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28.01.10
11:18 Uhr
B 90/Grüne

Robert Habeck zur Änderung der Landesverfassung und der Schuldenbremse

Presseinformation

Es gilt das gesprochene Wort! Landtagsfraktion Schleswig-Holstein TOP 12, 14, 34 – Änderung der Landesverfassung Pressesprecherin Claudia Jacob Dazu sagt der Vorsitzende der Fraktion Landeshaus Bündnis 90/Die Grünen, Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Robert Habeck: Telefon: 0431 / 988 - 1503 Fax: 0431 / 988 - 1501 Mobil: 0172 / 541 83 53 presse@gruene.ltsh.de www.sh.gruene-fraktion.de
Die Schuldenbremse ist links Nr. 035.10 / 28.01.2010

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, sehr geehrte Damen und Herren,
wird ein richtiges Gesetz durch eine falsche Politik entwertet? Das ist die zentrale Frage dieser Debatte. Die astronomische Verschuldung des Staates gramgebeugt zu beklagen und auf die Blut-Schweiß-Tränendrüse zu drücken und gleichzeitig die weitere Schwächung des Gemeinwesens zu predigen, ist nachgerade widersinnig. Und würde es nur beim Pre- digen bleiben – doch nicht nur in Wort, schlimmer noch: In Tat macht Schwarz-Gelb sinn- widrige Politik.
Dass Steuerentlastungen Wirtschaftswachstum befördern, kann mindestens bezweifelt werden. Die exportorientierte deutsche Wirtschaft ist abhängig von allem Möglichen, am al- lerwenigsten aber von den Vergünstigungen, die ihr binnenlands eingeräumt werden.
Es gibt in der Wissenschaft eine einzige Studie, die wirkliche Effekte bei der Wirtschaftsför- derung und Wirtschaftsansiedlung nachgewiesen hat und diese wurden nicht durch Niedrig- löhne, Gewerbegebiete oder Autobahnen erzielt, sondern durch kulturell reiche Innenstäd- te, durch gute Hochschulen und ausreichende Kita-Plätze, durch tolerante, kreative Milieus. Also genau durch das, was jetzt kaputt gespart werden soll.
In einem hochverschuldeten Staat die Steuern senken zu wollen, hat nicht nur nichts mit Verantwortung fürs Allgemeinwohl zu tun, es zeugt auch von einem wirtschaftspolitischen Steinzeitdenken.
Dass die Steuerentlastungen selbsttragend sind, weil sie sich vollständig refinanzieren, ist durch keine einzige Kennzahl belegt. Selbst die neoklassische Wirtschaftswissenschaft geht von einer Refinanzierung von maximal einem Drittel aus. „Selbstragende Refinanzie- rung“ ist schlicht eine Ausrede für Lobbyismus. Seite 1 von 4 Die rot-grüne Strategie, mit Steuersenkungen die letzte Wirtschaftskrise zu überwinden, war der Praxistest und er ist gescheitert. Die Rezession dauerte nur umso länger, weil ein ausgemergelter Staat ihr nichts mehr entgegen zu setzen hatte. Aber wenn wir schon aus unseren Fehlern lernen, und das ist ja in der Politik nicht einfach, eigene Fehler zuzugeben, wie dumm muss man sein, wenn Sie von der CDU und FDP noch nicht mal in der Lage sind, fremde Fehler zu erkennen.
Nein, der Politikansatz von Schwarz und Gelb ist falsch, veraltet und durch die Wirklichkeit widerlegt. Es ist ihre falsche Politik, die die Verschuldung des Staates in die Höhe treibt. Und im Gegenzug zu ihren undurchdachten und uneffektiven Verschwendungsorgien eröff- nen Sie nun die große Sparparty. Gesundbeten und kaputtsparen – das nenne ich bigott.
Denn wo fangen Sie an? Beim Landesblindengeld, bei den Kita-Gebühren, bei den Thea- tern, beim FÖJ, bei der Kulturförderung, bei den Vereinen und Verbänden, bei denen mit der schwächsten Lobby und dem geringsten Einfluss. Geschlossene Literaturhäuser, ge- strichene Wattführungen, ungeheizte Schwimmbäder, gestrichene Schüler- und Arbeitslo- senermäßigungen, nicht renovierte Bibliotheken. Im Land gehen die Lichter aus und Sie haben noch nicht mal ein Bruchteil dessen ausgeglichen, was uns das Wachstumsbe- schleunigungsgesetz beschert hat. Davon abgesehen, dass wir in den Bereichen Bildung, Gerechtigkeit, Kultur und Erneuerbare Energie eher mehr statt weniger Investitionen brau- chen.
Und wie passen die Einschnitte im kulturell-sozialen Bereich mit dem Bau der Betonstraße, der Förderung eines insolventen Flughafens oder der mit falschen Zahlen gerechneten Hin- terlandanbindung der Belt-Querung zusammen? Gespart wird nicht systematisch, sondern nach Gutsherrenart. Das ist schlechtester Oppositionsstil, nun in der Regierung. Wo ein klarer Kopf gebraucht würde: Liberales Delirium. Diese Politik durchtrennt die Brems- schläuche der Schuldenbremse.
Aber noch einmal: entwertet eine falsche Politik einen richtigen Ansatz? Die linke Theorie und die Forderungen der Linken hier im Haus, sie passen mit der Wirklichkeit des Landes und mit der Realität der Politik so wenig überein, wie die reale Politik von CDU und FDP mit der Theorie der Schuldenbremse.
Es gibt so lange kein linkes Schuldenproblem, wie man argumentiert, dass die Schulden ei- ner Gesellschaft, ja die Gesellschaft gemacht hat, dass die Ausgaben gewollt und demo- kratisch beschlossen sind und die getätigten Investitionen und damit auch ihre Verschul- dungen uns allen gehören und das gut so ist. Aber genau das sagt die Linke ja nicht. Und ich sage es auch nicht. Es gibt falsche Politik und falsche Investitionen und falsche Steuer- senkungen und deshalb gibt es eben auch falsche Schulden. Und wenn es falsche Schulde gibt, dann sind sie ein Problem und wir müssen es lösen durch eine richtige Politik.
Das nicht zu Ende gedacht zu haben, ist auch das Problem des SPD Antrags. Er führt eine pauschale Klausel ein. Eine jedwede Veränderung in Berlin hebelt die Schuldenbremse aus. Damit ist aber auch dieses Haus in einer logischen Klipp-Klapp-Mühle gefangen: jed- 2 wede Initiative, die wir Richtung Bundesrat entfalten, wäre gelähmt. Das scheint mir entwe- der unschlau oder unehrlich zu sein.
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir in unserer Position seit Beginn der Debatte konsi- stent und stringent geblieben sind. Schon im letzten Landtag hat meine Fraktion einen Ge- setzentwurf zur Schuldenbremse eingebracht, während der Kurs der SPD, sagen wir, schlingernd war und mir bis heute nicht ganz klar ist. Aber klar ist: Eine pseudo-linke Positi- on, die eine linke Politik verhindert, ist keine gute Position. Ich nenne sie altlinks. Und jetzt möchte ich aufzeigen, wie eine links-neu Politik aussehen kann:
Denn das Anliegen der SPD und der linken Kritik ist richtig. Die Schuldenbremse darf nicht zum Vorwand für ein Verarmungsprogramm werden. Das bedeutet zweierlei: Erstens wäre es besser, wie die SPD es fordert, wir hätten einen Altschuldenfonds statt direkter Finanz- zuschüsse aus Berlin an die Länder. Einmal, weil die Landesregierung die Zuweisungen schlecht verhandelt hat, zum anderen aber, weil wir dann die Schuldenbremse schon sehr viel schneller umsetzen könnten. Insofern sehe ich zwischen Ihren Anträgen einen leichten Widerspruch, SPD.
Zum anderen muss das Ungleichgewicht der Kräfte ausgeglichen werden. Das Land muss die Schuldenbremse umsetzen, hängt aber an den Entscheidungen von Berlin. Dieses Missverhältnis ist richtig erkannt, spricht aber nicht gegen die Schuldenbremse, sondern dafür sie vernünftig aufzustellen: Deshalb haben wir drei Änderungsvorschläge eingebracht: Einmal ziehen wir einen Schutzwall um die Kommunen, die nicht unter die Schuldenbremse fallen und deshalb, leicht zu sehen, weiter geplündert werden, wenn wir nicht gesetzliche Regelungen schaffen, das zu verhindern. Zweitens geben wir Bildungsausgaben bis zum Greifen der Schuldenbremse den Status von Investitionen. Das hätte man schon längst und nicht nur auf Landesebene machen müssen. Drittens ist die Landesregierung gehalten, die beiden Punkte bei zukünftigen Abstimmungen im Bundesrat zu berücksichtigen.
Viertens: Außerdem werden wir schwarz-gelb eine zur Kahlschlagpolitik alternative Debatte aufzwingen und das Sparen vom Kopf auf die Füße stellen: Ran an die Strukturen, die inef- fektiv sind: Verwaltungsstrukturreform, Gebietsreform, dank FDP achtgliedriges Bildungs- system, zweifelhafte Wirtschaftsförderung, noch immer ausbaufähige Kooperation mit Hamburg – einen ersten Schritt leiten wir mit Enquete morgen ein –, Kooperationsverbot und Finanzströmen im föderalen System.
Das ist natürlich Kernerarbeit und die Mühe der Ebene, und man kann da nicht immer flott Schlagzeilen produzieren. Aber es ist der einzig richtige Ansatz: Wenn wir wissen, wie viel eingespart werden kann, wenn man die Strukturen stark und schlank macht, dann wissen wir auch, wie groß die Differenz ist, die wir zu erbringen haben, um die Schuldenbremse einzuhalten. Und dann, wenn man seine Hausaufgaben gemacht hat, kann man darüber reden, ob man weiter spart, den sozialen Frieden riskiert und alles kaputt macht, ohne wirk- lich etwas zu gewinnen, oder ob wir nicht doch lieber die Einnahmeseite verbessern. Für die Kommunen etwa durch die Umwandlung der Gewerbesteuer in eine kommunale Wirt- schaftssteuer, im Land etwa durch eine Erhöhung der Grunderwerbssteuer, im Bund etwa durch ein Anziehen der verteilungswirksamen Steuerarten. 3 Etwa 110 Milliarden Euro nimmt der deutsche Staat an Steuern und Abgaben im EU- Vergleich zu wenig ein – und das vor allen Dingen bei den Steuern, die am ehesten eine ausgleichende Wirkung auf die Vermögensverteilung hätten, würden sie denn erhoben.
Bei der Besteuerung von Vermögen und Erbschaften fehlen Deutschland nach einer Erhe- bung der OECD von 2006 im statistischen Vergleich 25 Milliarden pro Jahr, in England ma- chen sie 4,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus, bei uns 0,9 Prozent; bei der Ein- kommenssteuer sind es 50 Milliarden Gerade die Reichsten erzielen ja hohe Einkünfte durch Kapitalerträge. Die aber unterliegen nicht dem Spitzensteuersatz, sonder werden nur mit 25 Prozent Abgeltungssteuer belegt; bei der Gewinnbesteuerung von Kapitalgesell- schaften macht die Differenz zum OECD-Durchschnitt 35 Milliarden aus.
Hotelsubvention oder beheiztes Schwimmbad, höheres Kindergeld oder gute Kita-Plätze, niedrige Erbschaftssteuer oder vernünftigen Klassenteiler, ein bisschen mehr eigenes Geld oder intaktes Gemeinwesen – das ist dann die gesellschaftliche Konfrontation. Und zwar nicht obwohl, sondern gerade weil es eine Schuldenbremse gibt. Und es ist eine gesell- schaftliche Konfrontation, die wir gewinnen werden. Mit der Schuldenbremse lässt sich e- ben nicht nur sparen, sondern auch die niedrig-und-gerecht-Phantasie der FDP als Phan- tasma entlarven und die nächste Steuersenkungsrunde stoppen.
Mit der Schuldenbremse kann man deutlich machen, dass die FDP die Verfassung bricht. Der Vorschlag der SPD lässt solchem Verfassungsbruch ein Hintertürchen. Das ist nicht nötig und schwächt die politische Konfrontation.
Die Schuldenbremse wird so zu dem Hebel, Schwarz-Gelb aus dem Sattel zu werfen. Denn an der Schuldenbremse kann man eine erstaunliche Umkehr beobachten: Früher galt Ver- schwendung als links und Haushaltspolitik als konservative Domäne. An der Schulden- bremse kann man so schön sehen, was sich alles verändert hat in Deutschland: Da sitzen die Verschwender, wir übernehmen die Verantwortung für den gesellschaftlichen Zusam- menhalt.
Meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident, Herr Stegner, richtig gemacht, ist die Schuldenbremse Teil einer modernen linken Politik.

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