Bernd Heinemann: Das Prinzip des Sozialstaates muss gelten: die Solidarität
Presseinformation der SPD-Landtagsfraktion Kiel, 26.02.2010 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuellTOP 29, Für den Erhalt der solidarischen Kranken- und Pflegeversicherung (Drucksache 17/259)Bernd Heinemann:Das Prinzip des Sozialstaates muss gelten: die SolidaritätDie solidarische Kranken- und Pflegeversicherung entspricht dem Prinzip des Sozial- staates, ausgerichtet auf Verantwortlichkeit und Solidarität, und muss deshalb erhalten werden, führt der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Bernd Heinemann, aus. Deshalb sollen Arbeitgeber sich wieder paritätisch an der Finanzie- rung beteiligen. Das System der Leistungen auf der Höhe des medizinischen Fort- schritts darf nicht nur über Zusatzversicherungen sichergestellt werden. Bei einer Ein- heitspauschale würden für den sozialen Ausgleich bis zu 35 Mrd Euro nötig - heute sind es 8 Mrd. Und es entstünde ein bürokratisches Riesenmonster. Heinemann spricht sich für einen Wettbewerb um die beste Versorgung aus, nicht um den billigs- ten Versicherten. Hervorzuheben sei nicht nur die Risikosolidarität, sondern auch die interregionale Solidarität, weil sonst die starken Länder weiter gestärkt und die schwa- chen geschwächt würden.Die Rede im Wortlaut:Der Knaller mancher Rede wird sicher sein, dass niemand gegen die solidarische Krankenversicherung ist und daher unser Antrag überflüssig sei, aber hören Sie jetztHerausgeber: Landeshaus SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Postfach 7121, 24171 Kiel Petra Bräutigam Tel: 0431/ 988-1305/1307 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Fax: 0431/ 988-1308 Internet: www.spd.ltsh.de -2-mal genau zu: „Ein Gesundheitssystem, in dem die Lasten solidarisch verteilt sind, ge- hört zu meinem Markenkern. Der steht nicht zur Disposition. Punkt.“ Dies sagte Horst Seehofer (CSU) der Welt am Sonntag schon im November des vergangenen Jahres.Und der neue Kanzleramtsminister Ronald Profalla (CDU) ist: „fest davon überzeugt, dass der Gesundheitsfonds bleibt, weil es der richtige Weg ist“, so jedenfalls berichtete er kürzlich der Münchner Abendzeitung. „Der Schutz der Menschenwürde ist im Ge- sundheitswesen das Entscheidende“ und weiter „Der Schutz der menschlichen Würde ist nicht möglich ohne andere Menschen. Der Mensch ist ein Sozialwesen.“ Das gelte selbst für den Präsidenten der des Bundesverbandes der Deutschen Indust- rie. Aber ich will Heiner Geißler hier lieber nicht weiter zitieren, sonst wird mein Beitrag womöglich noch als allzu linkslastig eingestuft.Deutlicher sagte es auch Norbert Blüm in seinem Kommentar zu den schwarz-gelben Koalitionsvereinbarungen zum Gesundheitswesen: „Die Sozialpartnerschaft wird langsam, aber stetig plattgemacht.“ So sorgte er sich vernehmlich und klar im Tages- spiegel.Im Fokus von vorgestern bringt es die CSU nun auf den Punkt. Söder, dessen schwarz-gelbe Regierung einer Prämie im Bundesrat zustimmen müsste, meinte in der „Berliner Zeitung“, die Prämie sei „kein deutschlandtaugliches Modell“. Die (Regie- rungs-)Kommission werde zu dem Ergebnis kommen müssen, „dass die Kopfpauscha- le weder finanzierbar noch umsetzbar ist“. Eine Pauschale sei nur eine „fixe Idee“ und habe „keine Chance auf eine Realisierung“. Um dies festzustellen, seien keine mona- telangen Beratungen in der Kommission nötig.Genauso sehen auch wir das, meine Damen und Herren. Und wir begrüßen, dass der DGB in dieser Woche kurzerhand selbst eine mit Wissenschaftlern bestückte Gesund- heitskommission gebildet hat. Das ist richtig, wir brauchen einen breiten gesellschaftli- chen Dialog – es geht um unser aller Gesundheit! -3-Gesundheit ist wichtig und sie ist ein kostspieliges Gut. Unser Antrag für den Erhalt der solidarischen Kranken- und Pflegeversicherung soll dazu beitragen, dass das Prinzip des Sozialstaates, ausgerichtet auf Verantwortlichkeit und Solidarität, die Lasten einer biografisch veränderten Gesellschaft auch und gerade zukünftig tragen kann.Dafür gibt es einige wichtige Voraussetzungen. Zukünftig sollen Arbeitgeber sich wieder paritätisch an der solidarischen Kranken- und Pflegeversicherung beteiligen. Dies ist schon allein deshalb gesellschaftspolitisch unverzichtbar, weil die Arbeitgeber- seite ein dringliches Interesse daran hat, die Ausgabenseite der gesetzlichen Kran- kenversicherung mit in den Blick zu nehmen und an der Seite der Arbeitnehmer über- zogene Forderungen einzelner Gruppen von Leistungserbringern im Gesundheitswe- sen abzuwehren.Es kann für unseren Sozialstaat und unsere soziale Marktwirtschaft nur einen solidari- schen Weg zum sozialen Frieden geben. Für mehr als 70 Millionen gesetzlich Versi- cherter muss es möglich sein, würdig und mit erhobenem Haupt, mit breiter Unterstüt- zung der Allgemeinheit gesundheitliche Krisen zu überwinden. Es muss verhindert werden, dass eine so genannte Kopfprämie für eine 5-köpfige Arbeiterfamilie mit Kin- dern in Ausbildung womöglich 1.000 € monatlich betragen kann. Damit würde diese Familie zu Bittstellern, um diesen Beitrag überhaupt bezahlen zu können.Wir müssen auch der Gefahr begegnen, dass das System der Leistungen auf der Hö- he des medizinischen Fortschritts zukünftig nur noch über Zusatzversicherungen sichergestellt werden kann. Denn dann wird aus der schon vorhandenen Zweiklas- senmedizin schnell eine Dreiklassenmedizin. Entsolidarisierung bedeutet soziale Spal- tung und die gefährdet den sozialen Frieden. Unsere hochproduktive Gesellschaft kann sich hier keine Nachlässigkeit erlauben – sie würde uns alle treffen! -4-Was wir sicher alle nicht wollen, das unterstelle ich jetzt einfach mal, ist jede Art von Herabwürdigung, auch und gerade der Schwächeren. Überall in der Welt werden wir um unser Gesundheitssystem beneidet. Präsident Barack Obama und nicht nur die Demokraten in den USA ringen um einen Einstieg in die solidarische Krankenversiche- rung, nachdem das private System für die breite Masse keine Lösung ermöglicht hat. Das, was wir jetzt hier diskutieren, versteht da drüben kein Mensch.Konkret heißt die Einheitspauschale doch: Die allein erziehende Pförtnerin an der Toreinfahrt zahlt das gleiche wie im 13. Stock der Vorstandsvorsitzende. Der Un- terschied ist leicht beim Nachrechnen der Steuerentlastung für die obere Etage zu er- kennen und an dem Bittsteller-Entlastungsantrag, den Millionen anderer Versicherter ebenfalls bei der zu schaffenden Sozialausgleichsbehörde stellen müssen.Das Handelsblatt rechnet nach einer Studie mit 20 bis 30 Millionen Anträgen auf Ge- währung eines sozialen Ausgleichs mit Kosten von zirka 22 Milliarden €, der Bundesfi- nanzminister rechnet sogar mit bis zu 35 Milliarden €, also circa 27 Milliarden € mehr als die heutigen Steuerzuschüsse.Dem Ansturm der kollektiven Bittsteller folgen dann entweder Steuererhöhungen für die Masse, also Mehrwertsteueranhebungen oder Lohnsteueranhebungen. Das will keiner. Also hat Finanzminister Schäuble für diesen Fall einen Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer im besten Fall von 73 % berechnet, der bei einem Einkom- men von rund 121.000 € jährlich greifen würde. Derzeit liegt der Spitzensteuersatz bei 42 %. Das kann nicht einmal die FDP für die Besserverdienenden wollen.Aber schon beim Gedanken an ein bürokratisches Riesenmonster mit diesen Kosten- dimensionen und den einzurichtenden Konten bei den Kassen selbst überkommt mich ein Orwellscher Schauer. Ich denke, keiner von uns möchte, dass die soziale Gerech- tigkeit von einem Wahrheitsministerium überwacht wird. Da ist mir die Berechnung der -5-Sozialversicherungsleistungen an der Quelle nahe der bewährten Finanzverwaltung deutlich sympathischer, schließt sie doch die Verantwortung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern als Interessengemeinschaft für gesunde und leistungsfähige Mitarbei- tende fest zusammen.Ich denke, wir wollen auch nicht, dass das kommunale Sozialamt noch etwas auf den Stapel gelegt bekommt? Zur Zeit sind ganze 21 Mitarbeitende im Bundesversiche- rungsamt für die gerechte Verteilung von 170 Milliarden € der gesetzlichen Kranken- kassen verantwortlich. Und das ist auch gut so!Wir wollen Wettbewerb, aber es soll ein Wettbewerb für die beste Versorgung und nicht um den billigsten Versicherten sein. Und noch etwas zu den zu erwartenden Wettbewerbsvorstellungen. Wenn Kassen zukünftig mehr unterschiedliche Leistungen anbieten können, wie sie in den Satzungsleistungen beschrieben sind, dann fallen mir eher wettbewerbliche Unterschiede durch Preissenkungen für die Abwahl von Pflicht- leistungen ein. Und dieser Weg wäre ein Gesundheitsweg nach Kassenlage der Pati- entinnen und Patienten.Ist zum Beispiel der vorauseilende Verzicht auf mögliche künstliche Gelenke zukünftig die Grundlage für einen vertraglichen Rabattanlass? Sollen vielleicht sozial Schwäche- re genötigt werden, Rabatte für sich zu nutzen, die sie später bereuen werden, oder sollen die Satzungsleistungen umfänglich erweitert und gleichzeitig rabattiert werden? Da bleiben viele Fragen offen.Wichtig bleibt hier einzig und allein der Grundsatz des gesellschaftlichen Sozial- friedensvertrages. Die starken Schultern tragen mehr als die schwachen. Die Jungen stützen die Alten und die Gesunden sorgen für die Kranken. Mit unserem gemeinsa- men rot-grünen Antrag können wir aber auch noch ein weiteres Signal setzen. Es geht auch um die Risikosolidarität und die interregionale Solidarität. Das heißt, die Kran- -6-kenkassen mit vielen Alten und/oder den teuersten Risikopatienten werden von Kran- kenkassen mit geringen Risiken und hohen Einnahmen entlastet. Dafür brauchen wir einen Risikostrukturausgleich.Wir hier im Norden können auch kein Interesse daran haben, dass die Regionalisie- rung der Beitragseinnahmen die starken Länder weiter stärkt und die schwachen Länder schwächt. Dann droht in Bayern und Baden-Württemberg wirklich eine Ärzte- schwemme und die Flächenversorgung leidet im Osten und im Norden. Ich erinnere an den CDU-FDP Antrag von gestern.Um es zum Abschluss deutlich zu sagen. Nach einer aktuellen Befragung des Han- delsblatt Finanz Today, die am vergangenen Montag veröffentlicht wurde, wird die Kopfpauschale von rund 80% der Deutschen abgelehnt.Wie gesagt, wir wollen hier stabile Verhältnisse und deshalb lohnt es sich, für die soli- darische Kranken- und Pflegekasse gemeinsam eine Lanze zu brechen. Wir wollen diese wichtige Grundhaltung zu unserem Sozialstaat, den unser Antrag einfordert, sichtbar dokumentieren, deshalb fordere ich namentliche Abstimmung.