Anke Spoorendonk zu TOP 6 - Entwurf eines Haushaltsgesetzes zum Haushaltsplan 2011/12
Presseinformation Kiel, den 8.09.2010 Es gilt das gesprochene WortAnke SpoorendonkTOP 6 Haushaltsgesetz zum Haushaltsplan 2011/2012 TOP 7 Haushaltsbegleitgesetz zum Haushaltsplan 2011/2012Es waren große Hoffnungen, die zur Landtagswahl 2009 an die Nachfolgeregierung derGroßen Koalition geknüpft wurden. Endlich sollte in der Landesregierung wieder Handlungs-fähigkeit und Einigkeit herrschen. Es ging nicht nur um die Überwindung des politischenStillstands. Es sollte vor allem auch zu einem anderen politischen Miteinander kommen. AberPustekuchen.Entweder hat diese Koalition es nicht geschafft, das „kulturelle Erbe“ der Großen Koalitionabzustreifen, oder es ist vor allem die CDU, die diese Kultur verkörpert. Auf jeden Fall wird dieArroganz der Macht, die der Opposition schon von der Großen Koalition entgegengebrachtwurde, nun vom CDU-FDP-Bündnis fortgesetzt. Dabei wurde die erste wirkliche Großtat indieser Wahlperiode nur durch die Zusammenarbeit mit der Opposition möglich. DieVerabschiedung der Schuldenbremse im Frühjahr dieses Jahres hätte der Auftakt zu einemanderen politischen Miteinander werden können. Stattdessen entschied die Koalition sich ingewohnter Arroganz für das Durchregieren. 2Es wurde sogar noch eins draufgesetzt: Die Einbindung der Landtagsfraktionen von CDU undFDP in die Haushaltsstrukturkommission und die angebliche Alternativlosigkeit der Vorschlägehaben dazu geführt, dass der Graben zwischen Regierungsmehrheit und Opposition tiefer istdenn je. Wir können gespannt darauf sein, was sich zwischen dieser ersten Lesung und derVerabschiedung des Landeshaushalts im Dezember noch ändert. Meine Hoffnung, dass sichgrundlegende Verbesserungen ergeben, beschränkt sich auf wenige konkrete Konfliktfelder,die heute schon bekannt sind. Dabei gibt es so viele Bereiche, in denen dieser Haushaltsent-wurf die Weichen vollkommen falsch stellt.Dieser erste und letzte schwarz-gelbe Haushalt ist unsozial, perspektivlos und zerstörerisch. Erist mit dem Taschenrechner geschrieben und er entbehrt jeder fachpolitischen Zielsetzung. Erentwurzelt große Teile des sozialen und kulturellen Lebens in Schleswig-Holstein, ohne ein Bilddavon zu haben, wie es anders gedeihen soll. Diese Landesregierung hat nicht die geringsteVorstellung davon, wie unser Land in zehn oder zwanzig Jahren aussehen soll. Das wird schonin ihrem eigenen Beritt, bei der öffentlichen Verwaltung deutlich. 5000 Stellen imLandesdienst sollen gestrichen werden. Aber Schwarz-Gelb hat kein Bild davon, wie dieVerwaltung der Zukunft aussieht und welche Aufgaben sie erledigen soll.In diesem Haushaltsentwurf werden kaum strukturwirksame Maßnahmen ergriffen.CDU und FDP setzen allein auf Streichungen. Das Ergebnis ist ein amputiertes Schleswig-Holstein und kein zukunftsfähiges. Der Ministerpräsident spricht viel von den künftigenGenerationen, die er nicht mit dem Konsum von heute belasten will. Aber er hat kein Bilddavon, wie Schleswig-Holstein in 10, 20 oder 30 Jahren ein modernes Land für unsere Enkel undUrenkel sein kann. Auch das ist keine Generationengerechtigkeit. Die Landesregierung schuldetunseren Kindern und Enkeln ein Leitbild, wie das Land in Zukunft nicht nur billiger, sondernauch ebenso gut wie heute oder besser funktioniert. Das hat die Koalition des Aufbruchs nichtzustande gebracht. 3Diesem Haushalt liegen keine anderen Visionen zugrunde als die Vorstellung eines schlankenStaates. Mit dieser Strategie baut man aber nichts Neues auf. Die Koalition verwaltet lediglichZahlen, als bestünde sie nur aus Buchhaltern. Wo ist denn die fachpolitische Einsicht in dasLeben hinter den Zahlen geblieben? Die sucht man besonders im Sozialbereich vergebens. Dasgilt für die Kürzung des Landesblindengeldes oder die Einführung von Quasi-Studiengebührenbis hin zu den beiden großen Sozialverträgen. Je mehr klar wird, was sich alles hinter diesenKürzungen verbirgt, desto klarer wird auch, dass hier die neoliberale Politik umgesetzt wird, diesich in lyrischer Form schon im Koalitionsvertrag findet. Die Menschen sollen „in Freiheit undEigenverantwortung ohne Bevormundung leben können“ kündigte der Ministerpräsident inseiner Regierungserklärung an. In der Praxis heißt das: die Menschen sollen allein klarkommen.Es sind viele Menschen, die von ihrer Landesregierung im Stich gelassen werden. Sie lässt mitihrer Prioritätensetzung nicht nur die Menschen fallen, die keine Chance haben, eine gutegrundständige Bildung zu bekommen oder einen auskömmlichen Arbeitsplatz zu finden. Sievernachlässigt auch Menschen mit ganz alltäglichen Problemen, die die Unterstützung vonBeratungsstellen und andere Angebote brauchen, um erst gar nicht zu Problemfällen zuwerden. In Ermangelung eines Konzepts holt Schwarz-Gelb zum großen Sensenhieb aus, derquer durch Gesellschaft und soziale Hilfen Verwüstungen hinterlässt – von den Jugendver-bänden über die Mehrgenerationenhäuser bis zu den Frauenberatungsstellen. Besondersbezeichnend ist es, dass nicht einmal die Selbsthilfearbeit verschont bleibt. Mit der Zerstörungdieses letzten Rettungsankers ist der Gipfel der sozialen Kälte erreicht. Das Gras wird mit denWurzeln herausgerissen und die soziale Arbeit der Erosion preisgegeben.Vielen Trägern im Sozialbereich, bei der Kultur oder in der Umweltpolitik wird gar nicht erst dieChance gegeben, eine Überlebensstrategie zu entwickeln. Ihnen wird ab 2011 und vielfachbereits in diesem Jahr der Hahn so drastisch abgedreht, dass sie gar nicht die Zeit haben, dieArbeit neu zu organisieren oder bestehende Verträge zu kündigen. Kleine Einrichtungen undProjekte, die relativ geringe Summen bekommen und schon durch kleinere Kürzungen in ihrer 4Existenz bedroht sind, müssen mit Kürzungen der Landeszuschüsse von bis zu 40 % innerhalbeines Jahres rechnen. Hinzu kommt, dass die Kreise jetzt schon ankündigen, ihre Zuschüsse inBereichen einzustellen, die das Land auch nicht weiter fördert. Das wird noch einer langenReihe weiterer Einrichtungen und Angebote das Genick brechen. Die Einsparungen werden zuVerwüstungen, die in besseren Jahren kaum wieder behoben werden können und die vielteurere soziale Probleme nach sich ziehen. Das ist keine nachhaltige Haushaltskonsolidierungund es ist unerträglich, wenn man sieht, dass die Regierung gleichzeitig Möglichkeiten derEinnahmesteigerung bewusst nicht nutzt.Diese Koalition kann noch so oft behaupten, dass die Kürzungen alternativlos sind, aber siesind es nicht. Allein durch die Erhöhung der Grunderwerbssteuer ab 2011 ließen sich alleEinsparungen bei den freiwilligen Leistungen vermeiden. Deshalb kann man nur einen Schlussziehen: CDU und FDP verzichten bewusst auf Einnahmen und kürzen lieber das Soziale und dieKultur. Das ist das Programm der schwarz-gelben Koalition.Diese Koalition kommuniziert nicht, sie verkündet nur. CDU und FDP wiederholen die immerselben Sprachregelungen und der Ministerpräsident hält stets dieselben abgegriffenengriechischen Tafeln hoch. Das ist nicht nur tödlich für die demokratische Auseinandersetzung,es ist auch respektlos gegenüber allen im Land, die engagiert für ihr Anliegen streiten. DieLandesregierung vermittelt den von Kürzungen betroffenen das Gefühl, ihre Arbeit sei nichtswert. Und wenn der Finanzminister die Kürzungen bei sozialen Hilfen damit begründet, wirwürden uns heute einen zu hohen Lebensstandard leisten, dann ist das zynisch und respektlosgegenüber denjenigen, die auf die eine oder andere Weise auf die Hilfe der Gemeinschaftangewiesen sind. Sozialpolitik ist kein Luxus, sondern die Grundlage und die Garantie fürunsere demokratische Gesellschaft.Es kommt aber noch schlimmer: Bei alldem, was sie im Moment dem Land zumuten, spieltSchwarz-Gelb noch nicht einmal mit offenen Karten. Wie gleichgültig es der CDU und der FDP 5ist, dass die Zahlen auch Menschen betreffen, lässt sich vortrefflich an der Diskussion um dieUniversität Lübeck ablesen. Erst wurde die Politik hinter verschlossenen Türen ausgekungeltund die Universität vor vollendete Tatsachen gestellt. Dann sticht der FDP-Fraktionsvorsitzendedem Lübecker AStA ein Papier durch, aus dem hervorgeht, dass die Haushaltsstruktur-kommission die Liquidierung der gesamten Hochschule in Kauf nimmt. Und schließlich erklärtder Kollege Kubicki, dass alles nur ein Schauspiel gewesen ist, um Druck auf die Bundesregie-rung auszuüben. Der Zweck heiligt offensichtlich alle Mittel – auch, dass man die eigeneBevölkerung instrumentalisiert und für dumm verkauft.Wie die Koalition auf die Idee gekommen ist, dass sie auf diese Weise in der BevölkerungVerständnis für Kürzungen gewinnen kann, ist mir schleierhaft. Die Vorgehensweise derLandesregierung hat dazu geführt, dass viele Menschen sich veralbert fühlen und keinVertrauen in die Regierung haben. Die Tatsache, dass die Landesregierung dem Parlamentnicht die Entscheidungsgrundlagen der Haushaltsstrukturkommission offen legen will, nährtnur die Befürchtung, dass sich hinter weiteren Haushaltsvorschlägen keine ernsthafteFinanzpolitik verbirgt, sondern Erpressungsversuche lauern könnten.Das lässt sich zumindest auch für die Wirtschaftswissenschaften an der Universität Flensburgvermuten, die wohl ebenfalls am Ende von Dritten gerettet werden. Aber allein die Tatsache,dass die Haushaltsstrukturkommission die deutsch-dänischen Studiengänge zur Dispositiongestellt hat, zeigt, wie eindimensional die Arbeit in der Haushaltsstrukturkommissionvonstatten gegangen ist. Ohne Rücksicht darauf, dass die wirtschaftswissenschaftlichenStudiengänge dort eng mit der Syddansk Universitet verwoben sind, wurde deren Endebeschlossen. Für eine Einsparung von 1,7 Millionen Euro ab 2017 sollte eine der erfolgreichstengrenzüberschreitenden Hochschulkooperationen in Europa platt gemacht und eine derentscheidenden Zukunftspotentiale der nördlichen Region verschenkt werden. Die Kuh ist jetztglücklicherweise auf etwas dickeres Eis gestellt worden. Bis 2011 hat die Landesregierung Zeit,von dieser Dummheit abzukommen. 6Weniger Zeit gibt es für die ebenso wenig klugen Kürzungen bei den Minderheiten – allenvoran der Vorschlag, die Kinder an dänischen Schulen künftig nicht mehr mit den Kindern anöffentlichen Schulen gleichzustellen. Für die Minderheitenpolitik ist es nicht weniger alsverheerend, dass die CDU-FDP-Koalition mit ihrem Kürzungsvorschlag hinter die Politik vonUwe Barschel zurückschreitet und es wieder anderen überlässt, die Prinzipien der deutsch-dänischen Minderheitenpolitik zu verfechten. Es ist umso erschreckender, als derselbeMinisterpräsident noch im Herbst 2007 mit großem Pathos verkündete, dass die Einschrän-kungen der „100 %“ durch Rot-Grün wieder zurückgenommen wurden und die Gleichstellungder Schulkinder wieder uneingeschränkt gilt. Minderheitenpolitik baut auf Vertrauen,Verlässlichkeit und unverbrüchliche Rechte. Solange Parteien in Schleswig-Holstein der Ansichtsind, dass grundlegende Prinzipien in der Minderheitenpolitik je nach Kassenlage ein- oderausgeschaltet werden können, ist unser Land noch sehr weit von einem minderheiten-politischen Vorbild für andere entfernt.Die Landesregierung hat die Konsequenzen ihrer Entscheidung vollkommen falscheingeschätzt, weil sie ihren außen- und minderheitenpolitischen Kompass gegen einenTaschenrechner eingetauscht hat. Die Folgen sind schon jetzt nicht mehr einzufangen. DieMenschen in der Minderheit fühlen sich diskriminiert, weil ihre Kinder dem Land weniger wertsein sollen als alle anderen. In dieser Woche tagt erstmals die deutsch-dänische Arbeitsgruppe,die über die Finanzierung der deutschen und dänischen Minderheitenschulen im Grenzlandberaten soll. Die dänische Seite hat von vornherein klar gemacht, dass es für sie keine Abkehrvom Gleichstellungprinzip geben kann. Es wird Zeit, dass die Landesregierung einen Plan B ausder Schublade zaubert, bevor sie dem deutsch-dänischen Verhältnis nachhaltig schadet.Auch die weiteren Kürzungen bei den Organisationen der Minderheiten müssen bis zurzweiten Lesung auf den Prüfstand. Das gilt für die Zuschüsse für die dänischen Organisationenund Einrichtungen ebenso wie für die Förderung der friesischen Volksgruppe. Die drastischen 7Kürzungen beim Friesenrat und beim Nordfriisk Instituut würden ihr die institutionelleExistenzgrundlage entziehen. Es kann doch wirklich nicht ernst gemeint sein, dass dieLandesregierung wegen einiger zehntausend Euro die wenigen Stellen gefährdet, die denFriesen überhaupt zur Verfügung stehen, und damit die Minderheit nur noch auf Projekt-förderung verweist. Entweder man hat eine Minderheitenpolitik und lebt sie auch, oder manhat keine.Diese Koalition ist ein Bündnis politischer Kurpfuscher. Je mehr der Patient vor Schmerzenschreit, desto erfolgreicher finden sie ihren Aderlass. Dass sie dabei nicht einmal mehrberechtigte Einwände hören können, nehmen sie in ihrem missionarischen Eifer in Kauf.Indem die Koalition jeglichen Protest als Erfolgsbeweis für die Stringenz der Haushalts-konsolidierung wertet, verschließt sie sich einer demokratischen Auseinandersetzung über dieVorgaben der Haushaltsstrukturkommission. Dabei liegt es auf der Hand, dass es natürlich zuKorrekturen kommen muss, wenn ein Haushalt auf die Realität trifft, der maßgeblich aufZahlen vom Grünen Tisch und theoretischen Kalkulationen des Rechnungshofs beruht. Mitihrer Gutsherrenart verspielt die Landesregierung jede Chance, Verständnis für berechtigteKürzungen zu gewinnen. Denn die Menschen wissen doch, dass schmerzhafte Einschnittenotwendig sind. Sie wollen aber ein ausgewogenes Sparen. Sie wollen keinen schwarz-gelbenKahlschlag, der rücksichtslos die Schwachen in unserer Gesellschaft die Zeche zahlen lässt. Siewollen keine „Fielmann“-Gesellschaft, die von Mäzenatentum abhängig ist, um grundlegendesoziale und kulturelle Angebote vorzuhalten. Sie wollen einen anderen Schuldenabbau, undder ist möglich.Der einzig vertretbare Weg zu einem finanziell gesunden Land ohne Neuverschuldung und mitsinkenden Altschulden ist eine Kombination aus Kürzungen, Strukturreformen, Maßnahmenzur Einnahmeverbesserung und die Nutzung konjunkturell bedingter Steuermehreinnahmenzum Schuldenabbau. Es ist eine politische Entscheidung, dass die Landesregierung und dieFraktionen von CDU und FDP diesen Haushalt auf massive Kürzungen im Sozialwesen und bei 8der Kultur bauen. Für den SSW bleibt es dabei, dass diese bedingungslose Senkung derAusgaben allein kein praktikabler und politisch vertretbarer Weg ist, die Schuldenbremseumzusetzen.Ich halte wenig davon, diesen Haushalt jetzt dadurch in Frage zu stellen, dass die Legitimationder Landesregierung nach dem Verfassungsgerichtsurteil bezweifelt wird. Zum einen hat dasGericht bei der Verkündung des Urteils klar gesagt, dass die Regierung und das Parlament biszu den Neuwahlen handlungsfähig sind. Zum anderen braucht das Land zum 1. Januar einenHaushalt. Wenn es nach uns geht, würde dieser Haushalt mit Sicherheit anders aussehen. Aberso lange es keine andere Mehrheit im Parlament gibt, werden wir diese Mehrheit auchrespektieren. Ich kann den Kolleginnen und Kollegen von der CDU und FDP aber nur ans Herzlegen, gründlich darüber nachzudenken, ob dies der Haushalt sein soll, für den sie die Handheben wollen – ob sie diesen Haushalt mit all seinen Konsequenzen nachher vor ihrenWählerinnen und Wählern verteidigen können. Der SSW kann es jedenfalls nicht.