Andreas Beran: Es bleiben rechtsstaatliche Bedenken
Es gilt das gesprochene Wort! Kiel, 23. Februar 2011TOP 6, Gesetzentwurf über den Vollzug der Untersuchungshaft (Drucksache 17/1255 und 17/1322)Andreas Beran:Es bleiben rechtsstaatliche BedenkenKein Mensch darf vorverurteilt werden. Dies gilt für Minister genauso wie für den kleinen Mann auf der Straße. Wenn kein dringender Tatverdacht besteht und weder Flucht- noch Verdunkelungsgefahr drohen, darf man auch nicht verhaftet werden. Kommt jemand in Untersuchungshaft, so greift diese weit in seine Grundrechte ein. Doch auch für ihn trifft zu: Bis zu seiner Verurteilung gilt er als unschuldig und die Haft darf ausschließlich der Verfahrenssicherung dienen.Gerade der Beginn der Haftzeit ist für viele Beschuldigte besonders belastend. Sie werden plötzlich aus ihrem Lebenszusammenhang gerissen und hinter Gitter gesteckt. Das Auseinanderbrechen von Familien, der Verlust von Einkommen und finanzieller Sicherheit, Sozialprestigeverlust, gesellschaftliche Isolation und Suizidversuche sind häufige Folgen einer plötzlichen und nicht immer erwarteten Verhaftung. Ungefähr 5 % der Beschuldigten werden später freigesprochen. Oft, nachdem sie sich Monate, im Extremfall sogar Jahre in Untersuchungshaft befunden haben.Nachdem jahrzehntelang klare gesetzliche Regelungen gefordert wurden und durch die Föderalismusreform zuletzt die Länder einen Teil der Zuständigkeit erlangten, legt nun auch die schleswig-holsteinische Landesregierung, als 15. Bundesland einen Gesetzesentwurf für ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz vor. Wir hätten dieses Gesetz auch schon im September 2009 haben können, es fiel jedoch der Diskontinuität durch das vorzeitige Beenden der Legislaturperiode zum Opfer. 2Das Untersuchungshaftvollzugsgesetz des Landes soll regeln, wie das Leben in der Untersuchungshaft aussieht. Also wie der Haftraum ausgestattet ist, welche Rechte und Pflichten die Untersuchungsgefangenen haben, wie sie verpflegt werden, wie oft sie Besuch empfangen dürfen oder ob sie arbeiten können. Weitere Vorschriften befassen sich mit der Sicherheit und Ordnung innerhalb der Anstalt und dem Umgang mit jungen Untersuchungsgefangenen.Darüber hinaus ist es Aufgabe der Gerichte und Staatsanwaltschaften, solche Regelungen zu treffen, die zur Abwehr von Flucht-, Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahr erforderlich sind, zum Beispiel das Verbot der Kontaktaufnahme mit anderen Tatbeteiligten.Der Gesetzentwurf der Landesregierung liegt uns erst einige Tage vor, so dass ich zu diesem Zeitpunkt erst auf einige, jedoch wesentliche Punkte eingehen werde. Weitere Details werden wir dann im Ausschuss, nach einer Anhörung, sicher noch erörtern können.Auch wenn es nicht Bestandteil des Gesetzes ist, so bleibe ich dabei: Eine Aussage über die Schließungen der beiden kleinen Justizvollzugsanstalten haben hier in der Drucksache nichts zu suchen. Es gab im Parlament Einigkeit darüber, dass über eine Schließung erst entschieden wird, nachdem der Finanzausschuss diese Frage erneut, ohne Zeitdruck, beraten hat. Peinlich ist die Erklärung, es sei nur vergessen worden, einen alten Absatz aus der Vorlage zu streichen. Übrigens, es wären dann sogar zwei Absätze.Der Vorlage ist im Wesentlichen identisch mit dem von Justizminister Uwe Döring erarbeiteten Gesetzentwurf. Leider enthält er einige Abweichungen, die man wohl als „liberale Handschrift“ der FDP bezeichnen kann, wenn den Untersuchungsgefangenen der Arbeitslohn gekürzt oder das Taschengeld nur darlehensweise gewährt werden soll. Hierdurch wird die ohnehin schwierige finanzielle Situation der Betroffenen weiter verschärft. Das ist unsozial und aus Sicht meiner Fraktion nicht akzeptabel, entspricht aber sicherlich den sozialstaatlichen Vorstellungen der FDP.Übernommen wurden auch Vorschriften, die wir bereits damals kritisch gesehen haben, und die nach meiner Ansicht zu viele Regelungen enthalten, die nicht zum Vorteil der Untersuchungshäftlinge sind, jedoch aus Rücksicht auf unseren damaligen Koalitionspartner eingefügt oder beibehalten werden mussten. Hierfür werden finanzielle Gründe angegeben. Im größeren Umfange gilt das bei der vorgeschriebenen Trennung von Strafgefangenen und Untersuchungshäftlingen. 3Kritisch möchte ich hervorheben, dass bei Gefangenen, bei denen die Unschuldsvermutung gilt, die Anstaltsleitungen Entscheidungen zur Sicherheit und Ordnung treffen sollen. Nach meinem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit sind diese z. T gravieren Grundrechtseingriffe von Gerichten oder Staatsanwaltschaften zu treffen. Auch hier gilt, dass bei Häftlingen, für die die Unschuldsvermutung gilt, bei Eingriffen in ihre Rechte diese auch weiterhin einer richterlichen Kontrolle bedürfen.Problematisch ist vor diesem Hintergrund auch die pauschale Einschränkung des Erziehungsrechts der Eltern von jugendlichen Untersuchungsgefangenen. Zur Erinnerung: Wir reden hier nicht über Strafgefangene, deren Erziehungsdefizite durch Strafurteil rechtskräftig festgestellt wurden, sondern über Jugendliche, die sich ausschließlich zur Sicherung des Verfahrens in Haft befinden. Hierdurch wird das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG der Eltern auf Erziehung nicht automatisch außer Kraft gesetzt. Eine entsprechende Grundrechtseinschränkung sieht die gemäß Art. 19 Absatz 1 Satz 2 GG erforderliche Aufzählung der eingeschränkten Grundrechte in § 98 des Entwurfes nicht vor.Der vorliegende Gesetzesentwurf sieht dagegen nicht einmal eine Beteiligung der Eltern bei der Gestaltung oder Anordnung von erzieherischen Maßnahmen vor. Entscheidungen sollen den Eltern lediglich mitgeteilt werden. Ich sehe hier ein völlig falsches Verständnis von der Bedeutung der Rechte und Pflichten der Eltern und rate dringend, hier eine Änderung vorzunehmen.Ich begrüße, dass der Entwurf nun endlich vorliegt. Insgesamt bleiben Bedenken, • dass nicht alle Vorschriften einer rechtsstaatlichen Überprüfung stand halten werden, • dass nicht allen Inhaftierten in Untersuchungshaft Arbeit angeboten werden kann, • sie nur eine geringe Entlohnung erhalten sollen, • die Regelung zum Taschengeld ungenügend ist und ein weiterer Punkt, • die Einschränkungen, denen Untersuchungsgefangene unterworfen werden müssen, sollten nicht nach finanziellen und nicht nach technischen oder baulichen Voraussetzungen definiert werden.Im Rahmen der Ausschussberatung werden wir weitere Anmerkungen und Änderungsvorschläge einbringen.