Siegrid Tenor-Alschausky zu TOP 17: Keine Verlagerung der Hilfe und Beratung für Frauen auf Dritte!
Es gilt das gesprochene Wort! Kiel, 7. Oktober 2010TOP 17: Unterstützung der Einführung und Verbreitung der „Workplace Policy“ in Unternehmen und Verbänden (Drucksache 17/884)Siegrid Tenor-Alschausky:Keine Verlagerung der Hilfe und Beratung für Frauen auf Dritte!„Unterstützung der Einführung und Verbreitung der ‚Workplace Policy’ in Unternehmen und Verbänden“ ist der Antrag der Linken überschrieben. Ich befürchte, dass Workplace Policy, oder WPP, wie die absoluten Insiderinnen sagen, ein ähnliches Schicksal erleiden könnte wie „gender mainstreaming“ oder „gender budgeting“. Es bleibt ein Thema für Frauenbewegte und erfährt nicht die erforderliche öffentliche Aufmerksamkeit.Und ich bekenne ehrlich: Als ich den Antrag las, habe ich mich gefragt, ob die Beratung im Umfeld der Haushaltsberatungen mit den angekündigten Kürzungen bei Frauenberatungsstellen und Frauenhäusern nicht denjenigen Vorschub leisten wird, die versuchen, die entsprechende Infrastruktur auf andere zu verlagern: Auf Ehrenamtliche wie in vielen anderen Bereichen oder jetzt auf Unternehmen.Eine ernsthafte Diskussion ist nur möglich, wenn Workplace Policy als Ergänzung der übrigen Angebote in unserem Land, in unseren Kommunen verstanden wird.Workplace Policy meint die Selbstverpflichtung von Unternehmen und Verbänden, sich öffentlich und im eigenen Unternehmen gegen häusliche Gewalt auszusprechen. Häusliche Gewalt wird definiert durch körperliche und sexuelle Misshandlungen, Beschimpfungen, Demütigungen und Bedrohungen, Isolierung und ökonomische Gewalt ausgeübt an Menschen, mit denen der Täter zusammenlebt (oder gelebt hat), mit dem Ziel, Macht und Kontrolle über sie auszuüben. 1 Terre des femmes geht davon aus, dass jede vierte Frau im Laufe ihres Lebens Opfer häuslicher Gewalt wird. Europarat und WHO stellen fest: „Häusliche Gewalt ist die häufigste Ursache für Verletzungen bei Frauen, häufiger als Verkehrsunfälle, Überfälle und Vergewaltigungen zusammen genommen.“Das heißt: Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen beschäftigen mit hoher Wahrscheinlichkeit Betroffene. Und Arbeitsausfälle und Produktivitätsverluste sowie damit verbundene Kosten können auf Häusliche Gewalt zurückzuführen sein. Neben der Beeinträchtigung von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Betroffenen können Unternehmen und damit die Arbeitsabläufe auch direkt betroffen sein - durch Telefonanrufe, E-mails oder sogar das Aufsuchen des Opfers durch den Täter am Arbeitsplatz.Was kann nun Workplace Policy, oder, wie ich lieber sage, die „Selbstverpflichtung von Unternehmen, sich intern und extern gegen häusliche Gewalt zu positionieren“ leisten? Ein Unternehmen kann eine entsprechende Unternehmenserklärung verabschieden und Handlungsstrategien entwickeln. Das Sichtbarmachen des Themas durch Poster, Informationsangebote und die Bekanntmachung von Notrufnummern und Beratungsstellen ist ebenso möglich wie die Bereitstellung von Ansprechpartnern und unterstützenden Angeboten für die Betroffenen. Das können „Kleinigkeiten“ sein wie die Änderung einer Telefonnummer, aber auch das Erteilen von Betretungsverboten des Unternehmensgeländes durch den Peiniger.Offenbaren sich aber Betroffene am Arbeitsplatz? Dies wird entscheidend von der Unternehmenskultur abhängen, von der Wahrung der Vertraulichkeit, wenn die Betroffene es wünscht. Eine wichtige Rolle müssen hier die Betriebsräte spielen und Errungenschaften wie die Tatsache, dass ArbeitnehmerInnen Gründe für Krankheiten oder Arztbesuche nicht offenbaren müssen, dürfen nicht angetastet werden.Mein Fazit: Eine vertiefende Diskussion über Selbstverpflichtungen von Unternehmen und Verbänden gegen häusliche Gewalt im Ausschuss ist sicherlich hilfreich. Die Definition von „familienfreundlichen Betrieben“ ließe sich erweitern. Kriterien sollten nicht nur familienfreundliche Arbeitszeiten, Flexibilität und entsprechende Fördermöglichkeiten sein. Auch der Umgang mit dem Problem „häusliche Gewalt“ könnte Bewertungskriterium für Auszeichnungen sein. 2 Dass das Thema „Häusliche Gewalt“ auch Unternehmen nicht gleichgültig sein muss, zeigen die erfolgreichen Aktionen von Bäcker-Innung und Gleichstellungsbeauftragten mit dem Projekt „Gewalt kommt nicht in die Tüte“.Eines darf allerdings nicht passieren: Das Verlagern der Hauptverantwortlichkeit beim Vorhalten von Beratungsstellen und Schutzeinrichtungen für Opfer häuslicher Gewalt von Land und Kommunen auf Dritte! 3