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08.09.10
12:58 Uhr
SSW

Anke Spoorendonk zu TOP 6 - Entwurf eines Haushaltsgesetzes zum Haushaltsplan 2011/12

Presseinformation Kiel, den 8.09.2010 Es gilt das gesprochene Wort



Anke Spoorendonk
TOP 6 Haushaltsgesetz zum Haushaltsplan 2011/2012 TOP 7 Haushaltsbegleitgesetz zum Haushaltsplan 2011/2012

Es waren große Hoffnungen, die zur Landtagswahl 2009 an die Nachfolgeregierung der
Großen Koalition geknüpft wurden. Endlich sollte in der Landesregierung wieder Handlungs-
fähigkeit und Einigkeit herrschen. Es ging nicht nur um die Überwindung des politischen
Stillstands. Es sollte vor allem auch zu einem anderen politischen Miteinander kommen. Aber
Pustekuchen.


Entweder hat diese Koalition es nicht geschafft, das „kulturelle Erbe“ der Großen Koalition
abzustreifen, oder es ist vor allem die CDU, die diese Kultur verkörpert. Auf jeden Fall wird die
Arroganz der Macht, die der Opposition schon von der Großen Koalition entgegengebracht
wurde, nun vom CDU-FDP-Bündnis fortgesetzt. Dabei wurde die erste wirkliche Großtat in
dieser Wahlperiode nur durch die Zusammenarbeit mit der Opposition möglich. Die
Verabschiedung der Schuldenbremse im Frühjahr dieses Jahres hätte der Auftakt zu einem
anderen politischen Miteinander werden können. Stattdessen entschied die Koalition sich in
gewohnter Arroganz für das Durchregieren. 2
Es wurde sogar noch eins draufgesetzt: Die Einbindung der Landtagsfraktionen von CDU und
FDP in die Haushaltsstrukturkommission und die angebliche Alternativlosigkeit der Vorschläge
haben dazu geführt, dass der Graben zwischen Regierungsmehrheit und Opposition tiefer ist
denn je. Wir können gespannt darauf sein, was sich zwischen dieser ersten Lesung und der
Verabschiedung des Landeshaushalts im Dezember noch ändert. Meine Hoffnung, dass sich
grundlegende Verbesserungen ergeben, beschränkt sich auf wenige konkrete Konfliktfelder,
die heute schon bekannt sind. Dabei gibt es so viele Bereiche, in denen dieser Haushaltsent-
wurf die Weichen vollkommen falsch stellt.


Dieser erste und letzte schwarz-gelbe Haushalt ist unsozial, perspektivlos und zerstörerisch. Er
ist mit dem Taschenrechner geschrieben und er entbehrt jeder fachpolitischen Zielsetzung. Er
entwurzelt große Teile des sozialen und kulturellen Lebens in Schleswig-Holstein, ohne ein Bild
davon zu haben, wie es anders gedeihen soll. Diese Landesregierung hat nicht die geringste
Vorstellung davon, wie unser Land in zehn oder zwanzig Jahren aussehen soll. Das wird schon
in ihrem eigenen Beritt, bei der öffentlichen Verwaltung deutlich. 5000 Stellen im
Landesdienst sollen gestrichen werden. Aber Schwarz-Gelb hat kein Bild davon, wie die
Verwaltung der Zukunft aussieht und welche Aufgaben sie erledigen soll.


In diesem Haushaltsentwurf werden kaum strukturwirksame Maßnahmen ergriffen.
CDU und FDP setzen allein auf Streichungen. Das Ergebnis ist ein amputiertes Schleswig-
Holstein und kein zukunftsfähiges. Der Ministerpräsident spricht viel von den künftigen
Generationen, die er nicht mit dem Konsum von heute belasten will. Aber er hat kein Bild
davon, wie Schleswig-Holstein in 10, 20 oder 30 Jahren ein modernes Land für unsere Enkel und
Urenkel sein kann. Auch das ist keine Generationengerechtigkeit. Die Landesregierung schuldet
unseren Kindern und Enkeln ein Leitbild, wie das Land in Zukunft nicht nur billiger, sondern
auch ebenso gut wie heute oder besser funktioniert. Das hat die Koalition des Aufbruchs nicht
zustande gebracht. 3
Diesem Haushalt liegen keine anderen Visionen zugrunde als die Vorstellung eines schlanken
Staates. Mit dieser Strategie baut man aber nichts Neues auf. Die Koalition verwaltet lediglich
Zahlen, als bestünde sie nur aus Buchhaltern. Wo ist denn die fachpolitische Einsicht in das
Leben hinter den Zahlen geblieben? Die sucht man besonders im Sozialbereich vergebens. Das
gilt für die Kürzung des Landesblindengeldes oder die Einführung von Quasi-Studiengebühren
bis hin zu den beiden großen Sozialverträgen. Je mehr klar wird, was sich alles hinter diesen
Kürzungen verbirgt, desto klarer wird auch, dass hier die neoliberale Politik umgesetzt wird, die
sich in lyrischer Form schon im Koalitionsvertrag findet. Die Menschen sollen „in Freiheit und
Eigenverantwortung ohne Bevormundung leben können“ kündigte der Ministerpräsident in
seiner Regierungserklärung an. In der Praxis heißt das: die Menschen sollen allein klarkommen.


Es sind viele Menschen, die von ihrer Landesregierung im Stich gelassen werden. Sie lässt mit
ihrer Prioritätensetzung nicht nur die Menschen fallen, die keine Chance haben, eine gute
grundständige Bildung zu bekommen oder einen auskömmlichen Arbeitsplatz zu finden. Sie
vernachlässigt auch Menschen mit ganz alltäglichen Problemen, die die Unterstützung von
Beratungsstellen und andere Angebote brauchen, um erst gar nicht zu Problemfällen zu
werden. In Ermangelung eines Konzepts holt Schwarz-Gelb zum großen Sensenhieb aus, der
quer durch Gesellschaft und soziale Hilfen Verwüstungen hinterlässt – von den Jugendver-
bänden über die Mehrgenerationenhäuser bis zu den Frauenberatungsstellen. Besonders
bezeichnend ist es, dass nicht einmal die Selbsthilfearbeit verschont bleibt. Mit der Zerstörung
dieses letzten Rettungsankers ist der Gipfel der sozialen Kälte erreicht. Das Gras wird mit den
Wurzeln herausgerissen und die soziale Arbeit der Erosion preisgegeben.


Vielen Trägern im Sozialbereich, bei der Kultur oder in der Umweltpolitik wird gar nicht erst die
Chance gegeben, eine Überlebensstrategie zu entwickeln. Ihnen wird ab 2011 und vielfach
bereits in diesem Jahr der Hahn so drastisch abgedreht, dass sie gar nicht die Zeit haben, die
Arbeit neu zu organisieren oder bestehende Verträge zu kündigen. Kleine Einrichtungen und
Projekte, die relativ geringe Summen bekommen und schon durch kleinere Kürzungen in ihrer 4
Existenz bedroht sind, müssen mit Kürzungen der Landeszuschüsse von bis zu 40 % innerhalb
eines Jahres rechnen. Hinzu kommt, dass die Kreise jetzt schon ankündigen, ihre Zuschüsse in
Bereichen einzustellen, die das Land auch nicht weiter fördert. Das wird noch einer langen
Reihe weiterer Einrichtungen und Angebote das Genick brechen. Die Einsparungen werden zu
Verwüstungen, die in besseren Jahren kaum wieder behoben werden können und die viel
teurere soziale Probleme nach sich ziehen. Das ist keine nachhaltige Haushaltskonsolidierung
und es ist unerträglich, wenn man sieht, dass die Regierung gleichzeitig Möglichkeiten der
Einnahmesteigerung bewusst nicht nutzt.


Diese Koalition kann noch so oft behaupten, dass die Kürzungen alternativlos sind, aber sie
sind es nicht. Allein durch die Erhöhung der Grunderwerbssteuer ab 2011 ließen sich alle
Einsparungen bei den freiwilligen Leistungen vermeiden. Deshalb kann man nur einen Schluss
ziehen: CDU und FDP verzichten bewusst auf Einnahmen und kürzen lieber das Soziale und die
Kultur. Das ist das Programm der schwarz-gelben Koalition.


Diese Koalition kommuniziert nicht, sie verkündet nur. CDU und FDP wiederholen die immer
selben Sprachregelungen und der Ministerpräsident hält stets dieselben abgegriffenen
griechischen Tafeln hoch. Das ist nicht nur tödlich für die demokratische Auseinandersetzung,
es ist auch respektlos gegenüber allen im Land, die engagiert für ihr Anliegen streiten. Die
Landesregierung vermittelt den von Kürzungen betroffenen das Gefühl, ihre Arbeit sei nichts
wert. Und wenn der Finanzminister die Kürzungen bei sozialen Hilfen damit begründet, wir
würden uns heute einen zu hohen Lebensstandard leisten, dann ist das zynisch und respektlos
gegenüber denjenigen, die auf die eine oder andere Weise auf die Hilfe der Gemeinschaft
angewiesen sind. Sozialpolitik ist kein Luxus, sondern die Grundlage und die Garantie für
unsere demokratische Gesellschaft.


Es kommt aber noch schlimmer: Bei alldem, was sie im Moment dem Land zumuten, spielt
Schwarz-Gelb noch nicht einmal mit offenen Karten. Wie gleichgültig es der CDU und der FDP 5
ist, dass die Zahlen auch Menschen betreffen, lässt sich vortrefflich an der Diskussion um die
Universität Lübeck ablesen. Erst wurde die Politik hinter verschlossenen Türen ausgekungelt
und die Universität vor vollendete Tatsachen gestellt. Dann sticht der FDP-Fraktionsvorsitzende
dem Lübecker AStA ein Papier durch, aus dem hervorgeht, dass die Haushaltsstruktur-
kommission die Liquidierung der gesamten Hochschule in Kauf nimmt. Und schließlich erklärt
der Kollege Kubicki, dass alles nur ein Schauspiel gewesen ist, um Druck auf die Bundesregie-
rung auszuüben. Der Zweck heiligt offensichtlich alle Mittel – auch, dass man die eigene
Bevölkerung instrumentalisiert und für dumm verkauft.


Wie die Koalition auf die Idee gekommen ist, dass sie auf diese Weise in der Bevölkerung
Verständnis für Kürzungen gewinnen kann, ist mir schleierhaft. Die Vorgehensweise der
Landesregierung hat dazu geführt, dass viele Menschen sich veralbert fühlen und kein
Vertrauen in die Regierung haben. Die Tatsache, dass die Landesregierung dem Parlament
nicht die Entscheidungsgrundlagen der Haushaltsstrukturkommission offen legen will, nährt
nur die Befürchtung, dass sich hinter weiteren Haushaltsvorschlägen keine ernsthafte
Finanzpolitik verbirgt, sondern Erpressungsversuche lauern könnten.


Das lässt sich zumindest auch für die Wirtschaftswissenschaften an der Universität Flensburg
vermuten, die wohl ebenfalls am Ende von Dritten gerettet werden. Aber allein die Tatsache,
dass die Haushaltsstrukturkommission die deutsch-dänischen Studiengänge zur Disposition
gestellt hat, zeigt, wie eindimensional die Arbeit in der Haushaltsstrukturkommission
vonstatten gegangen ist. Ohne Rücksicht darauf, dass die wirtschaftswissenschaftlichen
Studiengänge dort eng mit der Syddansk Universitet verwoben sind, wurde deren Ende
beschlossen. Für eine Einsparung von 1,7 Millionen Euro ab 2017 sollte eine der erfolgreichsten
grenzüberschreitenden Hochschulkooperationen in Europa platt gemacht und eine der
entscheidenden Zukunftspotentiale der nördlichen Region verschenkt werden. Die Kuh ist jetzt
glücklicherweise auf etwas dickeres Eis gestellt worden. Bis 2011 hat die Landesregierung Zeit,
von dieser Dummheit abzukommen. 6



Weniger Zeit gibt es für die ebenso wenig klugen Kürzungen bei den Minderheiten – allen
voran der Vorschlag, die Kinder an dänischen Schulen künftig nicht mehr mit den Kindern an
öffentlichen Schulen gleichzustellen. Für die Minderheitenpolitik ist es nicht weniger als
verheerend, dass die CDU-FDP-Koalition mit ihrem Kürzungsvorschlag hinter die Politik von
Uwe Barschel zurückschreitet und es wieder anderen überlässt, die Prinzipien der deutsch-
dänischen Minderheitenpolitik zu verfechten. Es ist umso erschreckender, als derselbe
Ministerpräsident noch im Herbst 2007 mit großem Pathos verkündete, dass die Einschrän-
kungen der „100 %“ durch Rot-Grün wieder zurückgenommen wurden und die Gleichstellung
der Schulkinder wieder uneingeschränkt gilt. Minderheitenpolitik baut auf Vertrauen,
Verlässlichkeit und unverbrüchliche Rechte. Solange Parteien in Schleswig-Holstein der Ansicht
sind, dass grundlegende Prinzipien in der Minderheitenpolitik je nach Kassenlage ein- oder
ausgeschaltet werden können, ist unser Land noch sehr weit von einem minderheiten-
politischen Vorbild für andere entfernt.


Die Landesregierung hat die Konsequenzen ihrer Entscheidung vollkommen falsch
eingeschätzt, weil sie ihren außen- und minderheitenpolitischen Kompass gegen einen
Taschenrechner eingetauscht hat. Die Folgen sind schon jetzt nicht mehr einzufangen. Die
Menschen in der Minderheit fühlen sich diskriminiert, weil ihre Kinder dem Land weniger wert
sein sollen als alle anderen. In dieser Woche tagt erstmals die deutsch-dänische Arbeitsgruppe,
die über die Finanzierung der deutschen und dänischen Minderheitenschulen im Grenzland
beraten soll. Die dänische Seite hat von vornherein klar gemacht, dass es für sie keine Abkehr
vom Gleichstellungprinzip geben kann. Es wird Zeit, dass die Landesregierung einen Plan B aus
der Schublade zaubert, bevor sie dem deutsch-dänischen Verhältnis nachhaltig schadet.


Auch die weiteren Kürzungen bei den Organisationen der Minderheiten müssen bis zur
zweiten Lesung auf den Prüfstand. Das gilt für die Zuschüsse für die dänischen Organisationen
und Einrichtungen ebenso wie für die Förderung der friesischen Volksgruppe. Die drastischen 7
Kürzungen beim Friesenrat und beim Nordfriisk Instituut würden ihr die institutionelle
Existenzgrundlage entziehen. Es kann doch wirklich nicht ernst gemeint sein, dass die
Landesregierung wegen einiger zehntausend Euro die wenigen Stellen gefährdet, die den
Friesen überhaupt zur Verfügung stehen, und damit die Minderheit nur noch auf Projekt-
förderung verweist. Entweder man hat eine Minderheitenpolitik und lebt sie auch, oder man
hat keine.


Diese Koalition ist ein Bündnis politischer Kurpfuscher. Je mehr der Patient vor Schmerzen
schreit, desto erfolgreicher finden sie ihren Aderlass. Dass sie dabei nicht einmal mehr
berechtigte Einwände hören können, nehmen sie in ihrem missionarischen Eifer in Kauf.
Indem die Koalition jeglichen Protest als Erfolgsbeweis für die Stringenz der Haushalts-
konsolidierung wertet, verschließt sie sich einer demokratischen Auseinandersetzung über die
Vorgaben der Haushaltsstrukturkommission. Dabei liegt es auf der Hand, dass es natürlich zu
Korrekturen kommen muss, wenn ein Haushalt auf die Realität trifft, der maßgeblich auf
Zahlen vom Grünen Tisch und theoretischen Kalkulationen des Rechnungshofs beruht. Mit
ihrer Gutsherrenart verspielt die Landesregierung jede Chance, Verständnis für berechtigte
Kürzungen zu gewinnen. Denn die Menschen wissen doch, dass schmerzhafte Einschnitte
notwendig sind. Sie wollen aber ein ausgewogenes Sparen. Sie wollen keinen schwarz-gelben
Kahlschlag, der rücksichtslos die Schwachen in unserer Gesellschaft die Zeche zahlen lässt. Sie
wollen keine „Fielmann“-Gesellschaft, die von Mäzenatentum abhängig ist, um grundlegende
soziale und kulturelle Angebote vorzuhalten. Sie wollen einen anderen Schuldenabbau, und
der ist möglich.


Der einzig vertretbare Weg zu einem finanziell gesunden Land ohne Neuverschuldung und mit
sinkenden Altschulden ist eine Kombination aus Kürzungen, Strukturreformen, Maßnahmen
zur Einnahmeverbesserung und die Nutzung konjunkturell bedingter Steuermehreinnahmen
zum Schuldenabbau. Es ist eine politische Entscheidung, dass die Landesregierung und die
Fraktionen von CDU und FDP diesen Haushalt auf massive Kürzungen im Sozialwesen und bei 8
der Kultur bauen. Für den SSW bleibt es dabei, dass diese bedingungslose Senkung der
Ausgaben allein kein praktikabler und politisch vertretbarer Weg ist, die Schuldenbremse
umzusetzen.


Ich halte wenig davon, diesen Haushalt jetzt dadurch in Frage zu stellen, dass die Legitimation
der Landesregierung nach dem Verfassungsgerichtsurteil bezweifelt wird. Zum einen hat das
Gericht bei der Verkündung des Urteils klar gesagt, dass die Regierung und das Parlament bis
zu den Neuwahlen handlungsfähig sind. Zum anderen braucht das Land zum 1. Januar einen
Haushalt. Wenn es nach uns geht, würde dieser Haushalt mit Sicherheit anders aussehen. Aber
so lange es keine andere Mehrheit im Parlament gibt, werden wir diese Mehrheit auch
respektieren. Ich kann den Kolleginnen und Kollegen von der CDU und FDP aber nur ans Herz
legen, gründlich darüber nachzudenken, ob dies der Haushalt sein soll, für den sie die Hand
heben wollen – ob sie diesen Haushalt mit all seinen Konsequenzen nachher vor ihren
Wählerinnen und Wählern verteidigen können. Der SSW kann es jedenfalls nicht.