Dr. Kai Dolgner zu TOP 38: Ein wichtiger Schritt zum Erhalt der gentechnikfreien Landwirtschaft
Es gilt das gesprochene Wort! Kiel, 24. August 2012TOP 38 Beitritt Schleswig-Holsteins zum Europäischen Netzwerk gentechnikfreier Regionen (Drucksache 18/70)Dr. Kai Dolgner:Ein wichtiger Schritt zum Erhalt der gentechnikfreien LandwirtschaftSchleswig-Holstein war 2003 Gründungsmitglied des Netzwerks gentechnikfreier Regionen. Leider hat der damalige Umweltminister Dr. von Boetticher schon 2005 den Austritt erklärt. Deshalb begrüßen wir umso mehr den Wiedereintritt, wie ihn die Koalition aus SPD, Grünen und SSW vereinbart hat.Der Begriff gentechnikfrei ist allerdings ein wenig irreführend, es geht hier ausschließlich um den Verzicht auf Gentechnik bei landwirtschaftlichen Produkten, die sogenannte grünen Gentechnik. Allerdings finde ich diesen Begriff auch missverständlich; an der grünen Gentechnik ist nichts „grün-ökologisches“, die Bezeichnung Agro-Gentechnik trifft es besser.Das Hauptargument der Agro-Gentechnik-Lobby, man wolle den Welthunger bekämpfen, ist doch sehr zweifelhaft angesichts der tatsächlichen Probleme der kleinbäuerlichen Landwirtschaft in den Entwicklungsländern: Zugang zu Wasser, fruchtbarer Boden, Saatgut, Kapital für landwirtschaftliche Geräte, Bildung und, immer wichtiger, Schutz vor Verdrängung durch weltweite Investorengruppen. (Landverpachtung für landwirtschaftliche Exportprodukte an ausländische Großinvestoren in Äthiopien wäre zum Beispiel ein Thema für sich.) Durch Lösung dieser Probleme ließen sich die Erträge der Kleinbauern in Afrika vervielfachen, ohne in die Abhängigkeit internationaler Saatgutfirmen zu geraten. Schließlich würden sie die Segnungen der Gentechnik nicht gerade von denjenigen umsonst bekommen, die sonst jede tatsächliche oder scheinbare Lizenzverletzung gnadenlos verfolgen und auch vor Biopiraterie nicht zurückschrecken. Und selbst vermehren dürfen die Kleinbauern das Saatgut erst recht nicht. 2Weltweit werden auch jetzt schon genügend pflanzliche Kalorien produziert, aber der steigende Fleischhunger, Biokraftstoffe, Verluste bei Verarbeitung, Transport und Vertrieb machen dieses wieder zunichte. Spekulationen auf Agrarprodukte, Landflächen, Kraftstoffe und mangelnde Verteilungsgerechtigkeit tun ein Übriges. Die Welternährung ist halt keine einfache Überschussrechnung und es hungern übrigens auch Menschen in Agrarexportnationen. Nur weil die eine Großfarm Viehfutter für den Export produziert, werden die benachbarten Kleinbauern noch lange nicht satt.Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob Sie Gentechnik in geschlossenen Einrichtungen z. B. zur Produktion von Insulin oder in der freien Landschaft einsetzen. Eine Ausbreitung mit möglichen unerwünschten Nebeneffekten können Sie mit keiner Abstandsregel ausschließen. Deshalb ist die Forderung nach „Koexistenz“ eine Illusion. Sie werden über den Pollenflug irgendwann auch im unveränderten Mais die genetisch veränderten Sequenzen finden, es ist nur eine Frage der Zeit.Unabhängig davon, wie hoch Sie die Risiken gentechnisch veränderter Produkte einschätzen: Eine übergroße Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger möchte keine gentechnisch veränderten Lebensmittel auf ihren Tellern. Das wissen die Lebensmittelproduzenten auch ganz genau, sonst würden die Kennzeichnungspflichten ja auch nicht so massiv bekämpft werden. Wenn es nämlich kein Problem darstellen würde und die Bevölkerung Gentechnik akzeptieren, ja gar begrüßen würde, ließe sich sonst doch damit trefflich Werbung machen: „Die Supertomate, gentechnisch für Ihren Geschmack optimiert!“Unsere Landwirtschaft muss auch weiterhin die Möglichkeit haben, die Produkte anzubieten, die die Verbraucher wünschen, und das sind agro-gentechnikfreie Produkte, wie hier alle sehr genau wissen. Das lässt sich aber nur durch die Bildung möglichst großer zusammenhängender agro- gentechnikfreier Regionen erreichen. Natürlich ist uns bewusst, dass der Beitritt zum Netzwerk alleine dieses nicht sicherstellt. Er ist aber wichtig für den gemeinsamen Kampf der europäischen Regionen für die Agro-Gentechnikfreiheit unserer Landwirtschaft.