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13.06.12
14:30 Uhr
B 90/Grüne

Eka von Kalben zur Regierungserklärung

Presseinformation

Landtagsfraktion Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort! Claudia Jacob Landeshaus TOP 4 – Zur Regierungserklärung Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Telefon: 0431 / 988 - 1503 Dazu sagt die Vorsitzende Fax: 0431 / 988 - 1501 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Mobil: 0172 / 541 83 53
Eka von Kalben: presse@gruene.ltsh.de www.sh.gruene-fraktion.de
Nr. 305.12 / 13.06.2012


Mut zu mehr Bürgerbeteiligung und Demokratie
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Ministerpräsident Albig!
Als erprobte Chorsängerin kenne ich eine Regel, die vor jedem wichtigen Auftritt gilt: „Anfang und Ende müssen sitzen. Dazwischen hören die Leute sowieso nicht so genau hin.“ Mit Blick auf den gestrigen Tag lässt sich sagen: Der Anfang saß.
Und mit der heutigen Regierungserklärung haben Sie ebenfalls einen guten Anfang gemacht, Herr Ministerpräsident.
Aber eines ist auch völlig klar: Bei dem, was wir uns gemeinsam vorgenommen haben für diese Wahlperiode, da kommt es auch auf das Dazwischen an. Da brauchen wir je- den einzelnen Tag, um unser ehrgeiziges Programm auszufüllen.
Sie sind der zweite Ministerpräsident dieses Landes, der mit den Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen in das Amt gewählt wurde. Wir haben Ihnen unsere Stimmen gerne ge- geben.
Wir vertrauen darauf, dass wir zusammen handeln werden, wie wir verhandelt haben. In Fairness und Teamgeist, mit Konzentration auf das Gemeinsame, bei Achtung unserer Unterschiede.
Herr Ministerpräsident, Sie wissen: Wir als Grüne sind manchmal struppig, meistens hartnäckig und immer diskussionsfreudig. Aber offensichtlich hat unser Hang zum Detail der Opposition noch nicht gereicht!

Seite 1 von 8 Aber ich sichere Ihnen an dieser Stelle zu: Die Grüne Fraktion wird sich mit vereinter Kraft reinhängen, sie wird ihre ganze politische Leidenschaft einbringen, um diese bis- lang einmalige Koalition in der Landesgeschichte zum Erfolg zu führen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Regierungsbündnis knüpft nicht an das Jahr 2005 an. Es bezieht sich auf das Jahr 2012. Und es blickt über das Jahr 2017 hinaus.
Diese Koalition ist ganz offensichtlich anders. Wir sind jetzt zu dritt. Und ich kann nach den Koalitionsverhandlungen feststellen: Das ist auch gut so. Gerade dort, wo SPD und Grüne von unterschiedlichen Ausgangspositionen kamen, hat der SSW manche Brücke gebaut.
Ich hab bekanntlich nicht jedes Brückenprojekt gleich lieb. Aber über die Brücken, die Anke Spoorendonk und Lars Harms bauen, gehe ich meistens gerne.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und SSW, ich freue mich sehr auf die Zu- sammenarbeit mit Ihnen.

Noch wichtiger als die veränderte Farbenlehre aber ist: Die Zeiten haben sich geändert. Die fortgeschrittene Digitalisierung unseres beruflichen und sozialen Alltags, der Klima- wandel und der demografische Wandel, die europäische Schulden- und Finanzkrise - wäre ich Pessimistin, so würde ich sagen: Wir sind von den Versäumnissen der Ver- gangenheit getrieben. Da ich aber Optimistin bin, sage ich: Wir werden von den Heraus- forderungen der Zukunft gezogen.
Die Handlungsfähigkeit von Politik ist enorm gefordert, selten waren politische Heraus- forderungen so dringend, selten waren die BürgerInnen so ungeduldig.
Und immer mehr Menschen haben die Geduld mit uns verloren. Wären die Nichtwäh- lenden an der Sitzverteilung in diesem Haus beteiligt, so wäre ihre Fraktion stärker als CDU und SPD gemeinsam.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das macht die Erkenntnis unausweichlich: Wir alle müssen die Koalition mit dieser Partei der Nichtwählenden suchen. Wir müssen sie für das Bündnis der DemokratInnen in Schleswig-Holstein zurückgewinnen.

Ein wichtiger Schritt dafür ist, dass die politische Kultur in diesem Land wieder Lust auf Einmischen macht.
Es gibt so viele Menschen in Schleswig-Holstein, die täglich mindestens einmal denken: Was für ein Glück, in diesem wunderschönen Land leben, ein Stück Heimat mit Weit- blick.
Die Schleswig-HolsteinerInnen lieben ihr Zuhause. Es liegt an uns, ob wir ein Klima schaffen, in dem man sich als BürgerIn auch politisch wieder gerne für dieses Land zu- ständig fühlt, sich engagiert und seine Rechte wahrnimmt, statt den landespolitischen Teil in der Tageszeitung mit Schaudern zu überblättern.


2 Die neue Landesregierung stützt sich auf eine Stimme Mehrheit im Landtag. Auch die Vorgängerregierung aus CDU und FDP hatte eine Stimme Mehrheit.
Das zeigt uns: Schleswig-Holstein ist ein knappes Land, in dem alles nah beieinander liegt auch die Mehrheiten. Hier liegt eine wichtige Ursache dafür, dass der Kampf um die Macht bei uns so unerbittlich ist. Und das hat die politische Kultur in diesem Land immer wieder verwüstet.
Ja, es stimmt: Wir, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und SSW wollen eine andere Politik machen. Aber es stimmt auch: Politik anders machen, das können nur Regierung und Opposition gemeinsam.
Dass wir ein knappes Land sind, muss nicht dauerhaft dazu führen, dass aus Konkur- renten Feinde werden. Es kann auch das Gegenteil bewirken.
Wer in Schleswig-Holstein die Regierung stellt, der weiß aus Erfahrung: Macht in der Demokratie ist geliehene Macht auf Zeit. Das lehrt ein Stück Demut, wenn man die Re- gierungsverantwortung trägt.
Und wer die Opposition stellt, der weiß aus Erfahrung: Er muss bei jeder Wahl darauf vorbereitet sein, die Regierungsgeschäfte übernehmen zu können. Das verbietet die Flucht ins politisch Ungefähre. Das erfordert eine sachliche Oppositionsarbeit, die sich auf die Gefahr vorbereitet, wieder regieren zu müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ich damit meine, ist: Dass wir ein knappes Land sind heißt auch, dass wir eine gemeinsame Verantwortung für dieses Land haben, die über einzelne Wahlperioden hinausgeht.
Und deshalb sage ich: Lassen Sie es uns erstmals als Chance statt Bürde für die politi- sche Kultur begreifen. Begreifen wir es als Auftrag zu gemeinsamer Verantwortung und konstruktiver Zusammenarbeit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Haltung, die wir dafür brauchen, die hat niemand Geringeres beschrieben als Bis- marck - zugegebener Maßen kein Politiker, auf den ich mich regelmäßig beziehe.
Ich zitiere: „Verfallen wir nicht in den Fehler, bei jedem Andersmeinenden entweder an seinem Verstand oder an seinem guten Willen zu zweifeln.“
Das Andersmeinen gehört zur Demokratie dazu. Wir wollen keine Friedhofsruhe im Par- lament. Demokratie braucht das Wechselspiel von Konsens, Kompromiss und Konflikt.
Aber wenn wir uns gegenseitig den Verstand und den guten Willen absprechen, können wir es den 40 Prozent Nichtwählern kaum verübeln, wenn sie es ebenso tun.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun wäre es zweifellos zu kurz gesprungen, wenn wir die politische Kultur auf die Frage verkürzen würden, ob wir uns im Landtag gut vertragen. Eine neue politische Kultur, das bedeutet vor allem auch: Mehr Mut zu Bürgerbeteili- gung und Demokratie.

3 Dass wir es als Bündnis damit ernst meinen, das haben wir im Koalitionsvertrag sehr klar festgehalten. Wir wollen die Möglichkeiten für Bürgerbegehren in der Gemeindeordnung deutlich verbessern und die Hürden für Volksinitiativen auf Landesebene absenken.

Aber diese Maßnahmen sind noch nicht genug. Schleswig-Holstein kann sich hier von seinem skandinavischen Nachbarn inspirieren lassen.
Wer zum Beispiel gerne schwedische Krimis liest, der weiß, dass eine Journalistin in Schweden ohne weiteres in ein Ministerium gehen kann, um sich Kopien von der dienstlichen Korrespondenz des Ministers aushändigen zu lassen. Das nennt sich dann Öffentlichkeitsgrundsatz, ist ein in der Verfassung verbrieftes Recht und wird von unse- rem skandinavischen Nachbarn als Kernbestandteil von gelebter Demokratie betrachtet.
Verwaltungsvorgänge sind dem Grundsatz nach öffentlich, weil der Staat eine res publi- ca, eine öffentliche Sache ist. Nicht die Öffentlichkeit bedarf der Begründung. Die Ge- heimhaltung bedarf der Begründung.
Diese Überzeugung finde ich so einfach wie einleuchtend. Und das ist die Grundphilo- sophie, die auch uns in den nächsten Jahren leiten sollte. Wir brauchen eine Grundhal- tung einer Politik, die aus der Mitte der Gesellschaft heraus regiert.

Ein gutes, vielleicht das beste Beispiel dafür ist die Schulpolitik. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wir als Grüne haben da unsere Lehren aus der Erfahrung in Hamburg gezogen.
Was dort versucht wurde, war zweifellos eine Schulpolitik mit Sachverstand und gutem Willen. Aber es war eine Schulpolitik mit der falschen Perspektive – von oben.
Wir haben daraus gelernt. Die Vorgängerregierung in Schleswig-Holstein leider nicht. Meine Kollegin Erdmann hat Ihnen die Idee einer breit angelegten Bildungskonferenz hinterher getragen – mit der liebevollen Geduld einer guten Pädagogin.
Die Grünen haben Ihnen wieder und wieder erklärt: Schulentwicklung im 21. Jahrhun- dert funktioniert nur, wenn man Betroffene zu Beteiligten macht.
Sie wollten das nicht hören. Wir werden das, was Sie versäumt haben, jetzt nachholen. Wir setzen darauf, dass wir in einer „Bildungskonferenz Schule“ mit breiter Beteiligung zu einem Schulkonsens für ein Jahrzehnt kommen.
Selbstverständlich ersetzt eine Bildungskonferenz keine eigene Position. Die Koalition steht für die Stärkung des gemeinsamen Lernens im Rahmen eines Zweiwegekonzepts, mit Gemeinschaftsschulen und Gymnasien, die beide zum Abitur führen.
Wir haben klare Vorstellungen von einer modernen und gerechten Schulentwicklung. Wir gehen mit offenen Ohren in diese Bildungskonferenz.
Die Menschen haben ein feines Gespür dafür entwickelt, ob ein Beteiligungsangebot eine Alibi-Veranstaltung ist, oder ob sie wirklich etwas zu entscheiden haben. Wir wollen raus aus den Schützengräben in denen in den letzten Wochen vor der Wahl noch einmal einige ihr zu Hause gefunden hatten. Der Kongress ist keine Farce, son- dern überfällig.
4 In der Bildungspolitik haben wir es immer mit vielen Statistiken zu tun. Aber für mich gibt es eine Zahl, die eindringlicher ist als jede andere. Sie stammt aus einer Kinderar- mutsstudie von 2009. Danach glauben fast 90 Prozent aller Kinder aus sozial benach- teiligten Verhältnissen im Alter zwischen 6 und 13 Jahren, dass ihr Leben einmal richtig schön wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, welche andere Aufgabe haben wir, als diesem Ver- trauen gerecht zu werden?
Welche andere Aufgabe haben wir, als für jedes dieser Kinder das zentrale Verspre- chen unserer Gesellschaft einzulösen?
Ich will in einem Schleswig-Holstein leben, in dem sich kein Kind bei der Verteilung von Bildungschancen mehr hinten anstellen muss. Das ist die Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Einwanderungsland. Das ist eine fundamentale Aufgabe für unsere De- mokratie.

Und das gilt nicht nur für die Schulpolitik. Auch die Energiewende als ökonomische Schlüsselaufgabe und das Klimaschutzgesetz als ökologische Schlüsselaufgabe wollen wir mit Transparenz und Beteiligung voranbringen.
Wir wissen, dass gerade wir als Küsten- und Agrarland mit unseren fantastischen Wachstumschancen im Bereich von Windenergie ein hohes Interesse am Leitungsbau haben. Wir brauchen in Deutschland keine 16 kleinen Energiewenden, sondern eine große. Und Schleswig-Holstein kann, Schleswig-Holstein muss dabei eine zentrale Rol- le als Energieexportland einnehmen.
Und ich sage Ihnen: Das große Problem der Energiewende ist gegenwärtig kein Zuviel an Widerstand der Gesellschaft, sondern ein Zuviel an Widerstand in der Bundesregie- rung.
Das größte Hindernis für die Energiewende wäre, wenn wir ausgerechnet hier die Feh- ler vergangener Großprojekte wiederholen würden.
Nur wer frühzeitig Bürgerbeteiligung organisiert, kann späteren Bürgerprotest verhin- dern. Und deshalb sage ich gemeinsam mit Winfried Kretschmann: Die Energiewende ist auch ein großes demokratisches Projekt. Ökologische Politik ist demokratische Poli- tik

Das gilt ebenso sehr für den Umwelt- und Naturschutz. Wir stehen für eine konsequente ökologische Politik mit einem klaren ordnungsrechtlichen Rahmen. Aber wir stehen auch und vor allem dafür ein, dass das vielfältige bürgerschaftliche Engagement, das wir im Bereich von Umwelt- und Naturschutz haben, in der Landespolitik endlich wieder einen Bündnispartner findet.
Schleswig-Holstein ist ein Land, das so reich ist an landschaftlicher Schönheit und Viel- falt. Der Schutz unserer Umwelt ist gerade nicht Klientelpolitik, sondern liegt im Interes- se aller.


5 Diese zu bewahren und für kommende Generationen zu sichern, daran sind viele Men- schen beteiligt, NaturschützerInnen und LandwirtInnen, konventionell und ökologisch wirtschaftende, ForstwirtInnen und JägerInnen.
Natur- und Umweltschutz, das ist seit jeher eine große bürgerschaftliche Bewegung. Auch hier gilt es, Gräben zu schließen oder Brücken zu bauen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich räume offen ein, es gibt kaum etwas, was mich an der politischen Kultur in Schles- wig-Holstein so sehr nervt wie die Tatsache, dass große Infrastrukturprojekte bei uns stets als Glaubensfragen und nie als Sachfragen diskutiert werden.
Die A20 ist für mich das beste Beispiel. Für CDU und FDP ist doch, so würde ich zu- mindest unterstellen, entscheidend, dass weitergebaut wird. Und wenn Sie den Koaliti- onsvertrag richtig gelesen haben, dann werden sie feststellen: Es wird weitergebaut.
Aber was wir nun von Ihnen erleben, das ist lautstarke Empörung darüber, dass sich diese Regierung nicht darauf festlegt, ob, wo und wann eine neue Regierung im Jahre 2017 weiterbaut. Das macht doch die ganze Absurdität dieser Debatte deutlich.
Ich sage Ihnen klipp und klar: Ja, die regierungstragenden Fraktionen haben bei der Weiterführung der A20 und bei der festen Fehmarnbelt-Querung unterschiedliche Sichtweisen.
Aber in einem sind wir uns völlig einig, und das unterscheidet uns von Ihnen: Für uns hat Verkehrspolitik nichts mit Glauben zu tun, sondern mit Können.
Wie eine Verkehrspolitik aussieht, die glaubt, aber nicht kann, das haben Sie uns vorge- führt.
Damit ist jetzt Schluss. Moderne Verkehrspolitik im Übrigen misst sich nicht in Straßen- kilometern, sondern an Konzepten, die sich auf eine Zukunft einstellen, in der Ressour- cen knapper und Mobilität umfassender gedacht werden muss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wir, SPD, Grüne und SSW, übernehmen die Regierungsverantwortung in schweren Zeiten. Alles, was wir tun, steht unter den Vorzeichen der Haushaltskonsolidierung in höchster Not und letzter Minute.
Und wir sind gemeinsam davon überzeugt: Gerade wenn wir den Weg zur Schulden- bremse 2020 erfolgreich gehen wollen, dann geht das nur mit der Königsdisziplin der politischen Kultur – und das ist die Glaubwürdigkeit.
Wir haben uns klar zu dem Prinzip bekannt: Keine Mehrausgabe ohne Gegenfinanzie- rung. Und wir haben gerade in der Haushaltspolitik einen sehr präzisen Koalitionsver- trag vorgelegt. Der im Übrigen keine Steuererhöhungen im Bund einpreist, auch wenn sie wünschenswert wären.
Wir müssen den Menschen reinen Wein einschenken: Schleswig-Holstein droht an sei- nen Schulden zu ersticken. Aber wir müssen ihnen auch erklären, wie wir aus dieser

6 Schuldenfalle herauskommen wollen. Und vor allem: Warum wir aus dieser Schulden- falle herauskommen wollen.
Jeder Euro, den wir für Zinsen zahlen, ist ein Euro, der in der Bildung, in der vorbeu- genden Sozialpolitik, im Umwelt- und Naturschutz oder bei der Flüchtlingsarbeit fehlt.
Unser Koalitionsvertrag hält mehr, als wir versprochen haben. Wir werden auf der ge- samten Strecke der Bildungspolitik von der U3-Betreuung bis zu den Hochschulen, beim Ökolandbau, bei den Frauenhäusern, bei den Minderheiten die Fehler einer Politik korrigieren, für die Sparen Selbstzweck war.
Aber wir werden diese Ausgaben sauber gegenfinanzieren. Uns jetzt schon Tricks zu unterstellen, während Frau Heinold den ersten Tag im Amt ist, ist ein deutliches Zei- chen von Hilflosigkeit.
Und ganz besonders wichtig ist: Wir dürfen nicht weiter in die Falle laufen, bei der Haushaltskonsolidierung das Land und die Gemeinden gegeneinander auszuspielen. Das hat sehr unmittelbar etwas mit Demokratie, mit Bürgerbeteiligung zu tun.
Ob ein Staat, ob eine Demokratie funktioniert, das erleben die Menschen ganz unmit- telbar vor Ort. Und wenn ihre Schulgebäude verrotten, wenn ihre Bibliotheken und Ju- gendzentren schließen, dann verlieren sie das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit von Politik insgesamt.
Ich habe da eine vielleicht altmodische Überzeugung. Eine gute Politik misst sich vor al- lem daran, ob sie den Menschen hilft, die Hilfe am meisten benötigen. Ob uns das ge- lingt, das ist vor allem eine Frage der sozialen Infrastruktur. Und die wird vor allem vor Ort, in den Städten und Gemeinden organisiert.
Deshalb halte ich es für ein sehr wichtiges Signal, dass wir im Koalitionsvertrag bei der Entlastung der Gemeindefinanzen zu klaren Verabredungen gekommen sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sagte eingangs: Diese Koalition schließt nicht an 2005 an.Aber es gibt eine Traditi- on, in die ich mich gerne stelle: Schleswig-Holstein soll endlich wieder Vorreiter in Fra- gen einer liberalen, humanen Flüchtlingspolitik sein.
Sie alle werden das kennen: Es gibt diese kostbaren Momente in der Politik, in denen man daran erinnert wird, warum man sich das alles antut, in denen man aufrichtige Freude und auch ein Stück Genugtuung empfindet, in denen man zurückgeworfen ist auf die menschlichen Motive, die einen in die Politik gebracht haben.
Ein solcher Moment war für mich, als ich zum ersten Mal das abgestimmte Kapitel zu Integration und Flüchtlingen im Koalitionsvertrag gelesen habe.
Was wir dort vereinbart haben, das macht mich stolz. Wir wollen gemeinsam den Kampf gegen die Abschiebehaft auf Bundesebene aufnehmen. Die Abschiebehaftanstalt in Rendsburg wird geschlossen. Wir werden uns im Bundesrat für eine stichtagsunabhän- gige Bleiberechtsregelung einsetzen, den Flüchtlingsrat institutionell fördern und per Er- lass dafür sorgen, dass Arbeitsverbote keine zulässigen Sanktionsmittel mehr sind.


7 All diese Maßnahmen berühren mich in einer fundamentalen politischen Überzeugung. Wir waren einmal ein Land, aus dem Menschen fliehen mussten, um ihr Leben zu ret- ten. Heute sind wir ein Land, in das Menschen fliehen können, um ihr Leben zu retten. Das ist ein unbeschreibliches Glück, das wir mit aller Kraft schützen müssen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als ich am letzten Tag der Koalitionsverhandlungen abends nach Hause fuhr, hörte ich ein Lied der Hamburger Band Kettcar. Darin heißt es: „Nur weil man sich so dran ge- wöhnt hat, ist es nicht normal. Nur weil man es nicht besser kennt, ist es noch lange nicht egal.“ Für mich ist das die Grundphilosophie, die diese besondere Koalition, die- ses Bündnis für den Norden in seinen Inhalten trägt.
Wir wollen unter historisch schwierigen Bedingungen beweisen, dass Schleswig- Holstein politikfähig ist, dass wir uns nicht gewöhnen und abfinden, sondern einen Auf- bruch für eine soziale, eine ökologische, eine bürgernahe Politik organisieren können.
Und ich hoffe, dass dies in den kommenden fünf Jahren auch der Refrain der politi- schen Zusammenarbeit in diesem Haus sein wird.
Wir mögen uns an die floskelhaften Rituale politischer Schaukämpfe gewöhnt haben, wir mögen es nicht besser kennen. Aber deshalb sind sie noch nicht normal.
Lassen Sie uns zusammen den verwegenen Versuch unternehmen, es besser zu ma- chen. Unser Land hat es verdient.
Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und Auseinandersetzung mit Ihnen hier im Schleswig-Holsteinischen Landtag, unserem Parlament, dass in Zukunft eine wichtige Rolle in unserem demokratischen Zusammenleben spielen wird.
Und ich wünsche Ihnen, Herr Ministerpräsident, und Ihnen, liebe Ministerinnen und Mi- nister, für Ihre Amtsführung ein heißes politisches Herz, einen kühlen Verstand und eine glückliche Hand.
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