Wolfgang Baasch zu TOP 27: Arbeitslosengeld II muss gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen
Presseinformation der SPD-Landtagsfraktion Kiel, 24.02.2010 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuellTOP 27, Auswirkungen des Bundesverfassungsgerichts-Urteils über Regelleistungen nach dem SGB II (Drucksache 17/257neu)Wolfgang Baasch:Arbeitslosengeld II muss gesellschaftliche Teilhabe ermöglichenBedarfsgerechte Regelsätze für Erwachsene und Kinder sind unser Thema. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist die Bundesregierung verpflichtet, eine Neuberechnung der Regelsätze für Erwachsene und Kinder vorzunehmen. Und sie ist ebenfalls verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass notwendige einmalige Bei- hilfen für Hilfebedürftige als Sonderbedarfe anerkannt werden. Mit diesem Urteil endet die Behandlung von Kindern als prozentuale Erwachsene. Wenn sie jünger als sechs Jahre alt sind, gibt es 60 % des Erwachsenenregelsatzes, 70 % wenn sie sechs bis dreizehn Jahre alt sind und 80 % wenn sie 14 bis 17 Jahre alt sind.Diese Regelung hat keinen Bestand mehr und unsere langjährige Forderung nach ei- genständigen Kinderregelsätzen muss nun in den Mittelpunkt der Gestaltung be- darfsgerechter Regelsätze gerückt werden. Der bedarfsgerechte Kinderregelsatz muss dabei die realen Kosten von Kindern für Ernährung, Kleidung und Schulmaterialien für Kinder umfassen. Die finanzielle Unterstützung der Kinder muss aber auch dazu ange- tan sein, dass Kinder am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilnehmen können und eben nicht von Bildungsprozessen ausgeschlossen sind. Denn Nachhilfeunter- richt, Kino und Sportveranstaltungen waren bisher für Kinder aus Bedarfsgemeinschaf- ten im ALG II-Bezug nicht vorgesehen.Herausgeber: Landeshaus SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Postfach 7121, 24171 Kiel Petra Bräutigam Tel: 0431/ 988-1305/1307 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Fax: 0431/ 988-1308 Internet: www.spd.ltsh.de -2-Darum fordern wir: Das Arbeitslosengeld II muss eine gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen und sich am tatsächlichen Bedarf der Menschen, die Unterstützung brauchen, orientieren. Ein eigenständiger Kinderregelsatz muss auch den Betreuungs- und Bildungsbedarf von Kindern sicherstellen. Notwendig ist aber auch eine Politik, die die Armut von Kindern und Jugendlichen aus Familien mit Unterstützungsbedarf ent- schieden bekämpft.Dies leistet die Berliner Koalition leider überhaupt nicht. Nicht die Armut wird bekämpft, sondern die Steuerfreibeträge für Kinder werden erhöht. Im ersten Schritt auf 7.008 € und später auf 8004 € wie bei Erwachsenen und das Kindergeld wird pauschal von 164 auf 184 erhöht. Diese politischen Entscheidungen sind ein Irrweg.Von diesen Erhöhungen haben Familien mit geringem Einkommen wenig und Fami- lien, die auf Unterstützungsleistungen angewiesen sind, gar nichts - und wenn sie noch so viele Kinder haben. Spitzenverdiener sparen durch das berühmte „Wachs- tumsförderungsgesetz“ jährlich 443 € Steuern. Normal- bzw. Geringverdiener erhalten jährlich 240 € mehr Kindergeld, während die alleinerziehende Mutter im ALG II-Bezug nichts erhält. Familien mit Unterstützungsbedarf haben eher noch darunter zu leiden, indem das „Wachstumsförderungsgesetz“ die Kommunen und Länder finanziell be- lastet und dafür sorgt, dass nicht per Gesetz vorgeschriebene Beratungs- und Betreu- ungsangebote gestrichen werden. Was zum Beispiel in der Konsequenz bedeutet: Die Landesregierung in Schleswig-Holstein stellt das gerade beschlossene gebührenfreie Kindergartenjahr wieder zur Diskussion. Ein Skandal vor dem Hindergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts.Eine weitere Unzulänglichkeit aus dem SGB II, was Kinder und Jugendliche betrifft, will ich ebenfalls noch ansprechen. Viele junge Menschen verdienen sich durch Ferien- jobs etwas hinzu. Sie wollen sich damit kleine und oft sehr individuelle Wünsche erfül- len. Zum Beispiel der Ferienjob, um sich von dem selbstverdienten Geld eine Gitarre -3-kaufen zu können, wie es ein Fall, der durch die Presse ging, beschrieben hat. Nun ist es allerdings so, dass bei Jugendlichen aus SGB II-Bedarfsgemeinschaften das Ein- kommen aus einem Ferienjob als laufende Einnahme behandelt und in dem Monat, in dem es zufließt, auf das Sozialgeld voll angerechnet wird. Ein Ferienjob verliert da- durch nicht nur an Attraktivität, es ist auch demotivierend, wenn Klassenkameraden den vollen Lohn zur Erfüllung ihrer Wünsche behalten dürfen. Aus Gerechtigkeitsgrün- den, aber auch aus Gründen der Chancengleichheit sollten Einnahmen aus Ferienjobs von Schülerinnen und Schülern künftig nicht mehr als Einkommen im Sinne des SGB II berücksichtigt werden.Abschließend bleibt allerdings festzuhalten, dass die effektivste Prävention gegen die Armut von Kindern und Jugendlichen eine gute Arbeit für die Eltern ist. Eine gu- te Arbeit, von der sie und ihre Kinder leben können. Ein ausreichender gesetzlicher Mindestlohn ist notwendig damit Eltern, die den ganzen Tag hart arbeiten, ihren Lohn nicht mit ALG II aufstocken müssen. Insgesamt haben bundesweit über 1,3 Mio. Men- schen, in Schleswig-Holstein rund 50.000, Hartz IV-Leistungen bekommen, obwohl sie über ein eigenes Arbeitseinkommen verfügen. Dies macht deutlich: Über ein Lohnab- standsgebot brauchen wir nicht zu diskutieren, denn für diese Menschen existiert es gar nicht. Was wir brauchen, ist ein ausreichender, flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn.