Landtagspräsident Torsten Geerdts zum Urteil des Landesverfassungsgerichts
142/2010 Kiel, 30. August 2010Landtagspräsident Torsten Geerdts zum Urteil des LandesverfassungsgerichtsKiel (SHL) – „Selbstverständlich respektieren wir das Urteil des Landesverfas- sungsgerichtes und werden es umsetzen. Ich mache aber keinen Hehl daraus, dass wir als Landtagsverwaltung eine andere Rechtsauffassung haben. Das Urteil ist für uns insofern überraschend, aber wir sind auch auf diesen Fall vorbereitet. Ich habe den Ältestenrat daher zu einer Sondersitzung einberufen, um noch heute über die Konsequenzen des Urteils zu beraten. Ich appelliere an die Mitglieder des Landtages, mit dieser besonderen Situation besonnen, sachlich und im Sinne des Landes umzugehen. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, dass das Parlament seiner Aufgabe als Interessenvertretung auch - oder gerade - in politisch schwierigen Zeiten gerecht wird.“ Hintergrund → Schleswig-Holsteinischer Landtag, Postfach 7121, 24171 Kiel ▪ Carsten Maltzan, pressesprecher@landtag.ltsh.de, Tel. 0431 988-1120; Fax 0431 988-1130 ▪ www.sh-landtag.de → Presseticker 2I. Wahlrechtliche Regelung der Größe des LandtagesDie Größe des Landtages wird in Art. 10 Abs. 2 Satz 3 der Landesverfassung (LV) auf grundsätzlich 69 Abgeordnete festgelegt (siehe auch § 1 Abs. 1 Satz 1 LWahlG). Abweichungen hiervon sind nach Satz 4 nur zulässig, soweit Überhang- und Aus- gleichsmandate entstehen oder wenn Sitze leer bleiben. Da es sich beim schleswig- holsteinischen Wahlrecht um eine Persönlichkeitswahl mit Elementen der Verhält- niswahl handelt, werden nach § 1 Abs. 1 Satz 2 LWahlG 40 der 69 Mandate durch Mehrheitswahl in den insgesamt 40 Wahlkreisen gewählt. Die restlichen 29 Mandate verteilen sich aufgrund des verhältnismäßigen Anteils an den Zweitstimmen auf die jeweiligen Landeslisten der Parteien.Durch das Ineinandergreifen der beiden Wahlsysteme (Mehrheits- und Verhältnis- wahl, deren Kombination bereits durch die Verfassung zwingend vorgesehen ist, Art. 10 Abs. 2 Satz 2 LV) können Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei mehr Direktmandate erhält als ihr nach ihrem Anteil am Zweitstimmenergebnis zustehen würden. Solche Mehrsitze werden grundsätzlich nach § 3 Abs. 5 LWahlG nach dem Zweitstimmenergebnis zugunsten der anderen Parteien ausgeglichen. Um jedoch ein grenzenloses Anwachsen der Abgeordnetenanzahl zu verhindern und die Funk- tionsfähigkeit des Parlaments zu erhalten, zieht die umstrittene Norm des § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG einen „Deckel“ zur Kappung des Ausgleichs ein: „Die Anzahl der wei- teren Sitze darf dabei jedoch das Doppelte der Anzahl der Mehrsitze nicht überstei- gen“. Diese Deckelungsvorschrift griff erstmals bei der Landtagswahl 2009.Diese Vorschrift wird von verschiedenen Seiten als unbestimmt und mehrdeutig empfunden. Zum Teil wird auch ihre Geeignetheit in Frage gestellt, da durch diese Regelung keine absolute Höchstmarke für die Gesamtanzahl der Abgeordneten (und damit für die Funktionsfähigkeit des Parlaments) gesetzt wird, sondern die Decke- lung stets von der Anzahl der Überhangmandate abhängt. Ist deren Anzahl niedrig, greift der Deckel für die Verteilung von Ausgleichsmandaten früh, ist die Anzahl der Mehrsitze hingegen hoch, greift der Deckel erst zu einem späteren Zeitpunkt bei der Sitzverteilung nach dem D’Hondtschen Höchstzahlverfahren. 3II. Entstehungsgeschichte des LandeswahlrechtsDas Landeswahlgesetz, insbesondere der „streitige“ § 3 Abs. 5 LWahlG, in seiner heutigen Fassung, wurde im Zusammenhang mit der Reform der Landesverfassung 1990 geschaffen. Wichtig waren dem Verfassungsgeber hierbei zwei Punkte: Zum einen ein kombiniertes Persönlichkeits- und Verhältniswahlrecht festzuschreiben und zum anderen die Zahl der Abgeordneten vor dem Hintergrund häufiger Veränderun- gen der Mandatszahl in der Vergangenheit in Übereinstimmung mit der Enquete- Kommission „Verfassungs- und Parlamentsreform“ aus dem politischen Streit he- rauszuhalten. Allerdings sollten auch nach Auffassung des Sonderausschusses „Verfassungs- und Parlamentsreform“ die Regelung der Einzelheiten des Wahlsys- tems dem einfachen Gesetzgeber überlassen bleiben. Eine starre absolute Zahl der Abgeordneten sollte daher nicht in die Verfassung aufgenommen werden, weil das Wahlrecht auch Überhang- und Ausgleichsmandate ermöglichen müsse (vgl. Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV).Bis 1990 ermöglichte das Landeswahlrecht zwar das Entstehen von Überhangman- daten, es fehlte jedoch eine Ausgleichsregelung zugunsten der anderen Parteien, die bewirkt, dass das Sitzverhältnis zumindest annähernd dem Stimmenverhältnis entspricht. Daher regelte der der Gesetzgeber 1990 den beschränkten Mehrsitzaus- gleich in ausdrücklicher Anlehnung an den inhaltsgleichen § 10 Abs. 4 Gemeinde- und Kreiswahlgesetz (GKWG), der bereits seit 1965 in dieser Weise Bestand hatte. Gerichtliche Auseinandersetzungen um dessen Auslegung bestätigten die durch die Landeswahlleitung vorgenommene Auslegung des § 3 Abs. 5 LWahlG in Form der so genannten. „kleinen Lösung“.Erst im Jahre 1997 wurde das bis heute geltende Ein-Stimmen-Wahlrecht auf ein Zwei-Stimmen-Wahlrecht umgestellt und erstmals bei der Landtagswahl im Jahr 2000 angewendet. Das Risiko ansteigender Mandatszahlen durch die Möglichkeit des Stimmensplittings wurde im Vorfeld diskutiert, aber im Ergebnis als hinnehmbar erachtet. Im Jahre 2003 wurde schließlich die sowohl verfassungsrechtlich als auch einfachgesetzlich vorgesehene Regelgröße von 75 Abgeordneten auf 69 Mandate verringert.