Ralf Stegner zu TOP 21 und 39: Scheinlösung für ein Problem, das es ohne Schwarz-Gelb nicht gäbe
Presseinformation der SPD-Landtagsfraktion Kiel, 17.12.2009 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuellTop 21 und 39, Auswirkungen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes / Keine Steuersenkun- gen zu Lasten von Land und Kommunen (Drucksachen 17/82, 17/15, 17/69)Ralf Stegner:Scheinlösung für ein Problem, das es ohne Schwarz-Gelb nicht gäbeDas sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz beschleunigt in Wirklichkeit das Wachstum der Schulden und der öffentlichen Armut, führt der Vorsitzende der SPD- Landtagsfraktion, Dr. Ralf Stegner, in seiner Rede aus. Es bedeutet Jahr für Jahr 70 Mio Euro weniger fürs Land und 60 Mio Euro weniger für die Kommunen. Der Staat braucht jedoch für Bildung, Kinderbetreuung und Klimaschutz mehr Geld; deshalb sind Steuersenkungen nicht finanzierbar. Ein Ausgleich für das Wachstumsbeschleuni- gungsgesetz würde den vollständigen Ersatz der Einnahmen, die Schleswig-Holstein durch das Gesetz dauerhaft verloren gehen, bedeuten. Alle einmaligen Zuschüsse werden diesem Anspruch nicht gerecht. Wir brauchen, so Stegner, vielmehr einen fai- ren Entschuldungspakt, gezielte öffentliche Investitionen in Bildung und Familien und in die Infrastruktur von Netzen und erneuerbaren Energien. Und wir müssen die mit den höchsten Einkommen und Vermögen stärker an der Solidarität beteiligen.Die Rede im Wortlaut: In diesen dunklen Dezembertagen werden Kindern schöne Märchen vorgelesen, die das Herz anrühren und für Wonne sorgen. Auch im Landeshaus werden Heldenge- schichten verbreitet über einen wackeren Ritter, der mit seinem Knappen am 3. AdventHerausgeber: Landeshaus SPD-Landtagsfraktion Postfach 7121, 24171 Kiel Verantwortlich: Tel: 0431/ 988-1305/1307 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Petra Bräutigam Fax: 0431/ 988-1308 Internet: www.spd.ltsh.de -2-auszog, die Kanzlerin das Fürchten zu lehren. Und das Publikum? Wir fragen uns, ob hier nicht eher der Ritter der traurigen Gestalt zu sehen ist oder unter der Ritterrüstung vielleicht eher ein Baron – zu Deutsch Freiherr – steckt, der wie alte und – siehe ges- tern im Bundestag – sogar brandneue adelige Vorbilder in aller Öffentlichkeit Lügen- geschichten erzählt.Das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz beschleunigt das Wachstum der Schulden und der öffentlichen Armut. Außerdem scheint es ein Verdummungs- beschleunigungsgesetz zu sein.Schwarz-gelb in Bund und Land vermitteln den Bürgern eine Welt, in der wir nur einen schlanken Staat brauchen, gerechte Besteuerung nach Leistungsfähigkeit eigentlich Diebstahl ist und man deshalb privatisieren und die Steuern geradezu senken muss. Dann wandelt sich alles zum Besten und blühende Landschaften entstehen quasi von selbst.Deshalb sind die abstrusen, aber im Wahlkampf unisono verkündeten Steuersen- kungspläne in den schwarz-gelben Koalitionsvertrag des Bundes gekommen. Sie wurden von Koppelin, Carstensen & Co. vor dem 27. September landauf, landab ver- treten und danach abgenickt.Völlig überraschend stellt sich nun heraus, dass Steuersenkungen doch tatsächlich dazu führen, dass dem Land und den Kommunen Einnahmen verloren gehen: Jahr für Jahr 70 Mio Euro weniger für’s Land und 60 Mio Euro weniger für die Kommu- nen. Immerhin: Durch den großartigen Verhandlungserfolg von Ministerpräsident Cars- tensen bei der Föderalismusreform bekommt Schleswig-Holstein brutto das an Konso- lidierungshilfe, was jetzt fehlt. Das ist ein Klassiker aus der Serie „linke Tasche, rechte Tasche“. Und was sagt der FDP-Landesvorsitzende Koppelin in der Frankfurter Rund- schau? „Auf Dauer geht es nicht immer weiter, die Ausgaben zu kürzen.“ Gut gebrüllt -3-Löwe. Deswegen könne man dem Gesetz so nicht zustimmen. Soweit sind wir uns hier im Parlament einig, was ja auch in dem im Geiste adventlichen Friedens entstandenen Beschluss des Finanzausschusses deutlich wurde.Aber sind wir wirklich einig? Die neue Glaubwürdigkeit à la Schwarz-Gelb heißt doch: Im Wahlkampf für reiche Erben und Hoteliers Wahlversprechen abgeben, nach der Wahl sagen, Schleswig-Holstein könne sich das nicht leisten und müsse dagegen sein, dann – wie alle CDU/FDP-MdBs aus Schleswig-Holstein – im Bundestag für das Gesetz stimmen, dann öffentlich Radau machen und am Schluss klein beigeben und im Bundesrat zustimmen. Merken Sie eigentlich noch was?Konsequent wäre gewesen, endlich zuzugeben, was wir Sozialdemokraten immer vor und nach der Wahl gesagt haben, dass der Staat für Bildung, Kinderbetreuung, Klimaschutz mehr Geld braucht. Dass Steuersenkungen nett, aber nicht finanzierbar sind. Dass wir im Gegenteil sogar die mit den höchsten Einkommen und Vermögen stärker an der Solidarität beteiligen müssen.Ihr Motto dagegen lautet: Und die Lehre davon ist – selbst der allergrößte Mist zahlt sich irgendwann für irgendjemand aus. Stimmt sogar. Sie bedienen einzelne Wähler- gruppen wie reiche Erben und Hoteliers. Und dann machen Sie das zu allem Überfluss mit der Kinderförderung auch noch so, dass die mit den höchsten Einkommen am meisten bekommen, die Normalverdiener weniger und die, die es am nötigsten hätten, gar nichts. Das ist falsch und ungerecht und auch noch wirkungslos, weil Sie damit im Gegensatz zu sinnvollen öffentlichen Investitionen keine dauerhaften positi- ven Wachstumseffekte erzielen können.Womit kamen unsere beiden wackeren Teilnehmer an der Adventskaffeefahrt aus Ber- lin zurück? Mit Kompensationsheizdecken von der Edelmarke Merkel & Westerwelle. Wir erinnern uns: In Schleswig-Holstein können sich weder Land noch Kommunen -4-weitere Einnahmeverluste leisten und deshalb bestehen wir auf Kompensation. Nun könnte ein Nörgler einwenden, die Zahlung eines Lösegeldes mache die schändliche Tat nicht ungeschehen, aber Potzblitz: Da droht unser Ministerpräsident mutig, Schleswig-Holstein werde im Bundesrat nicht zustimmen, wenn es keine echte Kom- pensation gäbe. „Ihr habt sie nicht mehr alle“, soll er in einem Anflug von Wahrheitslie- be der Kanzlerin zugerufen haben.Was ist aber nun eine echte Kompensation? Ein Ausgleich ist das, so findet man das in jedem ordentlichen Lexikon. Also nach meinem Sprach- und Logikverständnis 130 Mio Euro jährlich, also der vollständige Ersatz der Einnahmen, die Schleswig- Holstein durch das Gesetz dauerhaft verloren gehen, durch dauerhafte Zuschüsse oder Einsparungen.Was haben wir aber dazu in den letzten Tagen und heute gehört? Alle im Raum ste- henden Vorschläge übertreffen sich im Bemühen, das Wort Kompensation zu verun- stalten, ja ins genaue Gegenteil zu verkehren. Das ist natürlich konsequent, da es sich mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz ja genau so verhält. Außerdem hören wir jetzt plötzlich, um eine Sonderregelung für Schleswig-Holstein sei es nie gegangen. Niemand hatte die Absicht, einen gerechten Ausgleich für Schleswig-Holstein zu for- dern. Wie denn nun? Ich dachte immer, Schleswig-Holstein habe besondere Probleme und brauche deshalb besondere Hilfe.Also kurz zu den Varianten: Möglichkeit Nr. 1: Mittel für Straßenbau oder Hilfen bei der Hinterlandanbindung der festen Beltquerung. Abgesehen von teuren Kofinanzierungswirkungen wären das im- merhin zusätzliche, aber einmalige Zuschüsse, denen dauerhafte Einnahmeausfälle gegenüberstehen. -5-Möglichkeit Nr. 2: Eine stärkere Beteiligung des Bundes an Bildungsausgaben. Mehr Geld für Bildung, wie von Frau Merkel letztes Jahr in Dresden versprochen, ist zwar bitter nötig – über den gestrigen Bildungshügel a la Bungsberg werden wir ja nachher noch debattieren. Auch hier handelt es sich um einen Ersatz für Mittel, die Schleswig-Holstein sich ohnehin nicht leisten könnte. Eine Kompensation von Ein- nahmeausfällen ist auch dies nicht, die angebliche Kompensation weder zusätzlich noch dauerhaft. Statt unser um 70 Mio erhöhtes strukturelles Defizit zu verringern, ist das wie bei der Werbung mit Thomas Gottschalk, der zwei Jacken im Sonderangebot kauft und sagt, er hat nun doppelt so viel gespart.Kommen wir zu Möglichkeit Nr. 3: Der Bund übernimmt großzügig die Trennungskos- ten der ARGEn. Wieder geht es um die Teillösung eines Problems, das man selbst zu schaffen gedenkt. Würde Frau von der Leyen umsetzen, was 16 Arbeitsminister be- schlossen haben, hätten wir per Verfassungsänderung weiterhin die Arbeitsvermittlung aus einer Hand. Erst durch den Murks der Neuregelung entstehen überhaupt die Kos- ten, für die ein Teilausgleich gegeben werden soll. Also auch hier weder zusätzliche noch dauerhafte Kompensation.Bleibt die Möglichkeit Nr. 4 – und diese Verknüpfung musste ich wirklich zweimal le- sen, weil ich es zuerst nicht glauben konnte: Bei der großen Steuerreform 2011 könnte es dann wirklich eine weniger starke Belastung für die Länder geben, so sollen Frau Merkel und Herr Westerwelle am Sonntag versprochen haben. Nun, das ist ja großartig! Gegen den dann geplanten Irrsinn des Schuldenbeschleunigungsgesetzes Nr. 2 sind die jetzigen Einnahmeausfälle ja geradezu Peanuts, wie unser verehrter HSH-Aufsichtsratsvorsitzender Kopper das nennen würde. Schleswig-Holstein soll darunter dann weniger leiden müssen – vorausgesetzt natürlich, Sie stimmen auch dann wieder im Bundesrat zu. -6-Ach ja, es gibt auch noch die Möglichkeit Nr. 5: Wir vertrauen auf die vage Zusage von Frau Merkel, dass man uns bei der Einhaltung des Verschuldungsverbots bis 2019 noch doller hilft als bisher. Weniger Einnahmen, mehr Ausgaben, dafür aber eine Schuldenbremse mit Bremskraftverstärker aus Berlin.Erinnern Sie sich noch, Herr Carstensen, an die letzten Verhandlungen zu den Konso- lidierungshilfen? Geht das mal soeben per Handschlag der Kanzlerin? Wo doch der Bund nicht mal weiß, wie er selbst seine Verfassungsvorgaben erfüllen will. Und Herr Schäuble sagt uns gestern im ZDF, dass er dies den Bürgern natürlich auch nicht vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen verraten möchte. Wer soll das denn zah- len? Die anderen Länder? Stimmen die dann noch zu? Wir hören doch, wie begierig Herr Seehofer und Herr Koch darauf warten, endlich der Kieler Regierung hilfreich zur Seite stehen zu dürfen.Nein, Herr Ministerpräsident, all das zeigt, das Licht am Ende des Tunnels ist kein Hoffnungsschimmer für Schleswig-Holstein, sondern der entgegenkommende Zug.Was wir wirklich bräuchten wäre: • Ein fairer Entschuldungspakt von Bund, Ländern und Kommunen. • Gezielte öffentliche Investitionen in Bildungs- und Familieninfrastruktur statt Steuersenkungen für einzelne Gruppen, die Bund, Ländern und Kommunen wichtige Mittel für Kindergärten, Schulen und Hochschulen entziehen. • Investitionen in die Infrastruktur von Netzen und erneuerbaren Energien statt Steuergeschenke für die Erben von Nettovermögen. • Und ja, Steuererhöhungen bei denen mit den höchsten Einkommen und Ver- mögen.Wenn Sie morgen dem sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz im Bundesrat zustimmen, wenden Sie nicht Schaden vom Volk ab, wie es Ihrem Amtseid entsprä- -7-che. Dieses Gesetz präsentiert die Scheinlösung für ein Problem, das es ohne schwarz-gelb gar nicht gäbe, wie die Kieler Nachrichten das so treffend geschrieben haben. Nein, Sie handeln gegen die Interessen Schleswig-Holsteins, seiner Kom- munen und der Bürgerinnen und Bürger. Sie sagen stolz, Sie hätten für andere die Kohlen aus dem Feuer geholt – das stimmt, insbesondere für Angela Merkel.Verwechseln Sie Frau Merkel nicht länger mit Dulcinea! Legen Sie die schillernde Rüs- tung ab und machen Sie dem ein Ende, dann wären Sie wirklich ein Held. Aber das wollen Sie nicht, weil unter der Rüstung eben doch nur der alte Pinocchio zum Vor- schein kommt, den wir noch von den schönen Demonstrationsplakaten kennen.Die traurige Wirklichkeit ist: Unsere beiden Adventsreisenden aus dem Norden können nicht, was sie tun – wie das im Wahlkampf so großspurig hieß. Nein, die Herren Cars- tensen und Kubicki tun nur, was sie können und das ist viel zu wenig. Schleswig- Holstein hätte Besseres verdient!