Tobias von Pein zu TOP 40: Demokratie muss jeden Tag neu gelebt und erkämpft werden
Es gilt das gesprochene Wort! Kiel, 23. August 2013TOP 40, Verfassungsschutzbericht 2012 (Drucksache 18/770)Tobias von Pein:Demokratie muss jeden Tag neu gelebt und erkämpft werdenIm vergangenen Jahr wurde uns durch die Aufdeckung der grausamen Morde des rechtsextremistischen NSU vor Augen geführt, was die Ideologie der Neonazis für Gewaltpotential bereithält. Natürlich überschattet ein solches Ereignis die subjektive Wahrnehmung von rechtsextremen Aktivitäten in Deutschland und natürlich sind die Aktivitäten in Schleswig Holstein nicht von annäherndem Ausmaß. Dennoch mahnen uns die Hintergründe der Aufdeckung oder auch Nicht-Aufdeckung der Morde, wachsam zu sein und rechtextremistische Umtriebe in Schleswig Holstein im Auge zu behalten.Doch die Umstände mahnen uns auch, die Tätigkeiten und Vorgehensweisen unserer Geheimdienste im Blick zu behalten. Die Auswertung des Abschlussberichts des Bundestags- NSU-Untersuchungsausschusses (der gestern vorgestellt wurde) muss daher auf allen politischen Ebenen stattfinden. Und es besteht Handlungsbedarf. Ich darf aus dem Abschlussbericht zitieren „Die Analyse der Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern zur rechtsterroristischen Gefahr war falsch und grob verharmlosend.“ Auch wenn dies nach aktueller Erkenntnis vor allem andere Länder betrifft, sollten Kritik an Systematiken und Empfehlungen zur Weiterentwicklung (z.B. zur interkulturellen Kompetenz bei Verfassungsschutzämtern und -abteilungen) auch bei uns geprüft werden. Auch eine stärkere parlamentarische Kontrolle sollte dabei geprüft werden. 2Doch nun zu dem vorgelegten Bericht. Die NPD bleibt weiter ein zentraler Organisationspunkt der rechten Szene. Es gibt zwar eine abnehmende Kooperation zwischen NPD und freien Kräften. Das verringert das Mobilisierungspotential der Partei, macht sie aber nicht weniger gefährlich. Denn sie ist noch nicht am Ende, wie die Teilnahme von NPD-Kandidaten und Scheinlisten bei der Kommunalwahl gezeigt hat.Das Gute ist: Wenn das neu aufgelegte Verbotsverfahren erfolgreich ist (was wir alle nur hoffen können), wird dem organisierten Rechtsextremismus im scheinbar „gut-bürgerlichen“ Gewand endlich der Geldhahn zugedreht! Diese widerliche Partei gehört verboten!Insgesamt gibt es einen Strukturwandel in der rechtextremen Szene Schleswig Holsteins. Dieser Strukturwandel der Rechten ist ein hohes Risiko. Ein Großteil der Rechtsextremisten in Schleswig-Holstein organisiert sich in losen, „konspirativen Aktionsgruppen“, das macht eine Einschätzung ihrer tatsächlichen Gefahr schwierig. Die Kommunikation der Neonazis verlagert sich dabei immer mehr in digitale Netzwerke. Dies macht es nicht nur schwerer, das Gefahrenpotential, was von ihr ausgeht, tatsächlich zu erfassen, sondern senkt auch – gerade bei jungen Leuten – die Hemmschwelle, in die rechte Szene abzurutschen.Ein Beispiel für eine ganz neue Entwicklung ist die sogenannte „Identitäre Bewegung“. Sie ruft zur „Wahrung der europäischen und deutschen Identität“ auf. Sie sagen, sie seien keine Rassisten, aber jedes Volk solle in seinem eigenen Land bleiben. Das ist nichts anderes als völkischer Nationalismus im neuen Gewand! Auch diese Entwicklungen gilt es weiter im Auge zu behalten.Versammeln sich Rechtextremisten im öffentlichen Raum, stand ihnen auch im vergangenen Jahr immer eine bunte, laute Zivilgesellschaft entgegen, die gezeigt hat, dass Schleswig Holstein keinen Platz für menschenverachtendes Gedankengut hat. Sei es auf Kundgebungen in Neumünster oder auf den Stationen der so genannten „Deutschlandtour“ der NPD. An dieser Stelle vielen Dank an alle, die lautstark mitdemonstrieren und sich in Bündnissen vor Ort engagieren! Denn gerade vor Ort ist die Thematisierung rechtsextremer Aktivitäten und ihre Aufklärung durch Zivilgesellschaft und Kommunalpolitik wichtig für die Bewahrung und Stärkung der demokratischen Kultur 3Mit dem Landesprogramm gegen Rechts werden wir daher neue Beratungsstellen schaffen. Ich bin zuversichtlich, dass diese Beratungsstellen Akteuren vor Ort die Aufklärung rechtsextremer Umtriebe erleichtern werden und den Weg für ein weltoffenes, respektvolles Schleswig-Holstein bereiten.Aber auch anderen „demokratiefeindlichen“ Bewegungen muss entgegen getreten werden, das zeigt der Bericht. Die gewalttätigen und illegalen Aktionsformen einiger Gruppierungen sind auf das schärfste zu verurteilen. Diesen Leuten muss aber eigentlich klar sein: Rassismus, Antisemitismus, Islamophobie und andere Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit müssen friedlich und mit breiter Unterstützung bekämpft werden!Im Bereich des religiösen Fanatismus ist einerseits eine wirkungsvolle Integrationspolitik und Anerkennungskultur notwendig, welche solchem Gedankengut den Nährboden der Unzufriedenheit entzieht. Zum anderen bleibt es Aufgabe der Sicherheitsbehörden, im Rahmen ihrer Aufgaben und Befugnisse mögliche Aktivitäten frühzeitig aufzudecken.Allgemein gibt uns der Bericht wichtige Hinweise auf demokratiefeindliche Entwicklungen. Leider bleibt die Kritik an der Nutzung des Extremismusbegriffs, die die Welt zum „Hufeisen“ macht. Inzwischen sollte bekannt sein, dass der Begriff wissenschaftlich hoch umstritten ist.Die Rede von „extremistischen Rändern“ der Gesellschaft verdrängt, dass es eigentlich ganz unterschiedliche Nährböden sind, auf denen das Gefährdungspotenzial entsteht. Phänomene wie Rassismus oder Antisemitismus entstehen in der „Mitte“ der Gesellschaft oder treffen hier auf leichte Zustimmung, wie die Reaktionen von manchen Anwohnern in Berlin-Hellersdorf aktuell zeigen. (Dort machen rechte Gruppierungen gegen eine Flüchtlingsunterkunft mobil und finden in Teilen auch Unterstützung von Anwohnern, also direkt aus der Mitte der Gesellschaft.)Herr Minister, ich danke Ihnen für den Bericht. Er gibt uns wichtige Hinweise und führt uns vor Augen, wie wichtig staatliches Handeln in diesem Bereich ist. Am Ende bedeutet nur eine von den Menschen getragene und gelebte Demokratie ihren Schutz, die Beobachtung ihrer Feinde ist wichtig, aber nicht alles. Deshalb appelliere ich an alle: Lassen Sie uns aktiv für Demokratie werben! Denn sie ist nichts Selbstverständliches. Demokratie muss jeden Tag neu gelebt, erkämpft und erstritten werden.