Ralf Stegner: Menschen einbinden, statt sie weiter auszugrenzen!
Es gilt das gesprochene Wort! Kiel, 6. Oktober 2011TOP 19, Für eine tolerante und offene Gesellschaft, Rechtspopulismus entschlossen entgegentreten (Drucksache 17/1867, 17/1910)Ralf Stegner:Menschen einbinden, statt sie weiter auszugrenzen!In der Debatte über Rechtspopulismus (TOP 19) sagte der Vorsitzende der SPD- Landtagsfraktion, Dr. Ralf Stegner, u.a.:Rechtspopulismus nimmt in Europa und Deutschland an Bedeutung zu. Er ist gefährlicher als Rechtsextremismus, denn er gedeiht unter dem Deckmantel der Bürgerlichkeit. Das bedeutet: Seine Forderungen, sein Gedankengut scheinen oft salonfähig, sind weit verbreitet und werden auch in anderen Parteien gepflegt und zum Teil auch instrumentalisiert. Wohlgemerkt: Es geht um Rechtspopulismus - auch das, was Lafontaine gemacht hat, ist Rechtspopulismus!Was zeichnet Rechtspopulisten aus? Sie bieten Scheinlösungen, schüren Feindbilder und gefährden die Demokratie und den Frieden in Europa. Dänemarks Grenzkontrollen beispielsweise, die auf Druck der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei eingeführt werden sollten, wären ineffektiver als das bisherige Verfahren, sollten aber das individuelle Sicherheitsgefühl erhöhen. Das zeigt exemplarisch: Rechtspopulismus reißt die Probleme aus dem Kontext und verkürzt die Sachverhalte. Ich möchte nicht abstreiten, dass es diese Probleme gibt, aber bei einer derartigen Aufbereitung kommt man den wirklichen Ursachen nicht näher und damit auch nicht den Lösungen. 2Die typische Reaktion auf Widerspruch gegen rechtspopulistische Äußerungen ist meist: „Man wird das doch noch sagen dürfen, ohne gleich Gegenwind zu bekommen.“ Eine solche Reaktion heißt aber im Grunde: Ich will nur sagen, was ich denke, ich will keine Widerworte, ich will keinen Diskurs - das ist bigott, das ist antidemokratisch! Und: Tun wir nicht so, als ob die Probleme nicht bekannt wären, als ob wir nicht darüber geredet hätten - über Jugendkriminalität haben schon die Römer diskutiert!Natürlich existieren reale Probleme, aber Rechtspopulisten reagieren darauf mit den falschen Forderungen. Z. B. ist die Lösung für die Probleme, die es in Gaarden gibt, nicht härtere Strafen, sondern man muss mit gezielten Programmen wie „Soziale Stadt“ oder mit der Eröffnung von Ausbildungschancen vorgehen, um eine Besserung zu erreichen.Ein großes Thema der Rechtspopulisten ist die gelebte und geschürte Islamophobie. Natürlich ist eine 4.000 Jahre alte Religion wie der Islam im Kern nicht demokratisch – aber welche Religion ist das schon? Doch mit Kampagnen unter dem Motto „Wir schützen die offene Gesellschaft gegen die böse Überfremdung und die intoleranten Fremden“, läuft man Gefahr, selbst zum Brandstifter zu werden.Zugang zu Macht und damit zur Umsetzung ihrer Politik ist für Rechtspopulisten möglich. Aber im Gegensatz zum Umgang mit Rechtsextremen gibt es hier keinen parteiübergreifenden Konsens. Die Konsequenz ist, dass die Regierungsbeteiligung eines Schill in Hamburg, von Rechtspopulisten in den Niederlanden oder Dänemark möglich ist. Rechtspopulismus sei, so sagte Franz Josef Strauß einmal, keine Beleidigung.Für uns Sozialdemokraten sind Rechtspopulisten unerträglich, weil sie gerade unseren fundamentalen Werten, Toleranz und Verständigung, widersprechen. Wir setzen auf Solidarität, Völkerverständigung, Gemeinwohl. Deshalb wird die neue, sozialdemokratisch geführte Regierung in Dänemark die Grenzkontrollen wieder abschaffen und die in den letzten Jahren zunehmend restriktiver gestalteten Ausländergesetze ändern. Asylbewerber werden nach 6 Monaten Aufenthalt arbeiten und sich eine eigene Wohnung suchen dürfen.Unsere Werte sind eine Herausforderung für Rechtspopulisten: Sozialdemokraten in Norwegen waren auch deswegen Ziel der Attentate, weil sie auf Integration und nicht auf 3Ausgrenzung setzen. Das zeigte sich überdeutlich an der Reaktion des norwegischen Ministerpräsidenten Stoltenberg auf die Anschläge von Utoya und Stockholm. Das ist bewundernswert!Wir setzen den Scheinlösungen der Rechtspopulisten reale Lösungen entgegen:• Wir wollen Menschen eine Perspektive geben durch aktive Arbeitsmarkt- und Ausbildungspolitik. Doch die Bundesregierung spart bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik, indem Förder- und Integrationsmaßnahmen für Erwerbslose, die bisher Pflichtleistungen waren, gestrichen oder zu bloßen Ermessensleistungen der Job- Center herabgestuft wurden. Das gleiche passierte mit den Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung und Umschulung von Arbeitslosen.• Wir wollen den Menschen wieder Sicherheit geben: durch gute Arbeit und auskömmliche soziale Sicherung bei Armut, Krankheit und Alter. Deshalb brauchen wir die solidarische Bürgerversicherung für alle und einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, der ein auskömmliches Leben ohne staatliche Unterstützung garantiert.• Wir wollen die zunehmende Spaltung zwischen arm und reich eindämmen. Denn diese führt dazu, dass immer weitere Teile der Bevölkerung Angst vor Abstieg haben. Sie führt dazu, dass sich die Lebenswelten von arm und reich immer stärker voneinander entfernen, dass es kein Verständnis und keine Verantwortung füreinander gib. Doch wenn es in einer Gesellschaft keine Durchlässigkeit nach oben und keine Aufstiegschancen gibt, wenden sich die Menschen von ihr ab. Am Ende entscheidet die soziale Frage. Wir müssen Menschen einbinden, statt sie weiter auszugrenzen. Das kann gelingen mit Projekten, die dafür sorgen, dass kein Kind zurück bleibt, mit Programmen wie „Soziale Stadt“, mit Gemeinschaftsschulen und einer auf gleichberechtigte Partner setzenden Integrationspolitik - das sind geeignete Maßnahmen!Für die wirkliche Lösung der Probleme sind wir gewählt worden. Können wir das auf Dauer nicht einlösen, ist es eine Gefahr für die Demokratie. Denn: Angst wählt rechts. Und Rechtsextremismus entsteht bei den „Abgehängten“, die außerhalb der Gesellschaft oder an ihrem Rand stehen. Rechtspopulismus verfängt bei jenen, die sich vom Abstieg bedroht 4fühlen. Dies ist eine immer größere Gruppe, die sich selbst nicht außerhalb der Gesellschaft sieht, sondern mehrheitsfähig werden kann.Unsere Veranstaltung „Rechtspopulismus in Deutschland und Europa – Die neue Gefahr am rechten Rand?“ letzten Freitag hat diese Kernelemente unseres Antrags gestützt:Angst führt in Richtung Rechtspopulismus, in Richtung Rechtsextremismus. Rechtspopulistisches Gedankengut tröpfelt wie Gift in die etablierten Parteien. Nicht nur die Volksparteien, alle anderen sind genauso betroffen – siehe Röttgers’ „Kinder statt Inder“, Westerwelles „soziale Hängematte und spätrömische Dekadenz“ und natürlich auch Sarrazins „Kopftuchmädchen“.Die Veranstaltung hat gezeigt, wie wichtig die Diskussion darüber, wie wichtig die Analyse des Problems ist. Deswegen wollen wir den Antrag in den Ausschuss überweisen, damit wir dort eine Anhörung zu dem Thema machen. Danach sollte dann gesetzliches Handeln erfolgen. Das wäre ein sinnvolleres Vorgehen, als die Bürgerinnen und Bürger, die Expertinnen und Experten immer erst dann einzubinden, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist und eine wirkliche Änderung von Gesetzentwürfen wegen drohendem Gesichtsverlust nicht mehr möglich ist.