Birte Pauls zu TOP 33: Pflege durch Selbstverwaltung stärken
Es gilt das gesprochene Wort! Kiel, 18. Juni 2013TOP 33, Sachstandsbericht zur Errichtung einer Pflegekammer (Drucksache 18/921)Birte Pauls:Pflege durch Selbstverwaltung stärkenIch würde gerne mit einem Zitat starten: „Wir, die wir als selbständige und selbstverantwortliche Menschen dem Leben gegenüberstehen, sind selbst schuldig, wenn wir nicht die rechtlichen Wege suchen und bahnen helfen, um fähig für unsere Lebensaufgabe zu werden. Wer soll denn unseren Beruf aufbauen, wenn wir es nicht selbst tun.“ Dieser zukunftsorientierte Satz stammt nicht etwa von einer der vielen Veranstaltungen und Tagungen, die zurzeit zum Thema Pflegekammer deutschlandweit stattfinden. Nein, er stammt von der klugen Krankenschwester Agnes Karll, die Wegbereiterin für den Deutschen Berufsverband für Krankenpflege, und zwar aus dem Jahre 1903.Seitdem also fordert die Pflege bereits ihre Selbstverwaltung. Was hat sich bislang getan: England, Frankreich, Irland, Island, Italien, Malta, Polen, Slowakei, Spanien, Ungarn, Belgien, Portugal, Zypern, Norwegen, Schweden, Dänemark, Finnland, Slowenien, Neuseeland, Australien, Kanada, USA, Taiwan und Südafrika – sie alle haben eine Pflegekammer. Sie alle haben deutlich weniger Berufsaussteiger. In all den Ländern genießt die Pflege eine wesentlich höhere gesellschaftliche Anerkennung. Und viele dieser Länder sind beliebte Ziele für frustrierte deutsche Pflegekräfte. Pflegekräfte, die wir hier aber dringend brauchen.Wir sind europäischer Spitzenreiter in Sachen Berufsausstieg. Platz 14 im Gesundheitssektor in Europa. Dafür sollten wir uns schämen. Und was machen wir dagegen? Wir machen einfach weiter so und versuchen, mit unterbezahlten Hilfskräften, Minijobbern, Kollegen aus anderen Ländern ohne ausreichende Sprachkompetenz und mit einer immer wieder formulierten Forderung nach einer Herabsetzung der Fachkraftquote die Lücken zu schließen. Frei nach 2Merkels Richtung: Rücken waschen kann doch jeder. Mit kläglichen halbherzigen Argumenten wird weiterhin versucht, die die Pflege als Hilfsberuf zu dequalifizieren.Wir haben zurzeit keine kontinuierliche Einbindung pflegerischer Fachkompetenz in gesundheitspolitische Entscheidungsprozesse. Wann und wo Pflege eingebunden ist, das ist eher dem Zufall überlassen. Wir haben zurzeit keine inhaltliche einheitliche Interessenvertretung. Stattdessen ist die Pflege einer von Misstrauen geprägten Kontrollmentalität ausgesetzt. Andere Berufsgruppen diktieren der Pflege, was sie zu tun und zu lassen hat, oft genug leider alles wirtschaftlich bergründet.Und dann wundern wir uns, dass die Kolleginnen und Kollegen das Land verlassen, um in anderen Ländern so zu arbeiten, wie die fachlichen Richtlinien und ihr Berufsverständnis es vorsehen. Wir haben mit ver.di eine gute Interessenvertretung in Sachen Tarifverhandlungen. Diesen starken Partner braucht die Pflege.Aber was die Pflege unbedingt zusätzlich braucht, ist eine selbstverständliche und frühe Einbindung in gesetzgeberische Verfahren. Das können, sollten und dürfen wir angesichts der massiven Herausforderungen, die der demographische Wandel mit sich bringt, nicht länger dem Zufall und erst Recht nicht berufsfremden Gruppierungen überlassen.Wir haben ca. 1,2 Millionen Pflegende in Deutschland. Genau können wir es nicht wissen, weil sie nicht registriert sind. Was wir aber wissen, ist, dass der Fachkräftebedarf in der Pflege angesichts der demographischen Entwicklung rasant steigt. Das allein ist schon Grund genug für die Einrichtung einer Pflegekammer, um auf die Personalentwicklung entsprechend reagieren zu können.Was wir auch wissen, ist, dass die Pflege die größte Gruppe im Gesundheitssektor ist. Und anstatt der Pflege den Weg zu bereiten, sie mit allen Mitteln zu stärken, damit wir uns auch morgen auf eine professionelle Pflege verlassen können, wirft man der Pflege erneut Steine in den Weg. Die Pflichtmitgliedschaft wird als Schreckgespenst an die Wand gemalt und so Stimmung gegen die Kammer gemacht. Die privaten Anbieter scheuen keine Kosten und Mühen, gegen die Interessen ihrer abhängig Beschäftigten zu agieren. Andere Player im Gesundheitswesen haben Befürchtungen, dass diese große und gewichtige Gruppe sich organisiert. Es geht um Machtverlust und es geht um Geld. Aber all das ist sehr kurzsichtig und egoistisch gedacht.Eine qualitativ hochwertige professionelle Pflege ist für die Versorgung von hilfebedürftigen und kranken Menschen von zentraler gesellschaftlicher Bedeutung. Und genau deshalb müssen wir 3die Pflege stark machen! Und wir stärken die Pflege, indem wir ihr endlich die Selbstverwaltung und damit die Organisation ihrer Professionalität zugestehen, damit sie Qualität und auch die damit verbundene Arbeitszufriedenheit bei den Kolleginnen und Kollegen stärken kann. Das ist das oberste Ziel einer Pflegekammer.Und bitte wer, wenn nicht die Pflegenden selber, sind wohl am besten in der Lage, ihre eigenen Belange und fachlichen Ansprüche zu organisieren! Wir alle – Gesellschaft, Träger, Politik, Gewerkschaft – haben die Pflege viel zu lange allein gelassen, vertröstet, nicht die nötigen Schritte eingeleitet. Verständlich, dass sie jetzt ihre Belange und Forderungen in die eigene Hand nehmen will.Als wir im Dezember 2012 mit den Stimmen von SPD, Grünen und SSW die Landesregierung aufgefordert haben, die rechtlichen Grundlagen zur Einrichtung einer Pflegekammer zu schaffen, wurde das von Seiten des deutschen Pflegerates, in dem 15 Berufsverbände organisiert sind, als „historischer Durchbruch“ bezeichnet. Ich kann verstehen, dass es noch Fragen zur Pflegekammer gibt. Deshalb ist es nur richtig, die Pflegenden ausreichend zu informieren und sie selbstverständlich zu befragen.Die SPD begrüßt das Engagement der Sozialministerin in dieser Sache ausdrücklich. In Niedersachsen, Bayern, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt sind die Umfragen ja mit positivem Erfolg abgeschlossen. Ich erwarte für Schleswig-Holstein kein anderes Ergebnis.Aber wer jetzt noch versucht, die Pflege künstlich klein zu halten, der hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Wer, wenn nicht die Pflegefachkräfte selber, ist am besten in der Lage, seinen Beruf zu definieren, so wie es Agnes Karll bereits 1903 gefordert hat.