Robert Habeck zur Regierungserklärung
PresseinformationEs gilt das gesprochene Wort! Landtagsfraktion TOP 1A – Regierungserklärung Schleswig-Holstein Pressesprecherin Dazu sagt der Vorsitzende Claudia Jacob der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 Robert Habeck: 24105 Kiel Telefon: 0431 / 988 - 1503 Fax: 0431 / 988 - 1501 Mobil: 0172 / 541 83 53 presse@gruene.ltsh.de Je weniger man zu sagen hat, www.sh.gruene-fraktion.de Nr. 508.09 / 18.11.2009 desto länger braucht man dafürSehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Mi- nisterpräsident,Ich freue mich, dass Sie den Klimaschutz erwähnten. In ihrem Koalitionsvertrag wurde „Klimapolitik“ ja noch mit „Investitionsklima“ gleichgesetzt.Doch dass wir zum Umstieg auf erneuerbare Energien Kohlekraftwerke benötigen, ist so wenig wahr wie die Behauptung, dass Atomkraftwerke CO2-frei sind. Genau das Gegenteil ist der Fall. Bei der Urananreicherung und der Endlagerung entsteht eine Unmenge davon. 126 g CO2 setzt ein AKW für jede Kilowattstunde frei, mehr noch als ein Gaskraftwerk, wenn man die Abwärme nutzt, und fünfmal so viel, wie eine Kilowatt- stunde Windstrom. „Atomstrom ist Ökoenergie“ – das ist faktisch falsch.Atomstrom ist auch nicht billig, wie sie sagten. Die Subventionen für AKWs belaufen sich auf eine astronomische Summe von 100 Milliarden Euro. Und sie sind die reinsten Gelddruckmaschinen für die Großkonzerne. Eine Million Euro Gewinn wirft ein abge- schriebenes AKW ab – pro Tag. Da nützt es gar nichts, die Vorrangflächen für Wind- energie auszuweisen, denn die Großkonzerne verhindern schon jetzt den Netzausbau. Und die Erzman-Zwei Regelung sorgt dafür, dass die Windanlagen sich gegenseitig kannibalisieren.Wir brauchen ein Erdkabelgesetz und Speichermöglichkeiten, vom Viking-Cable nach Norwegen über Pumpspeicherwerke hier im Land, und wir brauchen den Ausstieg aus Kohle- und Atom, wenn nicht aus ökologischer Erkenntnis, dann doch aus ökonomi- scher. Die Alternative heißt: kommunale Wertschöpfung vor Ort oder Dividendensteige- rungen in München – und Sie entscheiden sich für München.Erneuerbare Energien und Großkraftwerkstechnologien passen nicht zusammen, auch technisch nicht, es sind keine parallelen Pfade, die sich irgendwie ergänzen, wie Sie uns einreden wollen. Das ist eine Sackgasse und es ist Zeit, dass wir sie verlassen. Seite 1 von 9 Wirtschaftspolitisch ist dieser Aufbruch in Wahrheit ein Steckenbleiben im Sumpf aus Vorurteilen und Idiologismen. Sie rühren hier den gleichen alten Brei aus Beton und As- phalt an, der angeblich neue Arbeitsplätze schafft. Tut er vielleicht auch – in Malmö und Hamburg, in Kopenhagen und Cuxhaven. Statt Schleswig-Holstein zum Transitland zu machen, wäre es an der Zeit gewesen, endlich die Binnen-Strukturen hier im Land in Ordnung zu bringen. Kluge Wirtschaftspolitik, die auf der Höhe der Zeit ist, investiert in Klimaschutz, Bildung und Gerechtigkeit. Und nicht in Beton, Benzin und Lohndumping. Ihre Politik als „ökologische“ zu bezeichnen, ist reines Etikettenkleben.Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben jetzt drei Regierungserklärungen gehört – Carstensen, von Boetticher, Kubicki – drei Anläufe, zu erklären, was die Landesregie- rung eigentlich will. Und je länger das alles dauerte, desto größer sind meine Zweifel geworden, dass sie es überhaupt selbst weiß. Drei Ankündigungsreden, zweieinhalb Stunden ohne inhaltliche Festlegung. Konkret ist diese Regierung nur darin, Standards zu senken - getarnt unter den Modeworten Freiheit und Eigenverantwortung und dem Verweis auf die Familie. Das aber, meine Herren, ist billig, das ist destruktiv und es ist kurzfristig. Glauben Sie wirklich, dass Sie den Haushalt sanieren, indem sie den Um- welt-, Sport-, und Sozialverbänden die Mittel kürzen oder sie zu Bettlern degradieren?Ist das Ihr „näher am Menschen“? Jetzt verstehe ich, wieso der Verdienstorden ange- schafft wurde – weil man symbolische statt materielle Förderung betreiben will. Ein Or- den hier und einen Strauß roter Nelken da. Dafür kulturelles Hungerleiden und ge- schlossene Bildungseinrichtungen. Na, schönen Dank, Genosse Carstensen.Jedes Jahr werden Vereine und Verbände nun einen neuen Antrag stellen müssen, wenn Sie ihre „Umstellung auf Projektförderung“ durchziehen. Das ist der sicherste Weg, Bürokratie aufzublähen. Es ist die Uneinsichtigkeit im Kleinen, in das, was uns die Finanzkrise im Großen gezeigt hat: Ein Weniger an Standards ist eben nicht automa- tisch ein Mehr an Ertrag. Und so atmet diese ganze Regierungserklärung, dieser Koali- tionsvertrag, diese ganze Debatte den Muff der Vergangenheit.Die gleiche Regierungserklärung, ja, den gleichen Koalitionsvertrag, den hätten Sie auch, sagen wir 1986 oder 1997 halten und schließen können. Und wie in der Endpha- se der Kohl-Regierung gilt für diese Regierung offensichtlich: Je weniger sie zu sagen hat, desto länger braucht sie dafür.Was wir bislang hörten, waren 1:1 die Satzbausteine der letzten Jahre. Gesagt wurde, was immer gesagt wurde – auch übrigens im Bündnis mit der SPD – für diesen Auf- schlag hätten sie die Koalition jedenfalls nicht brechen müssen.Nur das Beteuern, wie gut Sie und die FDP-Männer sich verstehen und wie nett sie zu einander sind, das ist neu. Das ist natürlich angenehm. Aber es ist auch genau das Problem: es ist nämlich erneut der Rückzug ins Private und somit Spiegelbild einer ü- berkommenden Politik, die darauf verzichtet, organisierend und strukturierend ein- zugreifen. Diese Regierungserklärung ist eine Aneinanderreihung von lauter Kleinklein, immer nur das Rumschrauben an den kleinen Rädern, nie der Versuch, einmal ein gro- ßes Rad zu drehen. Nur eines muss ich zugeben, es bedarf tatsächlich einigen Mutes, dies heute hier als großen Wurf vorzustellen.Herr Ministerpräsident, ich gebe Ihnen Recht, wir brauchen einen Aufbruch – nur leider sehe ich ihn nicht. Und ich habe den Koalitionsvertrag gelesen: Kein Aufbruch – nir- gends. Der Aufbruch wurde offensichtlich nicht verhandelt. Nur das Gerede davon. Das 2 ist im besten Fall Autosuggestion, im schlimmsten Täuschung und im allerschlimmsten Selbsttäuschung.Sehr geehrte Damen und Herren, auch wenn die Worte sich gleichen, so gibt es doch einen Unterschied zwischen dieser und der letzten Regierung. Es ist der Unterschied zwischen Verplantheit und Fadenscheinigkeit.Kern Ihrer Erklärung, ja das, woran sie gemessen werden wollen, ist die Haushaltssa- nierung. Die Ausführungen dazu machen den Kern ihrer Rede aus.Aber wie sieht die Wirklichkeit aus? „Alles kommt auf den Prüfstand“, „nur noch das wird unterstützt, was dem Land und der Wirtschaft nachhaltig nützt“, und heute: „Wir werden Verzicht üben müssen“ – und der erste Beschluss der schwarz-gelben Mehrheit ist die Renovierung der alte Betonstraße an der dänischen Grenze für 28 Millionen Eu- ro. Eine Straße, die für den Bundesgrenzschutz gebaut wurde, für eine Grenze, die längst offen ist. Wissen Sie, wie viele gleichrangige Kreuzungen die L 192 zwischen El- lund und Aventoft auf 37 km hat? Eine!Und nachher werden wir über die geplanten Landesmittel für Lübeck Blankensee debat- tieren – einen Flughafen, der noch nicht mal einen Investor hat. Gut, wenn das Land nicht einsteigt, schlecht, wenn es für Investitionen „im Rahmen geltender Richtlinien“ bereit steht – gemeint ist offensichtlich der Erlass, der Investitionen über die Sicherheit hinaus ermöglicht. Ich zitiere aus Ihrer Rede, Herr Ministerpräsident: „Nur die Investitio- nen mit bester Rendite werden wir weiter fördern“.0451 - 122 0. Das ist die Telefonnummer des Lübecker Rathauses. Rufen Sie doch mal an und fragen Sie, wie super die Rendite des Flughafens ist.Nein, Projektförderung, das ist nur ein anderes Wort für Willkür. Genau umgekehrt wird ein Schuh draus: Eine systematische Förderung erlaubte auch systematische Einspa- rungen. Aber stattdessen wird nach wie vor mit der Gießkanne durchs Land gezogen und mit dem Rasenmäher gedroht. Das aber ist nicht Regieren, das ist Schrebergärt- nern.Und weil mir Böses schwant, möchte ich gleich davor warnen, dass ihr neues Lieblings- kind, ÖPP, die Antwort auf all unsere Haushaltsprobleme sein könnte. ÖPP vertagt die Schuld doch nur auf die nachfolgende Generation. Damit lassen sich vielleicht Straßen sanieren, aber gewiss keine Haushalte.Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, ich habe eine ungefähre Ahnung davon, wie es ist, mit der SPD zu regieren und dass ausgerechnet ich mich heute vor sie stelle, ist auch bezeichnend. Aber Wahrheit muss Wahrheit bleiben. Sie zeigen auf die rot-grüne Vergangenheit. Im Bündnis mit der SPD wurden 220 Stellen im Landesdienst abgebaut. Jährlich. In der letzten Legislatur, als ein CDU-Mann, der heutige Innenminister Schlie, sich um die Sache kümmerte, waren es zwei – in vier Jahren. Sie hatten den Finanzmi- nister, stellten den Ministerpräsidenten und einen Entbürokratisierungsstaatsekretär – also, für so durchsetzungsstark gegen diese geballte Macht halte ich die SPD nicht. Im Gegenteil – ich halte das für billiges Schuldzuschieben. Und es wundert mich, dass Sie heute so offen sagen, dass Sie vier Jahre lang von den Sozis blockiert wurden. Täu- sche ich mich, oder hieß es nicht immer, das Kabinett arbeitet gut. Das heute ist entwe- der Amnesie oder Unaufrichtigkeit.Und auch dass Sie verkünden: „Wir werden bis zum Jahr 2020 10 Prozent der Stellen 3 abbauen“ und sagen „Weiter ist noch keine Landesregierung gegangen“ ist falsch. Auch das hatten Sie schon mit der SPD. Bereits im Juni wurde im Landtag ein Nachtrags- haushalt beschlossen – allerdings hat die FDP damals dagegen gestimmt. Auch lustig, an einem Tag wie diesem. Er sieht vor, Stelleneinsparungen von 10 Prozent vorzuneh- men.Dieser Haushalt und sein Beschluss sind gültig. Und wie haben Sie sich dafür gelobt. Seitdem ist viel passiert. Allein, im Finanzministerium sind die Leute doch jeden Tag zur Arbeit gegangen, oder? Und der Finanzminister ist auch noch der gleiche.Fast ein halbes Jahr später können Sie nicht erklären, wie die Beschlüsse umgesetzt werden sollen. Und das werden sie auch fürderhin nicht können. Denn sie haben sich von der FDP austricksen lassen. Über die Hälfte der angekündigten 4800 Abbaustellen ist doch durch den Koalitionsvertrag längst gebunden und vor Streichungen geschützt.Nicht, dass ich falsch verstanden werde. Auch wir haben gesagt, die so genannte de- mografische Rendite soll im Bildungssystem bleiben. Aber wir haben auch nicht so ge- tan, als würden wir alles gleichzeitig können: Netto Stellen abbauen und dabei neue Stellen schaffen. Steuern senken und Standards erhöhen. Ich erwarte von Ihnen nicht, dass sie den Bildungsbereich rasieren, ich erwarte schlicht Ehrlichkeit und Wahrhaftig- keit. Und ausnahmsweise erwarte ich das auch von Ihnen, FDP.Die FDP hat sich ja oft lustig gemacht über die so genannte Merkelsteuer – Sie erinnern sich: was kriegt man, wenn man „keine Mehrwertsteuer-Steuererhöhung (SPD), zwei Prozent (CDU)“ zusammen tut? Richtig, drei Prozent. Dass sich das nun hier wieder- holt, ist schon mehr als ironisch. Die CDU wollte 4.800 Stellen streichen, Wolfgang Ku- bicki hielt das für nicht darstellbar und konnte sich im Wahlkampf um die 800 Stellen Ersparnis vorstellen. Und wie einigt man sich? Richtig, indem man beides zusammen- panscht und 5.600 Stellen spart. Wenn das eine die Merkelsteuer war, dann ist das die Kubicki-Rechnung. Sie wird allein deshalb nicht aufgehen, weil es ja Beamtenstellen sind. Und BeamtInnen bekommen Pensionen. Sie bleiben im Haushalt.Für den Moment geschenkt. Reden wir von Wirklichkeit und Fadenscheinigkeit. Also 5.600 Stellen – ohne LehrerInnen, PolizistInnen und Justiz!Ich zitiere erneut aus Ihrer Regierungserklärung: „Neue Aufgaben können nicht on top gesetzt werden. Wer neue Aufgaben und damit zusätzliche Ausgaben will, muss künftig sagen, was dafür an anderer Stelle gespart werden soll.“ Soso.Die EU fordert eine einheitliche Anlaufstelle der Landesregierung. Sie ist mit fünf Stellen veranschlagt. Dagegen ist im Prinzip nichts zu sagen. Im Grunde sollte es stets so sein und so sahen es unsere Grünen Pläne zur Verwaltungsstrukturreform vor: Die Bürge- rInnen bekommen eine Anlaufstelle. Aber die muss doch aus dem bestehenden Perso- nal geschaffen werden. Das sind doch keine neuen Stellen. Wo Beratung gebündelt wird, muss sie doch andernorts wegfallen. Diese Stellen sind doch alternativ statt addi- tiv.Welche Stellen sollen wo wegfallen? Schweigen dazu im Finanzministerium. 5.600 an- kündigen und wenn es darum geht, fünf zu streichen, keinen Plan haben: Das ist ganz große Politik!Die 20.000 Stellen, Herr Ministerpräsident, die bis 2020 wegfallen, sind erstmal nur 4 19.500. Und ich habe Herrn Staatssekretär Bastian im Finanzausschuss so verstanden, dass erstmal Sorgfalt vor Schnelligkeit gehen soll und 2010 gar nichts passiert.Dann schließen Sie das Jahr 2010 mit ein, mit insgesamt 625 Stellen. Von den verblei- benden 18.900 sind 6600 in der Landesverwaltung und den Ministerien. Der Rest steckt in Polizei, Justiz und Schulen. Wie bitte soll denn diese Rechnung aufgehen? Wie bitte wollen Sie 5600 von 6600 abbauen? Die Rechnung kann gar nicht aufgehen. Statt hier aber die Karten auf den Tisch zu legen, immer wieder nur die Ankündigungsrhetorik, dass es nun bald ganz ernst wird. Das ist wie wenn einer Diät machen will. Wann soll es los gehen? Ab morgen!Können Sie mir erklären, Herr Minister Klug, wieso ein Kulturminister eine Kulturbeauf- tragte braucht? Ich finde es richtig, dass die Kulturabteilung wieder ins Bildungsministe- rium geht, ja, das wäre ein Beispiel für Aufgabenkritik. Es wäre die Chance für Stellen- abbau. Stattdessen verdoppeln Sie Strukturen.Anderes Beispiel: Der schon längst eingesparte Posten des Leiters der Landesvertre- tung – jetzt gibt es ihn wieder, besetzt von einem FDP-Mann. Gönn´ ich ihm persönlich. Aber politisch ist es geradezu dreist. Es gibt neuerdings einen Mittelstandsbeauftragten und einen Integrationsbeauftragten. Dabei klingen mir noch die neoliberalen Worte vom „Beauftragtenunwesen“ im Ohr. Alles Schnee von gestern, wenn es darum geht, die ei- genen Leute unterzubringen.FDP und CDU, Sie haben die Regierung zu einer Versorgungsanstalt gemacht! Was muss man eigentlich anstellen, um nicht Minister in ihrem Kabinett werden zu dürfen, Herr Ministerpräsident? Die einzigen, die vor die Tür gesetzt wurden und für die es kei- ne Gnade und Posten gibt, sind die Frauen.Zitat: „Es gibt immer noch viele Felder, auf denen Frauen in unserem Land im Nachteil sind“. Das ist bitter, CDU. Bitterer aber noch, FDP, ist es, wenn man gar keine findet. Und dass es im letzten Kabinett eine Frau weniger gab als in diesem, zählt man die Staatssekretärinnen mit, lag – das ist mal sicher – nicht an der SPD, Herr Carstensen. Eine Petitesse? Nur Gedöns und Gendergequatsche? Weit gefehlt. Ihnen fehlt neben einer grundsätzlichen Sensibilität für Gerechtigkeit ein modernes Verständnis von Ge- sellschaft. Ihnen fehlen damit die Strategien für die wahren Herausforderungen der Ge- genwart.Aufgabenkritik bedeutet, keine Angst vor Reformen der Verwaltung zu haben, auch nicht vor Strukturveränderungen – und deshalb braucht es eine Verwaltungs- Strukturreform. Das wäre schon die Aufgabe der letzten Regierung gewesen.Und jetzt verrate ich Ihnen, wieso sie gescheitert ist. Ihr Problem waren nämlich nicht persönliche Unverträglichkeiten. Sie hatten ein Erkenntnisproblem: Die CDU hätte sich mit ihren Lobbys, den Landräten anlegen müssen. Und die Sozis sich mit der Ministeri- albürokratie, die sie ja aufgebaut hat. Ein Sozialdemokrat hätte Finanzminister werden müssen und ein CDUler Innenminister. Sie haben es genau anders rum gemacht und sind in lächerlicher Parteilichkeit untergegangen. Das Unfassbare ist, dass Sie von der CDU daraus nichts gelernt haben. Im Gegenteil.Ich wundere mich tatsächlich, dass die CDU sich in den Koalitionsverhandlungen so von der FDP hat übertölpeln lassen. Polizei, Justiz und Bildung – ihre Lobbygruppen – zieht die FDP vor die Klammer und ruft jetzt: „Stellenabbau, daran soll man uns mes- sen“ – und zeigt mit dem Finger auf Sie, die Herren Schlie und Wiegard und Carsten- 5 sen, ohne dafür auch nur einen Deut Verantwortung zu übernehmen – und als wäre es nicht schlimm genug, hetzten sie in Berlin gleichzeitig für Steuersenkungen, die dem Land endgültig den Garaus machen.Noch vor wenigen Monaten, Herr Carstensen, als es darum ging, einen Grund für Neu- wahlen zu finden, wollten Sie die SPD aus der Regierung werfen, weil sie sich angeb- lich weigerte, Sparbemühungen bis zu 600 Millionen Euro zu unterschreiben – jetzt weigert sich der Finanzminister trotz wiederholter Mahnungen unsererseits, wenigstens eine mittelfristige Finanzplanung vorzulegen und missachtet damit einmal mehr die Be- schlüsse dieses Parlaments. Keineswegs nämlich sind diese der Diskontinuität verfallen – dafür umso mehr ihrer Hilflosigkeit. Wo sind denn die angeblich vorhandenen Pläne für dreistellige Einsparungen? Hat Sie schon einmal jemand gesehen? Offensichtlich war das alles Taktik.Aber erst heute habe ich die Taktik richtig verstanden. Sie geben als Begründung für die Nicht-Erstellung einer mittelfristigen Finanzplanung an, dass man erst die Rahmen- bedingungen des Bundes für die langfristige Finanzplanung kennen muss. Letzteres ist zugegeben. Aber das rechtfertigt überhaupt nicht, ersteres nicht zu tun. Das macht nur Sinn, wenn man bereits jetzt den geordneten Rückzug vorbereitet.Ich sagen Ihnen, wie es enden wird: Im nächsten Herbst werden Sie sagen, wir hätten das geschafft, aber der Bund hat die Rahmenbedingungen so verschlechtert, dass jetzt leider alles vergebens ist. Und es gibt keine Mittelfristige, damit keiner nachprüfen kann, ob das stimmt. Und gleichzeitig werden Sie einen tollen Beschluss fassen, wie das Land ab 2014 konsolidiert werden kann.Ein Konzept, das wieder alles vertagt, aber ab 2014 dann 1.000 Stellen pro Jahr ein- sparen soll, das braucht kein Mensch. Ich weiß nämlich nicht, was Sie 2014 vorhaben. Aber wir werden dann ein Land regieren.Was Wolfgang Kubicki hier eben gerade geboten hat, war faktisch die Rücknahme all seiner Wahlkampfversprechen. Keine Steuersenkungen, keine Entlastungen und, was die FDP in Schleswig-Holstein angeht, auch keine Verteidigung des Atomausstiegs. Da- für Nuscheligkeit und Regierungsbeliebigkeit. Sie, Herr Kubicki haben im Wahlkampf al- len alles versprochen und müssen jetzt die Trümmer wieder einsammeln.Sie waren über 15 Jahre ein passabler Oppositionslautsprecher – als Pressesprecher von Garg und Klug taugen sie schlecht. Gefühlte hundertvierzig Jahre haben Sie dem Landesrechnungshof zum Leumund ihrer Argumentation gemacht, kaum kritisiert er ei- nen der Ihren, hat er plötzlich keine Ahnung.Da sagt der Landesrechnungshof, dass die Gemeinschaftsschulen Oberstufenzentren brauchen und der Bildungsminister verweigert sich mit den Worten, die würden ja die Gymnasien gefährden. Ja, was ist denn das für eine Begründung? Das ist doch nicht li- beral. Das ist doch zynisch. Es mag gute oder schlechte Argumente in der Bildungspoli- tik geben und mit ihnen kann man sich auseinander setzen, aber taktische Argumente, die sind das allerletzte. Sie verhöhnen all die Kinder, Eltern und Lehrer, die sich auf ei- nen neuen Weg machen, die vielleicht ein bisschen länger oder anders lernen wollen als nach Norm. Eine solche Logik ist verächtlich und ungehörig.Die FDP hat sich in der Opposition in einer Haltung eingerichtet, die wir bei uns „Fundi“ nennen. Da waren nur vollmundige Versprechen und jetzt haben Sie ein richtig fettes Glaubwürdigkeitsproblem. Hier im Land gefallen Sie, Herr Carstensen und Sie, Herr 6 Kubicki, sich in der Rolle des Robin Hoods. Aber in Wahrheit sind Sie Prinz John und der Sheriff von Nottingham, dessen Leute das Land plündern.Es sind doch Ihre Leute in Berlin, die schleswig-holsteinischen Abgeordneten und die Delegierten, die für den Bundes-Koalitionsvertrag die Hand heben, der den Gemeinden hier das Genick bricht. Und es sind auch Ihre unhaltbaren Versprechungen, in deren Windschatten das Wahlergebnis eingefahren wurde. Sie haben Westerwelles Unwahr- heiten mindestens billigend in Kauf genommen.Herr Kubicki, Ihr Wahlkampfslogan ist Vergangenheit. Imperfekt. Jetzt gilt, „wir konnten, was wir taten“. Genauer müsste es eigentlich heißen: Wir wussten, dass wir prahlten.Sie wollten die Partei der Wirtschaftskompetenz und finanziellen Solidität sein und tat- sächlich ist es ihre Partei, die das Land Schleswig-Holstein nun mit ungedeckten Schecks endgültig ruiniert.Die Zeche für solches Maulheldentum zahlen Land und Kommunen. Freibäder, Biblio- theken, Kitas, Schulen, Musikunterricht an den Volkshochschulen werden der Mär vom einfacheren und gerechteren Steuersystem geopfert. Mit der Gewerbesteuer wird die wichtigste Finanzierungsquelle der Kommunen in Frage gestellt. Sie muss nicht abge- baut, sondern zukunftsfest umgebaut werden, indem sie zu einer kommunalen Wirt- schaftssteuer weiterentwickelt wird.Ein zusätzlichen Hebesatz auf die Einkommenssteuer, wie auch angedacht, würde die BürgerInnen nur weiter belasten. Nicht mehr, sondern weniger Netto vom Brutto wären die Folge.Das gleiche gilt für die Idee, eine Kompensation durch Beteiligung der Länder an der Mehrwertsteuer zu schaffen. Deren Mittel sind doch alle gebunden. Das würde unwei- gerlich zu einer weiteren Mehrwertsteuererhöhung führen, wie sie Kollege Kubicki ja auch schon bei „Was erlauben Strunz“ angekündigt hat. Das war immerhin ehrlich, Herr Kubicki.Wieso aber nun ausgerechnet für die Gastwirte diese Steuer gesenkt wird, damit Unter- nehmer in die Hotels kommen, die die Steuer doch sowieso absetzen können, das soll mir mal einer aus der FDP erklären. Das ist doch Lobbyismus und Flickschusterei. Sol- che Wirtschaftskompetenz nenn ich Gast-Wirtschaftskompetenz.Jetzt soll es „Kompensationen“ und „fairen Ausgleich“ geben, verkünden Kubicki und Carstensen. Heute hätten Sie erklären können, was das denn für Kompensationen sein sollen? Eine weitere Betonstraße? Durch die falsche Politik in Berlin gehen dem Land und den Kommunen 130 Millionen Euro flöten und Sie reden von Kompensationen und verteilen Beruhigungspillen. Sie brechen nicht auf, sie schmeißen Sand in die Augen.Sehr geehrte Damen und Herren, Schleswig-Holstein, das war mal ein Land des politi- schen Aufbruchs, des politischen Anspruchs. Wir waren das Windland Nr 1. Hier wur- den Steuerkonzepte vorgedacht und Bildungspolitik erfunden. Eine Frau war Minister- präsidentin, Kultur wurde gelebt. Und heute: Schleswig-Holstein – Land zwischen den Affären. Driftmann und Hausmannskost. Und Dennis Snower verlegt das Global Eco- nomic Symposium, Ihr holsteinisches Davos, Herr Carstensen, nach Istanbul. Die Leuchttürme werden abgewrackt. Fehlt nur noch, dass die Weinreben am Deich nicht anwachsen. Dann wäre ihre Politik endgültig gescheitert. 7 Sehr geehrte Damen und Herren, tatsächlich wäre die aktuelle Ausgangslage für jede Regierung schwierig. Tatsächlich ist sie widersprüchlich, wenn man sie mit den Kriterien des alten Denkens versucht zu analysieren. Wir müssen investieren und sparen, wir müssen umsteuern und uns einschränken – und zwar ökologisch radikal - und gleich- zeitig müssen wir das Bruttosozialprodukt steigern, wir brauchen andere und bessere Bildung und die Schulen ächtzen unter Reformen. Das aber ist alles nicht neu. Das war bekannt. Es war sozusagen die Stellenausschreibung für die Regierung in dieser 17. Legislatur. Und wer sich für sie beworben hat, hätte doch mindestens eine Idee vom Umfang der Probleme haben müssen, ein paar Antworten in der Schublade. Unsere sind: Bildungssoli, Hochschullastenausgleich, Altschuldenfonds, Verwaltungsstrukturre- form, Green New Deal und weg Öl, Uran und Kohle.Ja, wir brauchen einen neuen Aufbruch, einen neuen demokratischen Anlauf, ein ande- res Investitionskriterium, ein anderes Nachhaltigkeitsverständnis, ja, wir brauchen auch wieder Umverteilung – sie muss zwingend mit jedem Sparbeschluss einher gehen, da- mit die Gesellschaft nicht immer weiter gespalten wird.Was wir nicht brauchen, ist eine weitere Aushöhlung des Gemeinwohls durch weitere Steuersenkungen. Ich spreche da auch selbstkritisch aus rot-grüner Erfahrung. Steuer- senkungen schaffen keinen Aufschwung. Nur Investitionen. Und die muss sich die öf- fentliche Hand leisten können.Für uns und für mich beschränkt sich Opposition in diesem Parlament, in dieser Grenz- situation des Landes Schleswig-Holstein nicht auf trotziges Nein-Sagen, sondern im Aufzeigen von alternativen Wegen. Deshalb möchte ich für meine Fraktion nochmals betonen, dass wir gern bereit sind, konstruktiv mitzuarbeiten und dass wir es mit unse- ren Anträgen heute, morgen und übermorgen tun – Anträge, die eigentlich aus Ihren Reihen hätten kommen müssen.Es ist nicht so, dass wir uns vor Verantwortung drücken. Das haben wir nie getan. Im Finanzausschuss hat Monika Heinold für uns angeboten und beantragt, dass auch die Opposition an der angekündigten Haushaltsstrukturkommission beteiligt wird. Der An- trag wurde abgelehnt – leider hat noch nicht mal die Opposition geschlossen für ihn ge- stimmt. Auch das bedrückt mich.Ich möchte dieses Angebot erneuern. Auch für andere Politikbereiche: den Ausbau der Erneuerbaren Energien, der größeren Autonomie von Schulen, Bildungsinvestitionen, richtiger Wirtschaftsförderung, Haushaltskonsolidierung, Verwaltungsstrukturreformen.Allerdings nur unter zwei Bedingungen: Erstens: Die Politik muss geleitet sein vom Bestreben, in einer auseinanderdriftenden Gesellschaft Zusammenhalt zu organisieren. Für einen Rückzug aus der Gemeinschaftsverantwortung dieser Gesellschaft werden wir nicht die Hand heben. Das Miteinander, der faire Ausgleich und die Verteilung der Lasten auf viele Schultern darf nicht der Privatisierung und Entsolidarisierung geopfert werden – und die Pläne der Landesregierung zur Teilprivatisierung des UKSH, die ÖPP-Träume oder manche Vorstellung, die hinter den Bildungsideen der FDP versteckt ist, die Kopfpauschalen in Gesundheit und Pflege – sie gehen völlig in die falsche Rich- tung. Aber ich will versöhnlich schließen: Lieber Minister Garg, beim Kampf gegen Phil- lip Rösler können Sie auf uns zählen.Zweite Bedingung für eine konstruktive Mitarbeit unsererseits ist, dass es so etwas wie ein Konzept oder einen Plan geben muss, was und wie getan werden kann – genau den vorzustellen, wäre das heute hier Ort und Zeit gewesen. Herr Carstensen, Sie haben 8 die Stunde schlecht genutzt.Die letzte Regierung endete als Bettvorleger, die neue ist als solcher gestartet. *** 9