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18.11.09
12:11 Uhr
SPD

Dr. Ralf Stegner zu TOP 1A: Gemeinwohl stärken - Zukunft sichern! Klarer Oppositionskurs gegen Mitte-Rechts-Regierung in Schleswig-Holstein

Presseinformation der SPD-Landtagsfraktion

Kiel, 18.11.2009

Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuell TOP 1 A, Regierungserklärung

Dr. Ralf Stegner:
Gemeinwohl stärken – Zukunft sichern! Klarer Oppositionskurs gegen Mitte-Rechts-Regierung in Schleswig-Holstein
Dies ist nach zwei Jahrzehnten die erste Rede eines sozialdemokratischen Oppositionsfüh- rers als Antwort auf die Regierungserklärung eines konservativen Ministerpräsidenten in Schleswig-Holstein. Opposition zu sein ist in einer Demokratie keine Schande. Im Gegenteil: Gerade in diesen Zeiten ist eine kraftvolle Opposition in diesem Lande besonders notwendig.
Regierung und Opposition haben verschiedene Rollen, aber das gleiche Ziel: Das Wohl des Landes mehren und Schaden von ihm abwenden. Wir verfolgen daher keine Sonthofen- Strategie a la Franz-Josef Strauss, sondern müssen hoffen und wünschen, dass es dieser Regierung im Interesse der Menschen dieses Landes tatsächlich gelingt, das Wohl zu meh- ren und Schaden abzuwenden.
Klar ist, wir Sozialdemokraten haben uns nicht für die Oppositionsrolle in diesem Hause be- worben, aber wir haben die Wahl verloren. Das ist für uns nach 21 Jahren Regierungsver- antwortung in Schleswig-Holstein schmerzlich und in der Dimension hart. Bitter ist dies je- doch nicht nur für die SPD, sondern auch für unser Land, weil die Zeit eigentlich nach sozi- aldemokratischen Antworten geradezu schreit.
Stattdessen regieren jetzt diejenigen unser Land in Berlin und auch hier in Schleswig- Holstein, die in den vergangenen Jahren immer wieder die sozialen Bedürfnisse der Menschen und die ökologischen Notwendigkeiten dem Primat der Ökonomie unter- geordnet haben und diese Prioritätensetzung nach wie vor richtig finden. Um diese Domi- nanz der Ökonomie von Kindesbeinen an geht es im Kern übrigens auch den jungen Men- schen, die bundesweit und heute in Kiel demonstrieren und die unsere Unterstützung in der Sache verdienen.
Mit der Parteinahme für einen immer hemmungsloseren Marktradikalismus sind die Konser- vativen und Liberalen die ideologischen Wegbereiter der gravierendsten Wirtschafts- und Finanzkrise in der Geschichte unserer Republik. Und trotzdem haben sie diese Wahlen für



Herausgeber: Landeshaus SPD-Landtagsfraktion Postfach 7121, 24171 Kiel Verantwortlich: Tel: 0431/ 988-1305/1307 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Petra Bräutigam Fax: 0431/ 988-1308 Internet: www.spd.ltsh.de -2-



sich entscheiden können. Es wäre jetzt also einfach, hier zu sagen: Nun gut, die Bürgerin- nen und Bürger werden schon sehen, was sie davon haben. Wir könnten es uns leicht ma- chen und zusehen, wie Sie mit Ihren konservativ-liberalen Vorstellungen das Land an die Wand fahren. Und die Bürgerinnen und Bürger, die schließlich schwarz-gelb im Bund mit und in Schleswig-Holstein kurioserweise ohne Stimmenmehrheit an die Regierung gebracht haben, diese Bürger werden dann schon irgendwann die Quittung dafür erteilen.
Doch wie gesagt: Eine Sonthofen-Haltung wäre verantwortungslos und gemütliche Opposi- tionsjahre sind unsere Sache nicht, meine schon gar nicht. Vor allen Dingen aber würden wir so unserer Aufgabe als verantwortungsvolle Opposition in diesem Hause nicht gerecht werden. Diese Aufgabe besteht nämlich darin, einerseits die Regierung zu kontrollieren und zu kritisieren – eine Notwendigkeit, die allerdings offenkundiger nicht sein könnte. Dieses wollen wir konstruktiv, ohne Oppositionsklamauk und vor allem ohne abenteuerliche Ver- sprechungen tun – denn die 14,9 %, die sich damit erreichen lassen, reichen mir nicht. An- dererseits müssen und werden wir im Interesse unseres Landes seriöse Alternativen zur Regierungspolitik formulieren, um mit eigenen Konzepten Perspektiven für die Zu- kunft zu schaffen. Es ist wichtig für unsere Demokratie, dass glaubwürdige Alternativen er- kennbar sind, die zu oft proklamierte, angeblich alternativlose Politik führt doch erst zu Poli- tik- und Demokratiemüdigkeit.
Unabhängig davon will ich am Anfang selbstkritisch feststellen, dass trotz aller Zustimmung in der Bevölkerung zu unseren sozialdemokratischen Positionen bei Mindestlöhnen, beim Atomausstieg, bei mehr Bildungsgerechtigkeit oder für eine gerechte Steuerpolitik wir trotz- dem nicht gewählt worden sind, weil unsere sozialdemokratischen Antworten offenkundig nicht als glaubwürdig angesehen worden sind. Denn in unserer Regierungszeit hat trotz al- ler guten Absichten die Armut eben doch zugenommen, sind bei aller grundsätzlichen Richtigkeit der Weichenstellung rot-grüner Sozialreformen, wie der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, prekäre Beschäftigungsverhältnisse über die Maße ge- wachsen, ist die soziale Spaltung vertieft worden, haben die Abstiegsängste vieler Men- schen vor Arbeitsplatzverlust und Lebensstandardeinbußen im Alter zugenommen und ist die finanzielle Notlage von Bund, Ländern und Kommunen offenkundig.
Für all das gibt es vielfältige Gründe, die sicher nicht allein im Versagen der Sozialdemokra- tie liegen und die gewiss auch nicht primär in Schleswig-Holstein zu suchen sind – aber wir tragen dafür die politische Mitverantwortung. Daran gibt es nichts zu deuteln und das will ich deswegen hier auch gar nicht versuchen. Dies verbietet auch der Respekt vor der demokra- tischen Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger.
Wir werden aus dieser Niederlage lernen, nicht nur die Absicht, sondern auch die prakti- schen Wirkungen von Politik umfassender als bisher zu bedenken. Wir werden unsere Feh- ler analysieren und korrigieren.
Was sich nicht ändern wird, ist unsere Grundüberzeugung, dass Gerechtigkeit in all ihren Dimensionen, von der Chancengerechtigkeit über die Verteilungsgerechtigkeit bis zur -3-



Geschlechtergerechtigkeit und Generationengerechtigkeit Maßstab und Kompass für die Politik bleiben oder besser gesagt: stärker wieder werden muss – objektiv und im sub- jektiven Urteil der Bürger unseres Landes.
Was sich nicht ändern wird, ist unsere Grundüberzeugung, dass sich nur die Reichen einen schwachen Staat leisten können. Alle anderen brauchen einen handlungsfähigen und leis- tungsstarken Staat.
Was sich nicht ändern wird, ist unsere Grundüberzeugung, dass moderne Politik die öko- nomischen Konsequenzen des Klimawandels nicht verweigern darf und dass hier außerdem eine riesige Chance für gutes Wachstum und Arbeitsplätze in Schleswig-Holstein liegt.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir diese Krise nur durch ein Mehr an Gerechtigkeit, ein Mehr an Solidarität und ein Mehr an Nachhaltigkeit zum Wohle unseres Landes lö- sen können. Nur wenn wir das Gemeinwohl stärken, werden wir die Zukunft unseres schönen Landes Schleswig-Holstein sichern.
Wir werden also die nötigen sozialdemokratischen Antworten wieder geben, werden sie ein- fordern und ich bin sicher, dass die Regierung es schwer haben wird, auf Dauer ihre offen- kundige Klientelpolitik gegen die Mehrheit der Bevölkerung durchzuhalten. Die SPD ver- mochte es leider am Ende nicht, sich dem neoliberalen Mainstream des letzten Jahrzehnts zu entziehen – auch wenn dies in Schleswig-Holstein weniger ausgeprägt war. Das bleibt für mich unser schwerster Fehler der Vergangenheit. Genauso wenig wird es das Bündnis aus Konservativen und Egoisten schaffen, sich auf Dauer dem sozialdemokratischen Mainstream der kommenden Jahre zu entziehen. Verbal und mit ein bisschen Symbolpolitik hier und da betätigen Sie sich ja schon quasi als Produktpiraten, wenn auch nur scheinbar und gegen Ihre Überzeugung. Das gilt zum Beispiel, wenn Sie darauf verweisen, dass Sie doch angeblich gar nicht unsozial seien und der Stufentarif bei der Steuer, bei dem die oberen Einkommen am stärksten entlastet werden, doch viel gerechter sei als der line- ar-progressive Tarif, bei dem die starken Schultern mehr tragen als die schwachen.
Die SPD-Landtagsfraktion in diesem Hause – das verspreche ich Ihnen – wird helfen, den nötigen Druck dazu aufzubauen.
Herr Ministerpräsident, Sie überschreiben Ihre Regierungserklärung ja mit dem Titel „Mut, Tatkraft, Aufbruch“. Die Chinesen sagen, die Quelle des Mutes sei die Wahrheit. Zur Wahr- heit hatten Sie aber nicht den Mut. Ihre Deutung der Ereignisse dieses Jahres hat mit der Wahrheit nichts zu tun: Sie waren vertragsbrüchig, weil Sie schwarz-gelb wollten.
Nach dem über Monate vorbereiteten, immer wieder öffentlich angekündigten und schließ- lich kalt kalkulierten und vollzogenen Bruch der Großen Koalition, dem kurzen und har- ten Wahlkampf, dem ersten Schock für die einen und dem Erfolgsrausch für die schwarz- gelbe Traumpartnerschaft auf der anderen Seite müsste inzwischen genug Zeit vergangen sein, um zu einer nüchternen Bestandsaufnahme zu kommen. Für die Landesregierung -4-



heißt das: Was sind die Herausforderungen, denen sie sich stellen muss, auf welche Grund- lagen kann sie zurückgreifen, was für Antworten will sie geben und welche Auswirkungen hat diese Politik auf die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande? Dazu, Herr Ministerpräsident, haben Sie heute 60 Minuten lang viel geredet und wenig ge- sagt.
Für die Opposition heißt das, wir haben zu bewerten, wie die Landesregierung mit diesen Herausforderungen umgeht, wie sie die Ressourcen unseres Landes einsetzt, wie sie die Chancen für Schleswig-Holstein nutzt, und letztlich zu beurteilen, was das für die Lebens- und Arbeitsbedingungen hier bedeutet.
Die SPD-Fraktion in diesem Parlament wird genau hinsehen, was Ihre sogenannte „Koaliti- on des Aufbruchs“ – wie Sie das in Ihrem Koalitionsvertrag überschrieben haben – für die Menschen ganz konkret bedeutet und ob nicht am Ende da, wo Aufbruch draufsteht, in Wirklichkeit Abbruch drin ist.
Wir werden für Transparenz sorgen und nicht zulassen, dass Sie sich so aus der Verantwor- tung stehlen, wie es die inhaltsleeren Formeln aus dem Koalitionsvertrag oder die treuherzig vorgetragenen Allgemeinplätze aus Ihrer Regierungserklärung von heute andeuten. Ich glaube nicht, dass dieses Prinzip Merkel, das Sie hier kopieren wollen, für weitere fünf Jahre tragen wird. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden eine Politik für die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger einfordern, die über den Horizont von Strande und Nordstrand hinausreicht und nicht einzelne Regionen und einzelne Klientelinteressen bevorzugt.
Kommen wir zu den Grundlagen und zur Eröffnungsbilanz dieser ersten Mitte-Rechts- Regierung seit 1988:
Als Björn Engholm der Barschel-Regierung nachfolgte, war Schleswig-Holstein Schlusslicht in jeder Disziplin: Von der Kindergartenversorgung bis zu den Bahnstrecken, von Schulen und Hochschulen bis zur Umwelt, bei Gleichstellung und Mitbestimmung usw. usw. Und kräftig verschuldet auch damals schon.
Die SPD hat in den 21 Jahren ihrer Regierungsverantwortung in Schleswig-Holstein viel er- reicht, was die Situation der Menschen in Schleswig-Holstein verbessert hat – erst allein, später mit den GRÜNEN, aber selbst in der Großen Koalition mit Ihrer Partei, Herr Minister- präsident. Das merkt man schon an Ihrem Lamento, woran Sie angeblich durch uns gehin- dert worden seien, wie Sie sagen. Gelegentlich hat man, wenn man Ihnen zuhört, sogar den Eindruck, dass Sie die letzten 4 Jahre gar nicht der Regierungschef gewesen sind. Und so ganz falsch ist dieser Eindruck vielleicht gar nicht
- Wir Sozialdemokraten waren es, die die Weichen gestellt haben für eine moderne und innovative Wirtschaft, nicht nur, aber ganz besonders im Bereich der erneuer- -5-



baren Energien mit vielen kleinen und mittleren Unternehmen, bei der Gesundheits- wirtschaft und bei der maritimen Wirtschaft.
- Wir waren es, die für großen Fortschritt und eine leistungsfähige Infrastruktur ge- sorgt haben und es ist bezeichnend für Sie, wie Sie sich seit Mitte Juli für jeden noch so kleinen Bewilligungsbescheid und das Ende von Bauabschnitten feiern lassen, de- ren Planung nun wirklich nicht in Ihrer Hand lag.
- Wir waren es, die für eine offene Politik gesorgt haben mit mehr Mitbestimmung, Gleichstellung und Beteiligung – nicht nur Politik für alle Menschen, sondern Poli- tik mit den Bürgerinnen und Bürgern, eine Regierung, die tatsächlich zuhört, wie Björn Engholm das formuliert hat, jener große Ministerpräsident dieses Landes, der vor wenigen Tagen 70 Jahre alt geworden ist.
- Wir waren es, die für Tariftreue und Mindestlöhne eingetreten sind und eine Ar- beitsmarktpolitik für die Beschäftigten und nicht gegen sie gemacht haben.
- Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten waren es, die stets für eine solida- rische Gesellschaft gearbeitet haben, in der gegen Ihren langjährigen erbitterten Widerstand der Kinderschutz schließlich Verfassungsrang bekommen hat und ein bundesweit vorbildliches Kinderschutzgesetz auf den Weg gekommen ist.
- Wir waren es, die Programme wie „Kein Kind ohne warme Mahlzeit“, „Schule und Arbeitsfeld“, „Keiner soll mehr sitzenbleiben“, „Jeder soll einen Schulab- schluss haben“ konzipiert haben und damit Inklusion aus den Sonntagsreden her- aus und in die praktische Politik hineingetragen haben..
- Wir haben mit der Konzentration der ESF-Fördermittel auf Jugendliche und Langzeit- arbeitslose, auch auf „Frau und Beruf“, mit einem vorzüglichen Pflegegesetz, mit Konzepten für soziale Stadt, eine menschliche Psychiatrie und vielem anderen mehr dafür gesorgt, dass weniger Menschen zurückgelassen und aus dieser Gesell- schaft ausgegrenzt werden.
- Wir waren es, die die Rahmenbedingungen gesetzt haben für eine vielfältige Ge- sellschaft mit einer breiten kulturellen Landschaft, einer Vielzahl von Kulturschaf- fenden, von Aktiven im Bereich des Sports, des Ehrenamtes; die sog. Chefsache Kul- tur in der Staatskanzlei war ein offenkundiger Rohrkrepierer, der jetzt klugerweise zu Recht repariert wird. Die erste Vorstellung der Regierungskoalition bei der kürzlichen Tagung des Landeskulturverbandes in Rendsburg ist mit „peinlich“ sehr höflich be- schrieben.
- Wir waren es, die beim Thema Aufstieg durch Bildung bei allen zu Recht kritisier- ten Mängeln im administrativen Detail für viele Verbesserungen gesorgt haben – meistens gegen Ihren entschiedenen Widerstand. Ich rede vom Ausbau der Fach- -6-



hochschulen – auch der regionalen Versorgung wie in Flensburg und ganz beson- ders bei der größten Investitionsleistung in Heide. Wir haben den Ausbau der Kin- derbetreuung vorangetrieben (1988 fanden wir im Landeshaushalt ganze 600.000 DM für dieses Feld vor, heute sind wir bei 60 Mio Euro, die hinten und vorne nicht reichen); wir haben den Ausbau der Ganztagsschulen angeschoben
- Wir waren es, die mit der Gemeinschaftsschule, dem wirklich durchschlagenden Er- folg unserer sozialdemokratischen Bildungspolitik, endlich der absurden, un- gerechten und elitären Selektion der jüngsten Schülerinnen und Schüler ein Ende gemacht haben. Das dreigliedrige Schulsystem ist eine enorme Verschwen- dung von Ressourcen und eine frühzeitige negative Weichenstellung bei der Vertei- lung von Lebenschancen. Wir sind damit dem internationalen best-praxis-Beispiel ge- folgt und fördern durch gemeinsamen Unterricht die Fähigkeiten der schwachen und der stärkeren Schüler.
- Wir waren es, die für eine leistungsfähige und engagierte Polizei gesorgt haben und anders als andere weder Stellenkürzungen vorgenommen noch Hobbypolizisten eingestellt und schon gar nicht die Bundeswehr als billige Ersatzpolizei im Innern ge- fordert haben.
- Wir waren es, die bundesweit der Vorreiter für eine progressive Flüchtlings- und Ausländerpolitik gewesen sind, die die humanitären Spielräume stets maximiert ha- ben.
- Wir waren es, die die Energiewende in Schleswig-Holstein eingeleitet haben: Von 1988 gerade mal 0,05 % Anteil regenerativer Energien an der Stromerzeugung in Schleswig-Holstein haben wir es auf über 40 % geschafft. Und wir waren es auch, die immer wieder und konsequent trotz aller Restriktionen des betreiberfreundlichen Atomgesetzes auf den Atomausstieg gesetzt, den Atomkonsens verteidigt und eine an Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit orientierte strenge Aufsichtspolitik betrieben ha- ben.
- Wir waren es, die das Thema Umwelt und Naturschutz in Schleswig-Holstein auf die Tagesordnung gesetzt und ein bundesweit vorbildliches Naturschutzgesetz etab- liert haben, das leider schon in der Großen Koalition vieles an alter Stärke verloren hat.
- Wir waren es, die die starke Tradition der Minderheitenpolitik in Schleswig- Holstein fortgeschrieben haben mit wirklich unabhängigen Minderheitenbeauftragen vom Range eines Kurt Hamer, eines Kurt Schulz bis hin zu Renate Schnack und wir haben niemals die Vollwertigkeit der politischen Mandate der Kolleginnen und Kolle- gen des SSW in Zweifel gezogen. -7-



- Wir waren es, die seit Björn Engholm die Chancen rund um die Ostsee genutzt und weiterentwickelt haben mit den besten Perspektiven, die Schleswig-Holstein seit dem 2. Weltkrieg und der Zonenrandgebietszeit jemals hatte, und die unter der Führung von Heide Simonis die Meerespolitik wirklich auf die Tagesordnung gebracht haben.
All dieses und vieles mehr, was sozialdemokratische Fraktionen in diesem Hause und die Ministerpräsidenten Björn Engholm und Heide Simonis und Sozialdemokraten in 21 Jahren Regierungszeit geleistet haben, was ich heute nur aus Zeitgründen nicht nennen kann, zeigt, dass es sehr viel gibt, auf das Sie bauen können. Wir werden darauf achten, dass Sie sorgsam, verantwortungsvoll und ehrlich mit diesem Erbe umgehen. Dies ist auch notwendig, denn die Herausforderungen sind wahrlich groß:
1. Wir befinden uns noch mitten in der schlimmsten Wirtschafts- und Finanzkrise unsers Landes, in der ein deutlicher Anstieg der Arbeitslosigkeit droht, die Versor- gung mit Krediten gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen kritisch ist und die Lage der HSH Nordbank ganz anders ist, als sie durch Ihre vom Vorstand gereichte rosarote Regierungsbrille betrachtet wird. 2. Wir haben eine gespaltene Gesellschaft mit Strukturen im Bildungs- und Steuersys- tem und anderen sozialen Sicherungssystemen, die nach wie vor trotz aller Korrektu- ren die Spaltung zwischen Arm und Reich vertiefen und viele Menschen zurücklas- sen, die nicht nur an der Politik, sondern teilweise an der Demokratie zweifeln und verzweifeln. 3. Wir haben öffentliche Haushalte, die auf allen Ebenen massiv unterfinanziert sind, wodurch wichtige Leistungen nicht oder nur ungenügend erbracht werden kön- nen oder massive Verschuldung droht und nach wie vor gilt: Einen armen Staat kön- nen sich nur reiche Leute leisten. 4. Wir haben als dennoch reiches und hochentwickeltes Land die Pflicht, dem Klima- wandel und der Umweltzerstörung konsequent entgegen zu wirken, wenn wir nicht gegenüber unseren Nachkommen total versagen wollen. Mehr denn je gilt: Global denken, lokal handeln. 5. Wir haben ein besorgniserregendes Problem, was die Legitimation von Demokratie und Politik angeht. Die Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen ist z. T. drastisch gesunken, ist sogar bei der Bundestagswahl zurückgegangen und das Verständnis für die Tatsache, dass demokratische Politik auch Geld kostet, ist kaum noch vermit- telbar. Obwohl es doch der Staat und die Politik waren, die Banken und außer Rand und Band geratene Märkte gerettet haben, stehen sie nun in der Zielscheibe von An- würfen der Lobbys und leider auch zunehmend großer Teile der veröffentlichten Mei- nung.
Wie plant schwarzgelb nun, auf diese Herausforderungen zu reagieren, was für Lösungsan- sätze hat die neue Landesregierung? Ihre Regierungserklärung heute, Herr Ministerpräsi- dent Carstensen, und Ihre sonstigen Reden über die künftige Politik klingen markig, sind aber eher wolkig. Es spricht wenig dafür, dass Sie einen Plan haben, wie die genannten -8-



Herausforderungen so bewältigt werden könnten, dass das Resultat solide, nachhaltig und sozial gerecht ist. Als der Kabarettist Urban Priol vor einigen Monaten sagte, Schleswig- Holstein sei das einzige Land, das sich einen Regierungschef leiste, der sich nicht für Politik interessiert, mag mancher noch geschmunzelt haben. In Zeiten von Wirtschaftskrise und enormen Herausforderungen für eine gute Regierungspolitik bleibt einem das Lachen dar- über allerdings im Halse stecken. Diese Herangehensweise macht es aber natürlich einfacher, Formelkompromisse zu schlie- ßen, und Sie sehen an Berlin, was herauskommt, wenn nicht alle Probleme vertagt werden können.
Lassen Sie mich jetzt zu den beschriebenen Herausforderungen kommen. Da ist
I. Die Wirtschaftskrise
Fast dachte man schon, dass in dieser Krise allen eines wieder klar geworden sein könnte. Der Staat hat eine entscheidende Verantwortung für das Wirtschaftsgeschehen – zuviel Li- beralisierung, Entbürokratisierung, Deregulierung hat zu massivem Marktversagen geführt, das in seinen Auswirkungen eine ungeheuere Dynamik zu entfalten droht, und Auswirkungen auf das Leben hunderttausender Menschen hier in diesem Land. Das Credo der Marktradikalen „Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht“ wird aber schon wieder mit neuer Frechheit formuliert. Dabei müssen wir dafür sorgen, dass die Wirtschaft eben nicht ein sich selbst genügendes System auf Kosten anderer ist, sondern zum Wohle aller. Verstaatlichung der Verluste und Privatisierung der Gewinne mag für Unternehmen und Anteilseigner ein gutes Geschäft sein – bei der HSH Nordbank muss man da schon Zweifel haben - aber wenn einem Herrn Nonnenmacher 2,9 Mio Euro nachgeworfen werden dafür, dass er Chef eines nur noch von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern getrage- nen Unternehmens bleiben darf, die Hertie-Verkäuferin aber noch nicht mal einen Sozial- plan bekommt, so ist das in keiner Weise in Ordnung, sondern skandalös. Unvergessen bleibt in diesem Zusammenhang, dass Sie, Herr Ministerpräsident, in diesem Fall dem Par- lament die Unwahrheit gesagt haben.
Der Vorschlag des FDP-Fraktionsvorsitzenden im Wahlkampf, die Steuersenkungsver- sprechen für die Gutverdiener durch eine höhere Mehrwertsteuer der Geringverdiener zu bezahlen, zeigt das ganze Ausmaß eines solchen Denkens. Wenn dann auch noch der neue Sozialminister und stellvertretende Ministerpräsident als allererstes – kaum im Amt - schon für Kopfpauschalen und Kapitaldeckung in der Pflegeversicherung wirbt, dann sehen wir, dass an dieser Koalition die Lehren aus der Wirtschafts- und Finanzkrise gänzlich vor- beigegangen zu sein scheinen. Was ist das für eine verrückte Welt, in der Barack Obama eine Krankenversicherung nach deutschen Vorbild will und in Berlin und Kiel die FDP die solidarische Krankenversicherung abschaffen möchte. Die altbekannten Schlagworte von Entbürokratisierung und Privatisierung und dem Primat der Wirtschaft schimmern durch alle Poren Ihres Vertrages. Dementsprechend werden mittels fragwürdiger ÖPP-Projekte, die der letzte Landtag noch abgelehnt hatte, weil ein solider Nachweis der Wirtschaftlichkeit fehlte, den privaten Unternehmen Gewinne gesichert, während der Staat auf seinen Risiken -9-



sitzen bleibt. Da werden beim UKSH Bereiche ausgelagert, und für einen Einmalerlös Priva- ten dauerhaft Gewinne zugeschoben, die diese durch Lohndumping noch vergrößern kön- nen, egal was die Beschäftigten davon halten. Da werden durch die geplante Privatisierung von Glücksspiel und Spielbanken den Privaten neue Gewinnmöglichkeiten erschlossen, die Einnahmen des Staates dagegen auf wacklige Füße gestellt, egal was die Sportverbände dazu sagen und was die anderen 15 Länder davon halten.
Erinnern Sie sich noch, wie Sie damals über die Versuche von Hans Eichel gelacht haben, Steuerhinterzieher wieder ins Land zu holen? Es hat nicht geklappt, Straffreiheit allein reich- te nicht, auch nicht die Absenkung der Steuersätze – woanders zahlen sie nach wie vor we- niger, wir können und wollen nicht mit Steueroasen konkurrieren. Worauf sich die Hoffnung gründet, dass jene Glücksspielanbieter, die bereits aus dem Ausland heraus tätig sind, wie- der hier herkämen und bereit wären, eine Abgabe zu zahlen, die die jetzigen Einnahmen des Staats ausgleichen würde ist mir schleierhaft – Sie können noch nicht mal auf ein schlechtes Gewissen hoffen, denn die aktuellen Aktivitäten jener Unternehmen sind viel- leicht fragwürdig, aber leider nicht strafbar. Statt dessen wollen Sie einen kontrollierten Markt zerstören – noch ist das staatliche Lotto eine ernste Konkurrenz zu anderen Anbietern – und damit die ohnehin geringen Einfluss- möglichkeiten des Staates auf Suchtbegrenzung gänzlich zunichte machen. Während auf der einen Seite die Linkspartei Programme beschließt, nach denen alles ver- staatlicht werden soll, was nicht niet- und nagelfest ist, finden wir auf der anderen Seite von schwarz-gelb nach dem Motto: „Eigennutz vor Gemeinwohl“ das genaue Gegenteil – und beides ist falsch.
Ich habe nichts gegen private Gewinne und privates Wirtschaften, insbesondere wenn es den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die unseren Wohlstand schließlich erarbeiten, zugute kommt – wohl aber habe ich etwas dagegen, dass Gewinne privatisiert und Verluste verstaatlicht werden, und dadurch wichtige Steuerungsmöglichkeiten und demokratische Kontrolle verloren gehen. Eigentum verpflichtet – das steht im Grundgesetz und auch zu Ih- rem Schleswig-Holsteinischen Amtseid gehört es, Nutzen zu mehren und Schaden vom Gemeinwesen abzuwenden.
Zu diesen grundlegenden Steuerungsnotwendigkeiten gehört auch, wie wir aktuell sehen konnten, die Sicherstellung der Kreditversorgung der kleinen und mittleren Unternehmen. Ich halte – und manche von Ihnen in der Union hatten bis vor kurzem noch die gleiche An- sicht – den öffentlich-rechtlichen Sparkassensektor für einen stabilisierenden und wichtigen Sektor in unserem vom Mittelstand geprägten Land. Nun ist es kein Geheimnis, dass Herr Kubicki schon seit langem die Gewinne der privaten Banken steigern und die öffentlich- rechtlichen Sparkassen abschaffen möchte und der Einfluss von Herrn Kopper scheint weit zu reichen. Ich fordere Sie dennoch auf, Herr Ministerpräsident, reichen Sie dafür nicht Ihre Hand. Machen Sie die Sparkassen nicht kaputt, auch nicht durch die Hintertür, indem Sie Brüssel schlagende Argumente für die Privatisierung dieses Sektors liefern. - 10 -



Ich möchte sie daran erinnern dass der Fraktionsvorsitzende der FDP in seinen üblichen Prahlhansreden im Landtag bereits angekündigt hat, wie sicher er sich ist, dass der zweit- beste Schritt, den Sie jetzt unternehmen, die wirkliche Privatisierung nach sich ziehen wird, dann erzählen Sie uns hinterher nicht, Sie hätten leider das Urteil aus Brüssel genau so we- nig vorhersehen können wie damals die Sache mit dem Vogelschutz und Natura 2000. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen!
Die angekündigte Offensive für Wachstum und Beschäftigung für Mittelstand und Handwerk ist so selbstverständlich wie nebulös. Ich frage mich auch, was es heißt, wenn Sie, Herr Carstensen, auf dem Parlamentarischen Abend der Studien- und Fördergesellschaft der schleswig-holsteinischen Wirtschaft sagen, dass das Land nur noch das fördern werde, was dem Land und der Wirtschaft Schleswig-Holsteins nütze. Nur wenn man glaubt, dass die Menschen für die Wirtschaft da sind und nicht umgekehrt, ist das ein logischer Satz. Für je- manden, der den Anspruch hat, Politik für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land zu machen, ist eine solche Verknüpfung eher entlarvend. Was nützt dem Land und der Wirt- schaft? Nützen der Wirtschaft Jugendzentren, Frauennotrufe, das Kinderschutzgesetz, das Landesblindengeld, die Integration behinderter Kinder oder das Programm „Kein Kind ohne warme Mahlzeit“? Nicht wirklich – und das musste es bisher auch nicht.
Die Frage, die eine verantwortungsvolle Politik auszeichnen würde, lautet „Was nützt den Menschen hier im Land, was nützt der Gesellschaft am meisten?“ Wir Sozialdemokra- ten glauben immer noch, dass die Wirtschaft für die Menschen da ist – Geld regiert die Welt, das ist nicht unsere Vorstellung von sozialer Demokratie!
Die auseinander laufende Entwicklung von steigenden Gewinnen auf der einen und sinken- den Reallöhnen auf der anderen Seite zeigt, dass dieses wirtschaftsgläubige Denken schon viel zu lange währt und es Zeit wäre, dem Irrglauben endlich abzuschwören. Statt zu begrei- fen, dass die wahren Leistungsträger in unserer Gesellschaft die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ihren Familien sind und die Rentner, die unseren Wohlstand erarbeitet haben, die Krankenschwestern, Busfahrer, Verkäuferinnen, die sich für unsere Kinder oder unsere Sicherheit abrackern und die vielen, die nachts und am Wochenende arbeiten, plap- pern Sie die Forderungen der Wirtschaftsfunktionäre nach und werden, inspiriert durch Ihre neue Traumpartnerschaft, immer deutlicher. Ihrer Wachstumsstrategie fehlt ein entschei- dender Punkt: Wir müssen auch das kulturell-soziale Umfeld attraktiv machen. Anders ziehen wir die Talente nicht an. Sie bleiben Sie den abgewirtschafteten Floskeln vergange- ner Ideologien verhaftet. Statt Lehren aus der Krise zu ziehen, stärker die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzubeziehen, weil sie diejenigen sind, die mit ihren Familien wirklich ein langfristiges Interesse an ihrem Betrieb haben – was sie immer wieder durch extreme Ko- operation unter Beweis stellen -, statt also die Mitbestimmung auszudehnen, empfinden Sie diese eher als lästiges Hemmnis, als überflüssige Bürokratie, Sie wollen diese einschrän- ken, würden am liebsten den Kündigungsschutz streichen und setzen voll auf den Markt, der in seiner jetzigen Form so offenkundig versagt hat. Immerhin wollen Sie anscheinend die guten Ansätze in der Arbeitsmarktpolitik fortsetzen, auch wenn mir die Langzeitarbeitslosen als Zielgruppe fehlen. - 11 -



Doch Arbeitsorganisation, Arbeitnehmerrechte, Integrationsbetriebe werden von Ih- nen genau so wenig erwähnt wie die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und Ar- beitnehmervertretungen. Folgerichtig findet sich im Koalitionsvertrag zur Arbeitsmarktpoli- tik auch keine Aussage, dass ein Mensch von seinem Lohn leben können müsste, aus Ge- rechtigkeitsgründen, aus ökonomischer Vernunft und vielleicht ja sogar – Sie haben heute auf Ihren christlichen Glauben hingewiesen, Herr Ministerpräsident -, weil das dem christli- chen Menschenbild entspricht, dass Arbeit Würde und einen Wert hat. Das im Koalitionsver- trag des Bundes beschlossene Verbot sittenwidriger Löhne gibt es doch längst, doch wo sind die Maßnahmen gegen Lohndumping und Hungerlöhne? Sie sind von dieser Koaliti- onsregierung offenbar nicht gewollt. Ich fürchte, wir werden mit Ihnen im Bundesrat leider das Trauerspiel erleben, dass Sie gegen Mindestlöhne, gegen Tariftreue, gegen die Aus- wüchse von Leiharbeit und damit gegen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stimmen werden. Wir werden das in diesem Haus immer wieder anprangern.
II. HSH Nordbank
Was die HSH Nordbank betrifft, ist Herr de Jager, wie dem Handelsblatt von Montag zu ent- nehmen war, einer der wenigen Menschen, die keinen Anlass sehen, das Konzept der HSH in Frage zu stellen. Es schlummern viele Risiken und wir werden den Untersuchungsaus- schuss, der von der größeren Regierungsfraktion mit immer größerer Lustlosigkeit eher ge- duldet als durchgeführt wird, konsequent nutzen, um herauszuarbeiten, wie katastrophal das Krisenmanagement in den letzten Jahren gewesen ist. Wir haben weder Vertrauen zu einem Vorstandsvorsitzenden wie Herrn Nonnenmacher, dem jedweder Respekt für Parla- ment und Steuermittel fehlen; wir haben kein Vertrauen zu einem Aufsichtsratsvorsitzenden wie Herrn Kopper, der trotz aller Beschlüsse dieses Parlaments auf Begrenzung der Mana- gergehälter weiterhin an Modellen arbeitet, die dafür sorgen, dass die Manager der HSH Nordbank mehr als 500.000 Euro im Jahr einstreichen können.
Wir haben schweren Herzens schwierige Entscheidungen hier treffen müssen, um noch ka- tastrophalere Folgewirkungen zu vermeiden, Arbeitsplätze zu sichern, wir haben aber ganz sicher keinen Blankoscheck dafür gegeben, dass die HSH Nordbank die Regierung am Nasenring durch die Manege führt und nicht von ihr kontrolliert wird. Obwohl wir Anteils- eigner sind – zusammen mit Hamburg über 80 % - musste sogar der groteske Schritt voll- zogen werden, die dem Parlament verantwortlichen Politiker aus dem Aufsichtsrat zurück- zuziehen, weil das Herrn Kopper besser gefallen hat. All dies zeigt doch, wie absurd die ganze Sache ist und wenn ich nun lese, dass die HSH Nordbank mitteilt, der Vorstand sei fest davon überzeugt, dass man Bundeshilfen nicht brauche, dann ist das nicht wirklich überraschend. Wie wir wissen, wird der Vorstand die Konsequenzen dafür nur tragen, wenn dieses Vabanquespiel aufgeht. Die einzige Möglichkeit die ich sehe, dieses Risiko zu begrenzen, ist die Kooperation mit dem Bund und/oder mit anderen Landesbanken, doch das scheint nicht gewollt. Jeder möge das eigene Pulverfass hüten und pflegen – bis es ihnen um die Ohren fliegt. - 12 -



Die Aussicht, sie unter diesen Bedingungen verkaufen zu können, ist abenteuerlich und soll- te es solche Hasardeure geben, so möchte ich den Käufern wirklich nicht die Zukunft der Milliardenbürgschaften des Landes anvertrauen.
III. Die soziale Spaltung unserer Gesellschaft
Die soziale Spaltung in unserem Land ist ein zunehmendes Problem, das enorme Spreng- kraft für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft beinhaltet. Wer Menschen ausgrenzt, ih- nen keine Perspektiven und Chancen bietet, darf sich nicht wundern, wenn diese sich vom Gemeinwesen und ihren Werten abwenden. Wir sollen keinen zurücklassen, keinen ausgrenzen, sondern jeder und jedem eine faire und wirkliche Chance bieten, ein ei- genständiges Leben zu führen. Hilfe zur Selbsthilfe, Fordern und Fördern, Vorsorgen des Sozialstaats sind alles im Grunde richtige Maßstäbe, allzu oft sind sie aber auch in der Pra- xis zu Floskeln geworden, die in Teilen das Gegenteil bewirkten von dem was wir wollten. Freiheit und Gerechtigkeit bedingen einander, wie uns Erhard Eppler gerade an diesem Wochenende wieder deutlich vor Augen geführt hat. Bei ihnen bekommt aber der Satz: Freiheit, wirtschaftliches Wachstum und soziale Gerechtigkeit sind kein Widerspruch, eine ganz neue Bedeutung. Ist schon falsch, dass sozial ist, was Arbeit schafft, so ist der Satz „Sozial ist auch der, der dafür sorgt, dass es wirtschaftliches Wachstum gibt“ nur noch als Gewäsch zu bezeichnen. Die Dispositionsfreiheit eines Unternehmers, der es leichter haben soll, Arbeitsplätze abzu- bauen und Menschen vor die Tür zu setzen, damit der Börsenkurs steigt, ist eben nicht die Freiheit, die wir meinen. Wir meinen die Freiheit, ein Leben zu leben in Würde und mit einer angemessenen Entlohnung für gute Arbeit – ein Leben, das es den meisten ermöglicht, oh- ne Sozialtransfers zurecht zu kommen. Die, die Sozialtransfers brauchen, müssen ordentli- che kriegen, ohne zum Menschen zweiter Klasse degradiert zu werden – dieser Appell rich- tet sich nicht nur an Sie, sondern auch an einzelne Sozialdemokraten wie Herrn Sarrazin. Und die, die am meisten haben, denen darf nicht gegeben werden, sondern sie müssen so- lidarisch sein und müssen auch finanziell mehr leisten für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.
Wenn Sie so sehr die Eigenverantwortung betonen und die erdrückende Wohlfahrt be- schreiben, so geht das an der Lebensrealität vieler Menschen radikal vorbei. Die Menschen haben Angst, ohne soziales Netz abzustürzen, sie haben Angst, im Alter nicht genügend Geld zum Leben oder nur für neue Zähne zu haben, viele Leute wissen heute nicht, wie sie ihren Kindern Schulhefte und die Busfahrkarte für den Ausflug finanzieren sollen, wie sie die nächste Telefonrechnung zahlen sollen. Sicher ist richtig, dass es besser ist, wenn die Men- schen sich selbst helfen, doch müssen wir uns über die Grenzen im Klaren sein. Es gibt Zu- sammenhänge, da funktioniert die Hilfe in der Familie, die Nachbarschaftshilfe, da funktio- niert die Eigenorganisation, es gibt aber auch Zusammenhänge in Regionen und Vierteln, da funktioniert es eben nicht. Es gibt Bereiche, das ist Selbsthilfe möglich und in anderen Feldern, da sind die Probleme nicht individuell zu lösen. Dann wird Hilfe zur Selbsthilfe eine Farce und eine fatale Entschuldigung, um soziale Angebote und Leistungen zurückzufah- ren. - 13 -



Was mich trotz meiner eingeschränkten Erwartungshaltung an diesem Koalitionsvertrag denn doch noch erstaunt hat, ist Ihr uneingeschränktes Votum für das Betreuungsgeld. Wir haben in Deutschland wirklich nicht das Problem, dass zu wenige ihre Kinder zu Hause betreuen und ihnen das unnötig schwer gemacht würde. Wir haben vielmehr die Situation, dass es sich viele Eltern nicht leisten können, ihren Kindern ein eine qualifizierte Kinderbetreuung zu ermöglichen, teilweise gibt es auch nicht genügend Betreuungsmög- lichkeiten. Sie kennen unsere Forderung nach der Beitragsfreiheit für alle drei Kindergarten- jahre, das bleibt auch richtig und ist für die meisten Familien viel, viel besser als all Ihre Steuersenkungspläne, zumal in Schleswig-Holstein die Gebühren besonders hoch sind. Statt also den Ausbau weiterer Kinderbetreuung zu unterstützen, finden Sie es richtig, dass der Bund das Geld in eine pädagogisch und sozialpolitisch zweifelhafte und unter gleichstel- lungspolitischen Gesichtspunkten eindeutig rückwärts gewandte Prämie stecken will, die andere treffend „Herdprämie“ nennen. Sie selbst haben doch eben den Bildungsauftrag der Kindertagesstätten herausgehoben.
Vielleicht hätte es mich nicht erstaunen müssen, Ihr rückwärts gewandtes Frauenbild ist ja hinlänglich bekannt und angesichts des männerdominierten Kabinetts ja auch offensichtlich. Ihre angekündigte Prüfung, wie die bisherige Mittagessensversorgung für bedürftige Kinder langfristig sichergestellt werden kann, wäre einfach zu beantworten. Verhindern Sie die geplante finanzielle Gießkanne bei Kindergeld und Kinderfreibeträgen, die ausgerech- net jenen nicht hilft, die frei zur Verfügung stehendes Geld besonders gut brauchen können, nämlich die Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger. Stattdessen verschaffen Sie den Besserverdienenden die größten finanziellen Vorteile, obwohl die das gar nicht brauchen. Nehmen Sie diesen Teil des Geldes, das wäre pädagogisch und sozialpolitisch sinnvoll und alle Eltern würden gleichmäßig entlastet. Ich begrüße es mithin, dass Sie sich in Ihrem Koa- litionsvertrag die Bekämpfung der Kinderarmut vornehmen – allein hier fehlt wie bei vielen anderen Dingen das Konzept, die Butter für die oft zitierten Fische.
Das Thema Pflege wird ein zentrales Thema des nächsten Jahrzehnts werden. Ich erwarte, dass Sie hier nicht in schönen Wortblasen verharren. Die Regelung der Eingliederungshilfe, das Pflegegesetzbuch II, das Kinderschutzgesetz sind vorbildlich und sehr gute Gesetze un- ter unserer Federführung – wir haben ein hohes Niveau gesetzt, an dem wir diese neue Re- gierung messen werden.
IV. Bildungspolitik
Die Aussage, Sie wollen gleiche Bildungschancen für alle erreichen, kann man unterstützen, doch Sie planen das genaue Gegenteil. Scheinen Sie also schon im vorschulischen Bereich kein Interesse daran zu haben, wirk- same Maßnahmen gegen die soziale Spaltung zu treffen, so gilt das im verstärkten Ma- ße für die Bildungspolitik. Allen landesväterlichen Beschwörungen der Ruhe im Schulbe- reich zum Trotz haben Sie kleine, unfeine und eindeutige Regelungen vereinbart, die die Gemeinschaftsschulen als reale Alternative zu den Gymnasien, die von vielen Eltern als die - 14 -



pädagogisch beste Schulform gewollt ist, zunehmend schwächen, um ihnen das Leben schwer zu machen. Das fängt mit der Einschränkung zur Bildung einer Oberstufe an Ge- meinschaftsschulen an und hört mit der möglichen Wiedereinführung der Realschule auf. Da hat Aloys Altmann wirklich Recht, das ist auch fiskalisch nicht zu vertreten und schulpoli- tisch rückständig. Die FDP ist in dieser Frage, verehrter Herr Klug, leider noch konservativer als die Union. Und die plötzliche Distanzierung zu den sonst geschätzten und zitierten Gre- mien Sachverständigenrat und Landesrechnungshof des Herrn FDP-Fraktionsvorsitzenden gegenüber dem Präsidenten des Landesrechnungshofs überrascht nur den, der von der FDP eine konsequente, ausgewogene Politik erwartet.
Hat Herr Kubicki ja auch sonst keine Schwierigkeiten, das Blaue vom Himmel zu verspre- chen, verwundert die Zurückhaltung bei der Integration behinderter Kinder und Ihre Aussage, Kinder müssen teilhaben können an Bildung, Gesundheit und Zukunftschancen wird zur Farce, denn Sie meinen augenscheinlich nicht alle Kinder. Fragen Sie einfach mal den zuständigen Beauftragten, Herrn Haase: nicht der Grad der Behinderung darf Grenze der Integration sein, sondern allenfalls der begrenzte Fortschritt der Bemühungen zur Integ- ration, die es immer weiter zu verbessern gilt. Sie, die Sie so gerne Gerichtsurteile zitieren, lesen doch einfach mal die UN-Konvention für Menschen mit Behinderungen, gegen die Sie mit dieser Aussage verstoßen.
Sie planen das Rollback in der Schulpolitik, obwohl die Bildungschancen immer noch wie in keinem anderen Land vom Einkommen der Eltern abhängen. Sollen wirklich das miteinan- der und voneinander Lernen wieder Fremdwörter werden und der Rückwärtsgang hin zu elitären Bildungsstrukturen und Ausgrenzung und Selektion eingelegt werden? Fast könnte man Ihnen zurufen, nehmen Sie sich doch wenigstens ein Beispiel an Hamburg oder dem Saarland, beinahe wünschte man sich noch Jamaika herbei, bei dem, was hier der Schulpolitik droht. Allerdings: Mögen, werter Herr Kollege Habeck, muss man solche Über- legungen natürlich nicht und eine wirklich progressive Politik gibt es in solchen Konstellatio- nen natürlich auch nicht, sondern mehr Kohle und Studiengebühren wie in Hamburg oder aber dubiose grüne finanzielle Verflechtungen mit FDP-Arbeitgebern, wie im Saarland. Für den Fall, dass unsere Befürchtungen in der Schulpolitik eintreffen, sage ich Ihnen jedenfalls hier den breiten Widerstand der gesamten Opposition und vieler Eltern und Schüler in die- sem Lande vorher. Wir werden uns gegen den Abbau der schulpolitischen Errungen- schaften wehren, zurück in die Vergangenheit passt zwar als Titel für Ihre Koalition, aber überhaupt nicht zu diesem Land. Gleiches gilt übrigens für die Hochschulen, wo Studierende zu Recht erwarten, dass wir ihre Kritik an der Ausgestaltung der Bachelor- und Masterstudiengänge ernst nehmen und nicht mit Anfangsschwierigkeiten abtun.
V. Konsolidierung der Haushalte
In den letzten Jahren, da gibt es nichts zu beschönigen, gab es ein kollektives Versagen in einem zentralen Punkt: Wir haben es versäumt, die öffentlichen Haushalte und die So- zialversicherungssysteme auskömmlich zu finanzieren. In dem Glauben, durch Steuer- - 15 -



senkung ein so starkes Wachstum zu generieren, dass die Steuereinnahmen die originären Verluste wieder ausgleichen würden, wurde die Staatsverschuldung in unerträgliche Höhen getragen und die Handlungsspielräume gerade der Kommunen auf ein nicht zu vertretendes Maß eingeschränkt. Steuersenkungen – um hier einmal den ehemaligen Bundesfinanzmi- nister zu zitieren, der für Gefälligkeitsaussagen in meine Richtung gänzlich unverdächtig ist: Peer Steinbrück sagte in einem Interview in Hamburg während des Wahlkampfes: Die Steuereinnahmenelastizität von Steuersenkungen sein kleiner 1. Für irgendwas war es doch gut, dass er Volkswirtschaft studiert hat. Vielleicht erinnern Sie sich auch noch vage, Herr Fraktionsvorsitzender der FDP. Die Geschichte von den selbstfinanzierenden Steuersen- kungen ist ein Ammenmärchen, an das Sie selbst nicht wirklich glauben und das Sie uns hier nur präsentiert haben, weil Sie nicht konkret sagen, wo Sie sparen wollen. Da helfen auch Briefe nach Berlin nichts.
So richtig es war, mit Konjunkturpaketen die Wirtschaft zu stützen, so richtig es ist, mit staatlichen Investitionen jetzt in die Zukunftsfelder wie Bildung, Kinderbetreuung und Klimaschutz zu investieren und auch die Kaufkraft zu stärken, ist doch die Frage, wel- che volkswirtschaftlichen Auswirkungen dies hat, zu betrachten. Und da muss ich gar nicht weit in meinem Keynes-für-Anfänger-Kurs vorangekommen sein – ich darf nur nicht gleich am Anfang stehen bleiben. Wenn wir die Besserverdienenden entlasten, die eine hohe Sparquote haben, sind die Wachstumsimpulse gering und die steuersenkungsbedingten Steuermehreinnahmen noch geringer. Im vorliegenden Fall gehen sie wahrscheinlich gegen Null.
Was schwarz-gelb im Bund betreibt, ist Rosstäuscherei oder auf Neudeutsch Rebranding; so wie aus Raider Twix wird, heißt Steuersenkung heute Konsolidierung, ist aber, wie fast alle Fachleute sagen, bei unserem Schuldenstand und den finanziellen Konsequenzen für die öffentlichen Haushalte, völlig unvertretbar.
Herr Carstensen, Herr Kubicki, Ihre Ausführungen, wonach Sie die Steuersenkungspläne der schwarz-gelben Bundesregierung im Bundesrat ablehnen werden, sind angesichts Ihrer Wahlversprechen wenig glaubwürdig. Hier wurde doch vor kurzem landesweit blau-gelb mehr Netto vom Brutto plakatiert. Und wo waren Sie eigentlich, Herr Carstensen, als die Zustimmung der Länderchefs zum Koalitionsvertrag des Bundes eingeholt wurde? Natürlich hoffe ich, dass Sie die für Schleswig-Holstein vollständig inakzeptablen Einnahmeaus- fälle ablehnen werden und sich im Bundesrat auf keinen Kuhhandel einlassen werden. Eher legt sich der Hund des Nachbarn einen Wurstvorrat an, als dass es Ihnen gelingen könnte, einen Schleswig-Holstein-Soli herauszuhandeln. Letztlich werden Sie sich wie damals bei der Unternehmenssteuerreform, die Schleswig-Holstein auch wieder viel Geld gekostet hat, auf diese ominösen Refinanzierungseffekte einlassen, derselbe Finanzminister ist ja noch im Amt. Ihre wolkige Formulierung, dass es einen fairen Ausgleich geben solle, spricht Bän- de.
Weder das Land Schleswig-Holstein noch die Kommunen können sich weitere Ein- nahmeausfälle leisten und die Schuldenbremse würde noch mehr zur Farce. Sie wis- - 16 -



sen, dass wir Sozialdemokraten einen fairen Altschuldenpakt von Bund, Ländern und Kom- munen für notwendig halten. Anders können die Verfassungsvorgaben, die darüber hinaus auch noch in verfassungswidriger Weise geregelt sind und deswegen beklagt werden, über- haupt nicht erfüllt werden. Wenn wir nicht wollen, dass unser Land zurückfällt, dass wir schlechtere Bildung, weniger Innere Sicherheit, schlechtere soziale Infrastruktur als unsere Nachbarn anbieten, mit allen Konsequenzen, die das für die Demokratie hätte, dann müs- sen wir hier gegensteuern. Dies gilt im Übrigen auch für eine wirkliche Lösung der finanziellen Probleme der großen Städte, die mit blumiger Unterstützung nicht weiterkommen. Interessant ist schon, dass Sie bei den Städten zusätzliche Gelder ausschließen, diese Einschränkung für den ländlichen Raum aber nicht treffen.
Fast noch wichtiger fände ich übrigens die Ablehnung des sogenannten Stufentarifes, der mindestens ebenso ungerecht wäre, nur ungleich teurer. Hier würde das Leistungsprinzip, dass der, der mehr kann, auch mehr zahlen muss, ins Gegenteil verkehrt. Je mehr Punk- te man sich vornimmt, desto klarer wird, dass schwarz gelb weder im Bund noch hier eine soziale Gesellschaft will, sondern an deren Auflösung arbeitet. Nein, das ist die Umvertei- lung von unten nach oben, das ist die Klientelpolitik par excellence – schön, dass man nun auch noch alle Steuerberatungskosten voll absetzen kann, das wird die Werftarbeiter bei HDW besonders freuen.
Solide Konsolidierung wird von der Union immer wieder als Markenzeichen für sich rekla- miert und auch die FDP hat vollmundig versprochen, wie überall so auch in diesem Bereich alles besser machen zu wollen. Sie erwähnen es ja auch in Ihrer Regierungserklärung. Wo- bei die hohe Verschuldung 2009 und wohl auch 2010 konjunkturbedingt ist, während Ein- nahmeverluste vor 2005 mit der damaligen Nettoneuverschuldung natürlich nichts zu tun hatten. Aber wo bleiben Ihre konkreten Vorschläge? Was finden wir: Nichts Konkretes und so viele Verweise auf 2020, dass ich einen Verschiebebahnhof fürchte.
Richtig finde ich die Ankündigung, auch die Kofinanzierung und die einzelbetriebliche Förde- rung zu prüfen, wobei allerdings auffällt, dass die Landwirtschaft nicht in der Aufzählung auf- taucht. Auch nur eine pauschale Zahl findet sich beim Personalabbau und selbst da ist eine Kom- mission zwischengeschaltet, bei der der Landesrechnungshof inzwischen den Sinn seiner Mitarbeit in Frage stellt. Interessanterweise nennen Sie in Ihrer Regierungserklärung keine Tabubereiche, andere haben das im Vorwege für Sie getan. Wenn Sie aber, wie von Ihren Kabinettskollegen gefordert (die Aussagen von Minister Dr. Klug im Bildungsaus- schuss zum Bildungspakt waren mutig), die großen Bereiche ausnehmen, dann ist auch diesem Ziel die Grundlage entzogen und Ihre erfreuliche Zusage, dass es keine betriebsbe- dingten Kündigungen gebe, soviel wert, wie die damals, als Sie versprachen, das Weih- nachtsgeld nicht anzurühren. Bedenken Sie, dass die große Koalition über 3.000 von den verabredeten 4.800 Stellen im Bildungsbereich einsparen wollte und dennoch die demogra- fischen Spielräume zu über der Hälfte um Qualität und Quantität in der Unterrichtsversor- - 17 -



gung steigern. Alle 4.800 Stellen wären durch Altersabgänge einzusparen – dies gilt für die Gesamtzahl natürlich nicht mehr, wenn Sie bestimmte Bereiche davon ausnehmen. In den restlichen Bereichen gibt es nicht so viele Altersabgänge. Wollen Sie denn beim Personal- abbau – anders als Sie hier heute gesagt haben - doch betriebsbedingte Kündigungen ein- setzen und Gleichstellung und Mitbestimmung abbauen? Wir Sozialdemokraten haben Ih- nen diese Forderungen in der letzten Legislaturperiode immer abgeschlagen. Dazu hätte ich gerne eine klare Aussage. Doch wenn ich es richtig verstanden habe, sollen diese Personaleinsparungen erst in der nächsten Legislaturperiode erfolgen, also weit nach einer Zeit, wo das noch Ihr Prob- lem sein wird, Herr Ministerpräsident. Ich frage mich auch, wo denn die großartigen Spar- vorschläge der Ressorts sind, die immerhin schon einen Tag nach der Wahl hätten vorlie- gen sollen – jene Vorschläge, mit deren Fehlen bei den Sozialdemokraten Sie den Bruch der großen Koalition begründet haben. Wir haben gesagt, wie das geht, z. B. mit einer ent- schlossenen Verwaltungsstrukturreform, die an Ihnen gescheitert ist, z. B. mit Kürzungen bei der Gießkannenförderung der millionenschweren einzelbetrieblichen Förderprogramme, z. B. durch glasklaren Vorrang für Bildung, Kinderbetreuung und Klimaschutz gegenüber al- len anderen Feldern. Bei Ihnen: Fehlanzeige. Das einzig Konkrete fand ich in Ihrer schon zitierten Rede. Dort sagten Sie, dass Vereine und Verbände nur noch bei Projekten gefördert werden. Was be- deutet dass? Unsicherheit für die dort Beschäftigten, Unsicherheit für die Vereine und Ver- bände und eine zunehmende Abhängigkeit vom politischen Goodwill respektive der konser- vativen Grundausrichtung. Es öffnet Tür und Tor für selektive politisch gesteuerte Förderung, wer mault fliegt raus – galt für Frau Wiedemann und gilt dann auch für nicht konforme gesellschaftliche Arbeit. Und was sagt der Herr Ministerpräsident?
Wir könnten uns halt leider z. B. die bescheidene Hilfe für Folteropfer nicht mehr leisten, die als Flüchtlinge hier leben - ausgerechnet dieses Beispiel, Herr Carstensen, haben Sie kürz- lich genannt - dafür würde ich mich an Ihrer Stelle schämen.
Vielleicht verhilft Ihnen ja der heutige Buß- und Bettag zu neuen Einsichten, es wäre zu hof- fen.

VI. Umwelt- und Energiepolitik
Eine Wende wollen Sie offenkundig auch im Umwelt- und Energiebereich einleiten. Ihr an- geblich sicherer Mix ist eben nicht sicher. Mit der Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke treiben Sie nicht nur ein Spiel mit der Gesundheit und dem Leben der Menschen in diesem Land, wenn ich an die immer noch ungeklärte Endlagerung denke und an Jahrtausende lange strahlenden Müll, den wir unseren Nachkommen hinterlassen. Selbst dem Land Schweden ist die Technologie zu un- sicher, um mit einer Garantie für einen möglichen GAU gerade stehen zu wollen. Und die - 18 -



CO2 Freiheit von Atomkraftwerken trägt auch nur so lange, so lange sie nicht die ganze Prozesskette inklusive Uranabbau mit einbeziehen. Sie verhindern mit dem Blockieren von Förder-, Forschungs- und Leitungskapazitäten den notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energien. Ich fürchte, wir können uns gerade hier fünf verlorene Jahre nicht leisten. Auch hier wird der Druck der vielen kleinen Unternehmen in den Zukunftsbereichen auf diese Regierung zunehmen. Ich hoffe, er wird zusammen mit der Mehrheit der Bevölkerung ausreichen, um Sie zu einem Umdenken zu bewegen. Wir müssen raus aus den Monstertechnologien, hin zu mehr Energiesparen, Energieeffi- zienz und den konsequenten Ausbau erneuerbarer Energien. Ich fürchte aber, dass Sie der finanziellen Lobbymacht der großen Energiekonzerne nichts Ausreichendes entgegen- setzen können und wollen. Ein Zukunftskonzept für die Energieversorgung, die Versor- gungssicherheit und Klimaschutz wird wohl von der Opposition kommen müssen!
Ihre sonstigen Ausführungen zur Umweltpolitik sind blumig und von dem verfehlten Glauben beseelt, dass Umweltpolitik ja vernünftig sei und sie deswegen schon jeder irgendwie ma- chen werde – Freiheit beim Umweltschutz führt im überwiegenden Teil der Fälle zur Umweltzerstörung. Und wie sich Ihre Aussage, Sie wollen den Flächenverbrauch minimie- ren, mit den neuen Freiheiten im Landesentwicklungsplan vertragen soll, bleibt eines der vielen Geheimnisse der neuen Regierung.
Wir müssen diejenigen ernst nehmen, die sich von uns abwenden. Wir müssen eine Antwort für die haben, die bei dieser Wahl geglaubt haben, mit einer dem Egoismus frönenden Par- tei besser zu fahren. Wir müssen eine Politik entwickeln, die deutlich und glaubwürdig die Lebenssituation der Mehrheit der Bevölkerung verbessert. Dazu sehe ich im Koalitionsver- trag dieser Regierung und in Ihrer Regierungserklärung, Herr Ministerpräsident, keinerlei Ansätze. Sie stoßen die Frauen in diesem Land vor dem Kopf, indem Sie sie in die zweite Reihe ver- dammen und erst nach nachhaltigem öffentlichen Protest eine Landwirtschaftsministerin aus dem Hut zaubern, die ich zwar aus meiner Zeit im Finanzministerium schätze, die den fata- len Eindruck aber nicht mehr widerlegen konnte: Übrigens können Sie die Definition von Kabinett auf der Seite Ihrer Bundeskanzlerin nachlesen: Es ist der Regierungschef und die Ministerinnen und Minister. Hier soll Politik ohne die Hälfte der Bevölkerung gemacht wer- den. Gleichstellungspolitisch ist Ihr Kabinett wieder auf dem Stand von Mitte der 50er Jahre, übrigens in feiner Eintracht mit Ihrem neuen Traumpartner. Was der neue Justizminister von Gleichstellung und Integration hält, hat er auf peinliche Weise beim ersten Auftritt im Innen- und Rechtsausschuss ja schon wissen lassen.
Mit diesem Kabinett werden aber auch jene verprellt, die ein Mindestmaß an Solidität von einer Regierung erwarten. Sie halten einen Finanzminister im Amt, der beim Krisenmana- gement in Sachen HSH-Nordbank kläglich versagt hat, so dass Sie ihm konsequenterweise die Zuständigkeit entzogen haben. Herr Kubicki kann sich das Lachen ja kaum verbeißen und hat Sie in einer Weise bloßgestellt, die bei Ihnen noch Sehnsucht nach früheren Kabi- nettskollegen auslösen wird. - 19 -



Wo ist eigentlich Ihr Rest an Selbstachtung, Herr Finanzminister Wiegard, dass Sie es vor- ziehen, auf Ihrem Stuhl sitzen zu bleiben anstatt unter diesen Umständen zurückzutreten? Wahrscheinlich braucht Sie aber der Regierungschef noch als Deichlinie für die Zeit des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses.
Sie ernennen jemanden zum Innenminister, dessen größte Leistung der letzten vier Jahre etwa 600 Seiten leeres Papier gewesen sind. Vom Entbürokratisierungsstaatssekretär zum Innenminister: Jetzt kann man endlich Schülerinnen und Schülern das Peter-Prinzip an- schaulich erklären. Sie fürchten auch dessen rechtskonservatives Verständnis von Innenpo- litik offenkundig so, dass Sie ihm die Zuständigkeit für den Ausländerbereich lieber entzo- gen haben. Wir werden darauf achten, wie es denn mit der Innen-, Rechts- und Ausländer- politik in der Praxis weitergeht. Von schwarz-gelb in Niedersachsen wissen wir, dass auch die FDP eine reaktionäre Ausländerpolitik betreiben kann und es war der FDP-Innenminister Wolf in der schwarz-gelben Regierung in Nordrhein-Westfalen, der das bundesweit erste Gesetz zur Online-Durchsuchung eingebracht hat, das Karlsruhe zum Glück kassiert hat, und eine liberale Innen- und Rechtspolitik in der schwarz-gelben Regierung Baden- Württembergs kann man auch mit der Lupe suchen.
Sie ernennen einen Sozialminister, der noch vor kurzem wie ein Derwisch aufgesprungen ist und - wie in der Tagesschau zu sehen - Frau Trauernicht zugerufen hat, man möge doch bitte ihm endlich die Zuständigkeit für Krümmel geben, weil er dann zeigen könne, wie man das besser macht, und von dem wir nun hören müssen, dass er alles daran gesetzt hat, je- ne Zuständigkeit eben nicht zu bekommen.
Nein, Herr Ministerpräsident, Ihr erstes Auswahlkriterium für das Kabinett war ganz offen- bar, möglichst Mitstreiter zu finden, die nicht stärker sind als Sie selbst. Das war schwierig, ist Ihnen aber doch beinahe gelungen.
Wir wollen den neuen Ressortchefs gern die übliche 100-Tage-Frist einräumen, aber Ihr Kabinett, Herr Ministerpräsident, erweckt nun wirklich nicht den Eindruck, dass wir in Schleswig-Holstein von den besten regiert werden, die wir haben. Und Herr Dr. Klug, wenn jetzt Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler und die Eltern verprellt wer- den, die der Zusage von Herrn Carstensen, an der Schulstruktur werde nicht wieder herum- gedoktert, geglaubt haben und nun klammheimlich eine Wende eingeleitet wird, dann wird Sie dies noch einholen.
Sie enttäuschen jene, die den Steuersenkungsversprechen der FDP geglaubt haben, haben die Lübecker Nachrichten vor wenigen Tagen alles geschrieben, was zu schreiben und zu sagen wäre. Da nützen auch die lautstarken Einlassungen von Herrn Carstensen und Herrn Koppelin aus den letzten Tagen nichts. Für wie vergesslich halten Sie eigentlich die Bürge- rinnen und Bürger in diesem Land?
Gleichzeitig versprechen Sie allen und jedem, die sich laut wehren, die Lösung ihrer Prob- leme – die Taktik mag für eine kleine Oppositionspartei gefahrlos sein, für eine Regierung - 20 -



ist dies fahrlässig. Ist das Ihr Verständnis von Hilfe zur Selbsthilfe? Derjenige, der am lau- testen schreit und am meisten Geld in eine Kampagne stecken kann, bekommt Recht?
Es ist weitgehend im dunkeln, wohin die Reise gehen soll, doch die Zeichen, die zu sehen sind, verraten leider einen nur zur eindeutigen Kurs: Sie starten als eine schlecht verbrämte Rechtskoalition und es spricht alles dafür, dass Sie eine Politik für die Besserverdienen- den und Vermögenden in diesem Land machen werden.
Ich will an dieser Stelle sagen: Immer, wenn Sie etwas Vernünftiges für dieses Land und seine Menschen vorschlagen werden, so wollen und werden wir das unterstützen. Eine Fundamentalopposition ist unsere Sache nicht. Aber meine Hoffnung, dass wir oft dazu Ge- legenheit haben, ist trotz einiger guter Passagen in Ihrer Regierungserklärung leider sehr begrenzt.
Ein Philosoph hat einmal folgendes formuliert: Ich denke nicht an die Zukunft, sie kommt früh genug.
Das, Herr Ministerpräsident, wäre eine ehrliche Überschrift für Ihren Koalitionsvertrag und Ihre Regierungserklärung gewesen. Schöne Worte und die Verwendung schöner, aber falscher Überschriften verdecken vor al- lem aber die zwei zentralen Ziele Ihrer Regierung: den Rollback in vielen Politikbereichen und den Vorrang für den Eigennutz. Bei Ihnen weiß man nie, wie lange Legislaturperioden dauern - ich finde aber, Schleswig- Holstein steht vor fünf verlorenen Jahren – leisten können wir uns das nicht!