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10.09.10
12:02 Uhr
SSW

Lars Harms zu TOP 23 - Unabhängige Richteruntersuchungen

Presseinformation Kiel, den 10.09.2010 Es gilt das gesprochene Wort



Lars Harms
TOP 23 Unabhängige Richteruntersuchungen zur Beweiserhebung im Drs. 17/752 Rahmen der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse

Untersuchungsausschüsse sind eine wichtige Einrichtung in unserer Demokratie. Das Parla-
ment braucht ein Instrument, das bei Verdacht eines Missstands schnell und effektiv ein-
gesetzt werden kann, um Fehlverhalten und politische Verantwortlichkeiten aufzuklären.
Insbesondere für die Opposition ist dieses Instrument wichtig. Es sichert parlamentarischen
Minderheiten Einsicht in Dinge, die ihnen sonst verborgen bleiben. Man könnte Untersu-
chungsausschüsse auch als eine Art Putzkolonne der Demokratie sehen. Leider hat die Öffent-
lichkeit aber zu Recht den Eindruck, dass es in der Praxis nicht zuerst um politische Hygiene
und Sauberkeit geht. Denn es zeigt sich immer dasselbe Bild: Die einen kehren am liebsten
alles unter den Teppich, während die anderen jedes Staubkorn zum ausgewachsenen politi-
schen Skandal erklären. Der demokratische Nutzwert von beidem ist verhältnismäßig gering.


Wer die Geschichte der Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Schleswig-Holstein
betrachtet, sieht mit wenigen Ausnahmen auch eine Perlenkette von Frustrationen. Das letzte
Glied ist der aktuelle Ausschuss zur HSH Nordbank, der mittlerweile über ein Jahr lang wö- 2
chentlich Abgeordnete, Beamte, Fraktionsmitarbeiter, Journalisten und Anwälte davon abhält,
sinnvolleren Tätigkeiten nachzugehen. Die Bürgerinnen und Bürger fragen zu Recht, wo der
Erkenntnisgewinn ist, der den enormen Verbrauch von öffentlichen und privaten Ressourcen
rechtfertigt. Denn zu allem Überfluss konnten sie schon längst den Medien viele der vertrau-
lichen Informationen entnehmen, die der Ausschuss beschaffen soll. Wer als Abgeordneter
kein verhinderter Detektiv oder Oberstaatsanwalt ist, sondern lediglich ein politisches Aufklä-
rungsinteresse verfolgt, verzweifelt an diesen Gegebenheiten.


Als der Schleswig-Holsteinische Landtag 1993 ein Untersuchungsausschussgesetz verabschie-
dete, herrschte Aufbruchstimmung. Die Ereignisse des Jahres 1987, die konstruktive Arbeit im
Barschel-Pfeiffer-Untersuchungsausschuss und die Enquetekommission für die Verfassungs-
und Parlamentsreform prägten einen gemeinsamen parlamentarischen Geist, der sich heute
leider wieder verflüchtigt hat. Die Untersuchungsausschüsse sind mehr denn je politische
Kampfinstrumente. Besonders die Erhebung von Beweisen und die Vernehmung von Aus-
kunftspersonen sind längst zu einem Schauspiel geworden, das außerhalb dieses Hauses kein
Mensch mehr versteht. Da wird – überspitzt formuliert – jeder als Zeuge vorgeladen, der einem
der Handelnden einmal die Tür aufgehalten hat. Da werden Politiker herbeizitiert und ihr Ter-
minkalender auseinandergenommen, allein um sie vorzuführen. Und wöchentlich nutzen Poli-
tiker selbst die kleinsten Gelegenheiten, um nach der PUA-Sitzung an die Öffentlichkeit zu tre-
ten und das zu wiederholen, was sie schon immer gesagt haben. Die wenigen Bürger, die noch
bei Nachrichten aus Untersuchungsausschüssen interessiert hinhören, wissen ohnehin, was
dabei herauskommt: Die Opposition hält die Handelnden in der Regierung für unfähig und ihr
Handeln für die reine Katastrophe; die Regierungsfraktionen finden so ziemlich gar nichts
schlimm. Beide Seiten nutzen nur jene Zeugenaussagen und Fakten, die ihnen ins Konzept
passen. Von Aufklärung kann kaum die Rede sein, denn niemand außerhalb des Ausschusses
blickt noch durch und ist imstande, die verschiedenen Bewertungen zu bewerten. Am Ende
weiß keiner mehr, worum es eigentlich ursprünglich ging. 3
Die Bilanz nach 17 Jahren des politischen Alltags mit dem Untersuchungsausschussgesetz
lautet: Die Untersuchungsausschüsse in Schleswig-Holstein brauchen einen Neuanfang, den
nur das gesamte Parlament mit tragen kann. Das ist der Ausgangpunkt unserer SSW-Initiative.
Der Antrag ist ausdrücklich keine persönliche Kritik an den heutigen Akteuren im PUA, denn sie
bewegen sich nur in dem Ökosystem, dass sie vorgefunden haben. Es ist das System PUA das
falsch gestrickt ist und falsche Erwartungen weckt. Dabei wäre es natürlich naiv zu glauben,
dass sich das Spannungsverhältnis zwischen politischen Interessen und einer objektiven Auf-
klärung auflösen lässt. Trotzdem stellt sich aber die Frage, wie weit sich die Untersuchungs-
ausschüsse von ihrer praktischen Aufgabe entfernen können, bevor sie ihre Glaubwürdigkeit
und Funktion vollends verlieren. Die Legitimation der Untersuchungsausschüsse wird durch die
durchgängige Vorfahrt für Parteiinteressen untergraben. Deshalb meinen wir, dass eine neue
Kombination der beiden Pole – der politischen Kontrolle und der richterlichen Unabhängigkeit
– eine interessante, brauchbare und bessere Alternative zum heutigen System ist.


Es ist klar, dass die Rechte des Parlaments, insbesondere der Opposition, auf die Beantragung
eines Untersuchungsausschusses, die Festlegung des Untersuchungsgegenstands, die politi-
sche Bewertung der Untersuchungsergebnisse und die Ableitung von Handlungsempfehlun-
gen nicht angetastet werden dürfen. Für den Bereich der Beweiserhebung, der ja gerade
Gegenstand der Kritik ist, gibt es aber durchaus Alternativen. Wir meinen, dass dieser Bereich
neu gestaltet werden sollte – nach dem Motto, so viel politischen Einfluss auf die Beweisauf-
nahme wie nötig, aber so viel unabhängige Untersuchung wie unter dieser Bedingung möglich.


Im Bundesrecht gibt es bereits die Möglichkeit eines Ermittlungsbeauftragten. Diesen können
die Untersuchungsausschüsse des Bundestages einsetzen, um die Untersuchung durch den
Ausschuss vorzubereiten. Die Ermittlungsbeauftragten beschaffen und sichten Beweismittel,
hören Personen informatorisch an und lassen dem Ausschuss einen Untersuchungsbericht
inklusive Handlungsempfehlungen zukommen. Der SSW meint, dass dieses Modell in unser
Landesrecht übernommen und erweitert werden sollte. Deshalb schlagen wir die Einführung 4
von Richteruntersuchungen im Rahmen der Beweiserhebung vor. Wir wollen, dass ein
Untersuchungsausschuss einen Richter oder ein Richtergremium damit beauftragen kann,
bestimmte Sachverhalte zu untersuchen. Das heißt: Der Landtag bzw. der Ausschuss erteilt den
Auftrag und bestimmt was untersucht werden soll. Die Richter führen eine öffentliche
Untersuchung durch – einschließlich der Beschaffung von sächlichen Beweismitteln und der
Anhörung von Auskunftspersonen – und tragen die Fakten in einem Bericht für den Unter-
suchungsausschuss zusammen – eventuell in regelmäßiger Rückkoppelung mit dem Aus-
schuss. Der PUA liest den Bericht und gibt dann seine Voten, also seine politischen Bewertun-
gen des Sachverhalts ab. Das ist eine saubere Sache. Die Untersuchung wird schnell, professio-
nell und sachgerecht durchgeführt. Wir vermeiden, dass schon die Beweiserhebung zur politi-
schen Schlammschlacht wird, bei der kaum noch jemand durchblickt, der nicht im PUA sitzt.


Die politische Bewertung der unabhängigen Richteruntersuchung muss selbstverständlich
weiterhin dem Parlament zustehen. Aber die konkrete Aufarbeitung eines Missstandes in der
Regierungsarbeit muss endlich eine neue Form finden, damit die Aufklärung politischer
Skandale von der Öffentlichkeit endlich wieder als das wahrgenommen wird, was sie sein soll:
als eine wichtige und echte Kontrolle; ein Selbstreinigungsprozess, der wieder Vertrauen in
demokratische Entscheidungsprozesse schaffen kann – und eben nicht als Vergeudung von
Ressourcen und Fortsetzung parteipolitischer Machtkämpfe mit anderen Mitteln.
Wir glauben, dass dieses der richtige Weg ist, um wieder Vertrauen in die demokratische Auf-
arbeitung politischer Skandale zu schaffen, ohne die Kontrollrechte des Parlaments zu verlet-
zen. Außerdem hat eine solche Untersuchung den bestechenden Vorteil, dass ein abgeordneter
Richter, der sich ausschließlich und tagtäglich mit dem Untersuchungsgegenstand beschäftigt,
viel zügiger arbeiten kann als die Parlamentarier, die auch noch eine vielzahl anderer Aufgaben
zu bewältigen haben. So würde die zeitaufwändige Beweiserhebung wesentlich schneller von
statten gehen. Dadurch erhält das Parlament die Möglichkeit, einen Skandal parlamentarisch
aufzuarbeiten, bevor die Menschen vergessen haben, weshalb überhaupt eine Untersuchung 5
eingeleitet wurde. Es kann also keine Rede davon sein, dass wir der Opposition ein scharfes
Schwert entreißen wollen, im Gegenteil, es soll wieder geschärft werden.


Wie der Untersuchungsausschuss mit der richterlichen Arbeit verzahnt werden soll und wie im
Einzelnen der Handlungsrahmen der Richter ausgestaltet werden, haben wir bewusst offen
gelassen. Der vorliegende Antrag des SSW ist der Versuch, eine konstruktive und sachliche
Diskussion über dies Problem zu beginnen. Wir wollen keinen unnötigen Streit um Details,
sondern eine grundsätzliche Verständigung. Entscheidend ist, dass etwas passiert und die
parlamentarischen Kontrollrechte gestärkt aus diesem Prozess herauskommen.