Lothar Hay: Die Bedingungen für Tierhaltung müssen verändert werden
Es gilt das gesprochene Wort! Kiel, 25. Januar 2012TOP 16 b und 31: Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung (Drucksachen 17/2065 und17/2163)Lothar Hay:Die Bedingungen für Tierhaltung müssen verändert werden„Glaubt wirklich irgendjemand, dass es möglich ist, mehr als 20 Hühner auf einem Quadratmeter Beton zusammenzupferchen und ihnen dabei in den 32 Tagen ihrer Existenz bis zur Schlachtreife auch nur halbwegs akzeptable Lebensbedingungen zu bieten? Dass es gesunde Vertreter einer Spezies geben kann, deren Muskelmasse so schnell zunimmt, dass das Knochengerüst mit seinem Wachstum nicht hinterherkommt? Dass man zwei Drittel aller überhaupt verwendeten Antibiotika in die Fleischproduktion stecken kann, ohne dass ein nennenswerter Teil davon irgendwann in der Umwelt oder beim Menschen ankommt?Wahrscheinlich glaubt das kaum jemand, weshalb ‚Lebensmittelskandalen’ wie der jüngsten Aufregung um resistente Krankheitserreger im Geflügelfleisch etwas Seltsames anhaftet. Hier werden ja keine illegalen Praktiken beleuchtet, sondern nur einzelne Facetten aus dem wohlbekannten Normalvollzug der Fleischproduktion. Und infrage gestellt wird nicht dieser Normalvollzug selbst, sondern die seltsame Lebenskunst, die darin besteht, zwischen den hinreichend bekannten Verhältnissen in den Tierfabriken einerseits und dem Hähnchen aus irgendeiner Kantine andererseits keinerlei Zusammenhang zu erkennen - jedenfalls nicht in der halben Stunde, die es braucht, eine solche Mahlzeit zu verzehren.“ Zitat aus: Zeit online, 12.01.2012 – Autor:Frank Drieschner.Neu sind die Erkenntnisse aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, was den Antibiotikaeinsatz betrifft, nicht. Schon 2010 wurde aufgrund von NDR-Berichten bekannt, dass Masthähnchen in vielen 2Fällen rund zwei Drittel ihrer Lebenszeit (32 Tage) Antibiotika bekommen und dass der Arzneimitteleinsatz in der Hühnermast auf über 2,3 Behandlungen pro Mastdurchgang gestiegen ist.Im Dezember 2010 stellte ich eine Kleine Anfrage zum Einsatz von Antibiotika in der Hähnchenmast. Da sich in Niedersachsen mehr als 50 % der Hähnchenmastbetriebe befinden, wollte ich von der Landesregierung wissen, welcher Trend für Schleswig-Holstein zu erwarten sei. Die Antwort lautete: „In Schleswig-Holstein ist die Bedeutung der Masthähnchen im Gegensatz zu Niedersachsen relativ gering. Es ist aber nicht auszuschließen, dass dieser Bereich in Zukunft wachsen wird.“Schleswig-Holstein wird immer Ausweichland für Hähnchenmastbetriebe sein, das hat im August 2011 auch die Landesregierung erkannt. „In den vergangenen 10 Jahren sind über Genehmigungen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz durchschnittlich rund 100.000 Mastplätze jedes Jahr neu hinzugekommen. Allein in 2010 waren es schon 160.000 und auffällig in 2011 mit den bereits genehmigten und den im Verfahren befindlichen Vorhaben sind es bereits 626.000 neue Mastplätze. Dies ist also eine Steigerung des üblichen Antragsaufkommens bis Mitte August um das 6-fache.“ Das verkündete die Landesregierung im August 2011.Im niedersächsischen Wietze ist Europas größte Geflügelschlachterei errichtet worden. Dort werden am Tag 384.000 Hähnchen geschlachtet, im Jahr 119.808.000 Millionen. Im kritischen Agrarbericht 2012, herausgegeben vom Agrarbündnis e.V., gerade auf der Grünen Woche in Berlin vorgestellt, ist zu lesen, dass bundesweit Mastanlagen für 36 Millionen Hähnchen beantragt sind - bei einer Nachfrage der deutschen Verbraucher von gerade mal 3,2 Millionen.Dr. Hermann Focke (Tierarzt) leitete das Veterinärsamt im Landkreis Cloppenburg: erhat in einem Interview mit der Zeitschrift Geo vom 18.01.2012 darauf hingewiesen, dass es seit dem 01.01.2006 EU-weit verboten ist, Antibiotika als Mastbeschleuniger einzusetzen. Trotzdem ist der Absatz von Veterinärantibiotika nicht zurück gegangen. Im Gegenteil, 2006 gab es eine Steigerung um 7 % und 2007 um 9,2 %. Nach den Erkenntnissen von Dr. Focke wird die für eine Heilbehandlung von 5 Tagen vorgegebene Antibiotikamenge auf 15 Tage gestreckt, nur um die Mastergebnisse zu verbessern. Durch die länger andauernde Verabreichung subtherapeutischer Dosen überleben die vitalsten der bakteriellen Keime und bilden auf Dauer Resistenzen gegen die verabreichten Medikamente.Wenn diese Erkenntnisse zusammengefasst werden, dann ist es bei der Massentierhaltung und der Resistenzentwicklung nicht mehr fünf vor zwölf, sondern deutlich nach zwölf. 3Was ist zu tun? Der Antibiotikaeinsatz muss drastisch gesenkt werden! Für Kontrollen sind die Länder zuständig, mehr Kontrollen sind nur mit mehr Personal möglich. Verschreibung und Verkauf von Antibiotika im Bereich der Tiermedizin müssen getrennt werden. Und um eines werden wir nicht herumkommen: Die Bedingungen für das Halten von Geflügel müssen verändert werden oder anders gesagt, wer weniger Antibiotika in der Tierhaltung will, muss eine andere Tierhaltung wollen. Weniger Tiere pro Quadratmeter, Rassen, die langsamer wachsen, dafür aber robuster sind.Wenig hilfreich sind die Vorschläge der Ministerin Aigner, das ist blinder und kurzfristiger Aktionismus. Die entscheidende Frage wird nicht gestellt: Wie soll in Zukunft die Tierhaltung aussehen?Die Entscheidung liegt klar auf der Hand: Wir alle müssen bereit sein, mehr für ein Hähnchen zu zahlen, nicht 1,99 € im Sonderangebot, sondern deutlich mehr!