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24.08.11
15:27 Uhr
SPD

Martin Habersaat zu TOP 19: Bildungspolitik muss mehr sein als der kleinste gemeinsame Nenner

Es gilt das gesprochene Wort!
Kiel, 24. August 2011


TOP 19, Bildungsföderalismus neu gestalten (Drucksachen 18/1602 und 17/1739)



Martin Habersaat: Bildungspolitik muss mehr sein als der kleinste gemeinsame Nenner

Für und Wider des Bildungsföderalismus kann man in fünf Minuten nicht umfassend diskutieren. Um Umfang und Komplexität des Themas anzudeuten, zitiere ich einen Historiker aus unseren Reihen (den Namen nenne ich im Anschluss auf Anfrage), der schrieb, der Bildungsföderalismus sei nicht weniger als die „systemische[n] Generalgrenze im deutschen politischen System“.
Ich möchte meine Zeit nutzen, um mit Ihnen aus der Sicht eines Historikers in 5 Stationen von 1946 bis 2006 einige Schlaglichter auf die Debatte zu werfen, und einige Schlussfolgerungen anbieten.
Station 1: Schleswig-Holstein 1946
Aus der Tatsache, dass das Land Schleswig-Holstein älter ist als die Bundesrepublik Deutschland, ergibt sich, dass wir eine Debatte über die Bildungshoheit von Bund oder Ländern ganz ruhig führen können: Die Existenz des Landes hängt nicht von seiner Zuständigkeit für die Bildungspolitik ab. Wir können ohne Aufregung Vor- und Nachteile verschiedener Möglichkeiten gegeneinander abwägen.
Station 2: KMK 1948 Auch die Kultusministerkonferenz ist älter als die Bundesrepublik. Betrachtet man die Entwicklung Deutschlands und der Bildungspolitik in den vergangenen 63 Jahren, muss man feststellen, dass in Deutschland nicht alles schlecht gelaufen ist. Heute wegen eines diffusen Unbehagens allein der KMK Versagen vorzuwerfen, ist wohlfeil, aber nicht ganz zielführend. Die Kultusminister vertreten dort die politischen Standpunkte, die durch die jeweiligen Landtagsmehrheiten legitimiert sind. Möglicherweise lohnt es sich aber, über eine Reform der 2



KMK zu sprechen, beispielsweise mit der Einführung von qualifizierten Mehrheiten statt des Einstimmigkeitsprinzips.
Station 3: Bildungsrat 1966 - 1975 Der Bildungsrat war eines von mehreren Gremien, mit dessen Hilfe Bund und Länder im Laufe der Jahre um Verbesserungen im Bildungsbereich bemüht waren. Ich weiß nicht, ob die Grünen gerade dieses Beispiel gewählt haben, weil ein Kieler namens Erdmann einst den Vorsitz hatte?
Wichtige Impulse lieferte der Bildungsrat zu den Themenfeldern Gesamtschule und Ganztagsschule. Allerdings müssen wir die Frage stellen: Sind heute wirklich fehlende Impulse das Problem? Mein Eindruck ist manchmal, es sind derer zu viele. Zu suchen ist ein Weg oder meinetwegen ein Rat, um die Legislativen von Bund und Ländern in einen Gleichklang zu bringen. Von parlamentarischem Selbstvertrauen würde es zeugen, einen solchen Rat auch Parlamentariern anzuvertrauen.
Station 4: Der Pisa-Schock 2001 Wir machen einen Sprung: Nachdem Deutschland jahrzehntelang nicht an internationalen Bildungsstudien teilgenommen hatte, brachten TIMSS 1995 und vor allem der vielzitierte „PISA- Schock“ 2001 Bewegung in die Bildungspolitik. Die Bildungslandschaft änderte sich, viele dieser Änderungen sind noch nicht abgeschlossen oder noch nicht von allen akzeptiert.
Wichtig ist mir die Feststellung: Nicht jede Änderung ist negativ, nicht alles wäre in der Hand eines Bundesbildungsministers besser aufgehoben. Ein Beispiel sind die Gemeinschaftsschulen, die vielen Schülerinnen und Schülern durch längeres gemeinsames Lernen den Weg zum Abitur ermöglichen.
Station 5: Föderalismusreform 2006 Wir wissen nicht, was künftige Historiker als besondere Leistungen der Großen Koalition auf Bundesebene 2005–2009 hervorheben werden. Vermutlich wird es nicht die Föderalismusreform sein. Der schleswig-holsteinische Landtag hat jedenfalls in einem interfraktionellen Beschluss gefordert, dass sich künftig alle staatlichen Ebenen wieder für ein verbessertes Bildungswesen einsetzen dürfen sollen.
Die Beschlusslage vieler Parteien war auch früher eine deutlich andere; in den 1970er-Jahren forderte die SPD eine „Grundgesetzänderung für eine wirksame Vereinheitlichung der Bildungsplanung“, die FDP eine „Grundsatzkompetenz des Bundes für das gesamte Bildungswesen“ und die CDU etwas verschlungen, man solle „diejenigen Materien bundeseinheitlich regeln, bei denen das aus sachlichen Gründen geboten ist“. 3



Nach der Rekonstruktion nun die Konstruktion - Ausblick Bildungspolitik muss mehr sein als der kleinste gemeinsame Nenner, ja sogar mehr als die Summe von 16-Länder-Bildungspolitiken. Das Ziel ist klar: Wir wollen bessere Standards im Bildungsbereich, wir wollen den Menschen die Mobilität ermöglichen, die wir beispielsweise am Arbeitsmarkt von ihnen verlangen.
Aber mit welchen Mitteln um welchen Preis? Man kann Passagen des grünen Antrags so verstehen, als wäre die alte Dreigliedrigkeit des Schulsystems gut, wenn sie nur bundeseinheitlich wäre. Und wäre „alles neu ab 2017“ eine Lösung, die unseren Schulen in ihrer Arbeit hilft?
Da sind wir in Norddeutschland schon weiter und niemand hindert uns, zunächst hier für mehr Kooperation statt Konkurrenz zu arbeiten.
Wir wollen das Thema gerne im Bildungsausschuss weiter diskutieren und beantragen die Überweisung. Bei einer Abstimmung in der Sache würden wir uns enthalten.