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16.06.10
13:53 Uhr
B 90/Grüne

Robert Habeck zur Regierungserklärung zur Konsolidierung des Landeshaushalts

Presseinformation

Landtagsfraktion Schleswig-Holstein Es gilt das gesprochene Wort! Pressesprecherin Claudia Jacob TOP 2 – Regierungserklärung zur Konsolidierung Landeshaus des Landeshaushalts Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Telefon: 0431 / 988 - 1503 Fax: 0431 / 988 - 1501 Dazu sagt der Fraktionsvorsitzende Mobil: 0172 / 541 83 53 von Bündnis 90/Die Grünen, presse@gruene.ltsh.de www.sh.gruene-fraktion.de Robert Habeck: Nr. 347.10 / 16.06.2010

Jenseits von Bier und Chips
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,
Herr Ministerpräsident, Sie sagten, „vor dem Parlament liegt eine Bewährungsprobe von historischer Dimension.“ Ich nehme den Ball auf. Ich teile das. Ich teile ebenfalls, dass die alten Klipp-Klapp-Mechanismen politischer Meinungsbildung ausgedient ha- ben. Bestenfalls sind sie umgekehrt anzuwenden. Die Regierung muss den kritischen Dialog mit der Gesellschaft suchen. Die Opposition hingegen muss sich der Verantwor- tung stellen und sich angreifbar machen.
Und deshalb haben wir früh die Deckung der Opposition verlassen und stehen im Wort, jene Strukturen, Programme und Institutionen, die ein Umbau des Staates entbehrlich macht, zu verändern und einzusparen. Von der einzelbetrieblichen Förderung über den Verkauf des Landeskulturzentrums Salzau bis zu den Katasterämtern. Ich spare mir die Aufzählung – wir haben Sie veröffentlicht.
Und ich will auch unterstreichen, dass mindestens die CDU mit der Sparliste ihre Klien- tel nicht geschont hat, Küstenschutzabgabe, Landwirtschaftskammer, Flughafen Kiel- Holtenau, einzelbetriebliche Förderung.
Bei der FDP-Klientel ist es etwas anders – was vielleicht daran liegt, dass die FDP kei- ne Klientel mehr hat. Aber bei der Abschmelzung des Pensionskostenanstiegs, da hät- ten wir uns mehr Mut vorstellen können.

Seite 1 von 10 Meine Damen und Herren, wir haben uns daran gewöhnt, Schulden als fiskalisches Problem zu sehen. Wir können nicht mehr investieren, weil wir die Zinsen bedienen müssen. Aber das ist nur die ober- flächliche Wahrheit. Schulden sind ein ethisches Problem. Und sie sind ein demokrati- sches Problem. Schulden sind ein Verstoß gegen die wohlverstandenen Ansprüche anderer. Wir übersetzen das im „Politiksprech“ mit „nachfolgenden Generationen“. Aber das ist längst zu fern gedacht. Ganz unmittelbar, in unserer Gegenwart, verletzt die Verschuldung die Solidar-Verpflichtung des Staates gegenüber Schwachen.
Da teile ich ihre Analyse von den Selbstheilungskräften der Zivilgesellschaft nicht, Herr Carstensen. Schon entstehen ganze Milieus, für die das Versprechen des gesellschaft- lichen Aufstiegs durch Bildungserwerb nicht mehr gilt. Schon jetzt gibt es eine Parallel- gesellschaft – jene oberen Prozente der ganz Reichen, die von der Auszehrung des Sozialstaats profitiert haben. Schulden sind ein zweischneidiges Schwert. Sie nehmen nicht nur den Schuldner in Pflicht, auch den Gläubiger, den Profiteur der Umverteilung. Und deshalb muss der Verschuldung auch mit höheren Steuern begegnet werden.
Wir lesen heute, dass die Gerechtigkeitsschere weiter auseinander klafft und die Mitte brüchiger wird. Wenn eine Schere ihre Mitte verliert, dann hat man zwei Dolche. Und dann geht jede Chance auf Vernunft und Solidarität den Bach runter.
Die Vorschläge der CDU/FDP-Regierung in Berlin sind ein dreister Beweis dafür, dass sie nichts kapiert haben, dass bei den Schwächsten am stärksten gekürzt wird. Und das aus politischer Ideologie und Borniertheit. Gegen den Willen der Mehrheit der Be- völkerung, die schon längst weiter ist als die Regierung. Diese Regierung gibt die fal- schen Antworten, sie ist die falsche Regierung!
Die FDP hat die Bundestagswahl unter Vortäuschung falscher Tatsachen gewonnen, sie ist der Klotz am Bein gesellschaftlichen Fortschritts. Wir sollten den Bundestag neu wählen!
Übrigens, ein Wort zur Begründung, dass Hartz IV-EmpfängerInnen kein Elterngeld be- kommen, weil sie ja sowieso den ganzen Tag Zuhause wären – das von den gleichen Menschen hören zu müssen, die keine Schwierigkeiten haben, die so genannte „Herd- prämie“ zu rechtfertigen, ist an Unverfrorenheit kaum zu überbieten.

Meine Damen und Herren, der Schlüssel, die Gesellschaft zusammen zu halten oder zusammen zu führen, ist Bil- dung. Und deshalb, bei allem, zu dem wir bereit sind, um den Konsolidierungspfad mit- zugehen – oder ihn zu weisen - können wir nicht akzeptieren, wenn Sie Bildung in Ihr Sparschwein pfropfen. Und deshalb, gerade weil der Weg schwierig ist, können sich diese Gesellschaft und das Land Schleswig-Holstein einen Aussetzer wie das neue Schulgesetz nicht leisten.

2 Und apropos Bildung, Herr Ministerpräsident, das letzte Mal, dass ich Sie von „ehrba- ren Kaufleuten“ habe reden hören, erzählten Sie uns, dass die Kanzlerin ihnen beim Kaffeekränzchen als Kompensation für das Wachstumsbeschleunigungsgesetz 100 Mio. Euro versprochen hätte. Nur finden die sich nun in ihrer Haushaltsplanung nicht wieder. Sie werden es mir nicht übel nehmen, dass ich, immer wenn ich jemanden von „ehrbaren Kaufleuten“ sprechen höre, weiß, dass ich übers Ohr gehauen werden soll.
Klar kostet gute Bildung Geld und die Landeskasse ist knapp – aber sie bringen das Land nicht in die Offensive, sondern schießen permanent aufs eigene Tor. Der Bil- dungsföderalismus und das Kooperationsverbot mit dem Bund, von Roland Koch und den CDU-Ministerpräsidenten mal eingeführt, sind das Problem. Kämpfen Sie für bes- sere Bildung und neue Strukturen, statt die Verabredungen in Frage zu stellen!
Und an dieser Stelle spiele ich den Ball zurück: Auch vor der Landesregierung liegt eine besondere Bewährungsprobe. Sie haben heute über weite Teile das bekannte Haus- haltsstrukturkommissionspapier aufgesagt. Aber, Herr Ministerpräsident, der eigentli- chen Herausforderung haben Sie sich nicht gestellt. Sie haben Ihr Sparkonzept nicht in eine politische Zielvorstellung für das Land eingebettet, Sie haben nicht dargestellt, wie der Konsolidierungspfad bis 2020 funktionieren soll und ob er es kann, sie haben die Dimension gesellschaftlicher Gerechtigkeit ausgeblendet.
Sie sagen, „wir stehen am Wendepunkt unserer Politikkultur“. Ich sage, ja, da stehen wir – und wir sind dabei, diese Politikwende zu verpassen – weil, ich zitiere erneut, wie- der und wieder alles als „alternativlos“ dargestellt wird. So aber, durch Diskussionsver- weigerung, durch Basta-Ansage und Intransparenz verlieren Sie den gesellschaftlichen Diskurs im Land. Und bei allem, was uns inhaltlich unterscheidet - wir dürfen ihn nicht verlieren.

Herr Ministerpräsident, in der letzten Woche haben Sie gesagt, Sie hätten das Sparkonzept zur Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft vorstellen und mit dem Finale beschließen sollen. Das scheint lustig – aber daraus spricht eine bittere Wahrheit. So also stellen Sie sich das vor: Sie setzen die Bevölkerung mit Bier und Chips vor den Fernseher und können machen, was Sie wollen.
Nicht mit uns, Herr Ministerpräsident! Wir haben doch keinen Mangel an Drohgebärden oder Leuten, die den Kopf abschalten. Wenn aus Ihrem Pathos von der anderen Poli- tikkultur etwas folgt, dann doch die Einsicht, dass uns eigenständige Köpfe fehlen, Menschen, die bereit sind, mit- und nachzudenken, die auch „Nein“ sagen dürfen und die ihre Vorstellungen einbringen können. Menschen, denen man eine Meinung nicht verordnen kann. Wir jedenfalls werden uns das Fragen nicht verbieten lassen und des- halb bin ich so enttäuscht – wo sind Ihre Antworten?
Ich weiß ja, dass es unbequem ist, wenn wir mitdenken. Und dass es ärgerlich ist, 3 wenn man nachrechnet und die Rechnung plötzlich nicht aufgeht – aber sich deshalb hinter dieser Floskel von „Kritik ist nur erlaubt, wenn es Gegenvorschläge gibt“ zu ver- schanzen, das nenne ich wirklich Wagenburgmentalität. Sollen blinde Menschen Vor- schläge zur Kompensation des Blindengeldes machen?
Die Forderung nach Kompensation setzt nämlich eines voraus: Dass es eine konsisten- te Gesamtrechnung gibt. Und auch heute wurde sie wieder nicht vorgelegt. Als das Sparpaket präsentiert wurde, mahnten wir sie an. Nichts. Wie groß das tatsächliche De- fizit 2020 ist, wird wie ein Staatsgeheimnis gehütet.
Zehn Tage später haben wir uns die Mühe gemacht, Ihre Vorstellungen zu beziffern. Zinsen und Pensionen sind das Salz in der Schuldenwunde. Sie wird sich nicht schlie- ßen. 1,4 Mrd. Euro weit klafft sie 2020 noch.
Und der Finanzminister sagt, unsere Rechnung sei falsch. Und der Landesrechnungs- hofpräsident behauptet, unsere Zahlen würden nicht stimmen. Aber weder der eine noch der andere sind in der Lage, eine eigene Rechnung vorzulegen. Gibt es eigentlich kein Excel-Programm im Finanzministerium?
Ich stelle fest, dass weder das Finanzministerium noch der Landesrechnungshof bis heute in der Lage sind, den Fehler in unserer Rechnung aufzuzeigen. Uns vorzuwerfen, Herr Finanzminister, wir können nicht rechnen, ohne eine eigene Rechnung zu präsen- tieren, das ist unter Ihrem Niveau und Sie wissen es. Ich schließe daraus: Entweder haben Sie keine Gesamtrechnung oder die Rechnung geht nicht auf. So oder so kön- nen Sie uns nicht widerlegen. Ist es anders, wäre heute der Tag, es zu tun.
Deshalb, Herr Ministerpräsident, weil Sie eigentlich wissen, dass die Haushaltsstruktur- kommission keinen Konsolidierungspfad beschrieben hat, haben Sie heute wohl den Altschuldentilgungsfonds aufgegriffen. Das begrüße ich. Aber ich stelle auch fest, die Forderung nach ihm zeigt, dass Sie wissen, dass das Land sich nicht am eigenen Schopf aus dem Schuldensumpf ziehen kann. Das entbindet uns nicht vom Sparen, aber es verpflichtet uns zu Ehrlichkeit.
Sie sagen: „Auch wenn wir weniger Geld ausgeben, werden wir den Haushalt nicht sa- nieren können.“ Und verweisen auf die Konjunktur – aber die haben Sie ja schon mit 2,5 Prozent veranschlagt – und trotzdem wird es nicht reichen! Sie brauchen fünf Pro- zent Wachstum über zehn Jahre.
Und deshalb ist die Wahrheit: Auch wenn wir konjunkturelle Mehreinnahmen haben, werden wir den Haushalt nicht sanieren können. Hören Sie auf zu lavieren und von „unsicheren Wetten zu sprechen“, machen Sie sich ehrlich.
Und ja, Herr Finanzminister, wo ich gerade dabei bin. Sie halten uns ja gern vor, dass höhere Steuern nur zu höheren Ausgaben führen. Ich frage mich übrigens, wo das ei- gentlich herkommt? In den letzten Jahrzehnten gab es ja gar keine höheren Steuern. Aber geschenkt. 4 Nicht geschenkt ist, warum das erst ab 2012 geschehen soll, wenn Sie der Meinung sind, dass die Grunderwerbssteuer angehoben werden muss? Wieder gehen dem Land 120 Mio. Euro durch die Lappen - ja, hätten Sie die Grunderwerbssteuer angehoben, als wir das erstmals vorschlugen, dann hätten Sie die Hälfte des strukturellen Defizits bereits fest verbuchen können. Aber wenn man an die Grunderwerbssteuer und an die Pensionen nicht heran will, dann muss man eben härter in der Bildung kürzen. Aber das ist nicht Mut, das ist politische Dummheit.
Ich begrüße die Forderung nach einer Finanzmarktbesteuerung. Doch das Ferne for- dern, entbindet nicht von der Pflicht, das Naheliegende zu tun. Erhöhen Sie endlich die Grunderwerbssteuer.

Meine Damen und Herren, immer hieß es, als wir in den bleiernden Monaten seit der Neuwahl endlich Handeln anmahnten, wir müssten auf die Mai-Steuerschätzung warten, um das Haushaltsstruk- turkommissionspapier fertig zu stellen. Kann mir bitte einer mal auch nur eine Kennzahl in ihren 45 Seiten zeigen, die in irgendeiner Abhängigkeit von der Mai-Schätzung steht? Sie haben ja noch nicht mal ihre Wachstumsprognose nach unten korrigiert. Das war alles fadenscheinig und vorgeschoben.
Und jetzt sagen Sie wieder, die Zahlen kommen mit dem Haushaltsentwurf. Wir brau- chen sie aber jetzt! Heute! Hier! Sonst geht die ganze Debatte vor die Hunde. Warum warten, außer wenn Sie sie nicht haben oder wenn sie nicht stimmen?
Die Regierung hat sich bereits jetzt in einer Wagenburg verschanzt. Da sitzen Sie, die Herren und der Harlekin – wie nach einer Jahrzehnte langen Belagerung – mit dem Rü- cken zur Spar-Wand.
Wir brauchen jedoch einen Ausbruch, eine gesellschaftliche Offensive – und niemand in Ihren Reihen ist in der Lage, den anzuführen. Immer nur die Rede von Alternativlo- sigkeiten und die Forderung nach Gegenvorschlägen zum so genannten Sparpaket. Aber ein Paket ist es nur, wenn die Schnüre halten. Sonst ist es eine Flickschusterei.
Sie, Herr Ministerpräsident, reden von 5.300 Stellen im Personalabbau - Wo ist denn das Personaleinsparkonzept? Nur wieder Verschiebebahnhof. Aber eine Personalein- sparung ohne eine Verwaltungsreform ist schlechterdings unmöglich. Und genau da scheuen Sie sich, genau da wollen Sie den komplizierten Vierebenen- Verwaltungsaufbau beibehalten. Den Mut gegenüber den Blinden, den sollten Sie bes- ser gegenüber Ihren Landräten und Amtsvorstehern aufbringen.
Ein schlimmer politischer Fehler ist, dass Sie in lauter Einzelfällen kürzen und damit Tausenden von Menschen etwas wegnehmen, aber die notwendigen strukturellen Ver- änderungen – die erst einmal niemanden direkt betreffen – gar nicht auf dem Schirm haben. Allen voran die Reform der Verwaltung, von der die BürgerInnen profitieren 5 würden und die Geld sparen würde. Eine Verwaltungsreform wäre zwingend mit dem Landesentwicklungsplan und der Schulträgerschaft und der Schulentwicklungsplanung zusammen zu entwerfen.
Ähnliches gilt für die norddeutsche Kooperation. Der Vorschlag, den ich am schmerz- lichsten in Ihrem Papier vermisse, ist die Zusammenlegung der Landesrechnungshöfe von Hamburg und Schleswig-Holstein sowie eigene Gehaltsverzichtsvorschläge von MinisterInnen. Oder muss ich das Sprichwort vom Waschen und dem nassen Pelz als Selbstbezichtigung verstehen?

Herr Ministerpräsident, Ihre Rede ist das eine, die Wirklichkeit Ihres Regierens sieht aber anders aus. Am 14.5. berichteten die Agenturen: „5,1 Millionen Euro für die Häfen Föhr, Amrum und Dage- büll“ – Zitat: „Die Passagiere sollen zukünftig über einen Seiteneinsteig auf einer barrie- refreien und überdachten Fußgängerbrücke auf die Fähren gelangen. Bislang müssen sie über die Fahrzeugrampe auf die Schiffe gehen.“
Herr Ministerpräsident, ich bezweifle nicht, dass gerade Ältere und Menschen mit Be- hinderungen sich über einen bequemen Einstieg freuen – aber ich bin mir sicher, noch mehr wollen Sie eine intakte soziale Infrastruktur.
Sparen wollen Sie, aber Ihre Fraktionen hatten für diesen Landtag einen Antrag einge- reicht, um endlich Landesmittel in den Flughafen Blankensee zu pumpen. Flughafen hui, Uni pfui – tolle Wirtschaftsförderung!
Sie preisen, dass die Fraktionen von CDU und FDP an einem neuen Wahlrecht arbei- ten wollen – neun Monate, nachdem wir einen Vorschlag eingebracht haben. Klima- schutz als Motor für wirtschaftliche Erneuerung kommt bei Ihnen gar nicht vor.
Die Einnahmeseite stärken – wie Sie sagten - das bedeutet auch eine aktive Politik für den Wirtschaftsstandort Schleswig-Holstein: Sie schwächen den Standort Schleswig- Holstein für Medizintechnik. Sie schwächen den Energie-Standort Schleswig-Holstein. Statt die notwendige ökologische Energiewende als Konjunkturmotor zu organisieren, setzen Sie unbelehrbar auf Kohlegiganten, die die Elbe aufheizen, statt effizient Strom zu erzeugen. Dreckschleudern, die den Treibhausgasausstoß vervierfachen. Heute noch nicht genehmigt, frühestens 2015 am Netz, und dann 60 Jahre technische Lauf- zeit: Und das nennen Sie Übergangstechnologie?
Wer von Generationsgerechtigkeit redet – und das finden wir gut, dass davon geredet wird - wer davon redet, dass wir kommende Generationen nicht in Schulden ertränken dürfen, der sollte auch darüber nachdenken, ob wir ohne ein Endlager zu kennen, be- denkenlos Atommüll produzieren dürfen, der sollte auch darüber nachdenken, ob wir, obwohl wir Alternativen kennen, mit neuen Kohlekraftwerken weiterhin das Klima zer- stören dürfen. Generationengerechtigkeit ist mehr als die Schuldenbremse. Die ökolo- gische Energiewende ist ein Konjunkturprogramm für unser Land - oder könnte es sein, 6 wenn Schwarz-Gelb es denn zuließe.
Aber statt eines Green New Deal verteilen Sie Schecks an Schokoladenfabriken. Und Kulturförderung ist die Sanierung des U-Boot Ehrenmals. Das passt hinten und vorne nicht zusammen!

Meine Damen und Herren, wenn das bürgerliche Trauerspiel zur attischen Tragödie wird, dann weil die Politik zu Buchhaltung und Klüngelrunden verkommt. Sie sagen, Herr Ministerpräsident, „der Mensch ist mehr als das Ergebnis einer Kosten-Nutzen-Rechnung“ – ich sage: Politik auch!
In Situationen, in denen das Land zusammen stehen muss, werden Papiere verheim- licht. Schlimmer noch. Statt Politik für die Menschen in Schleswig-Holstein zu machen, meucheln sich schwarz-gelbe PolitikerInnen. Kubicki liefert de Jager ans Messer, weil er den Widerstand und den Argumenten der Studenten in Lübeck nicht standhalten kann.
Schwarz-Gelb ist gerade dabei, mit der Haushaltsdebatte das zu machen, was die gro- ße Koalition mit der Verwaltungsstrukturreform gemacht hat – den Boden völlig zu verbrennen.
Das Land hat eine Haushaltssanierung bitter nötig. Wir brauchen ein Haushaltsstruk- turkonzept, das von einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit getragen wird. Wir brau- chen einen gesellschaftlichen Schulterschluss. Aber statt Vertrauen zu wecken, wird mit Unwahrheiten und zurückgehaltenen Informationen gearbeitet.
Es kann aber nicht sein, dass die Regierung nur für die FDP arbeitet, damit dann ihr Fraktionsvorsitzender mit den Informationen macht, was er will. Ich fordere die Landes- regierung nochmals eindringlich auf, allen Fraktionen ihre Risikobewertungen der Sparmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Und zwar pronto und nicht erst nach dem 13. Juli. Die Demontage des Parlaments ist eine Demontage der Öffentlichkeit. Jede Politik, die so vorgeht, muss scheitern.
Wer wusste eigentlich wann was? Auf welcher Faktenbasis trifft die Politik ihre Ent- scheidungen? Ja, dieser Haushalt ist eine zentrale Weichenstellung. Und deshalb muss das Parlament Zugang zu allen Informationen haben. Sie zu verheimlichen, werden wir nicht akzeptieren. Und wir werden alle parlamentarischen Mittel nutzen, Transparenz zu erzwingen. Akteneinsicht ist da nur das Mindeste.
Wo leben wir denn, dass sich CDU und FDP nach Gusto die Regierung zur Beute ma- chen, und am Parlament vorbei Arbeitsaufträge erteilen und die erarbeiteten Regie- rungspapiere als Geheimdokumente behandeln? Hier ist andauernd von der Würde des hohen Hauses die Rede – das Zurückhalten von Informationen ist nun mal wirklich ein eklatanter Verstoß gegen sie. 7 Herr Ministerpräsident, haben Sie denn noch das Gefühl, umfassend informiert zu sein? Kennen Sie Berech- nungen, die belegen, dass das, was Sie sagen und tun, richtig ist? Oder haben Sie nicht auch inzwischen das Gefühl, ihre Leute schicken Sie in eine Schlacht, deren Auf- stellung man Ihnen verheimlicht hat? Hat Ihnen der Wirtschaftsminister Szenarien vor- gerechnet, welche wirtschaftlichen Auswirkungen die Schließung einer ganzen Univer- sität hat? Wurden Ihnen Zahlen und Prognosen vorgelegt? Oder hat man sie geleimt? Hat Ihr Kulturminister Sie über die Bonn-Kopenhagener Erklärung informiert und über Minderheitenrechte, oder hat er sie sehenden Auges in den Konflikt rennen lassen?
Sie sagen, Herr Ministerpräsident, Schleswig-Holstein wäre bundesweit Vorreiter. Ich sage, Sie verprellen wissenschaftliche Kommissionen, schleifen ein fortschrittliches Bil- dungssystem, machen sich Unruhm, weil Sie die Bildungsziele aufkündigen, verbannen die Spitzenforschung, spielen Mehrheits- gegen Minderheitsbevölkerung aus.
Ich wohne an der dänischen Grenze. Und mich sprechen jetzt Kinder an und sagen, die „Deutschen“ haben ja Stress mit den „Dänen“. Das ist die Folge Ihrer Politik – wir reden wieder von Deutschen und Dänen – statt von einer Bevölkerung, die eine Mehrheiten- und eine Minderheitenkultur hat. Erklären Sie einem Mitglied der dänischen Minderheit, warum es 100 Prozent Steuern zahlen soll, aber sein Kind nur 85 Prozent wert ist. Sie spalten das Land in Interessengruppen, im schlimmsten Fall nationale Interessengrup- pen. Universitäten gegen Universitäten, FHs gegen Standorte, Kiel gegen Lübeck, Nord gegen Süd.

Herr Carstensen, Sie müssen Beschlüsse durchsetzen, die unzureichend vorbereitet wurden, während die FDP mit Sparkassenprivatisierung und Glücksspielstaatsvertrag und Y-Trasse fürs Gymnasium ihre Pfründe pflegt.
Sehen Sie, Herr Carstensen, nicht die Krux dieser Nebenregierung namens Haushalts- strukturkommission? Oder ahnen Sie sie jedenfalls? Kubicki und von Boetticher denken sich irgendwas aus – und Sie werden zurücktreten müssen, wenn es nicht funktioniert.
Wessen Idee war denn die organisierte Verantwortungslosigkeit? Wer wollte denn kei- ne Kabinettsdisziplin? Und wer hat sich denn jetzt schon von der Koalition verabschie- det? Wer schnürt denn das Paket hinter Ihrem Rücken wieder auf, bezeichnet Christian Wulff als „Provinzpolitiker“ und „zu leichtgewichtig und ungeeignet für das höchste Staatsamt“ und will die Ampel – zunächst nur in NRW?
Wolfgang Kubicki glaubt schon längst nicht mehr an den Erfolg dieser Regierung. Er arbeitet an seinen Prestige-Projekten und ansonsten bereitet er die Erzählung vor, die da lautet: alles Dilettanten außer mir. Er tut alles, Sie schlecht aussehen zu lassen, um, wenn dann im Dezember die Regierung fällt, mit weißer Weste da zu stehen. Die 8 Traumpartnerschaft aus CDU und FDP ist längst zum politischen Käfigkampf gewor- den.

Herr Ministerpräsident, die Berichte des Landesrechnungshofs der letzten zehn Jahre durchzunudeln, ist noch keine Politik. Politik erläutert, wozu was wann getan werden muss. Sie setzt so etwas wie eine gesellschaftliche Vision voraus.
Das zu beheben, Herr Ministerpräsident, der Bevölkerung nicht nur mit Opferpathos, sondern mit Gestaltungswillen zu begegnen, das wäre heute Ihre Aufgabe gewesen. Dafür sind Regierungserklärungen da. Sie haben sich ihr nicht gestellt. Und ich verste- he ernsthaft nicht, wie man sich so einen Elfmeter auflegen kann, wie diese Rede heu- te, und ihn dann so versemmelt – es hätte viel zu erklären gegeben und Sie lesen ein Papier vor, das seit 14 Tagen im Internet steht.
So bleibt nur festzustellen: Sie wollen das Haus Schleswig-Holstein sanieren und rei- ßen Wände raus ohne Plan, ohne die Statik berechnet zu haben, ohne eine Idee, wie es nach dem Umbau aussehen soll.
Wie soll das Land sein, wenn unsere Kinder erwachsen sind? Welche Wertschöp- fungsketten brauchen wir? Welche Bildungslandschaft wollen wir? Wie soll ein kulturel- les Milieu entstehen, in dem Menschen sich offen und freundlich begegnen?
Dass Sie all die – völlig zu Unrecht – als weiche Standortfaktoren bezeichneten Para- digmen nicht in politische Konzepte übersetzen können, wundert mich eigentlich nicht. Dass Sie aber über die von Ihnen als hartes Feld beschriebene Wirtschaftspolitik kei- nen Gedanken verschwendet haben, das ist schon überraschend.
Gibt es eine Simulation in Ihren Ministerien, die die Frage beantwortet, was eigentlich mit dem Land passiert, wenn man ihm eine Milliarde Euro entzieht? Und das ist nicht Beiwerk. Das ist die Voraussetzung dafür, Sparen als ethisches Problem zu begreifen.

Meine Damen und Herren, diese Stunde hätte die Stunde werden können, in der wir Basta-Ansagen und Autori- tätsgehabe verlassen können, in der Sie auf die Opposition tatsächlich zugegangen wä- ren, statt es immer nur zu behaupten. In der Sie Erklärungen geliefert, Rechnungen nachprüfbar vorgelegt und wir gemeinsam Fehler der Vergangenheit eingestanden hät- ten. All das ist unterblieben.
Immer wieder habe ich gehört, dass die Haushaltsstrukturkommission mit Benchmarks gearbeitet hat – beim FÖJ, bei der Lehrerarbeitszeit, bei der Eingliederungshilfe, bei den Studienplätzen für Medizin soll der Vergleich mit anderen Ländern maßgeblich ge- wesen sein. Aber offensichtlich nicht bei Bildung, Kultur – und bei der Gleichbehand- lung der dänischen Minderheit mit der deutschen Mehrheit. 9 Immer, wenn wir über dem Bundesdurchschnitt bei irgendetwas liegen, dann gilt der als Leumund für Kürzungen. Liegen wir aber darunter, wie bei AbiturientInnen, Studienplät- zen oder Kulturausgaben, wird ebenfalls gekürzt. Das ist mehr als technisches Versa- gen der Methode. Das ist Willkür und deshalb begehren die Menschen auf, weil Sie es eben nicht schaffen, die ethische – und das ist die Gerechtigkeitsdimension ihrer Politik - zu erklären.
Und weil Sie das nicht tun, weil Sie bei Bildung sparen, Transparenz vermissen lassen und sich der Nachprüfbarkeit verweigern, wird Ihr Finanzpaket scheitern und mit ihm Ih- re Regierung.

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