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15.12.11
10:43 Uhr
SPD

Dr. Ralf Stegner zu TOP 43: Wir brauchen ein solidarisches und demokratisches Europa!

Es gilt das gesprochene Wort!
Kiel, 15. Dezember 2011



TOP 43, Für ein starkes Europa gleichberechtigter Partner (Drucksache 17/2087)



Dr. Ralf Stegner:
Wir brauchen ein solidarisches und demokratisches Europa!


Europa ist in einer schweren Krise und ich glaube, es steht uns gut an, nicht nur im Bundestag, sondern auch in den Ländern und auch in diesem Parlament darüber zu diskutieren und zu zeigen: Das ist uns nicht egal. Zum einen, weil das Projekt Europa als unsere gemeinsame Wertegemeinschaft für Frieden und Wohlstand existentiell ist und zum anderen, weil wir hier natürlich von Rückschritten und möglichen negativen Entwicklungen stark betroffen sein würden.
Deutschland hat als größtes Land eine besondere Verantwortung in Europa, braucht und schuldet seine feste Einbindung in Europa - aus historischen Gründen, aber auch als demokratische Errungenschaft. Denn die EU ist ja auch gegründet worden, um die anarchistische Macht des Stärkeren zu brechen. Frau Merkel und Herr Sarkozy führen leider im Moment das Gegenteil vor und spielen ihre Macht aus – der Fraktionsvorsitzende der Union im Bundestag, Herr Kauder, schwadroniert davon, jetzt werde in Europa Deutsch gesprochen – dümmlicher geht es kaum.
Die Wiederherstellung europäischer Solidarität ist und bleibt eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Architektur des zukünftigen Europas. Auch im globalen Wettbewerb mit den USA, China, Indien oder Brasilien bestehen wir nur mit Solidarität und europäischer Gesamtverantwortung vor nationalstaatlichem Egoismus. 2



Wir Sozialdemokraten appellieren an alle politischen Kräfte, wieder zu der solidarischen Rolle zurückzufinden, die Deutschland seit der Gründung der EU eingenommen hat, statt Ansehen und Sympathie zu verspielen und alte Ängste zu schüren. Das Bedienen von Vorurteilen gegen andere europäische Völker, um an den Stammtischen zu punkten, gehört leider zum konservativ-liberalen Standardrepertoire. Auch die selbstgerechte Überheblichkeit dieser schwarz-gelben Koalition in Schleswig-Holstein mit ihrer ständigen „Wir-sind-doch-nicht- Griechenland“-Rhetorik gehört in diesen Kontext.
Die europäische Demokratie wird im Moment auch dadurch demontiert, dass alle politischen Gipfel, Aktionen und Maßnahmen immer wieder primär damit begründet werden, dem Druck der Märkte zu entsprechen. Die Kanzlerin bezieht sich mit ihren Vorschlägen ausdrücklich auf das Ziel einer marktkonformen Demokratie. Das ist grundfalsch. Wir brauchen keine marktkonforme Demokratie, sondern demokratiekonforme Märkte. Es geht hier um keine Kleinigkeit, sondern um das Primat demokratisch legitimierter Politik. Die jahrelange marktradikale Verirrung hat reichlich Schaden angerichtet.
Sie ist der Auslöser dieser Finanz- und Wirtschaftskrise, die Sie immer auf eine Staatsschuldenkrise reduzieren wollen. Wie ein Regierungspapagei sondert Ihr Sprachcomputer monoton und als Politikersatz immer wieder sein Mantra Schuldenbremse, Schuldenbremse, Schuldenbremse ab. Privatisieren, deregulieren, liberalisieren, kürzen und Steuern senken: Das ist und bleibt Verelendungspolitik mit krisenanfälligen Märkten.
Man muss nun wirklich keine Sympathie für die Operettenregierung des ehemaligen italienischen Regierungschefs Berlusconi haben, um festzustellen, dass es nicht so sein darf, dass Rating- Agenturen und Finanzspekulanten den Daumen über Staaten heben oder senken, dass Spekulanten gegen Demokratien wetten dürfen und die Finanzmärkte nun Regierungen aus dem Amt vertreiben, dass Technokraten die Regierungen am Volk und an den Wahlen vorbei übernehmen. Auch die neuesten Gipfelbeschlüsse scheinen mehr und mehr darauf hinauszulaufen - dafür spricht auch die Heranziehung des IWF -, dass es egal ist, was die Bürgerinnen und Bürger wollen. Die Politik bestimmen andere.
Wir brauchen die Unabhängigkeit der Politik von den Finanzmärkten und dafür eine entsprechende Rolle der EZB als „lender of last resort“. Wenn sie notfalls Geld zu vernünftigen 3



Zinsen verleiht (nicht nur an die Banken, wie im Moment, sondern an die Staaten, wenn es die Banken nicht tun), erst dann haben wir eine Chance auf eine solche Unabhängigkeit von den Märkten – wobei ich glaube, dass schon die theoretische Ankündigung ausreichen dürfte.
Allein das Versprechen, dass notfalls die Notenbank in die Bresche springt, um einen Zusammenbruch der Währung zu verhindern, sorgt dafür, dass sich die USA und Großbritannien weiter problemlos Geld an den Kapitalmärkten leihen können, obwohl sie weitaus schlechtere Haushaltsdaten aufweisen als die Eurozone insgesamt.
Nebenbei zeigt sich außerdem die ganze Crux undemokratischen Verhaltens. In Wirklichkeit wendet sich Ihre Kanzlerin doch nur aus innenpolitischen Gründen und Rücksicht auf ihre marode Koalition öffentlich gegen Eurobonds und eine aktive Rolle der EZB und stellt heimlich jeden Abend eine Kerze ins Fenster, damit die EZB ja das tut, was sie in Interviews kritisiert.
Die nationalen Scheuklappen und die Ignoranz anderer ökonomischer Sichtweisen auch auf der rechten Seite dieses Hauses führt zu einem Phänomen, das John Maynard Keynes einmal so beschrieben hat: Statt darüber nachzudenken, ob eklatanter Misserfolg vielleicht daran liegen könnte, dass die Medizin falsch ist, wird noch mehr von der Medizin verschrieben. Genau das passiert ständig. Ausgerechnet die, die uns die Finanzkrise eingebrockt haben, dienen sich jetzt schon wieder dreist als Experten für Krisenlösungen an.
Wir erleben doch jetzt bei einem Gipfel nach dem anderen eine immer stärkere Festlegung auf immer stärkere Kürzungspakete, ohne dass irgendein Problem gelöst würde. Die Märkte honorieren dies nicht und die inzwischen selbst vom Ifo-Institut prognostizierte Rezession in Europa wird sämtliche Konsolidierungsbemühungen ad absurdum führen. Die aktuellen Beschlüsse sind keine Fiskal- oder gar Stabilitätsunion, wie Frau Merkel behauptet, sondern nur eine Sanktionsunion und ein „Scheinriese“, wie das Frank-Walter Steinmeier nennt.
Solange wir die eindimensionale Sichtweise, dass wir in Europa hauptsächlich ein Verschuldungsproblem haben und dieses durch heftiges Kürzen zu lösen sei, nicht aufgeben, solange wird die Krise weiter andauern und sich eher noch verschärfen. Was Sie Stabilität nennen, hat als Beschlussgrundlage immer nur die Halbwertzeit weniger Tage, bis Frau Merkel 4



das alternativlos nennt, was vorher Sozialdemokraten gefordert haben und sie strikt abgelehnt hat.
Solange wir nicht erkennen, dass die Handelsungleichgewichte, die ungleiche Preis- und Lohnentwicklung, die ungleiche Wirtschaftsentwicklung ein Problem sind und wir eine stärkere Koordinierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik brauchen, solange wird die Krise Europas weitergehen.
Solange wir nicht sehen, dass wir nur konsolidieren können, wenn wir auch investieren, wenn wir nicht handeln und die wirtschaftliche Dynamik befördern, solange wird weder die hohe Verschul- dung noch die europäische Krise beseitigt noch zum Beispiel die Jugendarbeitslosigkeit nicht gesenkt – die liegt teilweise ja schon bei über 20 % wie in Spanien. Für Investitionen brauchen wir finanziell handlungsfähige Staaten und keine Nachtwächter.
Dazu hat Helmut Schmidt auf dem Parteitag der SPD skizziert, wie die Finanzmärkte durchgreifend reguliert werden könnten, wenn man es denn nur wollte: Dies reicht „von der Trennung zwischen normalen Geschäftsbanken und andererseits Investment- und Schattenbanken bis zum Verbot von Leerverkäufen von Wertpapieren auf einen zukünftigen Termin, bis zum Verbot des Handels mit Derivaten, sofern sie nicht von der offiziellen Börsenaufsicht zugelassen sind – und bis hin zur wirksamen Einschränkung der den Euro-Raum betreffenden Geschäfte der einstweilen unbeaufsichtigten Rating-Agenturen.“
Man muss Helmut Schmidt gewiss nicht in allem zustimmen, aber Frau Merkel sollte sich bei ihrem Jahrzehnte älteren Vorgänger mal eine Scheibe abschneiden, was die Erläuterung der deutschen historischen Verpflichtung in Europa angeht. Ich empfehle jedem, seine Rede zu lesen oder besser noch sie sich anzuhören – über die Homepage der SPD ist beides möglich.
Europa muss nicht deutscher, wir müssen alle europäischer werden. Der europäische Weg führt uns über eine gemeinsame Finanz-, Steuer- und Wirtschaftspolitik zu gemeinsamen Zielen bei der kulturellen und sozialen Entwicklung und hin zu einer wirklichen politischen Union.
Friedrich Küppersbusch hat das letzte Woche in der taz wunderbar zusammengefasst: Erstens: Alle stehen füreinander ein; zweitens: demokratische Kontrolle; 5



drittens: Zwang zur Haushaltsdisziplin; viertens: CSU und FDP sollten aus der Koalition austreten.
Okay, das klingt jetzt fast ein bisschen zu gut. Bleiben wir also bei dem, was wir in unserem Antrag formuliert haben: Nach Jahren des marktfundamentalistisch geprägten Europas und der Mehrzahl seiner Regierungen brauchen wir endlich ein umfassendes wirtschafts- und sozialpolitisches Konzept, eine Sozialunion mit sozialen Mindeststandards, ein Wachstums- und Beschäftigungsprogramm, denn ohne nachhaltiges Wachstum in allen Ländern kann die Schuldenkrise nicht überwunden werden. Wir brauchen endlich solidarisches Handeln und wir brauchen eine EZB, die endlich mehr im Auge haben darf als die Inflation, die das tun darf, was andere große Zentralbanken selbstverständlich machen.
Wir brauchen eine strengere Finanzmarktregulierung und einen Beitrag der Finanzwirtschaft zur Krisenbewältigung. Dabei muss endlich wieder der Primat der Politik gelten. Demokratische Entscheidungen in Europa müssen gegen die Herrschaft der Finanzmärkte gesetzt werden. Die Politik muss dafür sorgen, dass die Menschen in Europa wieder eine Zukunft haben. Es gilt, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die demokratischen Entscheidungen Europas wiederherzustellen.
Wir brauchen jetzt nicht weniger, sondern mehr Europa – ein demokratisches und solidarisches Europa und das fängt hier in Schleswig-Holstein an.
Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.