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24.03.11
10:16 Uhr
SPD

Dr. Ralf Stegner zu TOP 3: Wir haben einen guten Kompromiss gefunden

Es gilt das gesprochene Wort!
Kiel, 24. März 2011



TOP 3, Gesetzentwürfe zur Änderung der Verfassung und zur Änderung des Wahlgesetzes für den Landtag von Schleswig-Holstein (Drucksachen 17/669, 17/1070neu, 17/1081, 17/1371)



Dr. Ralf Stegner:

Wir haben einen guten Kompromiss gefunden


In letzter Zeit habe ich doch einige Briefe mit den unterschiedlichsten Vorschlägen und Meinungen zum Wahlrecht bekommen. Keiner zweifelte jedoch daran, dass baldige Neuwahlen der richtige Weg sind, dem Umstand abzuhelfen, dass dieses Parlament nicht verfassungs- konform zusammengesetzt ist. CDU, FDP und SPD setzen mit ihrer Vereinbarung, am 6. Mai 2012 zu wählen, ein Schlussdatum für diesen problematischen Zustand. Mit dem eingebrachten Wahlgesetz und der damit verbundenen Verfassungsänderung werden wir außerdem die Gefahr einer potentiellen Verfassungswidrigkeit des Wahlrechts deutlich minimieren. Das war für uns ein überragend wichtiger Gesichtspunkt und dies gebietet der Respekt vor dem Urteil des Landesverfassungsgerichts – dazu gehört übrigens auch, dass wir die gesetzten Maximalfristen nicht bis zum Letzten ausreizen.
Diesen Respekt vermisse ich bei mancher geradezu überbordenden Kritik an dem Urteil aus Schleswig. Da hat sich manch akademischer Wirrkopf auf großen Zeitungsseiten ausgetobt. Bedenklich fand ich vor allem den Vorwurf, das Parlament hätte das Landesverfassungsgericht nicht genügend kontrolliert. Das zeugt schon von einem seltsamen Demokratieverständnis. 2



ich glaube, dass wir letztlich einen guten Kompromiss gefunden haben und auch das Risiko, dass der Landtag erneut wieder deutlich mehr als die 69 gewollten Abgeordneten umfasst, ist erheblich reduziert worden. Schließlich wird die Zahl der Wahlkreise noch einmal um über 12 Prozent verringert. Sehen Sie, ich bin noch gar nicht so lange Parlamentarier und habe die erste Zeit ja auch als Minister verbracht. Meine Hochachtung vor dem, was die allermeisten Landtagsabgeordneten leisten, ist sehr hoch. Ich glaube kaum, dass die Bedürfnisse in der Bevölkerung, in den Vereinen und in den Betrieben mit sachkundigen und regional ver- ankerten Abgeordneten zu reden, mit viel weniger Abgeordneten erfüllt werden könnten. Die zahlreichen Gespräche und Diskussionen, die die Abgeordneten vor Ort oder auch hier in Kiel führen, sprechen dafür, dass das Interesse hoch genug ist, um eine Zahl von 69 Abgeordneten zu rechtfertigen.
So sind z.B. unsere beiden Gesundheits- und Pflegeexperten Bernd Heinemann und Birte Pauls auf unzähligen Veranstaltungen hier im Land unterwegs. Herr Eichstädt hat in vielen Orten über das Wahlrecht diskutiert. Herr Schulze ist mehr denn je für Veranstaltungen über die Zukunft der regenerativen Energien und den Ausstieg aus der Atomenergie gefragt und Frau Redmann führt z. B. Gespräche mit dem Landesjagdverband in Rendsburg-Eckernförde oder über den Küstenschutz in Nordfriesland, um nur einige Beispiele zu nennen. Auch die Funktion der re- gionalen Abgeordnetenbüros als Anlaufstellen sollte man nicht unterschätzen. Nicht jedem reicht der telefonische oder der email-Kontakt.
Und selbst wenn die Zahl 69 – wir sind damit das zweitkleinste Parlament in Deutschland – wieder überschritten werden sollte, stellt dies keinen Weltuntergang dar. Sicher wären andere Staatsformen auf den ersten Blick kostengünstiger und für den Steuerzahlerbund ist wohl jeder Euro für einen Abgeordneten ein Euro zuviel, doch bin ich der Ansicht, dass wir uns die Demo- kratie auch etwas kosten lassen sollten. Eine vernünftige parlamentarische Vertretung ist nicht zum Nulltarif zu haben.
Im Übrigen würde eine weitere Verringerung der Anzahl der Wahlkreise zugunsten der Listenmandate den Einfluss der Bürgerinnen und Bürger natürlich nicht stärken, da über die Listen nur die Parteien entscheiden. Die Erfahrung mit dem Hamburger Wahlrecht lädt übrigens nicht dazu ein, dem dadurch abzuhelfen, dass man das Wahlgesetz komplizierter macht. Dafür 3



ist die Wahlbeteiligung leider schon niedrig genug. Nein, wir wollen hier nach der ganzen Vorgeschichte keine sensationellen Experimente mit dem Walrecht veranstalten.
Dennoch hatten wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nach Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern und als Konsequenz der Anhörung angeboten, an anderen Punkten Kompromisse zu machen, also z. B. über eine weitere Reduzierung der Sollzahl auf 67 nachzudenken oder mit der Rückkehr zu einem Ein-Stimmen-Wahlrecht ein Überschreiten dieser Sollzahl zu vermeiden. Mit dieser Kompromissbereitschaft waren wir der öffentlichen Erwartungshaltung und den Appellen unseres Landtagspräsidenten gefolgt. Dazu ist es dann aber nicht gekommen, weil zum Kompromiss immer mehr als eine Partei gehört.
Das ist schade, zumal das Ein-Stimmen-Wahlrecht ein Mehr und nicht ein Weniger an Demokratie gebracht hätte. Gleiches gilt für die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Es hätte die Mitwirkungsmöglichkeiten der jungen Menschen erhöht, ihre Motivation und ihre Integration bestärkt und nicht zuletzt auch für uns einen ganz handfesten Grund mehr ge- schaffen, uns mit ihren Belangen auseinanderzusetzen.
Die Anhörung hat mich im Übrigen zu der Einsicht gebracht, dass weder ein Wahltermin noch die Sollgröße eines Parlaments als Ziel auf eine Stufe beispielsweise mit dem Schutz von Minderheiten zu stellen sind. Deswegen sollten sie auch keinen Verfassungsrang mehr haben. Im Übrigen haben wir uns auch für das modernere Auszählverfahren nach Sainte- Laguë/Schepers entschieden, von dem niemand behauptet, dass es CDU oder SPD bevorzugt.
Ich halte 35 Wahlkreise für eine gute Sollzahl, um die Verankerung der Abgeordneten in dem Flächenland Schleswig-Holstein und auch den Kontakt für die Bürgerinnen und Bürger zu „ihren Abgeordneten“ zu behalten.
Mit dem Vollausgleich von Überhangmandaten und der neuen Zählweise werden wir künftig sicherstellen, dass sich der Wählerwille deutlich besser auch in der Zusammensetzung des Parlaments widerspiegelt. Dies übrigens ist deutlich wichtiger als die Anzahl der Abgeordneten. 4



Das von CDU, FDP und SPD eingebrachte neue Wahlgesetz ist sicher nicht der Weisheit letzter Schluss. Es löste jedoch das entscheidende Problem des alten Rechts: Das Ergebnis der Wahlen wird durch die Sitzverteilung im Landtag nicht länger verzerrt werden.
Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Insgesamt bin ich froh über den gefundenen Kompromiss mit CDU und FDP und bedauere, dass SSW und Grüne am Ende nicht mehr zu entsprechenden Verhandlungen und damit zu weiteren Kompromissen bereit waren. Es ist auch ein gutes Zeichen, dass wir auch in schwierigen Zeiten Einigungen über die Grenzen von Regierungs- und Oppositionsfraktionen hinweg erreichen können. Lassen Sie uns gemeinsam heute ein neues Wahlrecht für Schleswig-Holstein beschließen, das den Wahlgesetzen vieler anderer Länder entspricht!
Und erlauben Sie mir noch eine letzte persönliche Anmerkung zu den monatelangen Diskussionen: Wir sollten gemeinsam für das Ansehen dieses Parlaments werben und wir sollten auch gemeinsam so manchem anti-parlamentarischen Reflex bzw. Unterton entgegentreten, der der Arbeit der Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus nicht gerecht wird. Wir sind alle Demokratiearbeiterinnen und Demokratiearbeiter, die sich in demokratischen Parteien und Fraktionen für das Gemeinwohl unseres schönen Landes Schleswig-Holstein engagieren und auf verschiedenen Wegen darum ringen, das Leben der Menschen zu verbessern.