Anke Spoorendonk zu TOP 01A - Regierungserklärung
PresseinformationKiel, den 18.11.2009 Es gilt das gesprochene WortAnke SpoorendonkTOP 1A RegierungserklärungDer SSW hat nach der vorzeitigen Auflösung des 16. Landtags immer wieder unterstrichen, dassfür uns das wichtigste eine handlungsfähige Regierung ist, die sich auf gemeinsame Ziele ver-ständigen kann und Schleswig-Holstein endlicher wieder weiterbringt. Der Koalitionsvertragwar ein erster Lackmustest, ob die Gemeinsamkeiten bei Schwarz-Gelb für eine starke Regierungausreichen. Aber das Testergebnis fiel so schwach aus, dass es schwer war, zu einem Urteil zukommen. Auch die heutige Regierungserklärung hat nicht die erhoffte Klarheit gebracht.Entweder reicht der Mut nicht aus, um Klartext zu reden, oder die beiden Koalitionspartner sindwirklich noch nicht weiter. Jedenfalls wurden unsere gedämpften Erwartungen heute nochmalsunterboten.Dabei hat diese Regierung als Nachfolgerin der Großen Koalition es so einfach wie noch nie,Handlungsfähigkeit und Einigkeit zu demonstrieren. Immerhin haben CDU und FDP sich auch imRekordtempo auf einen Koalitionsvertrag verständigen können. Sein Inhalt macht deutlich, dassdie ideologischen Gemeinsamkeiten der Partner ungleich größer sind. Eigenverantwortung,Leistung, Privatisierung, angebotsorientierte Wirtschaftspolitik – das ganze liberale und 2neoliberale Vokabular ist vorhanden und zeigt die großen theoretischen Schnittmengen dieserLandesregierung. Trotzdem – und das ist die wahre Überraschung – sucht man in den zentralenFragen Handfestes vergebens. Der Koalitionsvertrag ist seichte politische Belletristik, mit demWeichzeichner geschrieben. Es liegt an den Handelnden, daraus erst noch ein faktenreichesSachbuch zu machen. Man darf gespannt sein, ob die Gemeinsamkeiten von CDU und FDP auchdafür reichen.Gerade in der Finanzpolitik haben beide Koalitionspartner vor der Wahl die Latte besonders hochgehängt. Wie sie jetzt darüber springen wollen, darauf geben sie aber keine ausreichende Ant-wort. Das zeigt schon das symbolträchtigste Thema, die Reduzierung des Landespersonals. Inganzen drei dürren Sätzen des Koalitionsvertrags wird erklärt, dass die Koalition 10 % der Stellenim Landesdienst streichen will, das sind rund 5.600. Ich bin wirklich gespannt darauf, wie diekonsequente Trennung von verzichtbaren Aufgaben aussieht, die uns die Koalition ankündigt.Dass CDU und FDP die minimalistischen Rekorde der Großen Koalition bei der Entbürokratisie-rung brechen werden, davon können wir ausgehen. Aber am Ende wird sich herausstellen, dassnicht so viel überflüssig ist. Wolfgang Kubicki hat gesagt, dass allenfalls 700 Stellen, also keine 2Prozent, entbehrlich sind. Ich gehe jede Wette ein, dass das Endergebnis näher bei Kubicki als amKoalitionsvertrag liegen wird.Egal, ob man in der Koalition nun wirklich glaubt, dass 5600 Mitarbeiter entbehrlich sind, oderob mit 10 Prozent einfach eine runde Zahl gewählt wurde, von der kein Mensch weiß, wie sieerreicht werden soll - Schwarz-Gelb hat kein Bild davon, wie die Verwaltung der Zukunftaussieht und welche Aufgaben sie erledigen soll. Bestehende strukturelle Reformkonzepte, wiedie Justizreform von Uwe Döring, die Vorbildcharakter für weitere Bereiche haben könnte,bleiben unerwähnt. Das einzige, worauf CDU und FDP sich verständigen konnten, ist dieEinführung eines zentralen Personalmanagements, aber das ist kein Ersatz für fehlendeKonzepte. Erst wenn man eine konkrete Vorstellung davon hat, wie sich die Landesverwaltungentwickeln soll, kann man gezielt überflüssige Aufgaben und Stellen streichen oder verlagern.Solche gemeinsamen Vorstellungen haben die CDU und die FDP aber bislang nicht. 3Mit den pauschalen Kürzungsbeschlüssen verschiebt die Koalition die Konflikte in die Zukunft.Die Hoffnung ruht nun auf einer kleinen Haushaltsstrukturkommission, die aus dem Kabinettund den Regierungsfraktionen besetzt wird. Der SSW sieht dieses Verfahren skeptisch. Zumeinen wäre es bei einer so entscheidenden Frage ratsam gewesen, auf anderen Sachverstandzurückzugreifen als allein auf den rein monetär ausgerichteten Landesrechnungshof. Denn wirwollen nicht nur eine billige, sondern auch eine effektive, moderne und motivierte Verwaltung.Zum anderen kann die institutionelle Einbindung der Fraktionen von CDU und FDP leicht dazuführen, dass nach der Beschlussfassung in der Kommission kein Spielraum für Änderungen desLandtages mehr besteht, weil die Koalitionsfraktionen bereits mitgewirkt haben undKompromisse eingegangen sind. Das wäre für das Parlament ein ebenso schlechtes Signal wiedie Tatsache, dass in den Bereichen Integration und Wirtschaftspolitik unter dem Deckmantelder Beauftragten die Funktion des parlamentarischen Staatssekretärs wieder eingeführt wird.Dass diese Regierung das Parlament wenig ernst nimmt, hat der der Ministerpräsident bewie-sen, als er ausgerechnet die Bühne der Landesvertretung in Berlin und ein Publikum aus derWirtschaft gewählt hat, um seine Sparpolitik darzustellen. Diese Landesregierung kommt nichtumhin, den Menschen in Schleswig-Holstein Härten zuzumuten. Und soweit ich sehen kann,wird es nicht gerade die Wirtschaft sein, die darunter zu leiden hat. Deshalb sollte Peter HarryCarstensen zumindest den Mut haben, seine bitteren Wahrheiten zuerst den betroffenenMenschen selbst und ihren Volksvertretern ins Gesicht zu sagen.Aber wenn der Ministerpräsident schon in der Hauptstadt war, dann hat er hoffentlich auch dieGelegenheit genutzt, mit der Bundesregierung Klartext zu reden. Denn das zweitgrößte Risikofür unseren Haushalt ist - nach der HSH-Nordbank - die schwarz-gelbe Koalition auf Bundes-ebene. Die treibenden Kräfte hinter der Schuldenbremse treiben nun eine kurzsichtige, schul-denfinanzierte Beglückung voran, und unser Land und unsere Kommunen dürfen mit 134 Millio-nen jährlich zur Zeche beitragen. Egal, wie sehr wir uns um Einsparungen bemühen, bedeutetdieses Wahlgeschenk der Bundesregierung mehr Schulden für Schleswig-Holstein und schlech-tere Leistungen für die Bürger. Deshalb muss die Landesregierung in Berlin an vorderster Front 4geben die gemeingefährlichen Pläne der Bundesregierung kämpfen. Das hat der Ministerprä-sident – wie üblich etwas später als andere Länderkollegen – jetzt auch selbst erkannt.Diese Koalition ist als „Koalition des Aufbruchs“ angetreten, aber sie wird als „Koalition desAbbruchs“ enden, wenn es ihr nicht gelingt, einen praktikablen Weg des Schuldenabbaus zufinden. Die Anpassung der Ausgaben an die Einnahmen allein wird es nicht bringen. Wenn CDUund FDP sich nur auf die mehr oder weniger „freiwilligen“ Ausgaben des Landes stürzen, bleibtvom gesellschaftlichen und sozialen Leben in Schleswig-Holstein nur noch ein Trümmerhaufen.Der einzige Weg zu einem finanziell gesunden Land ist ein systematischer Abbau der Altschul-den, die uns jährlich Unsummen an Zins und Tilgung kosten. Deshalb ist es eine bittere Enttäu-schung, dass sich das Wort Altschuldenfonds im Koalitionsvertrag nicht ein Mal findet.In den nächsten Jahren wird die Finanzpolitik ein besonders hartes Brot sein. Umso bedenklicherist es, dass dieses Topthema von einem Minister besetzt wird, der innerhalb eines Jahres dasgesamte Vertrauen in seine Kompetenz und Handlungsstärke verspielt hat. Auch wenn dieGroße Koalition sie jetzt in ein anderes Ressort verlegt hat, bleibt die HSH Nordbank zuerst einfinanzpolitisches Thema. Und zwar das Risiko Nummer 1. An dem seidenen Faden, der die Bankbisher vor einem Absturz gerettet hat, hängt auch die Existenz des Landes Schleswig-Holstein. Esist Aufgabe der Landesregierung, dafür zu sorgen, dass dieser Faden nicht reißt.Wir teilen das Ziel der Landesregierung, den Sondermüll HSH so schnell wie möglich loswerdenzu wollen. Nur leider wird ihn uns keiner abnehmen. Auch nach der unvorstellbar großen Geld-spritze des Frühlings wird keine Ruhe in die Diskussion um den Betrieb unserer Landesbankeinkehren. Umso unerträglicher ist es, dass die Regierung sich beflissentlich aus all demheraushält. Die Große Koalition hat sich aus dem Aufsichtsrat zurückgezogen und Schwarz-Gelbwill auch keine Verantwortung übernehmen. Lediglich ein regierungsinterner Lenkungsaus-schuss soll es richten. Die Landesregierung verzichtet freiwillig auf ein direktes Mitspracherecht,während HSH-Chef Nonnenmacher und der Aufsichtsratsvorsitzende Hilmar Kopper die politischVerantwortlichen und die Bürger unseres Landes weiter an der Nase herumführen. Deshalb 5möchte ich besonders in Richtung der FDP sagen: Den starken Worten müssen auch Taten folgen– nicht nur im Untersuchungsausschuss, sondern auch im Rahmen ihrer Regierungsverantwor-tung.Der Koalitionsvertrag trägt in den Teilen, in denen wichtige Entscheidungen schon gefallen sind,die Handschrift der FDP. Das begrüßen wir ausdrücklich, wenn es um die Innenpolitik geht. Wirwerden jetzt gespannt lauschen, wie Innenminister Schlie, den wir nicht gerade als bekennen-den Liberalen in Erinnerung haben, diese neuen Töne in der Praxis anstimmen wird.Im Bereich der Polizei gewährt der Koalitionsvertrag erste Einblicke, die für den Anfang durchausbegrüßenswert sind. Dass im operativen Dienst keine Stellen gestrichen werden dürfen und dasses keinen Rückzug aus der Fläche geben darf, sind Selbstverständlichkeiten. Die bisherigenReformvorhaben haben deutlich gemacht, dass die schleswig-holsteinische Polizei mit ihrenKapazitäten an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit stößt. Es ist Aufgabe der Landesregierungzu verhindern, dass die Arbeitsbedingungen für die einzelne Polizistin und den einzelnenPolizisten sich durch immer neue Aufgaben weiter verschlechtern.Weiter verschlechtern dürfen sich auch die Bedingungen des Landeszentrums für den Daten-schutz nicht. Es ist kein Geheimnis, dass die CDU bei diesem Thema nicht gerade in Wallungengerät – jedenfalls nicht im positiven Sinne. Aber Schleswig-Holstein hat im Bereich Datenschutzeine Vorreiterrolle für ganz Deutschland und auch internationaler Ebene ist das ULD einangesehener Partner. Diese Stellung müssen wir aktiv halten.Dasselbe gilt für den Zwilling des Datenschutzes, die Informationsfreiheit. Hier sind dieAnkündigungen der Koalition höchst beunruhigend. Eine Entbürokratisierung durch dieZusammenlegung des Umweltinformationsgesetzes und des Informationsfreiheitsgesetzes hörtsich erst einmal fein an. Wenn dies bedeutet, dass das IFG an die hohen Standards des UIGangepasst wird, dann hat sie auch die volle Unterstützung des SSW. Allerdings haben diebisherigen Erfahrungen gezeigt, dass es eher um Verschlechterungen geht. Die Praxis belegt,dass der bürokratische Aufwand gering ist – im Verhältnis zum demokratischen Gewinn allemal. 6Deshalb möchte ich davor warnen, dieses Wahrzeichen eines modernen Staates und einermodernen Verwaltung wieder zu opfern.Trotzdem bleibe ich dabei: Für die Bürgerrechte ist dieser Koalitionsvertrag in weiten Teilen einFortschritt, den wir uneingeschränkt begrüßen. In einer Reihe anderer wichtiger Fragen wirddieses Bündnis unser Land aber nicht voranbringen. Besonders bitter ist der Kompromiss in derBildungspolitik. Als Zukunft gilt nun eine Gemeinschaftsregionalschule, die an der frühenSortierung der Kinder festhält und deren Gemeinschaftsschulteil durch äußere Differenzierungausgehöhlt wird. Möglicherweise kehrt sogar die Realschule als Untote zurück. Diese Lösung, aneiner halbfertigen Schulreform festzuhalten und möglicherweise noch ein wenig Altes zurück-zuholen, mag Konflikte in der CDU und der FDP befrieden. Für die Schulkinder und ihre Eltern istdies eindeutig die falsche Richtung - für den Landesrechnungshof im Übrigen auch.Eine ähnliche Verflüchtigung der Verantwortung finden wir auch in der Hochschulpolitik. Hierund da wird ein bisschen rumgeschraubt, das grundlegende Problem der fehlenden finanziellenAusstattung wird aber großzügig ignoriert. Umso mehr sehen wir der weiteren Übertragung vonVerantwortung an die Hochschulen mit Skepsis entgegen. Eine Stärkung der Autonomie derHochschulen kann von Vorteil sein. Die Beseitigung der Probleme mit der Bologna-Reform istaus unserer Sicht vor allem die Aufgabe der einzelnen Hochschulen. Darüber hinaus besteht aberdie Gefahr, dass das Land die Probleme auf die Hochschulen abwälzt und sich zurücklehnt.Stärkung der Autonomie muss heißen, dass das Land zunächst seine Verpflichtung erfüllt, guteRahmenbedingungen zu schaffen – und dann haben die Hochschulen die Verantwortung, diesemit guter Lehre und Forschung auszufüllen. Der SSW erwartet weiterhin, dass die Landes-regierung den Hochschulstandort Flensburg stärkt, die Universität Flensburg nicht zu einer ver-kappten Pädagogischen Hochschule zurückentwickelt und ihre Selbständigkeit nicht antastet.In der Minderheitenpolitik haben wir heute immerhin ein Stück Klarheit bekommen. 2005 hatsich der Ministerpräsident entschieden, die Kulturpolitik in der Staatskanzlei anzusiedeln unddie neue Stelle der Kulturbeauftragten mit der Stelle der Minderheitenbeauftragten bei einer 7Person zu bündeln. Diese Struktur wird jetzt wieder in Frage gestellt. Es gibt gute Gründe dafür,die Kultur mit dem Bildungsministerium wiederzuvereinigen. Wer das Ohr an die Kulturwirt-schaft in Schleswig-Holstein legt, weiß, dass sie nicht unbedingt besser schläft, seitdem dieKultur „Chefsache“ ist. Für die Minderheiten ist es aber entscheidend, dass die Minderheiten-politik nicht vom Tisch des Chefs fernrückt. Minderheitenpolitik ist in Schleswig-Holstein immereine partei- und ressortübergreifende Politik gewesen. Deshalb begrüßen wir, dass der Minister-präsident weiterhin zuständig sein wird - und deshalb muss die Stelle der Minderheiten-beauftragten auch in der Staatskanzlei bleiben.Für den SSW steht die Gleichstellung der Minderheiten auch in dieser Wahlperiode ganz obenauf unserer Agenda. Wir haben in den letzten Jahren einiges erreicht. Unsere Kinder und Erwach-senen erhalten von ihrem Land aber immer noch nicht dasselbe, wie ihre Gleichaltrigen in derMehrheitsbevölkerung. Deshalb können wir nur davor warnen, hier wieder den Rotstift anzu-setzen. Der SSW akzeptiert, dass die Lage des Landes so kritisch ist, dass es in den kommendenJahren wenig Spielraum für eine weitere Annäherung an die Gleichstellung gibt. Wir werdenaber keine Rückschritte akzeptieren. Wenn wir gleich gestellt sind, werden wir selbstverständlichauch solidarisch finanzielle Opfer erbringen, wie der Rest der Bevölkerung. Aber solange dies inzentralen Bereichen nicht der Fall ist, werden wir das Ziel der Gleichstellung weiter verfechten.Minderheitenpolitik ist aber mehr als Finanzpolitik und deshalb kann die schlechte Haushalts-lage nicht als Entschuldigung dafür dienen, in diesem Bereich jetzt den Stillstand zu üben. DerSSW wird in dieser Wahlperiode Vorschläge für eine Sprachenpolitik des Landes unterbreiten, dienicht nur den kulturellen Reichtum unseres Landes herausstellt, sondern auch den StandortSchleswig-Holstein international profilieren und stärken kann. Wir hoffen dabei auf offeneOhren und tatkräftige Unterstützung durch die Landesregierung.Stillstand können wir uns ebenso wenig leisten, wenn es um die Fortentwicklung der grenzüber-schreitenden Zusammenarbeit mit unseren dänischen Nachbarn geht. Ich möchte ausdrücklichanerkennen, dass Ministerpräsident Carstensen in dieser Frage wesentlich mehr geleistet hat, 8als seine sozialdemokratische Vorgängerin. Allerdings müssen wir auch erkennen, dass dieneuen Jahrespläne im Jahrestakt nicht erfüllt werden. Die Hauptschuld hierfür trägt die Landes-regierung, die gern Pläne schmiedet, aber die Umsetzung auf andere Ebenen abwälzt und sichvor der Finanzierung der konkreten Projekte drückt. Die Zusammenarbeit mit unseren dänischenNachbarn ist die entscheidende strategische Perspektive, um Wachstum und Arbeitsplätze imNorden zu schaffen. Deshalb muss die Landesregierung endlich Butter bei die Fische tun.Eine Voraussetzung für die grenzüberschreitende Entwicklung ist, dass die Infrastruktur stimmt.Insofern begrüßen wir, dass der Ausbau der B 5 und der Ost-West-Verbindungen auf dem Plander Koalition stehen. Große Projekte für den Norden, wie der Ausbau der A7 bis zur dänischenGrenze oder die Erneuerung der Rendsburger Hochbrücke werden aber nicht erwähnt. Es ist ganzoffensichtlich, dass die Feste Fehmarnbeltquerung im Zentrum der Verkehrspolitik steht und fürlange Zeit die Aufmerksamkeit und die Gelder in den Südosten des Landes lenken wird.Dies lässt sich auch nicht dadurch beheben, dass beim Straßenbau nun die Öffentlich-Private-Partnerschaft forciert wird. Der Fall L192 hat ja gezeigt, dass selbst der Landesrechnungshofeinen wirtschaftlichen Gewinn durch ÖPP nicht klar belegen kann. Trotzdem habe ich keineZweifel, dass in den kommenden Jahren die Privatisierungsprojekte aus dem Boden schießenwerden wie die Pilze. Die große Vorliebe von CDU und FDP für Privatisierungen ist weder rationalnoch empirisch, sondern ideologisch begründet – und sie ist überholt. Die Privatisierung vonöffentlichen Aufgaben ist eine Lösung der 80er und 90er Jahre; die Praxis hat längst bewiesen,dass sie alles andere als ein Allheilmittel ist. Die Vorteile haben nicht zuerst die Bürger, sonderndie Unternehmer, die damit Profit generieren. Die Politik gibt ihre Steuerungsmöglichkeiten fürelementare öffentliche Aufgaben ab, trägt aber weiterhin die Risiken. Das ist ein Holzweg.Von einem anderen Holzweg sind wir glücklicherweise abgekommen. Das Ergebnis der Land-tagswahl hat sehr deutlich gemacht, dass die Menschen kein CO2-Endlager wollen. Sie wollen esnicht hier und sie wollen es nicht anderswo in Deutschland. Gerade weil wir in Schleswig-Hol-stein uns so intensiv mit dieser Frage auseinander gesetzt haben, hat unsere Landesregierung 9nun eine besondere Verpflichtung dafür zu kämpfen, dass in ganz Deutschland die unterirdischeCO2-Endlagerung verboten wird. Denn es geht nicht um Verhinderungspolitik nach dem St.Florians-Prinzip. Die protestierenden Bürgerinnen und Bürger sind Mitstreiter für eine moderneEnergiepolitik – sie sind nicht nur gegen die Verlängerung der Kohlekraft, sondern für dieAusweitung neuer Energieformen. Die Kreativität und das Engagement dieser Menschen sindein Gewinn für unser Land. Die Bürgerbewegung könnte das Fundament für eine VorreiterrolleSchleswig-Holsteins in der Energie- und Klimapolitik sein. Aber die schwarz-gelben Koalition hatalles andere als ein Aufbruch in diesem Bereich vor. Zum Klimaschutz fällt CDU und FDP nur ein,dass der Aktionsplan Klimaschutz weitergeführt wird und dass eine Modellregion zur dezentra-len Energieversorgung gefördert werden soll. Wer sich im Jahr 2009 Koalition des Aufbruchsnennt, und dürre drei Sätze zur Klimapolitik findet, hat entweder die Zeichen der Zeit verpenntoder gibt andere Interessen den Vorrang.Aber nicht nur in der Energiepolitik, auch im Umweltbereich werden CDU und FDP in der Praxisihrem Image als Parteien gerecht werden, die im Zweifel wirtschaftliche Interessen bevorzugtbedienen. Wir hören zwar die weihevollen Worte des Ministerpräsidenten zur Bewahrung derSchöpfung und auch die entsprechenden Passagen im Koalitionsvertrag klingen wohlfeil. Allein,angesichts der bisherigen Erfahrungen und angesichts des Mangels an konkreten Zielen fehltuns der Glaube. Der jüngste Bericht zum Artensterben hat deutlich gemacht, dass dringendgehandelt werden muss. Unser Vertrauen in die Umsetzung dessen, was wir gerade gehörthaben, ist aber noch schwächer als die Population der Feldhamster in Schleswig-Holstein.Eine andere Frage der Gewichtung bereitet mir bei dieser Koalition besonders große Sorgen. InZukunft soll nur noch das finanziert werden, was dem Land und der Wirtschaft nachhaltig nützt,wie der Ministerpräsident es vor den Wirtschaftsvertretern in Berlin formulierte. Heute habenwir gehört: Die wesentlichen Prioritäten liegen bei Bildung und Wirtschaftsförderung, allesandere steht zur Disposition. Wir stimmen vollkommen darin überein, dass Bildung, Arbeits-plätze und Wachstum die zentralen Zukunftsthemen sind. Das heißt aber nicht, dass man allesandere vernachlässigen kann. Der Koalitionsvertrag und die Regierungserklärung erwecken den 10Eindruck, dass die Koalition man wirtschaftspolitische Konzept der „Leuchtturmprojekte“ auf diegesamte Gesellschaft übertragen kann. Dass man sich voll und ganz auf einige wenige Bereichekonzentrieren, den Rest liegen lassen kann und so allen hilft. Dabei wird mutwillig übersehen,dass wir auch Menschen in unserem Land haben, denen nicht durch Bildung und Wirtschafts-förderung geholfen ist. Peter Harry Carstensen ist nicht nur der Ministerpräsident der Wirtschaftin Schleswig-Holstein. Peter Harry Carstensen ist auch der Ministerpräsident jener Menschen, dienicht mehr die Chance haben, eine gute grundständige Bildung zu bekommen oder einenauskömmlichen Arbeitsplatz zu finden. Peter Harry Carstensen ist auch Landesvater der HIV-Positiven, der Obdachlosen, der Drogenabhängigen oder der psychisch Kranken, um nur einigeder Schwächsten in unserer Gemeinschaft zu nennen. Sie haben nichts davon, dass die CDU unddie FDP dafür kämpfen, dass sie „in Freiheit und Eigenverantwortung ohne Bevormundung lebenkönnen“. Sie brauchen unsere Solidarität und Unterstützung.Eine „Sozialpolitik der Chancen“, durch Bildung und durch mehr Arbeitsplätze Perspektiven undsoziale Aufstiegsmöglichkeiten eröffnet, erreicht nicht alle Menschen, die Hilfe benötigen.Deshalb muss es auch weiterhin eine Politik geben, die sich um die anderen in unserer Gemein-schaft kümmert. Alles andere wäre unsolidarisch. Ebenso wie es auch extrem unsozial wäre, diesozialen Hilfen, die in unserem Land nun einmal vielfach von Dritten erbracht werden, durchProjektförderung auf ein wackeliges, unstetes Fundament zu stellen oder gar der Selbsthilfe zuüberlassen. Viele der vom Land geförderten Angebote, die jetzt in Frage gestellt werden,brauchen wir dauerhaft. Deshalb bereitet es uns allergrößte Sorgen, wenn der Ministerpräsidentden Unternehmern verspricht, außer dem, was sie brauchen, würde alles andere auf denPrüfstand gestellt. Das nährt unsere Befürchtung, dass Schwarz-Gelb in Ermangelung einesKonzepts zu Kürzungen mit dem Rasenmäher quer durch Gesellschaft und soziale Hilfen ansetzt.Ich bin mir sicher, dass eine solche soziale Kälte den Urhebern derart eisig zurück ins Gesichtwehen wird, dass auch die Koalition brüchig wird. Wir werden auf jeden Fall unseres dafür tunund ich bin mir sicher, dass wir in der Opposition engagierte Mitstreiter finden. 11Liebe Kolleginnen und Kollegen!Angesichts der verkorksten letzten Wahlperiode hätte diese Koalitionsbildung, dieser Koalitions-vertrag und diese Regierungserklärung eigentlich ein fulminanter Neustart werden müssen.Dass dem nicht so ist, liegt vor allem an den Altlasten der CDU. Die Probleme der Großen Koa-lition waren eben nicht nur die Probleme der Union mit der SPD und ihrem Landesvorsitzenden.Den heutigen Versuch Peter Harry Carstensens, sich selbst als Turbo und Ralf Stegner als Bremsedarzustellen kauft ihm niemand ab. Die CDU hat seit 2005 ebenso versagt und dafür bei derLandtagswahl auch die Quittung bekommen. Der Ministerpräsident und seine Mannschafttragen eine große Verantwortung für das Scheitern seiner ersten Regierung. Die Unfähigkeit,dieses aufzuarbeiten und die Konsequenzen daraus zu ziehen, hat die Flitterwochen von CDUund FDP zu einem eher unspektakulären Ereignis gemacht, das nicht nur politisch sondern auchpersonell nichts mit der versprochenen „Koalition des Aufbruchs“ zu tun hat. Gerade weil PeterHarry Carstensen ein ziemlich unpolitischer Ministerpräsident ist, braucht er eine starke Mann-schaft, die das regelt, was er nicht kann. Die hatte er in den vergangenen Jahren nicht und einNeuanfang wäre am Platz gewesen. Aber die Erneuerung, die sich sicher auch viele in der CDUgewünscht hätten, bleibt aus. Die neuen politischen Impulse und die neuen Köpfe kommennahezu ausschließlich von der FDP. Und erst nach langem Hickhack und öffentlichem Druckgelang es der Koalition, noch eine einzige Ministerin zu finden. Das ist und bleibt einArmutszeugnis sondergleichen.Vieles wird davon abhängen, ob die CDU es schafft, das „kulturelle Erbe“ der Großen Koalitionabzustreifen. Wenn die Arroganz der Macht weiterhin waltet, wird es schwierig. Wenn dieseLandesregierung es lernt, die Opposition ernst zu nehmen und einen starken Landtag als Berei-cherung zu sehen, dann hat dieses Bündnis aber durchaus eine Chance, neue Wege zu gehenund auch jenseits der Koalition sachbezogen für Mehrheiten zu werben. Das wäre wirklichmutig. Der SSW steht für eine solche konstruktive Zusammenarbeit von Fall zu Fall bereit. Wirwerden kritische Oppositionsarbeit leisten, aber uns nicht verschließen. Wir werden zuhörenund unsere eigenen Argumente vortragen. Wenn diese gehört werden, werden wir auch Ent- 12scheidungen der Mehrheit mit unseren Stimmen mit tragen. Das ist gute SSW-Tradition und dasbleibt so. In diesem Sinne hoffe ich auf eine gute Zusammenarbeit mit allen in diesem Hause.Aber erst einmal muss die Koalition den Beweis antreten, dass sie all das in überzeugendeKonzepte gießen kann, was der Ministerpräsident heute angekündigt und versprochen hat.Wenn der Alltag beginnt und die verdrängten Konflikte zu Tage treten wird sich zeigen, ob beidePartner wirklich dasselbe gemeint haben, als sie in Sektlaune den Koalitionsvertrag verfassten.Die gemeinsame Regierungsgrundlage ist in den entscheidenden Konfliktthemen vage undohne politischen Tiefgang formuliert. Nur so war eine schnelle Einigung möglich.Der Konflikt über die Deutungshoheit des Koalitionsvertrags, der in Berlin schon zwischen derCDU und der FDP entbrannt ist, steht uns noch bevor. Auch in Schleswig-Holstein bleibt dieKoalition den Nachweis schuldig, dass sie sich in den wichtigen Zukunftsthemen wirklich aufkonkrete Konzepte und Maßnahmen verständigen kann. Dass CDU und FDP damit seit derVerabschiedung des Koalitionsvertrages keinen Millimeter weiter gekommen sind , hat dieRegierungserklärung Peter Harry Carstensens jedenfalls heute eindrucksvoll belegt.