Dr. Ralf Stegner zu TOP 35: Politische Führungslosigkeit schnell beenden!
Es gilt das gesprochene Wort! Kiel, 24. Februar 2011TOP 35, Politische Führung und die Wahrnehmung schleswig-holsteinischer Interessen (Drucksache 17/1292)Dr. Ralf Stegner:Politische Führungslosigkeit schnell beenden!Überflüssig, populistisch und nur meiner eigener Profilierung dienend – so haben die Regierungsfraktionen unseren Debattenantrag im Vorwege kommentiert. Nach einer selbstbewussten Regierungskoalition, die auf dem Feld der politischen Führung und der Wahrnehmung schleswig-holsteinischer Interessen etwas Substanzielles vorzuweisen hätte, klingt das nicht. Zeigt doch die Bilanz Ihrer bisherigen Regierungszeit, dass Sie von politischer Führung keine Ahnung oder kein Interesse an ihr haben.Obwohl, irgendwie haben Sie auch recht: Die Urwahl der Spitzenkandidatin oder des Spitzenkandidaten für die schleswig-holsteinische SPD ist tatsächlich mit ein Grund für diese Debatte, aber nicht, um diese noch zu beeinflussen - das wäre am letzten Tag vor Absendeschluss der 14tägigen Abstimmungsperiode auch ein wenig kurios -, sondern aus einem ganz anderen Grunde: Denn wir haben in den 16 Vorstellungsrunden mit insgesamt ungefähr 5.000 Mitgliedern und Gästen eines immer wieder gehört: Die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holstein sind mit der jetzigen Regierungspolitik in Schleswig-Holstein überhaupt nicht zufrieden. Wie könnten sie das auch? Hans-Dietrich Genscher hat einmal gesagt, politische Führung bedeute insbesondere geistige Führung. 2Ohne politische Führung wirkt Politik auf die Bürgerinnen und Bürger konfus, chaotisch und willkürlich – so wie Ihre Politik in diesem Lande auch ist. Es ist ja nicht nur der nicht verfassungsmäßig zusammengesetzte Landtag, warum sich die Schleswig-Holsteiner baldige Neuwahlen wünschen.Politik ist selten schwarz oder weiß, wir haben die Aufgabe, sie zu erklären, deutlich zu machen, in welche Richtung wir wollen und welche Schritte zu diesem Ziel führen. Eine gute politische Führung für dieses Land würde bedeuten, konsequent auf eine Zukunft hinzuarbeiten mit einer starken Wirtschaft, mit guter Arbeit, einer nach vorne gerichteten Bildungspolitik, mit sozialem Zusammenhalt und ökologischer Vernunft.Dies müsste die Richtschnur politischen Handelns beim Herrn Ministerpräsidenten und seiner Regierung sein. Was tut die jetzige Landesregierung? Sie machen bei jeder dieser Kategorien entweder das Gegenteil, meistens aber gar nichts. Wenn den landesweiten Protesten in fast allen gesellschaftlichen Bereichen dann auch noch blanke Ignoranz der Regierung entgegen- schlägt, wie das bei Ihnen der Fall ist, ist Politikfrust vorprogrammiert.Wir erinnern uns: Sie sind in die letzten Wahlen mit den Slogans gegangen: „Schluss mit Kuddelmuddel“ (CDU) und „Wir können, was wir tun“ (FDP). Nur der Baron von Münchhausen würde sich heute noch trauen, diese Plakate beispielsweise vor dem Bildungsministerium aufzustellen. Die Wirklichkeit ist, bei politischer Führung und der Vertretung der Landes- interessen herrscht flächendeckend Fehlanzeige:⇒ Statt eines durchdachten und regional wie sozial ausgewogenen Konsolidierungskonzeptes mit strukturellen Änderungen setzen Sie auf unsoziale, willkürliche Kürzungen zu Lasten der Schwächsten, die monatelang für Ängste und Verunsicherung sorgen. Manches nehmen Sie dann in einigen Teilen wieder zurück, manches nur scheinbar (wie bei der JVA Flensburg) und dort, wo Sie das nicht tun, zerstören Sie lang gewachsene Strukturen.⇒ Noch immer gibt es vom Innenminister keine Initiative, wie der kommunale Finanzausgleich Perspektiven für verschuldete Städte und Gemeinden bieten kann. Stand in Ihrem Koalitionsvertrag nicht wenigstens ein Prüfauftrag? Währenddessen wird die finanzielle Situation der Kommunen immer angespannter, die Koalition stimmt in Berlin als Zünglein an der Waage 3den Steuergeschenken für Hoteliers zu. Die bauen jetzt vielleicht ein paar Swimmingpools für ihre Gäste, während sich die Kommunen für ihre Einwohnerinnen und Einwohner öffentliche Schwimmbäder kaum mehr leisten können. Vertretung der Landesinteressen sieht nun wirklich anders aus.⇒ Statt sich für eine konsequente Energiewende hin zu erneuerbaren Energien einzusetzen, die Arbeitsplätze vor Ort bringt und Klimaschutz befördert, unterstützt der größere Teil der Koalition den Atomdeal der Kanzlerin mit den vier Energieriesen. Vertretung der Landesinteressen wäre das Gegenteil.⇒ Noch immer ist es dem Justizminister nicht gelungen, den Posten des Generalstaatsanwalts rechtsfehlerfrei zu besetzen – um nur eine gescheiterte Personalie aus diesem Hause zu nennen. Andere Ministerien sind bei der Aufblähung ihrer Verwaltungsapparate erfolgreicher. Wie viele Abteilungsleiter gibt es nunmehr doch gleich im Bildungsministerium, Herr Dr. Klug?⇒ Dem Vorwurf mangelnder Demokratie in den Amtsausschüssen durch das Verfassungsgericht begegnete der Innenminister mit einem Papier, das selbst der Koalitionspartner mehr als deutlich verwirft, vor gesetzgeberischen Schnellschüssen warnt und Gespräche mit den Kommunen anmahnt. Eine berechtigte Mahnung, wenn man sich die Reaktion des Gemeindetages anschaut. Dies wundert nicht, ist doch das Schlie’sche Lösungsinstrument der Zweckverbände noch weiter von demokratischer Legitimation entfernt als die Amtsausschüsse. Ich nehme an, dass Ihr Vorschlag genauso endet wie Ihr berüchtigter Katalog als Entbürokratisierungsstaatssekretär.⇒ Aus jenem Papier stammte bekanntlich auch Ihr Vorhaben, die Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen einzuschränken und die Position der Gleichstellungsbeauftragten zu schwächen. In dem für die Regierung üblichen Hü und Hott wurde auch das wieder einkassiert. In der Sache gut – im Stil mangelhaft.Leider bilden die beiden FDP-Minister die Spitze des Regierungsmurks. Herr Garg fällt dadurch auf, dass er zwar flammende Reden hält, beim Handeln aber immer wieder zum Jagen getragen werden muss: Wie können Sie verantworten, dass Sie fast 2 Jahre nach Verabschie- 4dung des Selbstbestimmungsstärkungsgesetzes immer noch nicht die dafür nötige Verordnung erlassen haben? Der devote Plenarantrag von CDU und FDP zu diesem Thema passt eher zum Parlament des Kaiserreichs.Weitere Pflegegesetze: Fehlanzeige. Kinderschutzbeirat: Noch nicht einmal einberufen. Dafür schmücken Sie sich dann lieber mit fremden Federn. Hatten Sie im Dezember noch getönt, dass man den Hartz IV-Gesetzen aus dem Hause von der Leyen unverändert zustimmen könne – auch Sie, Herr Ministerpräsident, habe ich ähnlich lautend im Ohr – so freuen Sie sich jetzt über den Verhandlungserfolg, der die Kommunen um 4 Milliarden € entlasten wird, vergessen nur zu erwähnen, dass SPD und GRÜNE das gegen Union und FDP durchgesetzt haben.⇒ Über die Arbeit von Herrn Klug werden wir am Freitag sicher noch mehr im Detail hören. Infam finde ich allerdings die Art, wie er absurde Vorwürfe gegen Mitarbeiterinnen und Mitar- beiter tagelang im Raum stehen lässt. Und ganz nebenbei: Ihr bundesweit einmaliges Retro- Projekt der Rückwärtsrolle im Bildungsbereich scheitert an Ihnen selbst. Welche Ironie der Geschichte!Derweil veranstalten Sie, Herr von Boetticher, landesweit mäßig besuchte Bildungskonferenzen, die Ihrer Basis als Ventil dienen, verbalen Frust gegen die unkluge Bildungspolitik abzulassen. Politische Führung ist das nicht!Dass der Herr Fraktionsvorsitzende der FDP sich dazu versteigt, die gravierenden Fehler im Bildungsressort nicht auf die politische Spitze, sondern auf angeblich sozialdemokratisch indoktrinierte Beamte zu schieben, das ist nicht politische Führung, nein, das ist an Erbärmlichkeit nicht zu überbieten. Wo bleibt eigentliche Ihre Entschuldigung bei den Beschäftigten, Herr Kollege Kubicki? Der gleichzeitige Fußtritt gegen den eigenen Bildungs- minister ist da eher eine Fußnote.⇒ Von katastrophaler politischer Führungslosigkeit und Politik gegen die Landesinteressen zeugt auch Ihre Minderheitenpolitik. Die Abkehr von jahrzehntelanger überparteilicher Minderheitenpolitik und kompetenten Minderheitenbeauftragten (wie Kurt Hamer, Kurt Schulz oder Renate Schnack), hin zur Ausspielung von Minderheiten gegeneinander stößt nicht nur bei 5allen Parteien in Dänemark und beim SSW, und der deutschen Minderheit auf Unverständnis. Auch das werden wir nach dem Regierungswechsel wieder ändern.Ich weiß nicht, woran es liegt: An der wackligen Ein-Stimmen-Mehrheit, ob die Traumpartner vielleicht doch eher alptraumhaft sind oder ob die Amtsmüdigkeit eine ansteckende Krankheit ist. Ihr Umgang mit der Universität Lübeck war das erschreckendste Beispiel dafür, wie dilettantisch Schleswig-Holstein regiert wird. Darüber könnte man sich ja mit einer parteipolitischen Brille freuen, weil Sie dokumentieren, warum Sie in den Städten keine Mandate holen. Trotzdem freut dieser politische Scherbenhaufen nicht einmal die Opposition.Politische Führung wäre ja eigentlich Sache des Ministerpräsidenten. Nun weiß inzwischen ja jeder, dass er bei Telefonaten gelegentlich brüllt, aber bei entscheidenden Debatten glänzt er vielfach durch Abwesenheit. Wer seine Richtlinienkompetenz auf den Käse-Stand der Grünen Woche konzentriert, darf ohne Übertreibung als Totalausfall unter den 16 Ministerpräsidenten bezeichnet werden. Und der Kronprinz? Sie, Herr Kollege von Boetticher, trauen Sie sich doch einfach nicht, sich einer geheimen Abstimmung hier im Hause zu stellen.Aus Berlin kommt der amtierende Ministerpräsident mit oder ohne Herrn Kubicki jedenfalls nie mit mehr zurück als mit leeren Händen und wohlklingenden Prüfaufträgen, für die wir uns nichts kaufen können.Ihre gestrige Jammerrede, dass es diesmal nicht die bösen sozialdemokratischen Beamten, aber die Opposition hier im Hause sei, die Sie wegen einer Pairing-Regel, zu der Sie selbst nie bereit waren, an der Vertretung der Landesinteressen hindere, verdient eher unser Mitleid als eine Antwort in der Sache.Vielleicht ist es ja auch so, weil in Wirklichkeit die Regierung nicht durch den Regierungschef, sondern am Gängelband des FDP-Fraktionsvorsitzenden geführt wird. Ein türkisches Sprichwort sagt: Zwei Kapitäne bringen ein Schiff zum Sinken.Diese schlechte Landesregierung kann sich Schleswig-Holstein nicht länger leisten. So verspielen Sie die Zustimmung zur Demokratie, so grenzen Sie weiter aus, so schaffen Sie Frust statt Bürgerbeteiligung und Engagement. 6Hamburg hat gezeigt, wie sinnvoll es doch sein kann, Unverträgliches kraftvoll zu beenden - ein Signal, dass der Wähler und die Wählerin Murks doch erkennt und entsprechend abwählt. Die Sehnsucht nach einer seriösen Regierung macht nicht an der Elbe halt. Herr Kubicki hat bei der letzten Tagung trotz des klaren Verfassungsgerichtsurteils wörtlich von „möglicherweise vorgezogenen Neuwahlen“ gesprochen. Da dachte mancher schon, dass er vielleicht den Privatdozenten Dr. Klug als Bildungsminister durch jenen sagenhaften Kieler Professor Krause ersetzen will.Das ist der Mann, der das Landesverfassungsgericht wieder abschaffen will, weil die Schleswiger Richter sich erdreistet haben, die schwarz-gelbe Minderheitskoalition am ungestörten Weiterregieren zu hindern.Insofern sehe ich schwarz für zügige Neuwahlen. Hinsichtlich des Ergebnisses dieser Wahlen sehe ich allerdings sehr erwartungsfroh in die Zukunft.Mit der politischen Führung und der Vertretung der Landesinteressen durch diese Landesregierung verhält es sich so ähnlich wie mit der famosen Doktorarbeit des Herrn zu Guttenberg: Viele Worte, wenig eigene Gedanken und summa cum laude nur nach der Notenskala von Professor Felix Krull. Dass die Landesregierung beim Thema politische Führung vorsorglich erst gar keine Redezeit angemeldet hat, ist eigentlich so grotesk, dass man es kaum glauben könnte, wenn man Ihre Regierung, Herr Carstensen, nicht schon länger beobachtet hätte.In Wirklichkeit ist aber auch das wieder konsequent. Denn wer sollte eigentlich für diese Landesregierung über politische Führung reden? Schleswig-Holstein braucht einen Neuanfang und wieder politische Führung. Wir sind dazu bereit.