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19.05.10
11:51 Uhr
Linke

Rede von Uli Schippels zu TOP 6 - Schuldenbremse

Jannine Menger-Hamilton Pressesprecherin DIE LINKE Fraktion im Schleswig- Presseinformation Holsteinischen Landtag Düsternbrooker Weg 70 Rede von Uli Schippels zu TOP 6 - Schuldenbremse 24105 Kiel Es gilt das gesprochene Wort. Telefon: 0431 / 9 88 16 02 Telefax: 0431 / 9 88 16 18 Mobil: 0160 / 90 55 65 09 Kiel, 19. Mai 2010 jannine.menger- hamilton@linke.ltsh.de www. linksfraktion-sh.de


Rede von Uli Schippels zu TOP 6 – Schuldenbremse
„Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,
Michael Sommer – der gerade wiedergewählte DGB-Vorsitzende – bezeichnet die Schuldenbremse als (ich zitiere mit Erlaubnis) „völliger Unsinn“. Gegenüber der Wirtschaftswoche führte er vor kurzem aus: „Wir brauchen Geld für Bildung, Forschung und öffentliche Infrastruktur, aber keine Sparorgien oder falsche Steuergeschenke. Die Politik sollte die Schuldenbremse aussetzen oder am besten komplett streichen.“ Auf dem Bundeskongress des DGB am letzten Wochenende hat Michael Sommer die soge- nannte Schuldenbremse als einen der größten Fehler bezeichnet.
Die designierte Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westphalen Hannelore Kraft hat im Herbst vergan- genen Jahres im dortigen Landtag zur damaligen schwarz-gelben Regierung gesagt: „Wenn Sie die Schuldenbremse in die Landesverfassung setzen und wir gleichzeitig alle wissen, dass das Land keine eigenen Steuereinnahmen in erklecklichem Umfang hat und diese auch nicht nach oben schrauben kann, dann erklären Sie den Menschen einmal, wie wir in der Bildung mit Siebenmeilenstiefeln vorangehen sollen. Das passt doch nicht zusammen, und das wissen die Bürgerinnen und Bürger!“
Herr Stegner, hören sie auf ihre Genossin in NRW. Sie hat ihren Worten auch Taten folgen lassen und die Verankerung der Schuldenbremse in der Landesverfassung abgelehnt. Sie dagegen beließen es bis- her leider bei Worten.
Ich habe mit ungläubigen Staunen im neuen Artikel 53, Abs. 3. gelesen, dass im Falle von Naturkatast- rophen oder außergewöhnlichen Notsituationen von der „Schuldenbremse“ abgewichen werden könne, und jetzt kommt es: „aufgrund eines Beschlusses mit der Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages.“
Erinnern sie sich noch an die Debatten in der Förderalismus-Kommission II? Damals war es die CDU, die genau diese Formulierung im Grundgesetz verankern wollte – „die notwendige Zweidrittel- Mehrheit“ zur Aussetzung der Schuldenbremse, und sie und die Sozialdemokratie haben dies damals abgelehnt und verhindert. Warum nur haben sie nicht mehr die Kraft, hier nein zu sagen? Warum ver- schärfen sie an dieser Stelle noch die gesetzlichen Vorgaben, die das Grundgesetz vorschreibt?
Übrigens war diese Formulierung mit der nötigen Zweidrittel-Mehrheit nicht in den Ursprungsentwür- fen enthalten. Bei keiner Fraktion. Die Diskussion zwischen den beteiligten Fraktionen hatte offensich- tlich nicht geahnte Nebenwirkungen und vor allem auch Risiken.
Und wenn wir schon bei dem konkreten Text der Verfassungsänderung sind. Der Artikel 59a lehnt sich ja scheinbar an den § 2 des Konsolidierungshilfegesetzes an. Geht es in § 2 KonsHilfG um die Ober- grenze für das „strukturelle Finanzierungsdefizit“, geht es im neuen Artikel 59a der Landesverfassung um die Kreditobergrenze für den Landesetat. Das – meine Damen und Herren – ist schon ein Unter- schied.
Zudem wird in der Vorlage sowohl in der Textfassung von Artikel 59a als auch der entsprechenden Be- gründung nicht einmal zwischen Brutto- und Nettokreditaufnahme differenziert. Als Bruttokreditauf- nahme werden laut mittelfristiger Finanzplanung ca. 3.250,8 Mio. Euro, als Nettokreditaufnahme 530,0 Mio. Euro ausgewiesen. Bei solchen Unterschieden würde sich etwas weniger Schlamperei in der juris- tischen Formulierung einer Vorschrift der Landesverfassung schon lohnen, meine Damen und Herren.
Für die gesamte Verfassungsänderung ist charakteristisch:
An keiner Stelle der Begründung wird etwas zu dem konkreten finanzpolitischen Handlungsbedarf, der sich aus ihr ergibt, gesagt. Weder können die einbringenden Fraktionen etwas dazu sagen, wie das struk- turelle Finanzierungsdefizit von dem konjunkturell bedingten Defizit isoliert werden soll, noch welche Auswirkungen die massiven Steuerausfälle auf die Wirkungsweise der Schuldenbremse haben werden (Stichwort Steuerschätzung im Mai), noch welche Einsparnotwendigkeiten sich aus der Schuldenbremse ergeben.
Wie hoch werden die strukturellen Finanzierungsdefizite der Jahre 2011, 2012 und 2013 sein? Wie viel Prozent des Landesetats müssen gestrichen werden, um die Schuldenbremse einzuhalten? Bereits in der vorliegenden mittelfristigen Finanzplanung wird von einem massiv ansteigenden Finanzierungsdefizit ausgegangen. Jetzt kommen laut Aussage von Finanzminister Wiegard nochmals 3,1 Milliarden Euro Steuerausfälle bis 2013 dazu. Welche Steigerung der konjunkturell bedingten Nettokreditaufnahme er- gibt sich aus den Steuerausfällen, und ab wann ist diese Kreditaufnahme zu tilgen, welche zusätzlichen Sparmaßnahmen ergeben sich daraus? Dies alles sind nicht nur haushaltspolitische Fragen, hier geht es um die grundsätzlichen Gestaltungsspielräume der Landespolitik.
Wer diese Fragen ausblendet, vollführt eine Verfassungsänderung im Blindflug. Eine Verfassungsände- rung im Blindflug. Und die Grünen sitzen mit im Cockpit. Noch vor wenigen Wochen – es war im März 2010 – haben sie ihr so genanntes „Haushaltsstrukturkonzept“ vorgelegt. Dort heißt es auf Seite 3: „Mit diesen Maßnahmen (gemeint sind die Vorschläge von Bündnis 90/Die Grünen) könnten die Aus- gaben des Landes – im Vergleich zu heute und unter Berücksichtigung der notwendigen zusätzlichen Bildungsausgaben – um 340 Mio. Euro gekürzt werden. Ausgehend von einer Ausgabensteigerung von jährlich 1,7 Prozent und aufgrund der enorm steigenden Ausgaben für Pensionen und Zinsen bräuchten wir Wachstumsraten von fast vier Prozent über zehn Jahre, um die Vorgaben der Schuldenbremse ein- halten zu können. Dies halten wir für unrealistisch.“ Soweit die Grünen. Da geben wir Ihnen ohne Wenn und Aber Recht.
Aber genauso unrealistisch, Frau Heinold ist ihr anschließender Appell an die Landesregierung. Ich zi- tiere: „Wir fordern die Landesregierung auf, zügig mit dem Bund und den anderen Ländern in neue Verhandlungen über einen Altschuldentilgungsfonds einzutreten, sich für die höhere Besteuerung gro- ßer Privatvermögen einzusetzen und weitere Steuergeschenke für Lobbygruppen strikt abzulehnen.“
Das – Frau Heinold – werden sie so nicht bekommen. Nicht von dieser Bundesregierung und nicht von dieser Landesregierung. Das Verhandlungsgeschick der Landesregierung gegenüber der Bundesregie- rung mussten wir ja schon bei der Debatte um die Wachstumsbeschleunigungsbremse – ich benutze die- ses Wort bewusst – zur Kenntnis nehmen. Und gar eine höhere Besteuerung großer Privatvermögen. Dafür – Frau Heinold – ist diese Regierung ja da, ebendies zu verhindern.
Übrigens: Es waren die Steuergesetze der ehemaligen Rot-Grünen – nein besser rosa-grünen Bundesre- gierung, die dazu geführt haben, und zwar geradewegs und ohne Umweg, dass sich die Einnahmesitua- tion unseres Bundeslandes extrem verschlechtert hat.
Erst 2005 haben wir wieder so viele Einnahmen gehabt wie 1999. Die damalige Bundesregierung hat durch ihre Steuersenkungspolitik für Besserverdienende und Großunternehmen unserem Land einen Bä- rendienst erwiesen und die jetzige Bundesregierung macht da weiter, wo rosa-grün aufgehört hat.
Das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz kostet unser Land jährlich 130 Millionen Euro. 130 Millionen Euro mehr, die in den Kommunen und im Land jährlich fehlen.
Meine Damen und Herren, die Implementierung einer eigenen Schuldenbremse ist völlig unnötig. Bun- desrecht gilt unmittelbar für die Länder. Diese Verschrobenheit, eine eigene überflüssige Schulden- bremse in die Landesverfassung zu schreiben, um damit wirksames Bundesrecht zu doppeln, kippt vol- lends ins Lächerliche wenn man die Begründung im schwarz-gelben Koalitionsvertrag betrachtet: man will nach der Verabschiedung in Karlsruhe gegen die Schuldenbremse klagen und zwar mit dem Argu- ment „Eingriff in Länderhoheit“. Und durch die eigenständige Schuldenbremse hoffen die Regierungs- parteien, dass sich die Klagechancen erhöhen. Mal sehen, was das Bundesverfassungsgericht zu solch raffinierten juristischen Winkelzügen sagt.
Bündnis 90/Die Grünen hatten in ihrem ursprünglichen Antrag zur sogenannten „Schuldenbremse“ zwei Pflöcke gesetzt. Zum einen wollten sie den Investitionsbegriff verändern, und Bildung als Investition definieren (Das ist offensichtlich ja völlig schief gegangen). Zum zweiten wollten sie die Kommunen davor schützen, dass ihnen das Land weiter in die Taschen greift. Geblieben ist eine lyrische Formulierung im Artikel 49 Absatz eins. Dafür – Frau Heinold – kön- nen sich die Kommunen, nichts aber auch gar nichts, kaufen. Und die Kommunen sind es, die am stärk- sten bluten, wie die letzte Steuerschätzung gezeigt hat.
Und Herr Stegner: Ich habe mir ihre Rede bei der ersten Lesung der damals vorliegenden Verfassung- sänderungsanträge genau angehört. Sie haben damals viel Richtiges gesagt, vieles, was auch wir als LINKE unterschreiben können.
„Als Antwort auf die Verschuldung“ – sagten Sie damals, ich zitiere mit Erlaubnis, „nur eine Schulden- bremse in der Landesverfassung festzuschreiben, die die Bundesregelung einfach kopiert, wäre keine Lösung, im Gegenteil, die würde unser Problem noch verschärfen.“
Herr Stegner, sie hatten damals Recht mit dieser Aussage. Und deshalb hören wir auf ihre damalige Botschaft und lehnen die Verfassungsänderung ab. Diese Schuldenbremse in der Landesverfassung ver- schärft nur die Probleme des Landes.
Danke.“