Problemfall Hartz IV stand auch 2009 im Mittelpunkt - Jahresbericht: Bürgerbeauftragte Birgit Wille-Handels beklagt uneffektive Sozialbehörden
78/2010 Kiel, 29. April 2010 Problemfall Hartz IV stand auch 2009 im Mittelpunkt Jahresbericht: Bürgerbeauftragte Birgit Wille-Handels beklagt un- effektive Sozialbehörden Kiel (SHL) - Für Schleswig-Holsteiner, die auf Leistungen nach dem Sozialgesetz- buch II (SGB II/Hartz IV) angewiesen sind, war 2009 „ein verlorenes Jahr.“ Diese er- nüchternde Bilanz zieht die Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten, Birgit Wil- le-Handels, in ihrem aktuellen Tätigkeitsbericht. Die Hartz-IV-Arbeitsgemeinschaften (ARGEN) und Optionskommunen im Lande arbeiteten vielfach immer noch langsam und uneffektiv, und ihre Entscheidungen seien häufig nicht nachvollziehbar, so die Bürgerbeauftragte heute vor der Presse in Kiel. Erfolge konnte sie hingegen bei der Kita-Sozialstaffel und beim Wohngeld vermelden. Insgesamt verzeichneten die Bürgerbeauftragte und ihre Mitarbeiter im letzten Jahr 3.487 Neueingaben. Dies war der zweithöchste Jahreswert, seit das Amt 1988 einge- richtet wurde. 1.320 Bürger hatten Fragen zum Bereich SGB II/Hartz IV. Das entspricht rund 38 Prozent der gesamten Fälle. Hier zeichne sich die Verwaltungspraxis „nach wie vor durch eine lange Bearbeitungsdauer, unübersichtliche Bescheide, mangelnde Beratung und geringe Integrationserfolge“ aus, kritisiert Wille-Handels und fordert die Sozialbehörden zu „Sorgfalt, Verlässlichkeit, sachkundiger Rechtsanwendung und Fairness gegenüber den Hilfesuchenden“ auf. Zwei „offene Baustellen“ seien die Arbeitsvermittlung und die Kosten der Unterkunft und Heizung. Die Bürgerbeauftragte prangert „fantasielose Eingliederungsvereinba- rungen“ sowie „wenig bis keine Unterstützung bei der konkreten Arbeitsplatzsuche“ an. Bei den Unterkunftskosten sei „die mangelnde Rechts- und Fachaufsicht der kommu- nalen Träger“ und die geringe Steuerung durch das Landessozialministerium ein Prob- lem. Wille-Handels verweist auf den entsprechenden Prüfbericht des Landesrech- Schleswig-Holsteinischer Landtag, Postfach 7121, 24171 Kiel ▪ V.i.S.d.P.: Annette Wiese-Krukowska, awk@landtag.ltsh.de, Tel. 0431 988 - 1116 oder 0160 - 96345209; Fax 0431 988-1119 ▪ www.sh-landtag.de → Presseticker 2nungshofs, der „ein düsteres Bild“ zeichne, und fordert Land und Kommunen auf, das geltende Recht einheitlich anzuwenden.Die Missstände lägen auch darin begründet, dass die vom Bundesverfassungsgericht angemahnte Reform des SGB II in den vergangenen Monaten „kein Stück vorange- kommen ist“, moniert Wille-Handels. Unter diesem „Schwebezustand“ leide der Aufbau einer leistungsfähigen Verwaltungsstruktur bei den ARGEN und Optionskommunen.Bürgerbeauftragte verzeichnet Erfolge bei Kita-Gebühren und beim WohngeldAls Erfolg verzeichnet die Bürgerbeauftragte den Landtagsbeschluss vom letzten Sep- tember zur Kita-Sozialstaffel. Darin werden die Kreise aufgefordert, bei der Gebühren- berechnung wieder den vollen Sozialstaffelsatz zugrunde zu legen. Dieser Satz legt die Einkommensgrenze fest, bis zu der die Eltern ihre Kinder beitragsfrei in die Kita schicken können. Zurzeit können die Kommunen diesen Satz unterschreiten und auch Eltern zur Kasse bitten, die nur 85 Prozent des Satzes zur Verfügung haben. Die Bür- gerbeauftragte hatte diesen Punkt bereits in ihrem Tätigkeitsbericht 2008 angemahnt und hofft nun, dass das Bildungsministerium und die Kreise das Problem bis zum Be- ginn des neuen Kindergartenjahres im August aus der Welt schaffen.Eine positive Rückmeldung vermerkt Wille-Handels auch aus Lübeck. Viele Bürger der Hansestadt hätten über die unzumutbar langen Bearbeitungszeiten bei Wohngeldan- trägen geklagt. Nach Intervention der Bürgerbeauftragten hat die Stadt zugesichert, den Missstand zu beheben und ab dem zweiten Quartal 2010 wieder normale Bearbei- tungszeiten zu erreichen.Weitere Schwerpunkte: Grundsicherung im Alter, Haushaltshilfen, ErwerbsunfähigkeitEinen weiteren Schwerpunkt des Berichtsjahres 2009 bildet die Sozialhilfe. Hier warf die Grundsicherung im Alter vielfach Fragen auf. Immer mehr Bürgern gelinge es nicht, während ihrer Erwerbszeit eine ausreichende Altersversorgung aufzubauen. Sie müss- ten dann im Alter Hilfe vom Staat beantragen. Die Bürgerbeauftragte rechnet in den nächsten Jahren mit steigenden Eingabezahlen in diesem Bereich.In der Gesetzlichen Krankenversicherung gibt es nach Wille-Handels’ Beobachtung Lücken bei der Gewährung von Haushaltshilfen. Versicherte, die nach einem Kran- kenhausaufenthalt in die eigene Wohnung zurückkehren wollen, erhalten keine Unter- 3stützung, wenn im Haushalt nicht auch Kinder unter zwölf Jahren leben. Alleinstehen- de Versicherte ohne familiäre oder andere private Hilfen stünden deshalb oftmals „vor unüberwindbaren Schwierigkeiten“.Schließlich fordert die Bürgerbeauftragte, dass die Prüfung der Erwerbsfähigkeit durch eine neutrale Stelle erfolgen sollte und dass deren Ergebnis für alle Sozialleistungsträ- ger verbindlich sein soll. Gegenwärtig müssten sich Betroffene mehreren Gesund- heitsprüfungen unterziehen. Dies führe zu einer teilweise monatelangen Ungewissheit bei den Betroffenen. „Völlig unhaltbar“ werde die Situation, wenn auch noch wider- sprüchliche Entscheidungen getroffen werden.Kontakt: Die Bürgerbeauftragte ist im ganzen Land erreichbarDas Büro der Bürgerbeauftragten im Karolinenweg 1 in Kiel steht den Ratsuchenden werktags von 9 bis 15 Uhr offen, mittwochs zudem bis 18.30 Uhr. Informationen zur Anreise stehen auf der Website des Landtages (www.sh-landtag.de). Die Bürgerbeauf- tragte ist aber auch per Post, Telefon, Fax und E-Mail zu erreichen (Postfach 7121, 24171 Kiel; Tel.: 0431 - 988 1240; Fax: 0431 - 988 1239; buergerbeauftrag- te@landtag.ltsh.de).Darüber hinaus ist Birgit Wille-Handels im ganzen Land unterwegs und steht den Bür- gern bei ihren Außensprechtagen vor Ort zur Verfügung. Im Jahr 2009 hat sie insge- samt 37 dieser Termine an 16 verschiedenen Orten in Schleswig-Holstein wahrge- nommen. Die nächsten Termine: 6. Mai: Deutsche Rentenversicherung Nord Lübeck; 12. Mai: Rathaus Glückstadt; 20. Mai: Deutsche Rentenversicherung Nord Heide; 26. Mai: Rathaus Gemeinde Sylt; 27. Mai: AOK Niebüll.