Rede von Heinz-Werner Jezewski zur Regierungserklärung: "Machen Sie es wie Koch, Herr Ministerpräsident dann enden Sie auch nicht so wie Rüttgers."
Presseinformation 163/10 Jannine Menger-Hamilton Pressesprecherin Rede von Heinz-Werner Jezewski DIE LINKE Fraktion im Schleswig- zur Regierungserklärung Holsteinischen Landtag Düsternbrooker Weg 70 Es gilt das gesprochene Wort. 24105 Kiel – Sperrfrist Redebeginn – Telefon: 0431 / 9 88 16 02 Telefax: 0431 / 9 88 16 18 Kiel, 16. Juni 2010 Mobil: 0160 / 90 55 65 09 jannine.menger-hamilton@linke.ltsh.de www. linksfraktion-sh.deRede von Heinz-Werner Jezewski zur Regierungserklärung: „Machen Sie es wie Koch, Herr Ministerpräsident dann enden Sie auch nicht so wie Rüttgers.“„Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen,„Die Bundesrepublik ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“, heißt es in Artikel 20 des Grundgesetzes. Die Frage, die sich stellt, ist ob es nach Vollendung der Pläne der Bundes- und der Landesregierung heißen muss „die Bundesrepublik war ein demokratischer und sozialer Bundes- staat“? Die Situation, in der wir uns befinden, ist, historisch gesehen nicht einmalig, aber der Minis- terpräsident handelt einmalig unhistorisch.Auch wenn die Landesregierung uns etwas anderes erzählen will – Wir reden hier nicht über das erste Sparprogramm in Schleswig-Holstein. Denken Sie einfach einmal an Heide Simonis, in deren Zeit das Land, in Folge der deutschen Einheit, vom Empfänger zum Nettozahler im Länderfinanzaus- gleich wurde. Oder denken Sie an Claus Möller, der darunter litt, dass sein Genosse Eichel den Ban- ken und Konzernen Steuersenkungen von 100 Milliarden jährlich eingeschenkt hatte. Stets aber be- fand man sich nach den Sparprogrammen auf einem höheren Verschuldungsniveau.Hans Eichel hat allerdings auch hier den Vogel abgeschossen. Als 2003 die Neuverschuldung des Bundes fast 20 Milliarden Euro betrug, initiierte er das bis dahin größte Sparprogramm in der Ge- schichte Deutschlands. Der Erfolg war, dass sich die Neuverschuldung binnen eines Jahres auf über 40 Milliarden Euro verdoppelte. Sinkende Ausgaben der öffentlichen Hand vermindern die wirt- schaftliche Nachfrage, den Umsatz und in der Folge auch die Produktion um ein Vielfaches. Diese und alle weiteren Presseinformationen der Fraktion DIE LINKE finden Sie auf http://www.linksfraktion-sh.de Die Kürzung von 24 Millionen Euro bei der Universität Lübeck wird Auswirkungen auf die Region haben. Sie wird 10.000 Arbeitsplätze kosten und Folgekosten von jährlich bis zu zwei Milliarden Eu- ro verursachen. Diese Zahlen stammen übrigens nicht von mir, sondern vom Geschäftsführer der Möller-Wedel Optische Werke GmbH.Zwei Milliarden bezahlen, um 24 Millionen zu kassieren. Und das nennt diese Landesregierung „sparen“. So lassen sie Schulden durch Sparen viel stärker anwachsen als es nötig ist und treiben das Land weiter bergab.Weltweit befinden wir uns in einer Wirtschaftskrise, die nur vergleichbar ist mit der langen Depres- sion von 1873 bis 1895 und der großen Depression von 1929 bis 1945. Die Rückführung der Ausga- ben der öffentlichen Hand in einer solchen Situation wird tödlich sein. Das Einzige, was in einer sol- chen Situation noch Sicherheit bringen und Beschäftigung sichern kann, ist ein starker Staat.Lassen Sie mich nun einen Blick auf die aktuelle Situation werfen.Monatelang nach der Konstituierung des Landtages und der Wahl der Regierung, schien diese in Schockstarre verfallen. Nicht nur der Oppositionsführer fragte laut, wo sie denn eigentlich stecke. Doch dann – wie der Blitz aus heiterem Himmel – tauchte sie wieder auf. Ich will jetzt nicht sagen, dass die faktische Hinrichtung des Landestheaters oder das waidwundschießen der Sparkassen zur Ausbeinung durch private Banken mich gefreut hat, doch immerhin, jetzt war Regierungshandeln erkennbar.Dann, wiederum etwas später, kam das jetzt diskutierte und vom Ministerpräsidenten heute so lei- denschaftlich verteidigte Sparpaket. Woher kam das eigentlich? Aus irgendwelchen dubiosen Hin- terzimmern, den Fraktionen und Landesparteien zum schnellen Abnicken vorgelegt und dann in die öffentliche Diskussion geworfen. Kaum hatte diese Diskussion begonnen, fühlte sich der Minister- präsident auch schon gezwungen, seinen Rücktritt für den Fall anzudrohen, dass das Paket nicht so durchgehe, wie er es will. Folgerichtig eigentlich, denn die Rücktrittsdrohung ist in Deutschland ja stets das Eingeständnis des völligen politischen Scheiterns. Mir fällt dazu eigentlich nur der leicht abgewandelte Rat des Innenministers ein „Von Rücktritt redet man nicht, man macht ihn.“ Mög- lichst bald, möchte ich hinzufügen. Machen Sie es wie Koch, Herr Ministerpräsident dann enden Sie auch nicht so wie Rüttgers.Aber die Rücktrittsdrohung hat zumindest einen Teil der Koalitionsfraktionen derart diszipliniert, das seitdem die Debatte geführt wird. Geführt nach dem Motto: Was kümmern mich die Fakten, ich Diese und alle weiteren Presseinformationen der Fraktion DIE LINKE finden Sie auf http://www.linksfraktion-sh.de habe ein Sparkonzept. Dass dieses Sparkonzept von so gut wie allen gesellschaftlichen Gruppen ab- gelehnt wird – egal. Dass dieses Sparkonzept auch in den eigenen Reihen höchst umstritten ist – egal. Dass dieses Sparkonzept das Land in den Ruin treiben wird – egal. Die Haltung der Landesre- gierung und der sie tragenden Fraktionen erinnert fatal an das Verschanzen in einer Wagenburg: Alles, was außerhalb ist muss uns feindlich gesinnt sein und wird gnadenlos bekämpft.Niemand wird bestreiten, dass die finanzielle Lage des Landes ernst ist. Sie war es sogar schon, be- vor CDU und FDP in diesem Hause Anfang des Jahres mit der Zustimmung zum so genannten Wach- stumsbeschleunigungsgesetz freiwillig auf 130 Millionen Euro pro Jahr verzichtet haben, auf deren Ausgleich Land und Kommunen bis heute vergeblich warten.Sie war es spätestens, nachdem das Land 2,5 Milliarden Euro Barmittel und 10 Milliarden Euro Bürgschaften für die HSH Nordbank vergeben hatte. 2,5 Milliarden, natürlich auf Pump finanziert, das ist mehr als zehn Mal so viel, wie jetzt im Doppelhaushalt eingespart werden soll. Erzählen Sie uns bitte nicht, das Land stünde am Abgrund, weil irgendjemand hier über seine Verhältnisse gelebt habe. Einzig die Finanzhaie und Bankenmarodeure in der HSH haben über ihre Verhältnisse gelebt. Und sie haben es ihren Kumpanen in den Geschäftsbanken ermöglicht, dicke Gewinne einzustrei- chen. Die Bevölkerung hingegen hatte gar keine Chance, auch einmal über ihre Verhältnisse zu le- ben.Das sind also die Schuldigen an der derzeitigen Misere, Banken und Finanzinvestoren, unterstützt von einer Finanzpolitik in Bund und Ländern, die spätestens seit 1998 geradezu darum gebettelt hat, das Land finanziell auszubluten. Und jetzt kommen Bundes- und Landesregierung und sagen: Wir müssen endlich die Zeche zahlen. Wir alle! Und so zahlen wir alle: Blinde mit der Kürzung des Blindengeldes, Eltern mit Kita-Beiträgen und Kosten für die Beförderung ihrer Kinder zur Schule, so- zial Benachteiligte mit dem Wegfall von Hilfsangeboten, Schülerinnen und Schüler mit Schulchaos und größeren Klassen, Studentinnen und Studenten mit schlechterer Qualität ihres Studiums, die Kommunen mit der Aufgabe ihrer Handlungsfähigkeit.Ich kann hier gar nicht alle aufführen, die noch bezahlen müssen, aber eine Gruppe fehlt mir doch, bei all den Betroffenen. Wo stecken eigentlich diejenigen, die den Karren in den Dreck gefahren haben? Die Banken, die Finanzjongleure? Jeder weiß doch, wo die sind. Sie sitzen weiter auf dem Kutschbock und warten darauf, dass die Politik endlich alle anderen einspannt, um den Karren wie- der flott zu kriegen. Sie klatschen sich vor Vergnügen auf die Schenkel und haben schon einen gu- Diese und alle weiteren Presseinformationen der Fraktion DIE LINKE finden Sie auf http://www.linksfraktion-sh.de ten Plan, wie sie uns danach in die nächste Krise steuern können. Und sich dabei die Taschen voll- stopfen, natürlich.Aber ganz so schnell wird das nicht gehen, die Herrschaften werden sich noch etwas gedulden müs- sen. Jedenfalls wenn das Sparen überall so dilettantisch durchgeführt wird, wie in Schleswig- Holstein.Dass das von dieser Regierung verursachte Chaos im Bildungswesen uns volkswirtschaftlich Un- summen kosten wird, kann heute noch ein Viertklässler ausrechnen. Wenn Minister Klug mit dem Bildungswesen am Ende ist, werden aber nicht einmal die Diplommathematiker mehr dazu in der Lage sein. Wir brauchen eine Reform des Schulsystems, aber keine nach der Methode Klug, sondern eine mit Sinn und Verstand.Wer glaubt, Geld zu sparen, indem er einen Hafen schließt, der 600.000 Euro Unterhalt im Jahr kos- tet und dafür ein Schöpfwerk bauen muss, das mehr als 7 Millionen Euro kostet, der baut vermut- lich auch Häuser ohne Fenster und lässt die Bewohner das Licht in Körben hineintragen.Wir brauchen eine kritische Betrachtung staatlicher Infrastrukturausgaben, aber nicht nach der Me- thode de Jager, sondern gut durchdacht.Wer Stellen einsparen will und die Kostenbelastung für diese Stellen als Einsparbetrag rechnet, oh- ne die Folgekosten für Arbeitslosengeld, Steuerausfälle, Konsumrückgang und anderes zu rechnen, der zeigt, dass er vom wirtschaftlichen Rechnen nicht einmal den Hauch einer Ahnung hat. Wir brauchen einen behutsamen Umbau der Verwaltungen, aber dabei sollten wir nicht nach Wiegard rechnen, sondern nach Adam Riese, der hatte nämlich mehr Ahnung davon.Nun wäre ja Ahnungslosigkeit nicht einmal das größte Problem, aber in Verbindung mit der oben erwähnten Wagenburgmentalität und der Beratungsresistenz dieser Landesregierung ergibt sie ei- ne fatale Mischung.In Wirklichkeit hilft das jetzt angesagte Sparprogramm uns also überhaupt nicht, weil es – wir wer- den das schnell merken – nur einen Bruchteil der versprochenen Ergebnisse bringen wird, wenn überhaupt. Was also wäre angesagt?Es ist nötig, Einnahmen und Ausgaben auf einen Stand zu bringen, der langfristiges behutsames Wachstum ermöglicht, ohne die Strukturen des Sozialstaates zu zerstören. Reiche Demokratien werden nur mit einer öffentlichen Finanzierung des Bildungssystems sowie gesundheitlicher und Diese und alle weiteren Presseinformationen der Fraktion DIE LINKE finden Sie auf http://www.linksfraktion-sh.de sozialer Dienstleistungen Bestand haben können. Sozialpolitik ist in unserem Verständnis keine Wohltätigkeitsveranstaltung für Bedürftige, sondern Infrastrukturpolitik mit unverzichtbaren Inves- titionen in die allgemeine wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung.Wer glaubt, in der Krise nur die Ausgabensituation betrachten zu können, der möge sich ansehen, wie Hans Eichel am Anfang des Jahrtausends durch ein erfolgreiches Sparprogramm innerhalb nur eines Jahres die Neuverschuldung von 19 auf 43 Milliarden Euro hochgetrieben hat.Abseits aller Bemühungen um echte und sinnvolle Einsparungen und um eine radikale Verbesse- rung der Einnahmesituation geht es darum, bei stagnierendem Personalbestand die Gehälter im öffentlichen Dienst für fünf Jahre ein wenig oberhalb der Summe aus der Inflationsrate und des Produktivitätszuwachses zu halten. Eine moderate Steigerung von 3% pro Jahr ist hier durchaus an- gemessen.Der Verwaltungsumbau, der jetzt angestrebt wird und der durchaus sinnvoll sein könnte, wird sehr kostenintensiv sein. Die Weiterentwicklung des öffentlichen Dienstes kann aber nicht über Sparzie- le erreicht werden, sondern nur über Umorganisation und Weiterbildung der Mitarbeiter.Die geplanten rechtspolitischen Änderungen zerstören unter dem Deckmantel des Sparens plan- mäßig die Substanz des Rechtsstaates. Die Begründung, dass zu viele Verfahren auflaufen, ist voll- ständig unsinnig. Soll man Mord straffrei stellen, wenn es zu viele Morde gibt?Es gibt eine Flut von Klagen in Sachen Hartz IV. Jetzt die Prozesskostenhilfe abzusenken, wäre ein weiterer Meilenstein in der Entrechtung großer Teile der Bevölkerung. Sinnvoll wäre es, die Gesetze so zu ändern, dass gesetzlich Rechtsfrieden hergestellt wird.Die Hochschulpolitik der Landesregierung zerstört die Reste des bewährten deutschen Hochschul- systems in Schleswig-Holstein. Es muss am Eigensinn von Wissenschaft angeknüpft werden und es ist Aufgabe der Politik, wissenschaftliche Entscheidungsprozesse zu ermöglichen, die jenseits von wirtschaftlichen Zwängen auf die Förderung eben dieser Wissenschaft abzielen. Die Wirtschaftspo- litik der Landesregierung kennt nur das Einstampfen bewährter Strukturen unter Beibehaltung der Förderung ihrer eigenen Klientel.Sinnvoll hingegen wäre jetzt ein Investitionsprogramm zur Behebung der wesentlichen Schäden der Politik der letzten zwanzig Jahre und die Förderung der öffentlichen Beschäftigung. Insgesamt muss eine Stärkung des öffentlichen Sektors stattfinden, die Staatquote sollte wieder mehr als 50 Prozent betragen und wir brauchen gesetzliche Grundlagen zur Förderung der Rekommunalisierung von Un- Diese und alle weiteren Presseinformationen der Fraktion DIE LINKE finden Sie auf http://www.linksfraktion-sh.de ternehmen der Daseinsfürsorge. Zur Finanzierung all dessen reichte schon die Rückkehr zur Finan- zierungssituation des Bundes, der Länder und der Kommunen wie sie in der Zeit der Regierung Kohl war. Die öffentliche Hand hätte dabei heute mehr als 100 Milliarden mehr zur Verfügung. Im Ein- zelnen wäre jetzt angebracht: 1. Die Rücknahme des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes mit Ausnahme der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu Kinderfreibeträgen und Kindergeld. 2. Die Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 53 Prozent. 3. Die Erhebung eines einmaligen Lastenausgleichs bei den Gewinnern der Finanzkrise zur Überführung in einen Altschuldentilgungsfonds. 4. Das Einbringen eines Teils der Schulden der Bundesländer in diesen Tilgungsfonds, um wie- der vernünftiges Wirtschaften auf Länderebene zu ermöglichen. 5. Einführung einer Vermögenssteuer. 6. Anhebung der Erbschaftssteuer auf ein Niveau, das einer Leistungsgesellschaft angemessen ist, wobei Lebensarbeitserträge vererbt werden sollen.Ich weiß, dass all das nicht in Schleswig-Holstein beschlossen und erreicht werden kann. Aber das Wachstumsbeschleunigungsgesetz wurde schließlich auch nicht hier beschlossen, und trotzdem kostet es uns jährlich mehr als 100 Millionen.Was aber, wenn wir nicht den Weg der Vernunft gehen, den Weg der die Einnahmesituation ver- bessert und der unter Beibehaltung aller staatlichen Aufgaben, im sozialen Bereich, in der Bildung, bei der Landesentwicklung und in der Daseinsvorsorge eine realistische Perspektive zum Abbau der aufgelaufenen Altverschuldung ermöglicht. Was, wenn wir den Weg des blinden Sparens gehen, den Weg des Sparens ohne Rücksicht auf die Kosten, den die Regierungsparteien offenbar für den einzig möglichen halten? Wir werden dann etwas erleben, was andere vor uns auch schon erlebt haben.Die Aushöhlung des Parlamentarismus, die Steigerung des sozialen Elends von Millionen Familien und eine bis dahin nicht gekannte politische Radikalisierung. Soweit werden wir es aber nicht kom- men lassen. Wir unterstützen und wir organisieren den Widerstand gegen die Politik der Landesre- gierung. Und in diesem Widerstand werden die Konturen einer Politik für die Menschen und für die Zukunft des Landes klar werden. So klar, wie dieser schöne Sommertag.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.“ Diese und alle weiteren Presseinformationen der Fraktion DIE LINKE finden Sie auf http://www.linksfraktion-sh.de