Anke Spoorendonk zu TOP 1A - Energiepaket der Bundesregierung
Presseinformation Kiel, den 30.06.2011 Es gilt das gesprochene WortAnke SpoorendonkTOP 1A + 23 + 30 Energiepaket der BundesregierungDeutschland befindet sich an einem historischen Wendepunkt. Dabei ist es nicht dieEntscheidung der Bundesregierung für den Atomausstieg, die einmalig ist. DieserBeschluss wurde bereits 2000 von Rot-Grün getroffen. Auch die dahinter liegendeErkenntnis ist nicht bahnbrechend. Die Argumente, die für den Ausstieg sprechen,haben andere – auch der SSW – seit Jahrzehnten vorgetragen. Neu ist, dass die CDUnun auch verstanden hat, dass die „Restrisiken“ der Atomkraft nicht ethisch vertretbarsind. Und noch eines ist jetzt wirklich anders: Angela Merkel hat sich vom Einfluss derAtomwirtschaft gelöst. Die Politik hat die Energiepolitik selbst in die Hand genom-men, sie hat sich nicht von der Atomlobby und den großen EnergieversorgernBedingungen diktieren lassen. Der neue Atomkonsens ist ein Konsens der Politik. Dasist das Neue und das kann man dann wirklich als historische Wende bezeichnen.Die Energiepolitik in Deutschland zeigt nach der abermaligen 180-Grad-Wende derschwarz-gelben Koalition wieder in die richtige Richtung, und es gibt im Momentkeine Partei, die umkehren will. Nach Fukushima und Merkels Kehrtwende wird es 2kaum noch einmal gelingen – wie noch nach den Unfällen in Tschernobyl undHarrisburg – zur „Normalität“ in der deutschen Atompolitik zurückzukehren. Es gehtendlich nicht mehr um pro oder contra Atomkraft, sondern um den bestmöglichenWeg zum gemeinsamen Ziel Atomfreiheit. Das ist ein enormer Fortschritt.Die eine Seite der Gleichung, die Abschaltung aller Atomkraftwerke bis 2022, istbekannt und wird von vielen so geteilt. Wir gehören allerdings nur bedingt dazu,denn der SSW bleibt dabei, dass ein Ausstieg bis 2017 möglich wäre ohne die Energie-versorgung zu gefährden. Daher muss dieser frühere Ausstieg auch angestrebt wer-den. Diese Position ist aber offensichtlich nicht mehrheitsfähig, nicht einmal unterGrünen. Deshalb bleibt nun die politische Debatte über die zweite Seite der Gleichung,nämlich die Frage, wie wir den Atomstrom ersetzen und weniger Strom verbrauchen.Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass uns die CDU-FDP-Bundesregierung jetztetwas vorgelegt hat, das sie vor einem Jahr noch als unmöglich erachtete. Nun wirdgenau der Mix von Maßnahmen angestrebt, den wir schon seit langem als Alternativezum Atomstrom propagiert haben: regenerative Energiequellen, energetische Gebäu-desanierung, Stromsparmaßnahmen, Steigerung der Energieeffizienz und vor allemdie Förderung von Marktteilnehmern, die regenerativ forschen und produzieren.Die Umkehr der Energieversorgung einer ganzen Industrienation innerhalb wenigerJahre gleicht dem Wenden eines Supertankers auf dem Plöner See. Das erfordert guteLotsen, die das Ruder keinen Moment aus der Hand geben, und kraftvolle Schlepper.Die Energiewende kann nur gelingen, wenn der Staat massiv eingreift und steuert.Staatliche Einmischung in die Wirtschaft und politische Steuerung nach Plan sind janicht unbedingt Fachgebiete der schwarz-gelben Koalition, aber genau diese Quali-täten werden die Regierenden jetzt zeigen müssen. Durch freie Kräfte des Marktes 3allein wird sich nicht in 10 Jahren das entwickelt haben, was wir als Ersatz für dieAtomkraftwerke benötigen.Wir brauchen vor allem eine absolute Vorfahrt der erneuerbaren Energieproduktion –ohne Wenn und Aber. Der SSW teilt ausdrücklich nicht die Auffassung der Bundesre-gierung, dass der Bau neuer, moderner Kohlekraftwerke mit einer Gesamtkapazitätvon 10 Gigawatt und die CO2-Endlagerung notwendig sind. Es ist richtig, dass für eineÜbergangszeit Kohle und Gas gebraucht werden, um die Grundlast zu sichern und vorallem auch um flexibel auf schwankende Strommengen aus Wind und Sonne reagie-ren zu können. Dafür müssen und werden aber die bestehenden und die bereits ge-nehmigten neuen Kohlekraftwerke ausreichen. Der SSW lehnt es ab, die Verbrennungvon fossilen Brennstoffen langfristig zu verankern, indem Milliarden in den Bau einesganzen Parks von neuen Kohlekraftwerken und in die Entwicklung und großflächigeUmsetzung der CCS-Technologie gesteckt wird. Das geht auch anders und besser.Eines ist ganz sicher: Der Umstieg auf andere Energieformen wird kein Spaziergangauf Sonnenblumen. Er wird dornig. Als Verbraucherinnen und Verbraucher werden wireinen konkreten Preis in Euro und Cent zahlen, um das Atomrisiko loszuwerden. Undauch jene, die von einer Windmühle, einer Stromleitung oder einer Biogasanlageunmittelbar betroffen sind, werden Opfer erbringen müssen. Das gilt nebenbei be-merkt ja auch in allerhöchstem Maße für jene in Deutschland, die irgendwann in derNähe eines Atommüllendlagerns leben werden. Ein so hartes Schicksal wird denSchleswig-Holsteinern immerhin erspart bleiben. Trotzdem ist damit zu rechnen, dassder Bürgerprotest zunehmen wird, je konkreter die Planung wird und je näher dieUmsetzung rückt. Die Infrastruktur ist das Rückgrat der Energiewende und gleichzei-tig das größte Hindernis auf den Weg dorthin. 4Cordt Schnibben analysiert in der aktuellen Ausgabe des „Spiegel“ sehr treffend: „DieEnergiewende, die nötig ist, damit der Atomausstieg nicht im Blackout endet, brauchteinen starken, planerischen Staat von oben und eine Bürgerbewegung von unten, dienicht blockiert, sondern partizipiert.“ Damit ist das Spielfeld sehr gut umrissen – auchfür jene Bereiche, in denen Schleswig-Holstein seinen Beitrag leisten kann und muss.Denn bei uns vor Ort werden die Auseinandersetzungen stattfinden, wenn es um denAusbau der Infrastruktur geht, insbesondere für die Windenergie als eine der Haupt-säulen künftiger Energieversorgung. Und es wird vermutlich nicht leise abgehen.Schleswig-Holstein ist ein Land der erprobten Bürgerproteste, dafür haben wir keineNachhilfe aus Stuttgart gebraucht. Gerade in der Energiepolitik haben wir seit jehereine engagierte Bürgerschaft erlebt – sei es nun in Brokdorf, beim Widerstand gegendas CO2-Endlager oder bei den jüngsten Initiativen gegen Überlandleitungen und proErdkabel. Für den schleswig-holsteinischen Part der Energiewende wird es daherentscheidend sein, dass das Land in einen Dialog mit den Menschen eintritt, die sichvon der einen oder anderen Maßnahme persönlich berührt fühlen. Das gilt beim Netz-ausbau aber auch beim Bau neuer, dezentraler Anlagen zur Energieproduktion.Wir brauchen einen Dialog mit konkreten Einflussmöglichkeiten für die Bürger, damitdas Bürgerengagement nicht in Blockade, sondern in Partizipation mündet. Dabei istdie Form nachrangig. Die Einführung schicker neuer, Stuttgart-21-geprägterDialogforen ist nicht unbedingt der Weg, wenn am Ende nur eine Mitbestimmungvorgegaukelt wird, die man nicht erfüllen kann. Die Politik muss steuern, um dieEnergiewende zu erreichen. Wir müssen alles tun, um die Infrastruktur zu schaffen.Dass wir dabei zuhören, Sorgen ernst nehmen und Interessen möglichst berücksichti-gen, ist klar. Am Ende muss das Land aber seinen Part stemmen und auch zuunpopulären Entscheidungen stehen. 5Vor diesem Hintergrund ist es das Nonplusultra, dass wir geschlossen in den Prozesseintreten. Der Dialog mit den Menschen kann gelingen, wenn alle politischen Kräftegemeinsam für die Veränderungen und Unannehmlichkeiten werben, die notwendi-gerweise mit der Energiewende einhergehen. Dies erfordert allerdings, dass alle Teileder Landespolitik die Gemeinsamkeiten und das gemeinsame Ziel in den Vordergrundstellen. Die Voraussetzungen hierfür sind gar nicht so schlecht. Wir sind in der relativglücklichen Situation, dass alle Fraktionen in diesem Hause sich in vielen Themenbe-reichen noch relativ nah sind, was die energiepolitischen Überzeugungen betrifft –jedenfalls seitdem die Atomkraft abgeschrieben ist. Deshalb appelliert der SSW analle, die Gemeinsamkeiten zu suchen. Das gilt zuerst für die CDU-FDP-Koalition, diebisher nicht durch die Einbeziehung der Opposition aufgefallen ist. Ich erinnere bei-spielhaft an das gemeinsame Votum für die Schuldenbremse, das von den Regie-rungsparteien und Oppositionsparteien in gemeinsamer Verantwortung beschlossenworden ist. Das einzige, was wir uns jetzt nicht leisten können, ist, dass eine Regie-rung autistisch ihren Stiefel durchzieht und die nächste Regierung nach der Wahldann den Kurs wechselt. Dann wird es nichts. Wir alle tragen die Verantwortungdafür, dass der Atomausstieg gelingt. Das gilt für alle Parteien – nicht zuletzt ange-sichts der anstehenden Landtagswahl. Diesen Kampf können wir nur gemeinsamgewinnen - oder alle verlieren.