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28.01.11
11:03 Uhr
SSW

Flemming Meyer zu TOP 49 - Zukunftsperspektiven der jungen Generation in Schleswig-Holstein

Presseinformation Kiel, den 28.01.2011

Es gilt das gesprochene Wort



Flemming Meyer
TOP 49 Zukunftsperspektiven der jungen Generation in Schleswig-Holstein Drs. 17/893, 1145

Auf den ersten Blick sind die Ergebnisse der 16. Shell-Jugendstudie ja durchaus positiv zu
bewerten: Trotz der Wirtschaftskrise und der vielen düsteren Prognosen scheint die junge
Generation den Mut nicht zu verlieren und ihre Zukunftschancen optimistisch zu beurteilen.
Schaut man etwas genauer hin, muss man allerdings feststellen, dass sich die bestehenden
sozialen Unterschiede über viele Bereiche hin sogar verstärken. Und leider geht es hier um
einen relativ großen Teil der Kinder und Jugendlichen im Land. Nach Aussage des Studienleiters
zählen circa zehn bis fünfzehn Prozent der jungen Menschen in Deutschland zur Gruppe der
„sozial Abgehängten“, die ihrer Zukunft pessimistisch entgegensehen.


Unserer Meinung nach ist diese Zahl nicht nur besorgniserregend, sie fordert auch dazu auf,
diese Situation zu verändern. Nicht zuletzt weil mit der Shell-Jugendstudie konkrete
Handlungsempfehlungen für die Politik verbunden sind, ist die Frage nach der Bedeutung
dieser Ergebnisse für Schleswig-Holstein mehr als berechtigt. Und dies gilt selbstverständlich 2
besonders für die Frage nach den Maßnahmen, die aus Sicht der Landesregierung nötig sind,
um zum Beispiel das Auseinanderdriften der sozialen Milieus zu verhindern.
Nach Meinung des SSW folgt aus der Studie vor allem eins: Es ist eine der dringlichsten
Aufgaben der Politik, für weitestgehend gleiche Bildungschancen aller Kinder zu sorgen! Denn
die Ergebnisse zeigen eindeutig, dass der Bildungserfolg – und damit letztlich auch die
positiven Lebensbedingungen - noch viel zu sehr von der jeweiligen sozialen Herkunft der
Kinder und Jugendlichen abhängen. Wer aus einer Familie stammt, in der die Eltern keine oder
nur eine geringe Berufsausbildung haben, hat auch selbst geringere Zukunftschancen. Die
Shell-Jugendstudie belegt eindrucksvoll, dass die jungen Menschen, die der Unterschicht oder
der unteren Mittelschicht angehören, ihre Chancen auch entsprechend negativ beurteilen. Und
hier handelt es sich nicht etwa um einen kleinen Teil, sondern um fast ein Viertel der befragten
12- bis 25-Jährigen.


Besonders alarmierend ist der Befund, dass sich die eher pessimistische Einstellung und das
mangelnde Vertrauen in das persönliche Umfeld bei dieser Gruppe durch fast alle
untersuchten Bereiche zieht und damit auch die allgemeine Zufriedenheit im Leben sinkt:
Während fast drei viertel der Jugend im Allgemeinen Zufrieden ist, sind es mittlerweile nur
noch 40 Prozent bei denen, die aus weniger privilegierten Verhältnissen stammen. Eine solche
Entwicklung, in der sich die bestehenden Unterschiede tendenziell verstärken und junge
Menschen aus sozial benachteiligten Familien zunehmend resignieren, ist ganz einfach nicht
hinnehmbar. Gerade ihnen muss der Zugang zu den Bildungseinrichtungen und der Aufstieg
durch gleiche Bildungschancen erleichtert werden. Denn hier liegt der Schlüssel für den
beruflichen und persönlichen Erfolg und damit auch für positive Lebensbedingungen der
jungen Generation.

Auch im Bericht der Landesregierung werden die bestehenden Probleme erwähnt und ihre
Bedeutung für die Zukunftsperspektiven der jungen Menschen in Schleswig-Holstein
anerkannt. Wenn es aber um die Herausforderungen und die konkrete Lösung dieser Probleme 3
geht, kommt die Regierung kaum über Lippenbekenntnisse hinaus. So reicht zum Beispiel der
bloße Verweis auf einen erweiterten Bildungsauftrag für die Kindertageseinrichtungen oder
der Hinweis auf die kommunale Bildungsvernetzung aus unserer Sicht nicht aus. So richtig
diese Ansätze auch sein mögen: Spätestens beim Blick auf den Alltag in Kitas und Schulen wird
deutlich, wie weit wir von wirklich gleichen Chancen im Bildungssystem entfernt sind.

Nehmen wir zum Beispiel den Bereich der frühkindlichen Bildung, der bei der Herstellung von
Chancengerechtigkeit eine besonders wichtige Rolle spielt: Hier weisen die Kollegen von CDU
und FDP zwar immer wieder darauf hin, dass dieser unter ihrer Regierung gestärkt wird. Vor
dem Hintergrund der Änderungen des Kindertagesstättengesetzes und der allgemeinen
Kommunikation mit den Trägern der frühkindlichen Bildungseinrichtungen fällt es mir
persönlich aber schwer, dies nachzuvollziehen. Der SSW kann in der Abschaffung des
beitragsfreien Kitajahres beim besten Willen keine Stärkung der frühkindlichen Bildung und
vor allem keine Verbesserung der Chancengerechtigkeit erkennen. Ganz im Gegenteil:
Besonders die Kinder von Geringverdienenden und Hartz-IV-Empfängern sind durch diese
Maßnahme betroffen und benachteiligt. Dabei haben doch gerade sie den Besuch einer Kita
am nötigsten.


Nicht zuletzt durch den erweiterten Bildungsauftrag kommt den Mitarbeitern in der
frühkindlichen Förderung die wichtige Aufgabe zu, die Kinder in ihren Stärken zu unterstützen
und ihre Schwächen auszugleichen. Hierzu müssen wir die Erzieherinnen und Erzieher aber
auch durch Fortbildungen und durch vertretbare Gruppengrößen in die Lage versetzen. Auch
die geplante Umstellung der Landeskitafinanzierung auf die so genannte Subjektförderung
und die Unruhe, die diese Umstellung begleiten, sehen wir – aber vor allem auch Eltern, Träger
und Mitarbeiter - mit großer Sorge.


Eine Verbesserung der Gesamtsituation, hin zu einem wirklich hochwertigen
Betreuungsangebot für eine größere Zahl von Kindern, ist vor diesem Hintergrund wohl kaum 4
zu erwarten. Dabei sollte jedem klar sein, dass die Angebote im frühkindlichen Bildungsbereich
erweitert, der Ausbau vorangetrieben und auch eine einheitliche Sozialstaffel eingeführt
werden muss. Denn nur so kann der Zugang zu den Einrichtungen unabhängig von der
finanziellen Situation des Elternhauses sichergestellt werden. Und wir kämen endlich dem Ziel
ein Stück näher, gleiche Startchancen für alle Kinder im Land zu schaffen. Ob wir dieses Ziel
erreichen, kann doch nicht vom guten Willen der Regierung oder von der Kassenlage
abhängen: Der SSW sieht hier eine bildungs- und sozialpolitische Notwendigkeit.


Auch für den Schulbereich hat die Landesregierung auf viele Fragen, die die Shell-Jugendstudie
aufwirft, keine passende Antwort. Natürlich gab und gibt es auch hier begrüßenswerte
Ansätze, wie zum Beispiel die verstärkte individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler.
Leider entfernen wir uns aber mit den aktuellen Änderungen des Schulgesetzes wieder vom
übergeordneten Ziel, gleiche Chancen für alle Kinder und eine größtmögliche Durchlässigkeit
des Bildungssystems zu erreichen. Es werden wieder mehr Möglichkeiten geschaffen, Schüler
nach ihrem Leistungsniveau zu trennen und damit zu Schubladisieren. Dies ist aus unserer
Sicht der völlig falsche Ansatz, denn sowohl leistungsstarke und leistungsschwache
Schülerinnen und Schüler profitieren vom gemeinsamen Unterricht.


Um es noch einmal deutlich zu sagen: Der SSW sieht in der Bildung die zentrale Voraussetzung
für die Teilhabe und Teilnahme am gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben. Damit
alle Menschen die Möglichkeit haben, die hierfür notwendigen Fähigkeiten zu entwickeln,
muss ganz einfach Chancengerechtigkeit innerhalb des Bildungssystems bestehen. Misst man
den vorliegenden Bericht der Landesregierung zu den Zukunftsperspektiven der Jungen
Generation an diesem zentralen Ziel, fällt eines besonders auf: Gerade die Angebote, die am
ehesten zur Erreichung beitragen, haben bei weitem nicht die nötige Priorität- und sie stehen
oftmals unter Finanzierungsvorbehalt. Allein der Schlusssatz des Berichts zeigt dies in aller
Deutlichkeit: Hier wird darauf hingewiesen, dass sich alle zukünftigen Anstrengungen, um
Chancengerechtigkeit und positive Lebensbedingungen für alle Kinder, Jugendlichen und 5
deren Familien zu schaffen, „im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel“
bewegen müssen.
Um dem Problem der auseinanderdriftenden sozialen Milieus beizukommen und die Situation
der weniger privilegierten jungen Menschen zu verbessern, ist daher ganz offensichtlich ein
Umdenken erforderlich: Bildung muss für uns in Zukunft einfach höhere Priorität haben. Durch
sie entstehen Chancen und Perspektiven für die nachwachsenden Generationen. Und durch sie
erhalten wir unsere Gesellschaft zukunftsfähig.