Björn Thoroe zu zwölf Jahren Bologna-Prozess
Jannine Menger-Hamilton Rede von Björn Thoroe zu TOP 18: Zwölf Jahre Pressesprecherin Bologna-Prozess DIE LINKE Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag 454/2011 Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Es gilt das gesprochene Wort. Telefon: 0431 / 9 88 16 02 Telefax: 0431 / 9 88 16 18 Kiel, 16. Dezember 2011 Mobil: 0160 / 90 55 65 09 presse@linke.ltsh.de www. linksfraktion-sh.deBjörn Thoroe zu zwölf Jahren Bologna-Prozess„Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,Hegel sagte einmal „Der Mensch wird, was er als Mensch sein soll, erst durch Bildung.“ Der deutsche Idealismus ist einer der Gründe, warum die Diskussion über Bildung in unserem Land mit so viel Pathos aufgeladen ist. Seit Schiller, Kant, Fichte, Hegel und letztlich auch Wilhelm von Humboldt gilt Bildung als elementarer Bestandteil der Persönlichkeitsentwicklung, als Grundbe- dingung für ein Leben in Freiheit und ist damit für eine Demokratie unverzichtbar.Was wir heute an Schulen und Hochschulen vorfinden, hat mit diesem Bildungsbegriff nichts zu tun. Das hat einen einfachen Grund: Diese Regierung ist weder liberal, noch konservativ. Sie sind der parlamentarische Arm der Arbeitgeberverbände!Sie alle, und das betrifft ebenso SPD und Grüne, ignorieren seit nunmehr 12 Jahren den entschei- denden Widerspruch des Bologna-Prozesses: Eine europäische Angleichung der Hochschulsysteme via Wettbewerb erreichen zu wollen, ist schizophren! Was soll denn das für ein Wettbewerb sein? Wer am besten zum gleichen Ergebnis kommt? Ihnen waren die Ziele des Bologna-Prozesses von vornherein völlig egal! Wenn Sie die Reformen ernst genommen hätten, dann hätten Sie spätes- tens 1999 eine Diskussion über den Bildungsföderalismus anstoßen müssen. Wir haben jetzt 16 verschiedene Bologna-Prozesse – das ist völlig idiotisch, wenn man von den ursprünglichen Zielen ausgeht!Für die Landesregierung läuft der gesamte Prozess lediglich auf die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen hinaus. Die Hochschulrektorenkonferenz sieht das allerdings anders. Ich darf sie zitieren: Diese und alle weiteren Presseinformationen der Fraktion DIE LINKE finden Sie auf http://www.linksfraktion-sh.de „Allerdings wurden elementare Ziele des Bologna-Prozesses – zum Beispiel im Hinblick auf grenzü- berschreitende akademische Mobilität oder die Anerkennung von Studienabschlüssen und Leis- tungen – bislang nicht erreicht.“Sie identifizieren die Ziele des Bologna-Prozesses mit dem, was Sie bis 2010 zustande gebracht ha- ben. Das ist ein argumentativer Taschenspielertrick.Und die ach so gewerkschaftsnahe SPD sollte sich endlich eingestehen, dass zumindest die deutsche Umsetzung des Bologna-Prozesses gescheitert ist! So sieht es jedenfalls die GEW.Ich kann hier nicht alles ausführen und möchte mich deshalb auf zwei Punkte beschränken:Da wäre erstens der Streit um die Zulassung zum Masterstudium. In der Bologna-Erklärung heißt es: „Regelvoraussetzung für die Zulassung zum zweiten Zyklus ist der erfolgreiche Abschluss des ersten Studienzyklus.“Unsinnige Hürden und Quotierungen können nicht mit dem Bologna-Prozess in Verbindung ge- bracht werden! Die Landesregierung aber schreibt: „Ein 1 zu 1 Übergang vom Bachelor zum Mas- ter entspricht nicht dem Bedarf des Arbeitsmarktes oder dem Interesse aller Studierenden. Dies ist auch nicht die Idee oder Ziel der Bologna-Reform. In einem System gestufter Studiengänge stellt der Bachelor-Abschluss als erster berufsqualifizierender Abschluss den Regelabschluss dar.“Was ist das eigentlich für ein Unfug? In einer freiheitlichen Gesellschaft entscheiden die Individuen selbst, welchen Abschluss sie anstreben. Was Sie wirklich wollen, sind billige, semiqualifizierte Ar- beitskräfte für die Wirtschaft und Einsparungen im Hochschuletat durch eine Studienzeitverkür- zung! Das ist die Politik der Arbeitgeberverbände.2. Das sogenannte Leistungspunktesystem ECTS funktioniert nicht und ist zudem ANTILIBERAL!ECTS ist die Standardisierung des Verhältnisses zwischen Lernzeit und Lernergebnis. Herr de Jager, Ihre Partei polemisiert gerne gegen eine von ihnen herbei halluzinierte Einheitsschule. Sie haben das Einheitsstudium eingeführt! Alle sollen in identischer Zeit identische Lernergebnisse erzielen. Was für ein Menschenbild steckt eigentlich dahinter?Die Hochschulen haben dieses Konzept nie angenommen. Niemand hat bei der Konzeption der Studiengänge von irgendwelchen „Lernergebnissen her gedacht“. Und das letzte, was mit ECTS ge- fördert wird, ist die Mobilität! Das haben Sie ja auch zugegeben, wenn sie die Einrichtung von Mo- bilitätsfenstern in den Studiengängen fordern. Diese und alle weiteren Presseinformationen der Fraktion DIE LINKE finden Sie auf http://www.linksfraktion-sh.de Die Durchrationalisierung des Studiums mit ECTS macht für Studium und Lehre keinen Sinn, für die Arbeitgeberverbände allerdings schon. Alles wird quantifiziert, messbar gemacht, effizient gestal- tet und auf Verwertbarkeit getrimmt. Die Lernergebnisse sollen ausschließlich den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes entsprechen.Zusammengefasst muss man sagen, dass sich aus Ihrer Hochschulpolitik ein Menschenbild ergibt, welches jenem der Sowjetunion eher entspricht, als dem der Aufklärung. Der Mensch muss sich einem übergeordneten Ziel fügen. Einst war es der Aufbau einer vermeintlich besseren Gesell- schaft, heute ist es die europäische Wettbewerbsfähigkeit. Sie, meine Damen und Herren, haben das schlechteste aus beiden Welten vereint: das inhumane Menschenbild der Sowjetunion und die krassen sozialökonomischen Ungleichheiten eines entfesselten Kapitalismus.Der Bologna-Prozess ist jedenfalls gescheitert! Wir, DIE LINKE, fordern eine Generalrevision, die insbesondere zu einer Deregulierung des Studiums führen muss! Freiheit und Autonomie des Ein- zelnen müssen endlich zur Grundlage des Bildungssystems werden. Das geht nur mit einer Abkehr von dieser neoliberalen Planwirtschaft!“ Diese und alle weiteren Presseinformationen der Fraktion DIE LINKE finden Sie auf http://www.linksfraktion-sh.de