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06.10.10
13:53 Uhr
B 90/Grüne

Anke Erdmann zur Änderung des Schulgesetzes

Presseinformation

Es gilt das gesprochene Wort Landtagsfraktion Schleswig-Holstein TOP 7, 8, 15, 32 – Schulgesetz: Pressesprecherin - Gesetzentwurf B‘ 90/Grüne Claudia Jacob - Gesetzentwurf der Landesregierung Landeshaus - Verlässlichkeit in der Schulpolitik, Antrag B‘ 90/Grüne Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel - Keine Änderung des Schulgesetzes, Antrag DIE LINKE Telefon: 0431 / 988 - 1503 Fax: 0431 / 988 - 1501 Dazu sagt die schulpolitische Sprecherin Mobil: 0172 / 541 83 53 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, presse@gruene.ltsh.de Anke Erdmann: www.sh.gruene-fraktion.de
Nr. 575.10 / 06.10.2010

Schulfrieden durch einen runden Tisch Leistung oder Chancengleichheit – so wurde die Schuldebatte über Jahrzehnte geführt. Als wären beides Gegensätze. Bei der ganzen Diskussion, vor lauter Grabenkampf, haben wir beide Ziele nicht erreicht: Die deutschen PISA-Ergebnisse haben uns er- nüchtert: Unterdurchschnittliche Leistungen und eine starke Abhängigkeit von Schuler- folg und Elternhaus!
Leistung oder Bildungsgerechtigkeit – Einen solchen Widerspruch, ein Entweder-Oder kann man aus den PISA-Zahlen nicht ablesen. Diese Erkenntnis ist auch hier langsam in die Schuldebatte eingesickert. Die alten Blöcke sind – auch durch die Einigung zwi- schen Union und SPD – aufgebrochen.
Wir Grünen haben den Schul-Kompromiss von 2007 kritisiert. Er ging uns nicht weit genug, ist auch jetzt noch weit von unserem Wunschschulgesetz entfernt. 2010 sehen wir: Der breite Kompromiss hat Sicherheit gegeben: Schulträger investierten, viele Schule wagen neue Wege! Es ist etwas in Bewegung geraten – Bewegung als Ergeb- nis von Verlässlichkeit.
Die Reform von 2007 ist noch lange nicht abgeschlossen. In den Schulen ist sie erst in Klasse 7 angelangt. Was muss vor diesem Hintergrund unser Fokus sein? Eine neue Strukturdebatte? Wohl kaum! Wie wäre es mit einer Zieldebatte? Das könnte so aus- sehen – erstens: Die Abiturquote – mit 22,6 Prozent in Schleswig-Holstein. International und auf dem Weg in die Wissensgesellschaft viel zu niedrig. Und regional extrem un- terschiedlich: In Schleswig-Flensburg machen 14,7 Prozent das Abi, in Stormarn mehr als 33 Prozent. Das hat viel mit dem Angebot an Oberstufen vor Ort zu tun. Nicht mit den Menschen! Seite 1 von 4 Gibt das Schulgesetz eine feste Zukunftsperspektive für weitere Oberstufen? Nein! Es bleibt diffus. Wenn aber die bisherigen Schulreformen Erfolg haben, dann kommen auch mehr Jugendlichen in der Oberstufen. Darauf müssen wir doch vorbereitet sein.
Zweitens: Jeder vierte 15-jährige in Schleswig-Holstein hat kein Basiswissen z.B. in Ma- the und Deutsch, so genannte „RisikoschülerInnen“. Wir liegen mit 25 Prozent deutlich über dem Bundesschnitt. Menschlich tragisch, gesellschaftlich eine Riesenbaustelle.
Und wir setzen das Geld falsch ein! Für das Übergangssystem zwischen Schule und – wenn es gut läuft – Beruf geben wir in Deutschland jährlich mehr als vier Milliarden Eu- ro aus. Wieso stecken wir dieses Geld in „Reparatur“ und nicht in die Bildung, wenn die Kinder noch nicht resigniert haben? Da ist die „Hebelwirkung“ viel besser. Bildungsfor- scher wie Prof. Baumert empfehlen uns, das Niveau am untersten Ende zu heben, um im internationalen Leistungsvergleich nach vorn zu kommen.
Wenn uns das bundesweit gelänge, also den schwächsten zwanzig Prozent ein Basis- wissen zu vermitteln – prognostiziert der Bildungsökonom Prof. Wößmann langfristige Wachstumsgewinne in Höhe von 2,8 Billionen Euro. Das ist eine 28 mit 11 Nullen!
Gerade wenn wir glauben, nicht genug Geld für das Bildungswesen zu haben, müssen wir uns fragen: Wo setzen wir an? Welche Ziele setzen wir uns – inhaltlich? Es stimmt zumindest nachdenklich, wenn der Minister sich häufig zu Hochbegabung äußert, aber Risikoschülerinnen seit einem Jahr eine Antwort schuldig bleibt, wie er ihre Perspektive verbessern will.
Visionen für 2020 – wenden wir uns den Zielen zu, dann bekommen wir vielleicht eher eine Einigung hin. Wie viele junge Menschen sehen wir, die gestärkt und mit Perspekti- ve die Schulen verlassen und die bereit sind, diesem Land eine Perspektive zu geben?
Gerade in der Schulpolitik unterscheiden wir Landesparteien uns deutlich. So führt je- der Regierungswechsel zur Kursänderung. Dabei braucht Schulpolitik in ihrem Wesen einen langen Atem, um bei den Schülerinnen und Schülern überhaupt wirken zu kön- nen. Die letzte Reform ist noch nicht ganz in den Schulen angekommen, da soll schon wieder ein neues Schulgesetz verabschiedet werden? Wir halten das für falsch.
Darum haben wir uns eine Idee von der Union in Bremen geborgt. Dort ist die CDU zur- zeit Opposition, Rot und Grün Regierung. Gemeinsam haben diese drei Parteien 2009 einen Bildungskonsens unterzeichnet, an Zielen, weniger an Strukturen orientiert. Das gibt den Bremer Schulen Sicherheit, über den nächsten Wahltermin hinaus, und steckt den Kurs für zehn Jahre ab.
Wir schlagen in unserem Antrag hier einen solchen Runden Tisch auch für Schleswig- Holstein vor: Fraktionsübergreifend, mit Jugendlichen, Lehrkräften, Eltern, Schulträgern und BildungsforscherInnen gemeinsam. Ich bin sicher, der Ton in der Schulpolitik wird sich ändern! 2 Auch für uns Grüne wäre ein Schritt an den Runden Tisch nicht einfach. Für uns würde das wahrscheinlich große Zugeständnisse bedeuten. Aber es geht hier gerade gar nicht um Parteien und Wahltaktik. Es geht hier um Kontinuität für die Schulen, die eine Ent- wicklung von Leistung, Qualität und Bildungsgerechtigkeit überhaupt erst möglich macht.
Jetzt der Schulgesetzentwurf von Minister Dr. Klug. Jede Regierung wäre in der jetzi- gen Situation schlecht beraten, eine Schulreform anzupacken. Und diesen Entwurf braucht wirklich niemand! Selbst hier im Parlament werden sich kaum zwanzig Men- schen finden, die den Entwurf gelungen finden. Die Abgeordneten der FDP vielleicht und – wenn es hoch kommt – eine Handvoll Unions-Abgeordnete.
Was soll das also? Ziehen sie den Entwurf am besten gleich zurück. Die Halbwertszeit dieser Änderung wäre minimal, keine Grundlage für eine Änderung von Bestand. Der Schulgesetzentwurf ist schon ordentlich verrissen worden, in dem was er anrichtet. Ich möchte nur kurz ansprechen, was er nicht bewirken würde:
Messen wir dieses Gesetz vielleicht mal an den möglichen Erfolgen? Höhere Abiquote – nicht durch diese Änderungen. Verbesserungen für Risikoschüler? Fehlanzeige. Im Gegenteil: Sie sagen – G8 läuft nicht, da nehmen wir mal Geld in die Hand. Sie sagen: Gemeinsames Lernen läuft nicht rund: da schrauben wir mal lieber Lehrerstellen für die individuelle Förderung zurück. Die Gemeinschaftsschulen sind weiter unter Beschuss dieses Ministers!
Mehr Eigenverantwortlichkeit? Dazu gehört viel mehr als G8 oder G9. Neue Leitungs- strukturen, Budget- und Personalhoheit und so weiter. Zu besseren Schülerleistungen führt das dann – und nur dann – wenn es eine externe Überprüfung der Schulen gibt. Das ist belegt. EVIT haben Sie aber gerade ersatzlos gestrichen. Eigenständige Schule sieht anders aus, sie ist keine Entschuldigung für einen hilflosen Minister. Und es bietet maximale Verunsicherung statt Verlässlichkeit!
Da fehlt noch was: Die Förderung der Freien Schulen. Dem Grünen Gesetzentwurf hat die FDP übrigens vor zwei Jahren noch zugestimmt. Die Finanzierung Freier Schulen liegt deutlich unter der von öffentlichen und ist nicht auskömmlich! Warum wollen wir Schulen in Freier Trägerschaft besser fördern? Erstens: Wahlfreiheit und bürgerschaft- liches Engagement bei Schulgründungen sind uns wichtig. Zweitens: Schüler an Freien Schulen zeigen durchschnittlich bessere Leistung, auch wenn man soziale Einflüsse heraus rechnet. Drittens: sind sie Innovationsgeber für öffentliche Schulen. Viertens: Sinkt die finanzielle Basis weiter, werden die Schulen schließen – das wird erst recht teuer. Wie wollen wir die Freien Schulen unterstützen? Die Zuschüsse sollen auf 85 Prozent der Förderung an öffentlichen Schulen steigen. Orientiert am Vorjahr, nicht wie bislang am Jahr 2001. Die Kosten während der zweijährigen Wartezeit sollen künftig nach der Anerkennung zur Hälfte erstattet werden, Investitionskosten werden einbezogen.

3 Damit kämen mehr Schulinitiativen ins Rollen. Pro Schülerin und Schüler spart der Staat 15 Prozent ein, fair oder nicht – es ist ein gewisser Refinanzierungsbeitrag. Wir halten das für finanziell vertretbar und inhaltlich für höchste Eisenbahn! Aber auch die- se Frage könnten wir am Runden Tisch klären.
Ich bitte Sie: Ziehen Sie diesen Schulgesetzentwurf zurück. Lassen Sie uns am Run- den Tisch zusammenfinden. Auf Podiumsdiskussionen kommt es immer wieder zu dem einen Punkt: „Warum setzt Ihr Politiker euch nicht mal zusammen? Warum packt Ihr die Probleme nicht gemeinsam an?“ Den Leuten hängt das Parteiengezicke zum Hals raus. Und – seien wir ehrlich – vielen von uns doch auch!
Jetzt, zwischen zwei vorgezogenen Neuwahlen, ist vielleicht ein guter Zeitpunkt, einmal einen anderen Weg zu gehen. Geben Sie sich einen Ruck. Lassen Sie uns am Runden Tisch einen verlässlichen Kurs abstecken! Für unsere Schulen, für die Schülerinnen und Schüler. Und mit weitem Horizont!



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