Regina Poersch zu TOP 42: Schwarz-gelbe Planlosigkeit gefährdet unsere Städte
Presseinformation der SPD-Landtagsfraktion Kiel, 17.03.2010 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuellTOP 42, Landesentwicklungsplan 2010 – 2025: Weniger Vorgaben, mehr Freiheit vor Ort (Druck- sache 17/400 + 17/417)Regina Poersch:Schwarz-gelbe Planlosigkeit gefährdet unsere StädteDer LEP steuert Nutzungsansprüche wie Wohnen und Gewerbe zwischen Gemeinden im ländlichen Raum und zentralen Orten oder Städten. Zudem geht es darum, mit den Ressourcen Boden, Wasser, Luft, fossile Energieträger schonend umzugehen, betont die wirtschaftspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Regina Poersch. Staat und Kommunen sind verantwortlich für Daseinsvorsorge, aber deren Einrichtungen können nicht in jedem Dorf vorgehalten werden. In Schleswig-Holstein haben wir je- doch ein funktionierendes System der zentralen Orte. Wer die notwendige Infrastruktur bereitstellen, in Stand halten und vor allem bezahlen will, muss neues Gewerbe steu- ern und bündeln. Der Landesentwicklungsplan muss auch Regeln enthalten, wenn Freiwilligkeit nicht funktioniert. Nur mit der Begrenzung des Wohnungsneubaus kann Infrastruktur in ganz Schleswig-Holstein erhalten, können künftige Leerstände in länd- lichen Wohngebieten sowie ein zunehmender Flächenverbrauch vermieden werden.Herausgeber: Landeshaus SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Postfach 7121, 24171 Kiel Petra Bräutigam Tel: 0431/ 988-1305/1307 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Fax: 0431/ 988-1308 Internet: www.spd.ltsh.de -2-Die Rede im Wortlaut:Der Landesentwicklungsplan beschäftigt uns seit mehreren Jahren. Zuletzt dachte ich zu Zeiten der Großen Koalition, wir hätten einen gemeinsamen, einen tragfähigen Kompromiss gefunden.Allerdings lassen schwammige Begriffe aus dem Antrag von CDU und FDP wie „auf das Wesentliche konzentrieren“, „weniger Vorgaben machen“, „mehr Entscheidungen vor Ort“ vermuten, der Landesentwicklungsplan sei eine Geißel der kommunalpoliti- schen Gestaltungsfreiheit.„Die Freiheit ist begrenzt durch das Recht des Anderen“, sagte Immanuel Kant. Frei- heit für den Einen darf nicht die Freiheit des Anderen einschränken. Das gilt auch für den LEP als Steuerung von Nutzungsansprüchen wie Wohnen und Gewerbe zwi- schen Gemeinden im ländlichen Raum und zentralen Orten oder Städten. Mit unseren nicht endlos verfügbaren Ressourcen Boden, Wasser, Luft, fossile Energieträger ha- ben wir schonend und sorgfältig umzugehen.An Staat und Kommunen werden Anforderungen nach einer umfassenden Daseins- vorsorge gestellt: Krippen, Kindertagesstätten und Schulen für die einen, der Wunsch älterer Menschen nach selbst bestimmter Teilhabe am Leben auf der anderen Seite – jeder mit eigenen Vorstellungen von Mobilität. -3-Die Themen sind vielfältig, die Diskussion über die unterschiedlichen Nutzungsansprü- che oft bunt und schwierig. Denn erschwerend kommt noch die demografische Ent- wicklung hinzu. Wir müssen erkennen, dass wir Einrichtungen der Daseinsvorsorge nicht mehr überall und vor allem nicht in jedem Dorf werden vorhalten können. Wir werden Schwerpunkte setzen müssen, und die Kommunen werden noch stärker als bisher zusammenarbeiten müssen.In Schleswig-Holstein haben wir ein funktionierendes System der zentralen Orte. Fast 2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner leben in Schleswig-Holstein in einem zent- ralen Ort, und zwar vom ländlichen Zentralort bis zum Oberzentrum. Sie machen 68 % der Gesamtbevölkerung aus. Es ist richtig, mit einem System wie dem der zentralen Orte Infrastruktur und Versorgung der Bevölkerung so zu strukturieren, dass jeder und jede daran teilhaben kann und zugleich nicht alles überall vorgehalten wird. Denn im- mer neue ländliche Zentralorte verschärfen die Konkurrenz und gefährden bei rückläufigen Einwohnerzahlen die Tragfähigkeit und die Bezahlbarkeit von Versor- gungseinrichtungen bereits bestehender Zentraler Orte.Und hier liegt einer der zentralen Irrtümer des Antrags der Regierungsfraktionen: Wir werden es nicht schaffen und auch schlichtweg nicht bezahlen können, dass (wie es in dem Antrag heißt) „eine ortsnahe und qualitativ hochwertige Versorgung mit Bil- dungseinrichtungen sowie mit Einrichtungen der Daseinsvorsorge, die auch eine flä- chendeckende medizinische Versorgung beinhaltet“ (all inclusive also!) überall auf dem Lande vorgehalten wird. Hören Sie auf, den Bürgerinnen und Bürgern Sand in die Augen zu streuen! -4-Wenn Infrastruktur auch in Zeiten demografischen Wandels bezahlbar bleiben soll, müssen wir sie bündeln und uns lieber Gedanken über die Mobilität der Zukunft ma- chen. Im Planungszeitraum bis 2025 wird die Einwohnerzahl Schleswig-Holsteins um 70.000 sinken. Die sich rasant verändernden Ansprüche einer deutlich wachsenden Zahl älterer Menschen an Wohnen und Infrastruktur müssen dabei berücksichtigt wer- den. Wir reden dabei über Menschen, die im Jahr 2025 75 Jahre alt sind – also den Geburtsjahrgang 1950 – als Beispiel möchte ich den geschätzten Kollegen Lothar Hay anführen. Seine Ansprüche im Alter werden vollkommen andere sein als die derjeni- gen, die heute 75 Jahre alt sind!Was für die Grundversorgung der Bevölkerung gilt, gilt selbstverständlich auch für die Ansiedlung von Gewerbe. Wer die notwendige Infrastruktur bereitstellen, in Stand hal- ten und vor allem bezahlen will, muss neues Gewerbe steuern und bündeln – das ist keine ausschließlich sozialdemokratische Idee, sondern in ganz Deutschland Praxis.Die Regierungsfraktionen haben bei ihrem Antrag vergessen, dass das zentralörtliche System nicht nur aus den Oberzentren besteht, die zentralen Orte sind in der Mehrzahl auch kleine ländliche Zentralorte!Nun fordert Ihr Antrag „Kooperation auf freiwilliger Basis“ zwischen Städten und Umlandgemeinden auf Augenhöhe. Ob Einrichtungen der Versorgungsinfrastruktur, Siedlungs- und Gewerbeentwicklung oder Verkehr: Freiwilligkeit führt grundsätzlich eher zum Ziel, da bin ich Ihrer Meinung. Dazu gehört aus meiner Sicht aber auch, dass beide Seiten aufeinander zugehen und sich die Städte nicht auf ein hohes Ross bege- ben. -5-Wie gut das mit der Freiwilligkeit funktioniert, zeigt gegenwärtig die Diskussion um die Ansiedlung eines IKEA-Möbelhauses in Lübeck mit angegliedertem „skandinavi- schem Einkaufscenter“ mit insgesamt 60.000 m² Verkaufsfläche – ein Riesending. Die umliegenden Gemeinden und Kreise laufen Sturm, denn sie befürchten zu Recht, dass durch dieses riesige Einkaufszentrum die Innenstädte zum Beispiel in Neustadt und Eutin ausbluten. Und diese gewachsenen Innenstadtstrukturen haben es schwer ge- nug. Und hier zieht das eine das andere nach sich: Ohne funktionierende Einzelhan- delsstrukturen in den Innenstädten unserer Unter- und Mittelzentren wird sich hier eben keine Grundversorgung, eben keine medizinische Versorgung angliedern.Es klappt eben nicht nur freiwillig. Der Landesentwicklungsplan muss auch Regeln enthalten, wenn Freiwilligkeit alleine nicht reicht. „Die Freiheit ist begrenzt durch das Recht des Anderen“ – Immanuel Kant.Der Landesentwicklungsplan-Entwurf von 2009 gab hier die richtigen Antworten. Lei- der geht durch diesen Freiheit-für-alle-Antrag der Regierungsfraktion manches verlo- ren, was sinnvoll wäre und dem Landesentwicklungsplan gut täte. Bei der sorgfältigen Regulierung (Hoppla, will die „Deregulierungs-Regierung“ hier plötzlich doch regelnd eingreifen?) des Flächenverbrauchs durch Photovoltaikanlagen und Windparke oder auch Biogasanlagen einschließlich der oft damit verbundenen Probleme sind wir an Ih- rer Seite.Manches in Ihrem Antrag jedoch zeugt von erschreckender Unkenntnis. Wer hat Ihnen eigentlich erzählt, vorhandenes Gewerbe – auch im Außenbereich – genieße keinen Bestandsschutz und Sie müssten das dringend ändern? -6-Auch Ihre Darstellung, die „Begrenzung des Wohnungsneubaus würde (…) die Kommunen (…) einschränken“ soll wohl bewusst in die Irre führen. Es gab auch im bisherigen Landesentwicklungsplan-Entwurf keinerlei quantitative Beschränkung in zentralen Orten, in Gemeinden auf den Siedlungsachsen und in Gemeinden mit er- gänzender überörtlicher Funktion.Nur in den übrigen Regionen, das sind gar nicht so viele, sollte die berühmte 10-%- Regelung nach dem LEP-Entwurf gelten. Diese schon vom damaligen Innenminister Lothar Hay gewollten 10 % bzw. 15 % waren keineswegs willkürlich gegriffen, sondern ließen sich aus dem voraussichtlichen Wohnungsbedarf errechnen. Nur mit dieser Re- gelung kann Infrastruktur in ganz Schleswig-Holstein erhalten und künftige Leer- stände in ländlichen Wohngebieten sowie ein zunehmender Flächenverbrauch ver- mieden werden.Zu weiteren Forderungen Ihres Antrages an dieser Stelle ein paar Anmerkungen:„Entwicklungsachsen“ sollen nicht nur die A 1, A 7 und A 23 sein, nein, gleich auch die A 20, A 21, A 24 bzw. B 404, die Landesstraßen 199, 201, 202 und 203 – ach was, gleich „alle notwendigen Verkehrsanbindungen“. Aus meiner Sicht haben Sie die B 76 und B 207 und die Landesstraßen 55, 56, 163 und 309 vergessen. Meine letzte Be- merkung zeigt Ihnen hoffentlich die Absurdität Ihres Antrages. Lassen Sie sich gesagt sein: Wer Vielfalt will, wird schnell beliebig. Spätestens bei der aktiven Förderung von Gewerbeansiedlung werden Sie das zu spüren bekommen.Das sieht auch die IHK Kiel so, und das gilt – wie ich finde - auch für Ihre Anmerkun- gen zum Tourismus. -7-Mit Ihrer Forderung „ÖPNV ja, aber keine Bevorzugung“ zeigen Sie endgültig Ihr wahres Gesicht. Nichts dazu gelernt! Für Sie gilt noch immer: „Freie Fahrt für freie Bürger“. Klimaschutz, Entlastung unserer Umwelt, das ist offensichtlich neu für Sie. Ihr Antrag ist komplett retro. Späte 60er, frühe 70er Jahre, würde ich sagen.Abschließend möchte ich es mit Marius Müller-Westernhagen halten, der in seinem Lied „Es geht mir gut“ treffend formulierte: „Keine Ahnung, keine Meinung, kein Konzept.“ Das gilt ganz besonders für Ihren Antrag zum Landesentwicklungsplan. Diesen Antrag wird die Regierung hoffentlich niemals umsetzen. Dies übrigens schon aus rechtlichen Gründen, da die Städte, Kommunen und die IHK diese tollen neuen Ideen bei der Anhörung gar nicht kannten. Eine erneute Anhörung wäre also das Min- deste!Ich bitte darum, unseren Antrag alternativ abzustimmen.