Lars Harms zu TOP 1 - "Energiepolitik für Schleswig-Holstein - verantwortlich und nachhaltig"
Presseinformation Kiel, den 23.03.2011 Es gilt das gesprochene WortLars HarmsTOP 1A, 20 & 28 Regierungserklärung „Energiepolitik für Schleswig-Holstein – verantwortlich und nachhaltig“ und Anträge Drs 17/1360 & 17/1369Bei der rasanten Entwicklung der Atomdebatte in den letzten zwei Wochen stellt sich schon dieFrage: Warum nicht gleich so? Denn letztendlich hat sich an der Faktenlage nichts geändert.Die Lebenslügen der Atomlobby waren schon seit Jahrzehnten falsch. Dass es des traurigenUnglücks in Japan bedurfte, um dem Lobbyismus zumindest für einen Zeitraum von dreiMonaten ein Ende zu bereiten, zeigt, dass insbesondere die CDU aus Landes- und Bundesebeneund die FDP auf Bundesebene aus der Faktenlage nichts lernen konnten oder wollten. Manfolgte treu den Lebenslügen der Atomlobby und sorgte dafür, dass den großenEnergiekonzernen in Deutschland das Geld nicht ausgeht.Welchen Lebenslügen ist man nun gefolgt? 2Lebenslüge Nr. 1: „Schaltet man die Atomkraftwerke nur teilweise ab, dann gehen inDeutschland die Lichter aus.“ Meine Damen und Herren, das war natürlich völliger Unsinn. Daswusste man auch schon vorher. Natürlich haben wir billigen Atomstrom ins Ausland exportiertund natürlich brauchten wir die dafür betriebenen Atomanlagen nicht für unsere Versorgung.Man brauchte auch kein Mathematikprofessor sein, um auszurechnen wie viel Atomanlagennicht mehr benötigt würden, wenn man keinen Atomstrom mehr exportiert. Wir haben lautUmweltbundesamt eine überschüssige Kapazität von 15 Gigawatt. Fachleute haben schon vorden Unglücksereignissen in Japan deshalb darauf hingewiesen, dass rund die Hälfte derAtomanlagen nicht benötigt wird.Nun werden 8 Atommeiler zumindest zeitweise abgeschaltet und in Deutschland gehen dieLichter eben nicht aus. Und das Umweltbundesamt kommt sogar zu dem Schluss, dass man 9AKWs sofort ausschalten kann, ohne dass Einschränkungen der Versorgungssicherheit zubefürchten oder Stromimporte aus dem Ausland nötig würden.Im Gegenteil. Durch den seinerzeitigen rot-grünen Kompromiss mit der Energiewirtschaftwurde ja schon gezeigt, dass ein Ausstieg innerhalb von 10 Jahren auch von derEnergiewirtschaft akzeptiert wurde. Das heißt, der Ausstieg wurde seinerzeit nicht nur alsmöglich, sondern auch als wirtschaftlich problemlos umsetzbar angesehen. Und auch hierspricht das Umweltbundesamt eine deutliche Sprache. Der völlige Atomausstieg sei schon 2017möglich. Hierfür sind nur die heute schon vorhandenen Kraftwerke und die im Baubefindlichen Kraftwerke nötig. Man müsste nur die Erneuerbaren Energien ausbauen und diebisher geplanten effizienten Blockheizkraftwerke und Gaskraftwerke bauen.Hier möchte ich denn auch ein aktuelles Thema einschieben. Weil wir keine neuen Kraftwerke– insbesondere keine Kohlekraftwerke – mehr brauchen, brauchen wir auch keine CCS-Einlagerung. Auch dieses Thema ist mit einer unkalkulierbaren Unsicherheit für die Gesundheitder Menschen und für die Natur belegt. Wir sollten aus der Atomdebatte nun auch lernen, dassnicht sicher beherrschbare Technologien ein Irrweg sind. Und deshalb ist auch CCS ein Irrweg. 3Lebenslüge Nr. 2: „Wir brauchen Atomkraftwerke, weil diese saubere Energie produzieren.“Auch diese Lebenslüge ist seit Jahrzehnten widerlegt, aber erst jetzt scheint sich Schwarz-Gelbzumindest für eine Zeit lang der Diskussion nicht mehr zu verschließen. Vergleicht man diederzeitige Energiebilanz von Atomkraftwerken mit den erneuerbaren Energien und mitmodernen Gaskraftwerken, so schneiden die AKWs schlechter ab. Insbesondere durch dieGewinnung des für die AKWs nötigen Urans wird eine Unmenge an Energie aufgewendet. Diesverschlechtert die Energiebilanz und damit auch die Ökobilanz der Kernenergie gegenüber denErneuerbaren Energien und den eben genannten modernen Gaskraftwerken.Dies liegt aber auch darin begründet, dass dezentrale Einheiten auch so installiert werdenkönnen, dass man vor Ort die Abwärme dieser Kraftwerke nutzen kann. Sei es Biogas- oderandere Gaskraftwerke; beides kann so genutzt werden, dass man den größtenEnergieschlucker nämlich die Energie für Wärmegewinnung gleich mitdenken kann. RiesigeAtomkraftwerke bräuchten hierfür riesige Industrieanlagen als Abnehmer. Die meisten dieserAKWs stehen aber an Standorten, die genau dies nicht zulassen. Auch vor diesem Hintergrundist die Atomenergie eben keine nachhaltige Energieform. Betrachtet man im Übrigen dannnoch, dass die Uranvorkommen auf der Erde immer schwieriger zugänglich sind, dann wird dieAtomenergie auf längere Sicht noch unattraktiver.Lebenslüge Nr. 3: „Die AKWs bedeuten auch Arbeitsplätze.“ Wenn man sich mit wenigenArbeitsplätzen zufrieden gibt, dann mag diese Aussage stimmen. Will man aber mehrArbeitsplätze, dann ist diese Aussage völlig falsch. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien hatin den letzten 10 Jahren tausende an Arbeitsplätzen geschaffen und, was noch viel wichtigerist, eine eben so große Menge an Arbeitsplätzen im Handwerk und Gewerbe vor Ort gesichert.Ganze Landstriche, wie bei uns an der Westküste, haben so einen unheimlichen Schubbekommen. In der Fläche werden dezentral Anlagen betrieben, die gewartet und repariertwerden müssen. Für das regionale Handwerk ist dies eine wichtige und dauerhafteEinnahmequelle. Überall in unserem Land haben sich Arbeitsplätze rund um die Erneuerbaren 4Energien angesiedelt. Noch vor 20 Jahren war es fast unmöglich als Ingenieur einen Job inNordfriesland zu finden und heute zieht es die Fachkräfte förmlich in unser Land.Die Hochschulen und Weiterbildungsinstitutionen haben diesen langfristigen Trendaufgegriffen und sich im Bereich der Erneuerbaren Energien einen Namen gemacht. UnserInteresse als Land Schleswig-Holstein muss es sein, die Infrastruktur für diesenWirtschaftszweig auszubauen und die politischen Rahmenbedingungen zu schaffen, dassdieser Wirtschaftszweig weiter bei uns blühen kann. Ich zitiere noch einmal dasUmweltbundesamt, nach dem sich der gesamte Strombedarf in Deutschland bis 2050 ausErneuerbaren Energien gewinnen lässt. Wir in Schleswig-Holstein sind führend in diesemBereich und deshalb muss jede verantwortungsvolle Schleswig-Holsteinische Landesregierungfür den schnellen Atomausstieg und für den Ausbau der Erneuerbaren Energien eintreten. Diesschafft und erhält gerade bei uns dringend notwendige Arbeitsplätze.Lebenslüge Nr. 4: „Wenn die Atomkraftwerke abgeschaltet werden, steigen die Strompreise.“Auch diese Behauptung ist definitiv Unsinn. In den letzten Jahren sind die Preise in größeremAusmaß gestiegen, als der Anteil der Erneuerbaren Energien am Gesamtstromanteil gestiegenist. Da der Kraftwerkspark der Energieriesen nicht nur aus nagelneuen Anlagen besteht,sondern diese Anlagen oft älteren Datums und damit abgeschrieben sind, hätte der Preis fürdie konventionelle Energie eigentlich in den letzten Jahren sinken müssen und wahrscheinlichdie Mehrkosten für neue Energieformen aufwiegen müssen. Das dies nicht geschehen ist, liegtvielleicht auch daran, dass die vier großen Oligopolisten am Energiemarkt die Vergünstigungennicht an die Verbraucher weitergegeben haben. Und das Ganze wurde ja auch in derVergangenheit durch die schwarz-gelbe Energiepolitik unterstützt.Dass die Preise nicht gefallen oder doch zumindest gleich geblieben sind, liegt nicht an denneuen Energieformen, sondern am mangelnden Wettbewerb am Markt. Würden mehrunabhängige Anbieter am Markt ihren Strom anbieten, würde dies auch eine positiveAuswirkung auf die Verbraucherpreise haben. Es muss also Schluss sein mit der künstlichenSubventionierung des Atomstroms und Schluss sein mit der einseitigen politischen 5Unterstützung der Stromkonzerne. Würden wir adäquate Sicherheitsstandards für dieAtomkraftwerke verlangen und entsprechende Versicherungsbeiträge für die AKWs erhobenwerden, würde sich der Betrieb dieser Kraftwerke schon heute nicht mehr lohnen. Wenn aberder Atomausstieg sicher beschlossen werden würde, würden auch mehr Anbieter im Bereichder anderen Energieformen an den Markt gehen und dann würde sich die Konkurrenz für dievier großen Energieriesen vervielfachen. Dadurch gäbe es mehr Wettbewerb und so wärenmindestens stabile Preise – vielleicht sogar fallende Preise möglich.Lebenslüge Nr. 5: „Unsere Atomkraftwerke sind sicher.“ Dieser Satz lässt sich durch das, was inJapan geschehen ist, ohnehin schon widerlegen. Aber auch wenn man sich die AKWs inDeutschland einzeln ansieht, wird man nicht um den Schluss herum kommen, dass dieseAnlagen nicht sicher zu betreiben sind. Da sind zum Beispiel unsere Pannenreaktoren inKrümmel und Brunsbüttel. In beiden Kraftwerken hat es eine Vielzahl von Störfällen gegeben,die teilweise auch zu schlimmeren Szenarien hätten führen können. Das Krümmel seit 2009abgeschaltet ist und auch Brunsbüttel vom Netz bleibt, hat schon seine Gründe. Diese Gründesind einerseits technischer Art und andererseits erwies sich auch der bisherige BetreiberVattenfall als nicht unbedingt zuverlässig und kommunikativ. Sieht man dann noch, dass mansich in Japan immer wieder eingeredet hat, die nun zerstörten AKWs seien sicher, dann kanneinem nur Angst und Bange werden.Aber ich möchte auch auf ein absolut realistisches Szenario hinweisen. Seit den Anschlägenvom 11. September wissen wir, dass Menschen zu solchen Anschlägen fähig sind. Und wirwissen auch, dass Atomkraftwerke wie das in Brunsbüttel einem solchen Anschlag nichtstandhalten würden. Wir wissen darüber hinaus auch, dass die Notstromanlagen für die AKWsoft nicht durch eine ausreichende Betonhülle geschützt sind – im übrigen genauso wie die inJapan. Und weil wir dieses alles wissen, müssen wir in erster Linie unsere Bürger schützen undnicht die großen Stromkonzerne. 6Was wir brauchen, meine Damen und Herren, ist nicht den Marsch in eine verstrahlte Zukunft,sondern ein schnelles Umlenken in der Energiepolitik. Dabei müssen die jetzt im Rahmen desMoratoriums abgeschalteten Atomkraftwerke dauerhaft abgeschaltet bleiben. Es mussvorläufig der rot-grüne Atomkompromiss weitergeführt werden. Und es muss angestrebtwerden, noch früher aus der Atomkraft auszusteigen. Dafür müssen wir die ErneuerbarenEnergien massiv fördern und dezentrale Energieformen voran bringen. Hierfür sind weder neueKohlekraftwerke noch CCS-Technik nötig. Vielmehr muss man den entschiedenen Willenhaben endlich umzusteuern. Wir brauchen einen Ausbau der Netze, so dass der Strom aus denneuen Energieformen auch eingespeist werden kann. Hierfür wird es nötig sein, sehr schnellsehr viele Projekte auf die Beine zu stellen. Wenn wir schnell aus der Atomwirtschaftaussteigen wollen, müssen diese Netz-Projekte schnell umgesetzt werden und deshalbbrauchen wir hier wahrscheinlich verkürzte Genehmigungsverfahren. Deshalb müssen wir sehrschnell Wege finden, wie bei verkürzten Verfahren im Vorwege die Bürgerbeteiligung nicht zukurz kommt. Das ist eine der wirklichen Herausforderungen der Landespolitik der nächstenJahre. Und wir brauchen die Zusammenarbeit mit anderen Ländern, die ebenfalls erneuerbareEnergiequellen nutzen, wie zum Beispiel Norwegen. Nur wenn die Erneuerbaren Energiengrenzüberschreitend genutzt werden und sich ergänzen, werden wir den vollen Nutzen derErneuerbaren Energien nutzen können.Wenn wir diesen Weg gehen, schaffen wir Arbeitsplätze in Schleswig-Holstein, unterstützenunsere Hochschullandschaft, generieren sichere Steuereinnahmen für unser Land und sorgenfür die Sicherheit unser Bürgerinnen und Bürger.Deswegen: Alle AKWs abschalten! Und das so schnell wie möglich.