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18.12.09
11:24 Uhr
Linke

Uli Schippels zu TOP 36; "Für eine zeitgemäße Aufarbeitung der DDR-Geschichte"

Jannine Menger-Hamilton Pressesprecherin Presseinformation DIE LINKE. Fraktion im Schles- wig-Holsteinischen Landtag Kiel, 18. Dez. 2009 Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Telefon 0431 / 9 88 16 02 Es gilt das gesprochene Wort. jannine.menger- hamilton@linke.ltsh.de


Uli Schippels zu TOP 36; „Für eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit der DDR- Geschichte an Schleswig-Holsteinischen Schulen“

„Sehr geehrter Präsident, meine Damen und Herren, Die Aufarbeitung der Nachkriegsgeschichte in Ost und West ist Bestandteil der Lehrpläne in Schles- wig-Holstein. Auch uns erschreckt, dass die Statistiken zeigen: Unsere Schulen haben offensichtlich Schwierigkeiten damit, elementares historisches Wissen zu vermitteln. Wenn ich mir die Ergebnisse (in Anführungsstrichen) des sogenannten Bildungsgipfels anschaue, dann fürchte ich, dass dies auch so bleiben wird, auch wenn wir den jetzt anstehenden Antrag heute hier im Landtag diskutieren und evtl. verabschieden. Wenn sie also etwas gegen die zu beklagenden Defizite in der Schulbildung unternehmen wollen, so packen sie es an, erhöhen sie endlich die Bildungsausgaben auf 10 Prozent des Bruttoinnlandproduk- tes, aber bitte ohne Taschenspielertricks, das schönt nur die Statistik, entlastet den Landes- und den Bundeshaushalt. Es hilft aber nicht den Schülerinnen und Schülern. Um die Situation an den Schulen zu verbessern, um die Lernerfolge zu verbessern, braucht es in erster Linie mehr Geld im Bildungssystem. Wir finden, dass der Antrag im Ansatz eine brauchbare Grundlage bietet, um den Schleswig- Holsteinischen Schülerinnen und Schülern die Geschichte näher zu bringen. Berichte von Zeitzeugin- nen und Zeitzeugen, Treffen mit ZeitzeugInnen, „Lernen an historischen Orten“ und Klassenfahrten: Das alles sind Methoden der Pädagogik, die den Unterricht befruchten und den Lernerfolg verbessern. Wir begrüßen vor allem auch die im Antrag empfohlenen gemeinsamen Veranstaltungen mit Klassen aus ostdeutschen Partnerstädten und hoffen, dass die schleswig-holsteinischen Schulen auch die finan- ziellen Mittel erhalten werden, um ein solches Programm umzusetzen. In der Tat fehlt vielen Menschen - vielleicht auch insbesondere jüngeren Menschen - elementares Wis- sen über die Nachkriegszeit. Das betrifft meiner Meinung nach übrigens nicht nur die Entwicklung in der DDR sondern gilt auch für die Entwicklungen in der späteren Bundesrepublik. Gerade wir in Schleswig-Holstein haben die Verantwortung, uns der eigenen Vergangenheit, bei- spielsweise auch der Kontinuitäten und Brüche zwischen 1945 und 1965, zu erinnern. Aber das ist ja nicht Gegenstand dieses Tagesordnungspunktes, vielleicht sollten wir in einer späteren Sitzung darüber diskutieren. Wichtig und richtig finde ich den Ansatz, die Nachkriegsentwicklung Deutschlands vor allem aus der widerständischen Perspektive zu betrachten, nicht - oder zumindest nicht nur - aus der Perspektive der Herrschenden in Ost und West. Dies kommt ja vor allem im ersten Spiegelstrich des Antrages zum Ausdruck. Die DDR ist zu Recht gescheitert, sie ist an ihren inneren Widersprüchen gescheitert. Sie hat es nicht vermocht, neben den sozialen Menschenrechten auch individuelle Freiheitsrechte, bürgerliche Men- schenrechte, zu realisieren. Oppositionelle und solche, die für Gegner der DDR gehalten wurden, wur- den bespitzelt und ins Gefängnis geworfen. Es gab weder eine unabhängige Justiz noch Rechtsschutz gegen staatliche Maßnahmen. Die Medien waren gleichgeschaltet. Problematisch finde ich vor allem zwei Aspekte des vorliegenden Antrages. Zum einen kommen mir die sogenannten „Blockparteien“ entschieden zu gut weg. Sie werden – einzig in der Begründung – erwähnt, sie seien „durch Umwandlung … neutralisiert worden.“ Die FDP hat sich ja nach der Wende mit der LDPD und NDPD vereinigt, die CDU mit der DBD und Ost-CDU. In meinen Augen waren die Mitglieder der Blockparteien nicht nur Opfer bzw. Objekte des Politischen Diskurses in der DDR sondern hatten durchaus Spielraum, waren Rädchen im Getriebe des Systems. Einmal davon abgesehen, gab es auch in der DDR keine Pflicht zur Mitgliedschaft in einer Partei. Eine weitere Lücke in dem Antrag finde ich viel gravierender. Die für mich wichtigste Phase der DDR, die Zeit zwischen November 1989 und dem Beitritt, oder den Anschluss an die Bundesrepublik ist extrem spannend und lehrreich. Denn es hat sich in der kurzen Zeitspanne – vor allem von November 1989 bis März 1990 innerhalb kürzester Zeit in der DDR eine eigene, basisdemokratische Kultur entwickelt, die zwar historisch keine Chance hatte gegenüber dem verlockenden Angebot der D-Mark, die aber auch für das größer gewor- dene Deutschland viele Ideen und Anregungen geboten hat und immer noch bietet. Die Zeit zwischen Ende 1989 und Frühjahr 1990 war geprägt durch basisdemokratische Aufbrüche, durch Diskussionen in den Schulen zwischen Schülerinnen und Schülern, die die Autorität der Lehr- kräfte hinterfragten, durch Diskussionen in den Betrieben, durch Runde Tische und durch Debatten über zukünftige basisdemokratische Entscheidungsstrukturen. In der Gesellschaft und in der Wirt- schaft. Ein Ergebnis dieser Debatten war der Verfassungsentwurf des Runden Tisches, der leider schnell in Vergessenheit geriet bzw. schnell in den Schubladen verschwunden ist. Ich finde es bedauerlich, dass in dem vorliegenden Antrag diese Phase vollständig ausgeblendet wird. Gerade von der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen, deren VertreterInnen in diesem historischen Zeitraum die Debatten in der ehemaligen DDR maßgeblich mitbestimmt haben (u.a. war ja der bran- denburgische Ministerpräsident Mitglied des zentralen Runden Tisches), hätte ich mir erhofft, die Aufmerksamkeit bei einer zeitgemäßen Auseinandersetzung mit der DDR – Geschichte auch auf diese Ereignisse zu richten. Der Runde Tisch in der DDR versuchte, die sozialen Menschenrechte mit den individuellen Freiheits- rechten zu vereinbaren. Er wollte „Freiheit“ und „Gerechtigkeit“ in „Solidarität“ zusammenführen. Dies sind für uns richtungsweisende Gedanken und Leitlinien unserer Politik. Freiheit und Gerechtig- keit sind für uns kein Gegensatz; Freiheit und Gerechtigkeit, die sozialen und die individuellen Men- schenrechte gehören zusammen. Diese Gedanken finden sich leider nicht im Antrag der anderen Fraktionen. Das ist ja auch nicht ver- wunderlich, wir waren ja nicht an der Erarbeitung beteiligt. Bitte sehen sie uns es nach, dass wir uns aus diesem inhaltlichen Grund enthalten werden.“