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24.02.10
10:57 Uhr
Linke

Rede von Ellen Streitbörger zur Aktuellen Stunde

Jannine Menger-Hamilton Presseinformation Pressesprecherin Rede von Ellen Streitbörger zu TOP 1. DIE LINKE Fraktion im Schles- Es gilt das gesprochene Wort. wig-Holsteinischen Landtag Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Kiel, 24. Feb. 2010 Telefon: 0431 / 9 88 16 02 Telefax: 0431 / 9 88 16 18 Mobil: 0160 / 90 55 65 09 jannine.menger- hamilton@linke.ltsh.de www. linksfraktion-sh.de



Aktuelle Stunde: Debatte um die Reform der Hartz IV-Gesetzgebung
„Herr Präsident, meine Damen und Herren,
Ich habe mich über das Thema unserer heutigen Aktuellen Stunde schon sehr gewundert. Es würde in meinen Augen Sinn machen, über die Hartz IV-Gesetzgebung zu diskutieren, da ist der Bedarf sicherlich riesig. Nun hat aber die FDP eine Debatte über die Debatte zur Hartz IV- Gesetzgebung beantragt. Da frage ich mich: Ist da nicht der Bezug zur bundesdeutschen Wirklichkeit abhanden gekommen?
Die Äußerungen des Herrn Westerwelle zum Thema Hartz IV und den Empfängern dieser Leistungen sind ebenso empörend wie peinlich. Ich kann nur davon ausgehen, dass ihm durchaus bewusst war, was er tat, und dass er diese Debatte absichtlich losgetreten hat. Empörend und peinlich auch deshalb, weil es offensichtlich sein Ziel war, mit diesen diskriminierenden Einlassungen dramatische Verluste in den Umfragewerte wieder gut zu machen. Und das auf Kosten der Ärmsten in unserem Land!
Aber dass Herr Westerwelle durch seine Äußerungen nicht nur das Ansehen seiner Person, seine Partei und die Zusammenarbeit in der schwarz-gelben Koalition im Bund beschädigt hat, erfüllt mich dann doch mit einem gewissen Maß an Schadenfreude. In Abwandlung des Sprichworts möchte ich sagen: „Wer im Glashaus mit Steinen wirft, darf dann bitte auch nicht weinen, wenn ihn die Scherben treffen.“
Aber das Thema Hartz IV-Gesetzgebung und deren dramatische Folgen ist zu ernst, als dass wir es Demagogen a là Westerwelle überlassen dürfen. Die neueste Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW stellt fest, dass 11,5 Millio- nen Deutsche in Armut oder an der Armutsgrenze leben. Das sind 14 % der Bevölkerung. Und das sind rund ein Drittel mehr als vor 10 Jahren. Das sind für mich erschreckende Zahlen.
Erschreckend ist auch, dass die Studie ergibt, dass das Armutsrisiko mit der Anzahl der Kinder wächst und das Armutsrisiko bei Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern auf 40 Prozent steigt!
Die Ursachen sind da schnell gefunden. Die unsoziale Hartz IV-Gesetzgebung hat im Verlauf der vergangenen 5 Jahre dafür gesorgt, dass Millionen Familien arm sind. Arm im reichen Land Deutsch- land! Und arm sein bedeutet: keine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, weniger Bildungschancen für die Kinder, schlechtere Ernährung und ein höheres Gesundheitsrisiko dadurch. Und arm sein bedeutet auch, gebrauchte Kleidung und Möbel aus dem Sozialkaufhaus und Anstehen an den Tafeln und in den Suppenküchen. Wer in dieser Situation Hinweise auf „spätrömische Dekadenz“ findet und das auch noch lautstark publiziert, verhöhnt einfach nur Millionen armer Menschen.
Im Zuge der Hartz IV-Gesetzgebung hat sich aber auch eine große Angst unter allen Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmern breit gemacht. Und die Frage: Wie sicher ist mein Arbeitsplatz noch und muss ich vielleicht auch bald von Hartz IV leben? treibt viele um. Auch die sog. Mittelschicht – und damit Teile der FDP-Wählerschaft - ist schon lange nicht mehr frei von dieser Sorge.
Dieses Klima der Angst treibt viele dazu, lieber jeden noch so schlecht bezahlten Job anzunehmen, als von den Hartz IV-Regelsätzen abhängig zu sein. Und genau auf dieser Basis hat in den vergangenen Jahren der Niedriglohnsektor seinen dramatischen Aufschwung genommen.
Ja, leider stimmt es, dass sich bei uns zum Teil Arbeit nicht mehr lohnt. Aber, bitte schön, doch nicht deshalb, weil die Hartz IV-Regelsätze zu hoch sind. Nein, einfach nur deshalb, weil Arbeit in Deutsch- land viel zu schlecht bezahlt wird. Es ist doch ein Skandal, dass Millionen in Vollzeit arbeitende Menschen zum Aufstocken gezwungen sind, weil sie von ihrem Lohn nicht leben können.
Die Angst vor Hartz IV hat einen Billiglohnsektor entstehen lassen, in dem Arbeitgeber auf Kosten der Sozialsysteme ungeniert Profite maximieren durften. Und genau an dieser Stelle muss doch die Korrektur im System ansetzen: Wir dürfen es nicht dulden, dass Menschen zu Niedriglöhnen arbeiten müssen und damit Zeit ihres Lebens in Armut leben und auf staatliche Unterstützung angewiesen sein werden. Nur die Durchsetzung von gesetzlichen Mindestlöhnen kann dafür sorgen, dass Arbeit sich wieder lohnt. Auch werden wir mit der Senkung von sozialen Standards und einem wachsenden Niedriglohnsektor niemals eine Binnennachfrage erzeugen können, die für das notwendige Wirt- schaftswachstum gebraucht würde, auf das doch auch unsere Regierungskoalition hier im Land so hofft.“