Antje Jansen zu TOP 14 "Europäisches Jahr gegen Armut und Ausgrenzung 2010"
Jannine Menger-Hamilton Pressesprecherin Fraktion im Schleswig- Holsteinischen Landtag Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Telefon 0431 / 9 88 16 02 Jannine.menger- hamilton@linke.ltsh.deKiel, 16. Dez. 2009PresseinformationAntje Jansen zu TOP 14 „Europäisches Jahr gegen Armut und Ausgrenzung 2010“ Es gilt das gesprochene Wort.Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Europäische Kommission hat das Jahr 2010 zum Europäischen Jahr gegen Armut und Ausgrenzung erklärt. Armut - und insbesondere Kinderarmut - grassiert in den reichen Nationen Westeuropas. Sie ist für Millionen von Menschen zur größten aller realen Bedrohungen geworden. Das gilt leider auch für sehr viele Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner. Allein 81.000 Kinder und Jugendliche leben bei uns von Hartz IV, in den kreisfreien Städten gilt jedes dritte Kind als arm. Deren Chancen und Perspektiven lassen sich ganz einfach beschreiben: Sind sie einmal arm und ausgegrenzt, gibt es aus diesem Kreislauf kaum mehr ein Entrinnen. Das, meine Damen und Herren, darf nicht sein. Das kann niemand von uns verantworten. Es liegt in der Verantwortung der Politik, auch in der des Landes - also in der persönlichen Verantwortung eines jeden Mitglieds dieses Hauses - das zu ändern. Die HSH-Nordbahn geriet in eine extreme Schieflage. Die Gründe dafür waren hausgemachte Fehler der Banker und der Landespolitik. Prompt wurde fast sowas wie der Staatsnotstand ausgerufen. Wird aber annähernd ein Drittel der Bevölkerung wirtschaftlich und sozial abgehängt, dann herrscht seitens des Landes betretendes Schweigen und es passiert so gut wie nichts. Es ist doch alles beinah eitel Sonnenschein, oder wie sonst soll man den Gegenantrag der Koalitionsfraktionen - und hier insbesondere den zweiten Passus - verstehen? All diese Maßnahme, die Sie da loben, wirken nicht mal wie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Schon gar nicht bekämpfen sie die Ursachen von Armut und Ausgrenzung. Das ist eine reine Alibi-Politik, die von den betroffenen Menschen nur als zynisch verstanden werden kann. Erst recht, weil auch sie natürlich mitbekommen haben, dass von heute auf morgen für die HSH 1,5 Milliarden Euro auf den Tisch gelegt werden konnten und für weitere 5 Milliarden umgehend gebürgt wurde. Für die Banker und ihre Aktionäre war sofort Geld da. Nicht aber etwa für eine weitergehende Beitragsfreiheit in den Kitas. Wissen Sie wie viele Kindergartenjahre man alleine für die 1,5 HSH-Milliarden beitragsfrei stellen könnte? 43! 43 Jahre! Arme Kinder werden von Geburt an ausgegrenzt. Sie wachsen nicht so gesund auf wie andere Kinder, das gilt im medizinischen wie auch im übertragenen Sinn. Ihre Chancen auf eine gute Bildung sind deutlich schlechter als die anderer Heranwachsender. Das beginnt in frühester Jugend. Viele Kinder kommen ohne Frühstück in die Kindergärten und Schulen, und sie haben auch kein Geld für ein warmes Mittagsessen. 1 Jetzt wird der Einwand kommen, dass wir doch das Projekt "Kein Kind ohne eine Mahlzeit" haben und zudem das letzte Kita-Jahr beitragsfrei ist. Doch beides ist nur die halbe Wahrheit. Zum Mittagessen muss immer noch ein Euro zugezahlt werden. Und diese Ein-Euro-Hürde ist oft schon zu hoch, das merken wir zumindest in den Kommunen. Und der Kindergarten ist auch nur für fünf Stunden beitragsfrei. Ganztagesplätze, die gerade von Alleinerziehenden so dringend gebraucht würden, kosten nach wie vor und es mangelt an ihnen erheblich. Besonders betroffen sind die Kinder Alleinerziehender und die von Migranten. Für Eltern und Kinder fehlt es hier an allen Ecken und Enden. Alleinerziehende Mütter haben kaum eine Chance auf adäquate Beschäftigung solange es keine flächendeckende, kostenlose Ganztagesbetreuung gibt. Kinder und Eltern mit Migrationshintergrund brauchen wirksame und kostenlose Möglichkeiten unsere Sprache zu erlernen, um auf Dauer der Ausgrenzung zu entgehen. Eine wöchentlich zweistündige Sprachförderung in den Kitas ist da nicht viel mehr als ein Feigenblatt. Aber vor allem müssen die Ursachen bekämpft werden. Die Ursachen, die künstlich geschaffen wurden. Diese Ursachen sind vor allem in der gigantischen Umverteilung von unten nach oben zu finden. Dass wir alle die Gürtel enger schnallen müssen, ist nichts als ein Märchen. Auch wenn in diesem Krisenjahr das Bruttoinlandsprodukt erstmals sinkt, so liegt die Produktivität immer noch - inflationsbereinigt - um rund 30 Prozent höher als vor 20 Jahren. Die Schaffung des Niedriglohnsektors, die Schaffung von Hartz IV - und vieles andere - diente alleine dazu, das gestiegene Gesamteinkommen in die Taschen einiger Weniger zu schaufeln. Die obersten zehn Prozent der Bevölkerung horten mittlerweile sechzig Prozent der bundesdeutschen Privatvermögen. Die Zeche zahlen die Kinder, die hungrig in Kindergärten und Schulen sitzen, die Zeche zahlen die Mütter, die nicht arbeiten gehen können, weil die Gesellschaft sich nicht um ihren Nachwuchs kümmert, und die Zeche zahlen die Menschen, die wir ins Land geholt haben, damit sie den Wohlstand der bereits Wohlhabenden noch weiter steigern. Die Zeche zahlen aber auch fast alle anderen: die Landwirte, die Bäcker und Metzger, die Handwerker und Einzelhändler an der Ecke. Denn fast ein Drittel der Menschen kann sich deren Qualitätsprodukte und Dienstleistungen nicht mehr oder kaum noch leisten. Und am Ende zahlen die kommenden Generationen die Zeche. Sie, meine Damen und Herren, können noch so viele Leistungen des Landes und noch so viele Planstellen streichen, Sie werden die Finanzen des Landes niemals in den Griff bekommen, wenn Sie weiterhin immer größer werdende Kreise der Bevölkerung wirtschaftlich und sozial ausgrenzen. Ohne die Kaufkraft dieser Menschen kommen Handel, Gewerbe und auch die Staatsfinanzen nie wieder in Schwung. Wollen Sie also dem "Europäischen Jahr gegen Armut und Ausgrenzung", wollen Sie vor allem den Menschen im Lande gerecht werden, dann bleibt nichts anderes als ein radikaler Politikwechsel. Lassen Sie uns in 2010 damit anfangen. Greifen wir die Volksinitiative des Kinderschutzbundes, der AWO und des Sozialverbandes Deutschland zur Stärkung der Kinderrechte und zur Bekämpfung der Kinderarmut, auf. Benennen wir in der Landesverfassung die Bekämpfung der Kinderarmut als verbindliches Staatsziel. Oder besser noch: Lassen Sie uns dort festschreiben, dass allen Formen der Armut verbindlich und wirksam zu begegnen ist. Nur so können wir die so wichtigen und richtigen Worte, die der Landtagspräsident anlässlich der Übergabe der 30.000 Unterschriften der Volksinitiative gefunden hat, mit Leben füllen. Er sagte: "Wichtig, ja für unser Land existentiell, ist eine ökonomisch wie psychologisch kluge Politik. Deutschland kann es sich nicht leisten, dass viele Kinder von heute die materiell und geistig Armen von morgen sind. Für unser aller Wohlstand und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft brauchen wir jeden Menschen und das unter Förderung und Forderung all seiner Stärken“. Zitat Ende. Schon heute können und sollten wir den ersten kleinen Schritt in die richtige Richtung gehen. Verwerfen wir den Gegenantrag der Koalitionsfraktionen, er wird weder der Sache noch den Menschen auch nur im Ansatz gerecht. Am besten, ziehen Sie ihn gleich zurück. Stimmen Sie stattdessen dem meiner Fraktion zu, dem sich die anderen Oppositionsfraktionen bereits dankenswerterweise angeschlossen haben. Vielen Dank! 2