitung dieses Themas fehlt jedoch bisher – und dieses Manko soll nun durch die Initiative aller Fraktionen abgestellt werden. Das Land Schleswig-Holstein liegt damit gewissermaßen auch im Trend der Zeit – denn ähnliche Studi- en sind in den letzten Jahren außerhalb unseres Landes verstärkt im Bereich von kommunalen Gebietskörperschaften, Ländern, staatli- chen Institutionen sowie auch privaten Unternehmen erstellt worden. Diese Studien haben zum Teil sehr bemerkenswerte neue Erkennt- nisse zutage gefördert, auch wenn sie nach Qualität und wissen- schaftlichem ‚Tiefgang‘ durchaus unterschiedlich zu bewerten sind.
Ich möchte in diesem Zusammenhang eines deutlich machen: Es kann meines Erachtens nicht nur darum gehen, festzustellen, wie viele (und welche) Abgeordnete, Minister und Staatssekretäre früher Mitglieder der NSDAP oder anderer Organisationen der Nazi-Diktatur gewesen sind. Diese Information ist sicher wichtig, aber keineswegs hinreichend für die im Antrag geforderte wissenschaftliche Untersu- chung.
Dr. Klaus Weber, Pressesprecher, v.i.S.d.P., FDP-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Landeshaus, 24171 Kiel, Postfach 7121, Telefon: 0431 / 988 1488, Telefax: 0431 / 988 1497, E-Mail: fdp-pressesprecher@fdp.ltsh.de, Internet: http://www.fdp-fraktion-sh.de 2 Zu einer fundierten Urteilsbildung gehört auch die Frage, was die be- treffenden Personen in der NS-Zeit getan haben, inwiefern ihnen persönlich verwerfliche oder verbrecherische Handlungen nachge- wiesen werden können. Nur wenn dies klar ist, lässt sich meines Er- achtens auch ein gerechtes Urteil über einzelne Personen fällen, ge- rade auch im Hinblick auf jene, die am Aufbau der neuen demokrati- schen Strukturen nach 1945 mitgewirkt haben: Falls sie – jenseits ei- ner Mitgliedschaft in einer NS-Organisation – nicht aktiv in die Ver- brechen des NS-Regimes verstrickt waren, so sind ihre späteren Verdienste im demokratischen Deutschland für ein Gesamturteil si- cher anders zu gewichten als bei jemandem, der ‚nur‘ Mitglied der NSDAP oder einer anderen Organisation des Dritten Reiches war.
Insoweit muss das, was beispielsweise für eine Persönlichkeit wie Günter Grass einzufordern ist, auch für andere gelten – nämlich dass eine jungen Jahren bestehende Mitgliedschaft in der Waffen-SS nicht ausreichen kann, um über jemanden ‚den Stab zu brechen‘ – zumal ja in dem genannten Fall eher das sehr späte öffentliche Einge- ständnis Anlass zu Kritik geben mag – und weniger die Tatsache selbst.
Es gehört zu den dunklen Seiten der deutschen Vergangenheit, dass nur sehr wenige Deutsche zwischen 1933 und 1945 Widerstand ge- leistet haben oder durch Emigration von einer Mitverantwortung für die Taten der NS-Diktatur frei waren. Demgegenüber steht allein die Zahl von rund 7,5 Millionen Mitgliedern der NSDAP vor 1945 – die noch durch weitere ‚Betroffene‘ in anderen Organisationen des NS- Staates zu ergänzen ist.
Dass überdies sogar Personen, die überhaupt keine Mitgliedschaft in einer NS-Organisation hatten, tief in die Verbrechen des sogenann- ten Dritten Reiches verstrickt sein konnten, zeigt das Beispiel des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Hinrich Wilhelm Kopf. Die Göttinger Historikerin Teresa Nentwig hat in eine vor weni- gen Monaten veröffentlichte Arbeit festgestellt, dass der sozialdemo- kratische Politiker nach 1933 als Immobilienhändler in Berlin massiv von der sogenannten ‚Arisierung‘ jüdischen Grundbesitzes profitierte und dann während des 2. Weltkrieges im besetzten Polen als Gene- raltreuhänder der ‚Haupttreuhandstelle Ost‘ tätig gewesen ist – einer Einrichtung, die ‚die ‚Entjudung’ der Wirtschaft und die Vertreibung polnischer Einheimischer‘ zum Ziel hatte.
Erstaunlich ist: Bereits im November 1947 stand der Name von Hin- rich Wilhelm Kopf auf der von den Vereinten Nationen geführten Lis- te der NS-Kriegsverbrecher; 1948 beschuldigte die polnische Regie- rung öffentlich den niedersächsischen Ministerpräsidenten, ‚bei der Ausbeutung und Vernichtung der Bevölkerung mitgewirkt zu haben‘.
Damals wies Kopf all diese Anschuldigungen zurück – und die briti- sche Militärregierung hielt über ihn ihre schützende Hand. So geriet der Fall in Vergessenheit – bis die Studie der Göttinger Historikerin Mitte 2013 den Fall neu aufrollte. Dr. Klaus Weber, Pressesprecher, v.i.S.d.P., FDP-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Landeshaus, 24171 Kiel, Postfach 7121, Telefon: 0431 / 988 1488, Telefax: 0431 / 988 1497, E-Mail: fdp-pressesprecher@fdp.ltsh.de, Internet: http://www.fdp-fraktion-sh.de 3
Dieser Fall mag auch zeigen, dass sich das Thema nicht für eine parteipolitische Instrumentalisierung in der Gegenwart eignet. In Schleswig-Holstein gab es – von einer sehr kurzen Ausnahme abge- sehen – nach 1945 lange Zeit hindurch nur CDU-geführte Regierun- gen. Logischerweise waren Personen ‚mit Vergangenheit‘, die in der Nachkriegszeit nach öffentlichen Ämtern strebten, hierzulande vor al- lem in bürgerlichen Parteien zu finden. In anderen Bundesländern, in denen die SPD in der Nachkriegszeit die Oberhand hatte, gab es aber offensichtlich durchaus ähnliche Entwicklungen.
Das zeigt nicht nur der Fall Kopf aus Niedersachsen. In Hessen sind z.B. in diesem Jahr mehrere frühere Oberbürgermeister (in Rüssels- heim und Kassel) wegen ihrer NS-Vergangenheit in die Kritik gera- ten, und ihnen zuteil gewordene Ehrungen wurden daher in Frage gestellt oder bereits (etwa durch Umbenennung von Einrichtungen) aufgehoben.
Hubert Kleinert, früherer MdB der Grünen und jetzt Professor an der hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung in Gießen, hat im Auftrag des Landkreises Marburg-Biedenkopf eine Studie über die kommunalen Mandatsträger dieses Landkreises vorgelegt. Ergebnis: Etwa ein Drittel der früheren Kreispolitiker wies eine Nazi- Vergangenheit auf, darunter neben einem CDU-Landrat auch ein Landrat, der Mitglied der SPD war. Dessen persönlicher Werdegang ist besonders bemerkenswert: August Eckel wurde nämlich 1933 als SPD-Mitglied in ‚Schutzhaft‘ genommen und als Lehrer aus dem Schuldienst entlassen; im Juli 1940 trat er dann aber der NSDAP bei. Die Schlussfolgerung liegt nahe: Da ist jemand – auf dem Höhepunkt der militärischen Erfolge des Dritten Reiches – wohl aus Gründen persönlicher Opportunität den Weg in die Reihen des NS-Regimes gegangen, wie viele andere auch.“



Dr. Klaus Weber, Pressesprecher, v.i.S.d.P., FDP-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Landeshaus, 24171 Kiel, Postfach 7121, Telefon: 0431 / 988 1488, Telefax: 0431 / 988 1497, E-Mail: fdp-pressesprecher@fdp.ltsh.de, Internet: http://www.fdp-fraktion-sh.de