Thorsten Fürter zur Lage der JVAs
Presseinformation Landtagsfraktion Es gilt das gesprochene Wort Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob TOP 5 und 48: Lage der Justizvollzugsanstalten in SH, Landeshaus insbesondere Flensburg und Itzehoe Düsternbrooker Weg 70 24105 KielDazu sagt der innen- und justizpolitische Sprecher Telefon: 0431 / 988 - 1503 Fax: 0431 / 988 - 1501 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Mobil: 0172 / 541 83 53 Thorsten Fürter: presse@gruene.ltsh.de www.sh.gruene-fraktion.de Nr. 589.10 / 07.10.2010 Schicksal der Landgerichte in Flensburg und Itzehoe unklar Ich danke für den Bericht. Er zeigt: Justizvollzugsanstalten werden regelmäßig saniert. Sie sind daher baulich auf dem Weg zu einem Zustand, den man als befriedigend be- zeichnen kann. Auch ist der Bedarf an Haftplätzen gedeckt. Plätze für die Sozialthera- pie sowie Ausbildungs- und Arbeitsplätze wurden ausgebaut.Erlauben Sie mir, bevor ich auf die geplanten Standortschließungen zu sprechen kom- me, zunächst auf der Basis des Berichts die Grundlagen unserer Strafvollzugspolitik darzulegen.Die Strafgesetze legitimieren den Staat, in die Grundrechte der Bürger hart einzugrei- fen. Dieser Eingriff in eines der wichtigsten Grundrechte; die Freiheit, ist wahrscheinlich der stärkste Eingriff, der dem Staat zu Gebote steht.Gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir nicht fortwährend populistisch nach der Er- höhung von Strafen rufen, um einer plakativen und vorgetäuschten Sicherheit nachzu- geben. Stattdessen ist die Wiedereingliederung in die Gesellschaft im Strafvollzug zu stärken. Ich nehme mit großer Freude zur Kenntnis, dass hier im Landtag eine populis- tische Herangehensweise an dieses Thema nicht vorherrschend ist.Die Vorbereitung auf ein Leben in Freiheit ist gerade bei denjenigen zu stärken, die diese Freiheit heute nicht genießen können. Deshalb brauchen wir moderne Vollzugs- gesetze, die den Blick auf die Zeit nach dem Vollzug richtet. Wir stehen für einen mo- dernen Strafvollzug in Schleswig-Holstein.Die erfolgreiche Wiedereingliederung der TäterInnen ist der beste Schutz vor neuen Straftaten. Deshalb ist die Wiedereingliederung das wichtigste Vollzugsziel. Der Vollzug soll die Gefangenen zu einem Leben ohne Straftaten in sozialer Verantwortung befähi- Seite 1 von 3 gen. Daneben hat der Vollzug die gleichrangige Aufgabe, die Allgemeinheit vor weite- ren Straftaten zu schützen. Zum Ziel der Wiedereingliederung besteht insoweit kein Widerspruch.Deshalb ist es auch so wichtig, den Stellenwert des offenen Vollzugs anzuerkennen. Ich schicke ausdrücklich voraus: Nicht jeder Gefangene eignet sich für den offenen Vollzug. Es gibt Gefangene, bei denen berechtigte Sicherheitsinteressen in der Bevöl- kerung eine Überführung vom geschlossenen zum offenen Vollzug unmöglich machen. Trotzdem: Schleswig-Holstein kann und sollte die Quote im offenen Vollzug erhöhen – auch gegenüber dem Niveau, für das eine grüne Justizpolitik in Schleswig-Holstein mit- verantwortlich zeichnet. Nach der jüngsten Auswertung des Statistischen Bundesamts aus diesem Jahr liegt die Quote der Gefangenen im offenen Vollzug hierzulande bei 9,4 Prozent. Wir müssen uns gar nicht an einem Stadtstaat wie Berlin orientieren, wo die Quote bei 24 Prozent liegt. Man kann sich orientieren an unionsregierten Ländern wie Baden-Württemberg mit einer Quote von 14,6 Prozent oder an Niedersachsen mit 18,7 Prozent. Unser Ziel ist es, den offenen Vollzug im Rahmen einer systematischen Ent- lassungsvorbereitung verstärkt einzusetzen.Für die Gefangenen im geschlossenen Vollzug wollen wir Verbesserungen in der medi- zinischen und psychologischen Versorgung erreichen. Es muss eine konsequente Sui- zidprophylaxe für gefährdete Gefangene geben. Der Entzug der Freiheit ist eine so ein- schneidende Strafe, die den Staat verpflichtet, gesteigerte Verantwortung für die in sei- ner Obhut befindlichen Gefangenen zu übernehmen.Und damit der Kontakt in das normale Leben „draußen“ nicht abreißt, sind ausreichend Besuchsmöglichkeiten zu gewährleisten. Die Aufrecherhaltung von sozialen Beziehun- gen ist nötig, um eine Widereingliederung nach Strafende zu gewährleisten.Kommen wir aber nun zum casus knaxus, nämlich der beabsichtigten Schließung der Anstalten in Flensburg, Itzehoe und Rendsburg.Sie wollen die JVA Flensburg bis 2013 und die JVA Itzehoe bis 2020 schließen. Als Begründung verweisen Sie auf die Empfehlung der Haushaltsstrukturkommission. Fer- ner verweisen Sie auf die grundsätzliche Unwirtschaftlichkeit von kleineren Anstalten.Lieber Minister Schmalfuß, mir scheint, ihre fachliche Kompetenz als „Mann aus der Justiz“ ist hier nicht gefragt gewesen. Wir haben es schon bei anderen Themen gese- hen: Die Haushaltsstrukturkommission als der versinnbildlichte „Grüne Tisch“, der un- ausgegorene Konzepte in die Welt setzt. Die Fachminister und Abgeordneten müssen gute Miene zum bösen Spiel machen.Dabei ist der Ansatzpunkt richtig: Große Anstalten lassen sich wirtschaftlicher betrei- ben. Deswegen verschließen wir uns einer sinnvollen Neustrukturierung der Anstalts- landschaft nicht. Es wäre verkehrt, den Strafvollzug vorwiegend unter regionalökonomi- schen Aspekten zu betrachten.Drei Punkte müssen allerdings geklärt werden. Punkt 1: Eine Wirtschaftlichkeitsprü- fung, die bis heute nicht vorliegt, muss eine Schließung von Anstalten finanzpolitisch belegen. Und ganz deutlich: Die Wirtschaftlichkeit darf nicht dadurch entstehen, dass 2 die strategische Lücke die Herr Minister Schlie für die Polizei reklamiert, noch ein Stückchen größer wird, weil deutlich mehr Polizeibeamte Strafgefangene in Bussen durch das ganze Land transportieren müssen.Punkt 2: Der Schließung muss ein nachvollziehbares Wiedereingliederungskonzept zu Grunde liegen. Wie wird der Kontakt der Gefangenen zu Ihren Familien sichergestellt, wenn sie nicht mehr wohnortnah untergebracht sind? Ich sage nicht, dass an diesem Punkt eine Neuordnung der Haftanstalten scheitern muss, zumal in der JVA Flensburg überwiegend Untersuchungshäftlinge inhaftiert sind. Aber wenn die Wiedereingliede- rung die wichtigste Aufgabe des Vollzugs ist, dann muss mit einer Anstaltsschließung zwingend ein schlüssiges Wiedereingliederungskonzept verbunden werden. Das ist bisher nicht der Fall. Und das können wir nicht akzeptieren.Ein wesentliches Element der Wiedereingliederung sind die Arbeit und die Ausbildung in den Anstalten. Ich habe mir einmal die Beschäftigungsquote der letzten sechs Mona- te angesehen. Sie beträgt in den Betrieben in der JVA Kiel ca. 51 Prozent, der JVA Lü- beck ca. 56 Prozent und in der JVA Flensburg ca. 74 Prozent. Wie können die Erfolge der JVA Flensburg eine Neuordnung der Haftanstalten überleben? Auch hierzu gab es heute leider keine Auskünfte.Punkt 3: Was passiert mit den Landgerichten? Bei der Kappung der Medizinerausbildung an der Universität zu Lübeck ging es auch um die Frage: Welche Hochschullandschaft wollen wir in Schleswig-Holstein? Dieses Motiv kehrt bei der Jus- tizstruktur des Landes zurück. Schauen Sie sich mal die Karte der Landgerichts- Standorte an, wenn Itzehoe und Flensburg wegfallen und Kiel und Lübeck übrig blei- ben. Lieber Herr Schmalfuß: Ich unterstelle Ihnen nicht, dass im Ministerium solche Schließungspläne in der Schublade liegen. Das beruhigt mich aber überhaupt nicht.Die geplante Schließung der Anstalten wird dazu führen, dass Strafprozesse an den Landgerichten Flensburg und Itzehoe organisatorisch ungemein erschwert werden. Das beginnt bei nicht hinreichenden Unterbringungsmöglichkeiten für Inhaftierte in Gerichts- zellen. Geht weiter zu Fragen der Verpflegung während der Prozesse. Und endet bei möglichen Beschränkungen der täglichen Verhandlungsdauer in Haftsachen. Herr Schmalfuß, Sie sind ein Mann aus der Praxis. Über kurz oder lang wird die Forderung aufkommen: Können wir uns all dies und dazu noch die ständigen Transporte nicht er- sparen? Müssen wir Haftsachen nicht bei Gerichtsstandorten mit Haftanstalten kon- zentrieren? Wäre das nicht das Ende für die Strafkammern bei den Landgerichten und in der Konsequenz auch das Ende für ohnehin schon kleine Landgerichte?Lieber Herr Schmalfuß, ich erwarte, dass Sie entweder hier und heute eine klare Ansa- ge machen, wie Sie die Landgerichte in Flensburg und Itzehoe trotz JVA-Schließung erhalten wollen. Oder spielen Sie mit offenen Karten und sagen Sie: Die brauchen wir nicht mehr. Aber dann ist auch klar: Da haben Sie uns nicht auf ihrer Seite. Zur Stunde jedenfalls gilt: Das Schicksal der Landgerichte in Flensburg und Itzehoe ist unklar. Das sollten wir der Justiz nicht zumuten. *** 3