Anke Erdmann zur Inklusion in der Schule
PresseinformationEs gilt das gesprochene Wort! Landtagsfraktion Schleswig-Holstein TOP 40 – Umsetzung von Inklusion in der Schule Pressesprecherin Claudia Jacob Dazu sagt die bildungspolitische Sprecherin Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, 24105 Kiel Anke Erdmann: Telefon: 0431 / 988 - 1503 Fax: 0431 / 988 - 1501 Mobil: 0172 / 541 83 53 presse@gruene.ltsh.de www.sh.gruene-fraktion.de Nr. 510.11 / 16.09.2011Nachvollziehbare Zahlen, Transparenz der Strukturen und Klarheit bei Stolpersteinen und Potenzialen als Fundament für inklusive Schulen Herr Präsident, meine Damen und Herren,mehr als zwei Jahre nach in Krafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention liegt auf unseren Antrag hin ein Bericht der Landesregierung zur Inklusion in der Schule vor. Dieser Bericht ist wie eine Silvesterrakete: Zuerst sieht’s super aus, aber wer länger hinschaut findet sich im Nebel wieder.Vier Thesen für diese Debatte:1. Schleswig-Holstein hat eine gute Tradition in Sachen inklusiver Bildung • Rund jeder zweite Schüler mit Förderbedarf geht in eine „ganz normale“ Schule. Mit dieser Inklusionsquote liegen wir bundesweit weit vorn. • Das Landesförderzentrum Sehen wurde schon vor fast dreißig Jahren als Schule ohne Schüler konzipiert – absoluter Vorreiter. • Die Flensburger Waldschule hat einen bundesweiten Inklusionspreis gewonnen.Aber: Es gibt keinen Grund, sich auf diesen Lorbeeren auszuruhen.2. Eine gute Inklusionsquote heißt nicht unbedingt gute Inklusion Die Inklusionsquote ist wichtig, blendet aber bedeutende Fragen aus: • Wie sind die Abschlüsse von Jugendlichen mit Förderbedarf, wie entwickeln sich ihre Kompetenzen? Seite 1 von 3 • Wie viel Geld geben wir hier aus? Und wie ist der Bundesdurchschnitt? Gut fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen haben sonderpädagogischen Förderbedarf. Das ist unterhalb des Bundesdurchschnitts. Und seit rund zehn Jahren konstant. • Die Schuleingangsuntersuchungen im Sommer entdeckten 52 Prozent Kinder mit Auffälligkeiten. • Dass die Förderquote davon gänzlich unberührt bleibt, wundert mich – und ist auch gegen den Bundestrend.Wir haben eine im Bundesvergleich hohe Inklusionsquote – ob auch die Qualität inklu- siver Schulen gut ist, bleibt offen. Der Bericht listet zwar auf, wo die Weichen richtig ge- stellt sind – wie schnell die Züge darauf fahren, ob sie im Fahrplan bleiben und die Passagiere richtig ankommen, das wird nicht beleuchtet.3. Die Ressourcenfrage inkludieren Keine Seite lang geht es um die Frage, ob Inklusion kosten kann und kosten darf. In- klusive Beschulung sei im Rahmen der vorhandenen Ressourcen zu verwirklichen, heißt es im Bericht. „Erlauben Sie, dass ich einmal kurz und herzhaft auflache“, um die Klassenlehrerin einer Integrationsklasse zu zitieren. Was heißt das denn konkret bei ‚vorhandenen Ressourcen’? Gehen mögliche Einsparungen bei der Verlagerung des Landesförderzentrums Wentorf in die Umsetzung der Inklusion? Oder nicht?Eine klare Aussage fehlt. Auch wenn die Regel bleibt – ein Förderzentrum bekommt ein festes Budget für 1.000 SchülerInnen – dann wird das Budget insgesamt nicht konstant bleiben, sondern im Zeitablauf sinken.Aber genau das empfahl Prof. Klemm 2008, auf den Sie sich berufen: Die Übergangs- phase hin zur inklusiven Schule benötigt zusätzliche Mittel, trotz Schülerrückgang dürf- ten keine Förderlehrkräfte abgebaut werden. Der Bericht liefert dazu keine aussage- kräftigen Zahlen. Gerne verweise ich auf das Papier von Prof. Klemm „Gemeinsam ler- nen. Inklusion leben“ Ich zitiere:„Ob diese Personalmittel (also die aus dem Schüler- rückgang, Anm. d. Verf.) den Bedarf inklusiv arbeitender Schulen mittel- bis langfristig decken (…) dazu liegen bisher keine belastbaren Analysen vor.“ Prof. Klemm schlägt daher vor, Ausstattungsstandards zu erarbeiten. Das widerspricht Ihrem Ansatz. Ein Fi- nanzierungskonzept wird nicht mitgedacht, es geht um ein Durchwurschteln in die rich- tige Richtung.Diese drei Thesen laufen in einem Beispiel zusammen: Aus der Praxis kenne ich gute, ich kenne aber auch viele schlechte Beispiele: • Paula, fünf, mit speziellem sonderpädagogischem Förderbedarf. In ihrer Kita wird sie durch eine Heilpädagogin intensiv gefördert. In der Schule ist es damit vorbei – die Klasse bekommt insgesamt zwei Stunden Präventionsstunden. Für alle Kinder. Der Förderbedarf wird einfach nicht erhoben, erst ab Klasse 3 wieder.Meine erste These war die „Gute Tradition bei der inklusiven Bildung“: Die Förderkräfte selber sollen normal zur Regelschule gehören – das ist die gute Absicht. Aber allein die inklusive Beschulung, sagt noch nichts über die Qualität aus, das war meine zweite 2 These. Reden Sie mal mit Grundschulkräften: Die zwei Stunden pro Klasse sind gut gedacht, aber absolut nicht ausreichend, wenn Sie ein oder zwei Kinder mit echtem Förderbedarf L, S oder E in der Klasse haben. Da wird die dritte These deutlich: Die Ressourcenfrage gehört in eine Konzeption. Denn Sie kommen ja nicht auf zwei Prä- ventionsstunden, weil es optimal wäre, sondern, weil es sonst zu teuer wäre. Für Eltern ist das alles überhaupt nicht mehr nachzuvollziehen und für Lehrkräfte oft die tägliche Zerreißprobe.4. Potenziale und Herausforderungen auf dem Weg zu inklusiven Schule klar benen- nenDer Bericht hat versäumt, die Problemfelder oder Herausforderungen ehrlich zu benen- nen. Damit verlieren Sie viele, die sich ohnehin alleingelassen fühlen. Bei den Poten- zialen, zum Beispiel der engeren Zusammenarbeit mit Eingliederungs- und Jugendhilfe, bleibt der Bericht geradezu peinlich schwammig.Inklusive Schule wird nur gelingen, wenn viele an einem Strang ziehen. Nachvollziehba- re Zahlen, Transparenz der Strukturen und Klarheit bei Stolpersteinen und Potenzialen, das brauchen wir als Fundament. Dieser Bericht liefert dafür leider keine Grundlage. Wir brauchen einen Fahrplan für inklusive Schulen in Schleswig-Holstein, das hier ist er nicht. Ich hoffe sehr, dass uns intensive Ausschussberatungen weiter bringen werden. Weiter in Richtung: Alle inklusive!Der Weg zur inklusiven Schule ist nicht einfach. Gerade in Zeiten knapper Kassen ist das ein dickes Brett. Angekommen sind wir erst, wenn Eltern ohne Zweifel sagen kön- nen: Klar geht mein Kind mit unseren Nachbarskinder gemeinsam zur Schule – auch und gerade, weil es eine besondere Unterstützung braucht. Da ist es gut aufgehoben, da wird es gut unterstützt. *** 3