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27.05.11
10:44 Uhr
B 90/Grüne

Monika Heinold zum Glücksspielstaatsvertrag

Presseinformation

Es gilt das gesprochene Wort Landtagsfraktion Schleswig-Holstein TOP 19+25 - Glücksspielstaatsvertrag Pressesprecherin Claudia Jacob
Dazu sagt die finanzpolitische Sprecherin Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, 24105 Kiel Monika Heinold: Telefon: 0431 / 988 - 1503 Fax: 0431 / 988 - 1501 Mobil: 0172 / 541 83 53 presse@gruene.ltsh.de www.sh.gruene-fraktion.de
Nr. 316.11 / 27.05.2011


Herr von Boetticher, Herr Kubicki, ein schlechtes Blatt fliegt trotz Pokerface am Ende meistens auf
Wer eine Neuregelung des Glücksspiels mit dem Ziel des Jugendschutzes, der Sucht- prävention und des Spielerschutzes anstrebt, der muss zuallererst da ansetzen, wo es den größten Missstand gibt – und das sind ohne Zweifel die Spielhallen und das Auto- matenspiel. Alle Experten sind sich einig, dass das größte Suchtpotential vom Automa- tenspiel ausgeht.
Deshalb mutet es schon komisch an, wenn sich die Politik über Jahre intensiv mit der vermeintlichen Suchtgefahr des Lottospiels beschäftigt und gleichzeitig tatenlos zusieht, wie immer aggressivere Formen des Automatenspiels den Menschen das Geld aus der Tasche ziehen. Wer sich in den Städten und Gemeinden umschaut, stellt schnell fest, dass sich die Zahl der Spielhallen in den letzten Jahren massiv erhöht hat. Wer die Be- richte der Kriminalämter liest, weiß, dass diese über eine Vermehrung von Straftaten im Umfeld von Spielhallen berichten.
Es besteht also offensichtlich Handlungsbedarf: Schleswig-Holstein muss endlich ein eigenes Spielhallengesetz verabschieden. Daher fordern wir die Landesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Zahl der Spielhallen eindämmt und den Ju- gend- und Spielerschutz deutlich verbessert.
Ein weiterer Punkt in unserem Antrag befasst sich mit der viel diskutierten Neuordnung der Sportwetten. Für die Grüne Fraktion habe ich bereits mehrfach deutlich gemacht, Seite 1 von 4 dass wir den Ansatz von CDU und FDP den Sportwettenmarkt kontrolliert zu öffnen in der Grundausrichtung für richtig halten. Denn es ist ja zutreffend, dass man nicht ein- fach die Augen davor verschließen kann, dass es in Deutschland – trotz aller Verbote – einen großen, unregulierten Sportwettenmarkt gibt und dass die Flexibilität des Inter- nets mit einem starren Staatsmonopol schwer vereinbar ist.
Schleswig-Holstein hat in der Debatte um die kontrollierte Öffnung des Sportwetten- marktes eigene Akzente gesetzt – und das ist aus unserer Sicht auch gut so. Aber: Jetzt müssen die Kollegen Kubicki und von Boetticher aufpassen, dass sie ihr Blatt nicht überreizen! CDU und FDP haben bereits durchgesetzt, dass es das Glücksspiel- monopol in der bisherigen Form nicht mehr geben wird. Jetzt ist Diplomatie gefragt, um eine gemeinsame Lösung aller Länder zu finden.
Dass Sie, Herr Kubicki, stattdessen wie eine wild gewordene Tarantel alle anderen Mi- nisterpräsidenten als „Glücksspiel-Taliban“ und „unbelehrbare Extremisten“ diffamieren, ist unterirdisch und verleitet zum Fremdschämen.
Der Europäische Gerichtshof hat der Bundesrepublik ins Stammbuch geschrieben, für eine kohärente Regelung des Glücksspiels zu sorgen. Da wäre es doch geradezu ab- surd, wenn Schleswig-Holstein einen Sonderweg beschreiten, der das Kohärenzprob- lem nicht löst, sondern sogar noch verschärft.
CDU, FDP und Sportwettenanbieter versprechen Mehreinnahmen für das Land in a- benteuerlicher Höhe: 60 bis 220 Millionen Euro sollen es jährlich sein. Schwarz-Gelb phantasiert über einen virtuellen Jack-Pot zur Lösung der Finanzprobleme des Landes. Der Kommentar der Landesregierung zu solchen Fieberträumen sagt alles: Eine Ein- nahmeprognose abzugeben wäre „grob fahrlässig“, so Staatssekretär Wulf im Finanz- ausschuss.
Wahrscheinlich hat sich die Landesregierung mit den Erfahrungen anderer europäi- scher Länder beschäftigt: So sind die Steuereinnahmen in Großbritannien zwischen 2001 und 2009 um 30 Prozent gefallen. Und das, obwohl sich die Wettumsätze infolge der Liberalisierung des Wettmarktes in der gleichen Zeit verfünffacht haben. Bei einer Rohertragsabgabe von 20 Prozent bräuchten wir in Schleswig-Holstein Wettumsätze von drei Milliarden Euro, um Einnahmen von 60 Millionen zu generieren. Wo sollen die- se Wettumsätze denn bitte herkommen? Mit Sicherheit nicht allein von schleswig- holsteinischen Spielern.
Scheinbar spekulieren CDU und FDP darauf, dass die Bürger der anderen Bundeslän- der hier online wetten. Das aber kommt der Anstiftung zur Straftat gleich, denn wenn ein Niedersachse per Internet hier an einer Wette teilnimmt, die bei ihm illegal ist, dann macht er sich wegen Beteiligung an unerlaubtem Glücksspiel strafbar. Dänemark macht die Grenzen dicht und Schleswig-Holstein animiert die Bayern, die Pfälzer und die Brandenburger via Internet zum illegalen Glücksspiel – in was für Zeiten leben wir?
Für meine Fraktion steht deshalb unmissverständlich fest: Ein Alleingang Schleswig- 2 Hosteins darf es nicht geben, eine bundeseinheitliche Lösung ist zwingend. Sollten sich die Länder nicht auf einen einheitlichen Staatsvertrag einigen können, muss der Bund die Gesetzgebungskompetenz an sich ziehen, um für eine vernünftige und EU- konforme Regulierung des Sportwettenmarktes zu sorgen. Der schleswig-holsteinische Gesetzentwurf von CDU und FDP kann dabei durchaus als Grundlage dienen, sofern die vorhandenen Schwachstellen nachgebessert werden.
Dazu will ich nur zwei Beispiele nennen: Nach dem Entwurf von CDU und FDP sollen Online-Spielbanken mit 20 Prozent des Rohertrages besteuert werden. Das sind etwa zwei Prozent des Umsatzes. Die Präsenz-Spielbanken sollen dagegen mit 16,7 Prozent des Umsatzes besteuert werden. Dass das unter wettbewerbsrechtlichen Gesichts- punkten kaum haltbar ist, dürfte jedem einleuchten.
Der wissenschaftliche Dienst hat bereits europarechtliche Bedenken angemeldet und eine Notifizierung in Brüssel dringend angeraten. Diese haben CDU und FDP zwar noch nicht eingeleitet, dennoch verkünden sie in einer Presseerklärung schon mal laut- hals: „Aus europarechtlicher Sicht bestehen keine Bedenken gegen unseren Entwurf.“ Herr von Boetticher, Herr Kubicki, ein schlechtes Blatt fliegt trotz Pokerface am Ende meistens auf.
Eine weitere Schwachstelle: Der Gesetzentwurf sieht die Errichtung einer Anstalt des öffentlichen Rechts vor, mit einem eigenen Präsidenten und einem achtköpfigen Ver- waltungsrat. Ich frage Sie: Sind Sie sich des bürokratischen Aufwandes und der Kosten bewusst, die mit der Errichtung einer derartigen Einrichtung verbunden sind? Sehen Sie denn keine bessere Verwendung für die eingenommenen Gebühren, als damit einen Anstaltspräsidenten zu alimentieren? Ist das Ihr Beitrag zur Entbürokratisierung oder geht es wieder einmal nur um die Schaffung neuer Versorgungsposten?
Aber auch der neue Glücksspielstaatsvertrag aller fünfzehn Bundesländer hat erhebli- che Mängel, die noch behoben werden müssen. So werden sich die grün regierten Länder für eine Streichung der Internetsperren einsetzen, und die EU-Notifizierung wird zeigen, ob die Begrenzung der Lizenzen auf eine bestimmte Anzahl zulässig ist. Wenn nicht, muss auch hier nachgebessert werden.
Die Ansage von Staatssekretär Wulff, man werde den Staatsvertrag selbst dann ableh- nen, wenn er das Notifizierungsverfahren der EU positiv durchläuft, ist allerdings eine Kampfansage an einen solidarischen Föderalismus. Wer vom Länderfinanzausgleich profitiert und gleichzeitig versucht, das Solidarsystem durch Alleingänge auszutricksen, der muss sich nicht wundern, wenn er sich verzockt und die anderen Bundesländer bei nächster Gelegenheit ihre Solidarität mit Schleswig-Holstein aufkündigen.
Meine Damen und Herren von CDU und FDP, kehren Sie an den Verhandlungstisch mit den anderen Ministerpräsidenten zurück, statt Ihren Gesetzentwurf im Juni im Allein- gang durchzupeitschen. Ein Fußballspieler, der im Alleingang ohne Mitspieler nach vorne stürmt, wird schnell von der gegnerischen Abwehr kaltgestellt. Das sollte unse- rem Land erspart bleiben. 3 Gerade das milliardenschwere Interesse der Sportwettenanbieter an der Neugestaltung des Glücksspiels muss alle Parlamentarier in die Pflicht nehmen, bei der parlamentari- schen Beratung maximale Distanz zu den Profiteuren des neuen Gesetzes zu halten. Kungelrunden mit der Glücksspielindustrie – ob auf Malta oder auf Sylt – widerspre- chen unserem demokratischen Grundverständnis. Die Gesetzte macht der schleswig- holsteinische Landtag, die Beratungen finden in den öffentlich tagenden Fachaus- schüssen statt. Wer den Anschein erweckt, es wäre anders, schadet unserer Demokra- tie.



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