Burkhard Peters zum Landesprogramm zur Demokratieförderung und Rechtsextremismusbekämpfung
Presseinformation Landtagsfraktion Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort Claudia Jacob Landeshaus TOP 21 – Landesprogramm zur Demokratieförderung Düsternbrooker Weg 70 und Rechtsextremismusbekämpfung 24105 Kiel Telefon: 0431 / 988 - 1503 Dazu sagt der innenpolitische Sprecher Fax: 0431 / 988 - 1501 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Mobil: 0172 / 541 83 53 Burkhard Peters: presse@gruene.ltsh.de www.sh.gruene-fraktion.de Nr. 021.13 / 24.01.2013 Stärkung der Strukturen vor Ort Als ich geboren wurde war es nicht mal acht Jahre her, dass Deutschland von den Nazis durch die Alliierten befreit worden war. Eine durchgreifende innere Befreiung von autoritären, rassistischen und antisemitischen Denkstrukturen gelang in der frü- hen Bundesrepublik aber nicht, und zu viele alte Nazis fanden nach unzulänglicher Überprüfung beim Wiederaufbau des Landes Verwendung. In Schleswig-Holstein bildete ab 1950 Ministerpräsident Bartram eine Landesregie- rung, in der von acht Kabinettsmitgliedern sieben Männer NSDAP-Mitglieder gewe- sen waren, teilweise schwer belastete Funktionäre des NS-Regimes. Als ich zur Schule ging, war mein Mathematiklehrer ein Mann, der während der Nazi- zeit auf der NaPoLa (Nationalpolitische Erziehungsanstalt in Plön) gelehrt hatte. Zwischen 1964 und 1970 zog die NPD in insgesamt sieben Landesparlamente der Bundesrepublik ein, auch in Schleswig-Holstein. In den folgenden Jahren hatte ich die Illusion, im Zuge der Überwindung des bun- desrepublikanischen Nachkriegsmuffs würde sich das Problem des Rechtsextremis- mus‘ in Deutschland durch das Aussterben der von den Nazis geistig geprägten Ge- neration von selbst lösen. Ein schwerer Irrtum: 1992 ermordeten in Mölln zwei junge Rechtsextremisten meine langjährige Mandantin Bahide Arslan und zwei Kinder ihrer Familie. Die Täter fühlten sich legitimiert, mit Brandanschlägen ein ethnisch homogenes Deutschland herbeizu- führen. Andere hatten dafür den Weg bereitet. So z.B. Edmund Stoiber, der im Rahmen der Asyldebatte von der Gefahr einer „durchrassten Gesellschaft“ sprach. In den Jahren 2000 bis 2007 richtete die NSU ungehindert neun ausländische Mit- bürger und eine Polizistin aus rechtsextremistischen und rassistischen Motiven hin. Seite 1 von 3 Sie hatten sich auch in Kiel weitere Ziele ausgesucht.2010 und 2011 warb ein weit über den Kreis Plön bekannter Freizeitpark damit, blonde und blauäugige Kinder bekämen freien Eintritt spendiert. Vor kurzem wurde bekannt, dass auch die NSU-Mitglieder bei ihren Ferienaufenthalten in Schleswig- Holstein in diesem Freizeitpark ausdrücklich willkommen gewesen waren.2012 beschmierten Neonazis in Ratzeburg das Rathaus und eine Kirche mit Hasspa- rolen und Mordaufrufen gegen die Pröpstin Frauke Eiben, gegen Bürgermeister Voss, gegen einen Kreistagsabgeordneten der Linken und gegen Mark Sauer, den langjährigen Aktivisten gegen Neonazis im Kreis Herzogtum Lauenburg.Ebenfalls 2012 versuchte ein von NPD-Leuten aufgestachelter Mob in die Wohnung eines verurteilten Sexualstraftäters in Leck einzudringen.Warum geht dieser zähe braune Bodensatz in Schleswig-Holstein und anderswo nicht weg? Warum zählt der Verfassungsschutzbericht 2011 in Schleswig-Holstein nach wie vor 1.170 Neonazis, davon 590 gewaltbereit?Noch alarmierender sind die Ergebnisse der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem letzten Jahr. Danach weisen neun Prozent der repräsentativ ausgesuchten Be- fragten ein „geschlossenes rechtsextremes Weltbild“ auf. Besonders schlimm: die Bereitschaft, autoritäre, ausländerfeindliche und antisemitische Denkmuster zu über- nehmen, verlagert sich zunehmend in die Gruppe der 14- bis 30-Jährigen.Was bringt diese Menschen dazu, Sympathie mit den Verbrechen der Nazis und ih- rer faschistischen Herrschaftsform zu haben? Wie sähen die Umfrageergebnisse aus, wenn die Bundesrepublik nicht zu den Gewinnern der Wirtschaftskrise in Euro- pa gehören würde, sondern mit ähnlicher Wucht von der Krise getroffen würde, wie Griechenland oder Spanien?Machen wir uns nichts vor. Wir leben seit langem in einer Schönwetterdemokratie, der eine tiefgreifende Wirtschaftskrise bislang erspart geblieben ist.Der Zusammenhang zwischen Abstiegsängsten und sozialer Frustration einerseits und der Entwicklung rechtsradikaler Denkstrukturen auf der anderen Seite, die sich Sündenböcke bei Vertretern von Minderheiten sucht und ihre Hoffnung auf den auto- ritären Staat setzt, ist offenkundig. Eine gelungene Wirtschaftspolitik und eine auf Ausgleich und Teilhabe setzende Steuer- und Sozialpolitik sind deshalb Bausteine für eine erfolgreiche Politik gegen das Erstarken rechtsradikaler und neonazistischer Strukturen.Damit allein ist es aber nicht getan. Wir müssen erkennen, dass der Kampf gegen die Neonazis vor allem eine von demokratisch gesinnten Bürgerinnen und Bürgern vor Ort getragene Aufgabe ist. Diese ehrenamtliche Arbeit verdient die gebührende materielle und ideelle Unterstützung durch die Landespolitik.Lange sind die vorhandenen Netzwerke in Schleswig-Holstein zu wenig unterstützt worden. Das jetzt endlich beginnende Landesprogramm mit seiner Ausstattung von 320.000 Euro ist dringend notwendig. Es kann aber nur erfolgreich sein, wenn es die bestehenden bürgerschaftlichen Initiativen stärkt und vor allem bei der Ausarbeitung des Programms die dort vorhandenen Kenntnisse und Erfahrungen einbezieht. 2 Bei der Auftaktveranstaltung des Landesprogramms am 17. Januar fand Landtags- präsident Klaus Schlie sehr motivierende und starke Worte der Unterstützung.Ich hoffe deshalb auf Unterstützung des vorliegenden Antrags durch alle Fraktionen des Hauses und freue mich auf die Beratung dazu im Ausschuss. *** 3